Bücher für Jungs, Kaugummis für Türken.
Wodurch unterscheidet sich eine Tüte Chips ‚Nur für Mädchen‘ von einer Kekspackung ‚Nur für Weiße‘?
Almut Schnerring und Sascha Verlan
(Text übertragen vom rosa-hellblau-falle.de (Öffnet in neuem Fenster)-Blog, gekürzte Version. Vor 10 Jahren zuerst erschienen, leider nicht veraltet.)
In seinem Vortrag auf TEDx: „Why we must go beyond pink and blue (Öffnet in neuem Fenster)“ (2014) erzählt der Spiel-Designer Jens Peter de Pedro von einem Besuch bei McDonalds am Drive-Through-Schalter, an dem Kunden und Kundinnen gefragt werden:
„Haben Sie einen Jungen oder ein Mädchen im Auto sitzen?“.
Denn Mädchen sollen ein Pferd, Jungen aber eine Rakete zu ihrem Burger bekommen. De Pedro weist darauf hin, dass die vergleichbare Frage:
„Sitzen schwarze oder weiße Kinder in Ihrem Auto?“
undenkbar wäre. Das ließe sich weitertreiben:
„Sitzen in ihrem Auto Kinder mit Behinderung?“,
„Sitzen in Ihrem Auto übergewichtige Kinder?“, Gehörlose? Blauäugige? Homosexuelle? - Damit die eine Gruppe ein anderes Spielzeug bekommt als die andere? Geht gar nicht! Absurdes Szenario, was soll das?
Warum lehnen wir schwarz-weißes Denken ab, akzeptieren aber rosa-hellblaue Einteilungen, wenn es um das Geschlecht unserer Kinder geht, um ihr Spielzeug, ihre Ernährung, ihre Interessen?
Wer Sexismus mit Geschlechtertrennung bekämpfen möchte, der handele wie jemand, der Rassismus mit Apartheid begegnet, so das Fazit einer Gruppe von Forscher*innen (unter ihnen zum Beispiel Lise Eliot, Autorin des Buches ‚Wie verschieden sind sie‘; ‚Pink Brain, Blue Brain‘) in einem Artikel über 'Die Pseudowissenschaft der Monoedukation'*:
"there is evidence that sex segregation increases gender stereotyping and legitimizes institutional sexism.“
Also: Geschlechtertrennung verstärkt Stereotype und legitimiert institutionellen Sexismus.
Die Werbestrategie, auf die so viele Marketingabteilungen setzen, fördert genau das: die Geschlechtertrennung. Am Spielwarenregal, in Filmen, Büchern, Freizeitangeboten und bei all den Produkten, die „extra für Mädchen“ angeboten werden und Jungen explizit ausschließen – und umgekehrt. Es scheint nicht verwerflich, Chipstüten mit Verbotsschildern (Öffnet in neuem Fenster) in die Regale zu reihen: die scharfen für den „Männerabend“ und deshalb für Frauen verboten, die mild-cremigen dagegen für den „Mädelsabend“ und für Männer tabu.
"Nur lustig gemeint"
Ja, natürlich, ist ja nur lustig gemeint (Öffnet in neuem Fenster). Aber die Abwertung, die in einer Aussage enthalten ist, wird nicht unwirksam allein durch ein „Achtung Witz!“-Erklär-Schild. Ob Ironie oder nicht, ob wer lacht oder sich ärgert: die Normierung beider Geschlechter bleibt bestehen. Die Verpackung als vermeintlicher Witz fördert nur die Akzeptanz und verschleiert die tatsächliche Diskriminierung.
Wir brauchen es übersichtlich, wir mögen Kategorien, um die Welt zu ordnen. Dafür nehmen wir in Kauf, Menschen in Schubladen zu stecken. Oft können wir nicht anders. Bei Chips und Spielzeug dagegen gibt es überhaupt keinen Grund, außer dem einen, die Umsatzsteigerung. Die steht offenbar über allem und macht möglich, was anderswo undenkbar geworden ist.
Foto von Maurice Nguyen (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)
"Kaugummi - extra für Türken"
Sitzplätze werden heute nicht mehr nach Hautfarbe vergeben, und eine Werbeaktion für „Kaugummi – extra für Türken“ würde einen Aufschrei auslösen. Ein solches Produkt durfte nur Bülent Ceylan preisen, und auch nur auf der Comedybühne: Kaugummi mit Knoblauchgeschmack, extra für den aufgeklärten Türken, damit er in seiner ultratraditionellen Familie nicht auffällt, sondern anerkannt wird. Genauso seltsam fänden wir ein Produkt nur für Katholiken, bloß Gendermarketing soll richtig sein?
Ob Rassismus oder Sexismus: alle Diskriminierungsformen sind daneben und haben in der Werbung nichts verloren. Wieso sehen Werbe- und Marketingmenschen trotzdem kein Problem darin, Produkte anhand von angeblichen Geschlechtsmerkmalen zu bewerben und einen Graben zu ziehen oder zu vertiefen? Und warum stören sich so wenige „mündige“ Konsument*innen an Büchern mit der Aufschrift „Nur für Jungs“, und sind einverstanden, dass ein Getränkehersteller ein Produkt mit süßen Früchten „nur für Mädchen“ anbietet?
(Öffnet in neuem Fenster)Foto (c): moses. Verlag GmbH, Screenshot: klische*esc e.V. (Öffnet in neuem Fenster)
* Halpern, Diane F. u. a. (2011): The Pseudoscience of Single-Sex Schooling, in: Science, Vol. 333 vom 23. September, S. 1706-1707