Zum Hauptinhalt springen

Frühsexualisierung

Ominös, diese "Frühsexualisierung". Der Begriff hat scheinbar zwei Bedeutungen. Es ist jedenfalls ein Kampfbegriff der AfD geworden, und sie meinen damit NICHT

  • Bikinis und Push-up-BHs für 6jährige

  • "Die heiraten später mal"-Sprüche im Krabbelkurs

  • "Achtung Girls, ich komme!"-Bodys für Neugeborene

Sollten sie aber! 😡

Stattdessen sind es konservative bis rechtspopulistische, pädagogisch uninformierte Antifeminismus-Aktivisten, die den Vorwurf der "Frühsexualisierung" in den Kreis werfen, sobald irgendwo im Pädagogik-Kontext das Wort "Gender" auftaucht. Es sei "Frühsexualisierung" mit Kindern "darüber" zu sprechen. Über den Inhalt des "darüber" streiten sich die Geister. Die 'Besorgten Eltern'* zum Beispiel setzen mit "Gender" alles gleich, was mit Dildo, Sex und "da unten" zu tun hat. Konkrete Anlässe werden selten benannt, offenbar fehlen die Worte - was Teil des Problems und Thema der genderreflektierten Pädagogik*** ist, aber wer sie ablehnt, kommt nicht in den Genuss zu lernen. Wer "es" nicht benennt, produziert absichtlich Missverständnisse und populistische Halbwahrheiten. Eigentlich egal bei welchem Thema ¯\_(ツ)_/¯

Populistische Meinungsmache anstatt sachlich, konkreter Kritik

Jedenfalls richtet sich diese Meinungsmache gegen die Aufklärungsarbeit in Kitas, aber nie gibt es Kritik an konkreten Fortbildungen. Mit allgemeinen Floskeln rund um Schande und Volk wird das Schmierige und Verkommene angeprangert, das "unsere" Kinder benutzt für die "Genderideologie". Zur Zeit echauffieren sich zum Beispiel eine Reihe von Twitter-X-User über ein Bild, das eine Szene mit einem Kind und einem nackten Erwachsenen zeigt. Auf die Frage nach Ort und Quelle: "Keine Ahnung (Öffnet in neuem Fenster). Aber ist Schmutz" - Die Hinweise, dass das Bild ein AI-generiertes ist, interessieren nicht.

Genderbewusste Pädagogik

Damit jetzt das Wichtigste nicht durch die folgenden Grusel-Beispiele überlagert wird, hier die korrekte Definition vorneweg:

"Das Ziel geschlechter- bzw. genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Geschlechterklischees – in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Es geht darum sie bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Geschlechtsidentitäten zu unterstützen – unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellungen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen«. Geschlechterbewusste Pädagogik beruht auf einer Haltung, die auf der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen basiert und Chancengerechtigkeit und Inklusion betont." Petra Focks***

Frühsexualisierung durch Werbung

Der Begriff der "Frühsexualisierung" ist hier also fehl am Platz, während Werbefotos wie dieses ihn verdient hätten:

Wer Babys im Bikini harmlos und "nur lustig" findet, hat oft auch was übrig für die geschlechtliche Markierung von Säuglingen ab Tag Eins. Auch hier, wir würden es Frühsexualisierung nennen:

Bild

AfD und AfD-Nahe investieren viel Zeit und Energie, damit Menschen "Gender" und "Frühsexualisierung" gleichsetzen mit ''Alle schwul machen'/ 'die Geschlechter abschaffen' / Aufklärung Dreijähriger mit Kondomen". Der Begriff "Genderismus" versammelt dann diese ganze verquere Denke, ohne zu differenzieren. Genderismus = "ein Begriff des Antifeminismus, mit dem zumeist Rechtspopulist*innen Gender Studies, emanzipatorische Gleichstellungspolitiken und die Anerkennung sexueller Vielfalt bekämpfen" **

Bild

Wer Babys im Bikini für einen guten Werbegag hält, versteht auch selten unsere Kritik an der immer gleichen, stereotypen Mädchen+Puppe / Junge+Auto-Zuordnung ("Jungs mögen nun mal…") und findet es gleichzeitig in Ordnung, Babys und Kinder allen Alters in die "junge Dame" und "galanter Herr"-Schublade zu packen. Denn die Hochzeit ist der schönste Tag im Leben einer Frau, warum sollte man das nicht mit einer Siebenjährigen demonstrieren dürfen? #ZynismusOff - Wahlprogramm 2023 der AfD on: "Die AfD fordert daher die Würdigung auch traditioneller Lebensentwürfe und die Wertschätzung der Lebensleistung von Frauen, die Familien gründen und Kinder großziehen."

Bildhttps://twitter.com/Kaihua2010/status/1311574126411251713 (Öffnet in neuem Fenster)

Zu viele, die bei gendersensibler Pädagogik von "Frühsexualisierung" sprechen, haben zwar etwas dagegen, wenn mit Kindern über alternative Paar- und Familienkonstellationen gesprochen wird (die zu ihrem Alltag gehören!), finden aber heteronomative Witze schon bei Babys okay. Oder sexistische T-Shirt-Sprüche wie diese hier:

Bild

Sehr verbreitet sind ja Kita-Fotos, bei denen z.B. alle Mädchen mit Puppe portraitiert werden und alle Jungs mit Rollfahrzeug. Aber es sei "ja etwas anderes", Säuglingen ein Stoffteil zu verpassen, das ihren noch nichtvorhandenen Busen bedeckt.

https://twitter.com/Astralwelpe/status/1144641044522446849 (Öffnet in neuem Fenster)

Wie geht das zusammen mit dem Vorwurf, "Genderisten" würden Kinder "in eine Rolle zwängen"?!

Lustig verdrehte Welt, wenn's nicht so traurig wäre.

Bild

Nochmal zurück zum Ausgangsfoto:

Es ist Teil einer Anzeige eines Fotograf*in, die*der Tipps geben möchte, wie man … fotografiert. Es ist offenbar ein Agenturbild. Ein sehr beliebtes, das von der Tagespost, Bunte, Fotograf-de genutzt wird. Was bewegt all diese Redaktionen und Journalist*innen dazu, das Foto von einem Säugling im Bikini weiterzuverbreiten?

Bild

Quellen:

  • "besorgte Eltern" - "Besorgte Eltern setzt unabhängig von Herkunft, politischer oder religiöser Einstellung ein Zeichen gegen die Frühsexualisierung unserer Kinder."… Selbstbeschreibung auf der Seite, die hier nicht verlinkt werden will. Denn was damit gemeint ist, erklärt Imke Schminke in ihrem Vortrag

  • ‚Besorgte Eltern‘ und ‚Demo für alle‘ – das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzungen". Den gibt es nachzulesen, pdf-Download von den Seiten des Gunda-Werner-Instituts (Öffnet in neuem Fenster). Ein Zitat daraus: "Die Demo für alle und die Besorgten Eltern versuchen öffentliche Diskurse zu beeinflussen und Menschen für ihre Ziele zu mobilisieren: den Kampf gegen (1) die Gleichstellung der Geschlechter sowie (2) Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Partner_innenschaften (bzw. Lebensweisen) sowie (3) gegen liberale/progressive Sexualpädagogik – die sie verzerrend als „Frühsexualisierung“ diffamieren."

  • **Genderismus-Einordnung von Sabine Hark / Paula-Irene Villa (Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Transcript Verlag 2015)

  • ***genderbewusste Pädagogik -

http://www.petra-focks.de/genderbewusste-paedagogik-in-der-kita/ (Öffnet in neuem Fenster)

PS:

Themawechsel: beim Stichwort Kita-Fotografie seien trotzdem diese beiden älteren Texte auf dem Rosa-Hellblau-Falle-Blog erwähnt, es sind zwei Erlebnisse mit Kita- bzw. Schul-Fotografen:

Ob die Jungs auch geglättet wurden, weiß ich nicht. Aber vielleicht habt Ihr damit Erfahrungen, die Ihr teilen wollt.

Guten Abend.

Kategorie Rosa-Hellblau-Falle

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Almut & Saschas Newsletter aus der Wort & Klang Küche und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden