Ich hab' Rücken
Das ist der Titel und weiter unten folgt der Ankündigungstext von unserem Radiofeature, das letzten Monat im Deutschlandfunk erstausgestrahlt wurde. Vielen Dank an alle Beteiligten:
· Anja, Altenpflegerin
· Betty, 24h-Inhouse-Pflegekraft
· Boris von Heesen, Autor und Berater für Jungen und Männer, Darmstadt
· Michael Miess, Anästhesist und Intensivmediziner, Köln
· Simone Rosenkranz, Ärztin im Gesundheitsamt, Bonn
· Ben Salomo, Rapper und politischer Bildner, Berlin
· Karsten Schulz, Referent für ev. Jugend in ländlichen Räumen, Hannover
· Franziska Schutzbach, Soziologin und Genderforscherin, Basel
Über Rücksichtslosigkeit, Rückenschmerzen und Rückhalt
Auch wenn sich die Menschheit gerne als Krone der Schöpfung sieht und stolz erhobenen Hauptes durch die Weltgeschichte schreitet, evolutionsbiologisch stecken wir noch mitten im Umbruch, insbesondere ein zentrales Wesenselement scheint noch längst nicht ausgereift, nämlich die Wirbelsäule, die unserer Hauptgattung den Namen gibt, Wirbeltiere oder auch Vertebraten. Die Wirbelsäule ist der Schauplatz eines weit verbreiteten Leidens und Sprachphänomens: Ich habe Rücken.
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(Eine Kooperation des Wort & Klang Kollektiv (Öffnet in neuem Fenster)s)
Dieses grundsätzliche Entwicklungsdefizit ist aber nur die eine Seite. Was sich evolutionsbiologisch nicht erklären lässt, ist die extreme Zunahme an Rückenbeschwerden in den vergangenen Jahren. Und tatsächlich ist der Grund dafür auch nur selten die Wirbelsäule selbst, vielmehr ist es ein Zusammenspiel körperlicher und psycho-sozialer Faktoren. Ist diese Volkskrankheit vielleicht die Folge einer kollektiven Überforderung? Der Rücken schmerzt, weil die allgemeine Belastung zu groß geworden ist, weil es an Strukturen und Menschen fehlt, die uns buchstäblich und metaphorisch den Rücken freihalten, uns im Alltag entlasten könnten … eben weil sie selbst überlastet sind.
Ein genauerer Blick in die Statistiken zeigt dann, dass längst nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen betroffen sind von Rückenproblemen. Auch hier spielen die zentralen Kategorien eine wesentliche Rolle, nämlich Geschlecht, Herkunft und sozialer Status, also Klasse. Es sind Frauen, oft mit familiärer Migrationsgeschichte und finanziell eher benachteiligt, die überproportional unter Rückenbeschwerden leiden. Also genau jener Personenkreis, das haben die vergangenen Pandemiejahre deutlich gezeigt, dessen Arbeit systemrelevant ist, denn sie sind es, die sich um andere Menschen kümmern, ihnen den Rücken freihalten und insgesamt für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen.
Hinter dem Rücken dieser nüchternen statistischen Befunde verbergen sich persönliche Geschichten, die sich mit einer einfachen Frage ans Licht bringen lassen: Wer hält dir den Rücken frei? In der Familie, im privaten Umfeld, im Job? Wer schafft eigentlich den Rahmen und die Bühne, damit du tun kannst, was du möchtest, was dir persönlich wichtig ist? Ob in der Politik, in den Medien, auf der Bühne, in der Wissenschaft, aber auch in dieser Radiosendung … meist werden (Ehe-)Frauen genannt und Männer eher eingereiht in den Gesamtkontext Familie. Eine Ausnahme bildet der GangstaRap. Hier ist mancher stolz drauf, einen - natürlich sehr männlichen - Beschützer zu haben, der im Zweifelsfall für Ruhe sorgt, wenn die metaphorische Gewalt dann doch und immer häufiger körperlich eskaliert.)
Auf vielen Ebenen, musikalisch, moralphilosophischen und metaphorisch erkundet das Feature 'Ich habe Rücken' den Zusammenhang zwischen Rückenschmerzen und Rücksichtslosigkeit und macht sich auf die Suche nach Lösungen, wie wir uns gesellschaftlich und individuell den Rücken stärken können. Wie wir uns die nötige Zeit und Ruhe verschaffen können, auf dass der Rücken seine evolutionsbiologische Reife erlangen kann.
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Heben, heben, heben: