ADHS und Essen
Moin. Heute etwas verspätet der nächste Newsletter. Weil er natürlich wieder perfekt sein sollte, ohne perfekt zu wirken. Was natürlich nicht geht. Aber dazu später mehr.
Die Themen prasselten nur so im Kopf rum. U.a. auch, weil ich am letzten Sonntag 2 tolle Meetings zu Neurodivergenz (im real life und online) und ein Motorschaden hatte. Dazu aber vielleicht nächste Woche mehr.
Heute geht es um vergessene Mahlzeiten, ADHS in Grundschulzeugnissen, Aufmerksamkeitsmuster bei Autismus , neuronale Muster bzw. Neurobiologie bei ADHS und natürlich um Erschöpfung / Fatigue bei ADHS und Autismus. Und fast vergessen : Sexuell übertragbare Krankheiten und ADHS.
Ihr seht schon : Es sind wieder total unterschiedliche Themen, die mir vors Auge und damit ins Gehirn gesprungen sind.
ADHS und vergessene Mahlzeiten
Vergessen zu Essen? Keine Zeit zum Mittag und schon kein Appetit beim Frühstück?
Einleitung
Wieso überspringen wir Mahlzeiten oder haben keine gute Mahlzeitenstruktur? Diese Fragen stellen sich viele Menschen in unserem hektischen Alltag. Vielleicht liegt es einfach auch daran, dass man nicht mehr gemeinsam am Esstisch die Mahlzeigen zu sich nimmt ?
Doch was, wenn das unregelmäßige Essverhalten mehr als nur eine Folge von Stress und Zeitmangel ist? Eine wachsende Zahl von Experten, darunter die amerikanische ADHS-Forscherin Cynthia Hammer, weist darauf hin, dass unbeabsichtigtes Fasten im Sinne von Auslassen oder gar Vergesseen von Mahlzeigen ein Hinweis auf unentdeckte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sein könnte.
Was bedeutet unbeabsichtigtes Fasten?
Unbeabsichtigtes Fasten beschreibt das Phänomen, bei dem Menschen unbewusst Mahlzeiten auslassen oder unregelmäßig essen, ohne es zu merken. Im Gegensatz zum bewussten intermittierenden Fasten, bei dem Essenspausen gezielt eingeplant werden, passiert dies meist unbewusst und kann tiefere Ursachen haben.
Unbeabsichtigtes Fasten und ADHS
Cynthia Hammer hat gezeigt, dass dieses Phänomen häufig bei Menschen mit unerkanntem ADHS auftritt. ADHS ist gekennzeichnet durch Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die das Essverhalten stark beeinflussen können.
Hyperfokussierung und Ablenkung: Menschen mit ADHS können sich so stark auf eine Tätigkeit konzentrieren, dass sie alles andere vergessen – einschließlich Mahlzeiten. Diese intensive Konzentration führt oft dazu, dass sie stundenlang ohne Nahrung auskommen, bis der Hunger sie plötzlich überfällt.
Impulsivität und Strukturmangel: Die Impulsivität von ADHS-Betroffenen kann dazu führen, dass sie ihre Mahlzeiten nicht planen oder regelmäßig vergessen. Ein strukturierter Tagesablauf fällt ihnen oft schwer, was zu unregelmäßigen Essgewohnheiten führt.
Wenig Körperbewusstsein: Viele Menschen mit ADHS nehmen ihre Hungerzeichen nicht sofort wahr. Sie bemerken erst spät, dass sie hungrig sind, und greifen dann häufig zu schnellen, ungesunden Snacks.
Gesundheitliche Folgen
Unregelmäßige Essgewohnheiten und unbeabsichtigtes Fasten können erhebliche gesundheitliche Auswirkungen haben. Wenn der Körper über längere Zeiträume hinweg ohne Nahrung auskommen muss, kann dies zu mehreren Problemen führen:
Nährstoffmangel: Das Auslassen von Mahlzeiten kann zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen führen, die für die Gesundheit notwendig sind.
Energieeinbrüche: Ein unregelmäßiger Blutzuckerspiegel kann zu Energieeinbrüchen und Konzentrationsproblemen führen.
Stoffwechselprobleme: Der Stoffwechsel kann gestört werden, was langfristig zu Gewichtszunahme oder -verlust führen kann.
Zusammenhang mit Binge Eating, Night Eating und Adipositas
Unbeabsichtigtes Fasten steht in engem Zusammenhang mit Essstörungen wie Binge Eating und Night Eating, die wiederum das Risiko für Adipositas erhöhen können:
Binge Eating: Menschen, die regelmäßig Mahlzeiten auslassen, neigen dazu, später am Tag sehr große Mengen auf einmal zu essen. Dieses übermäßige Essen kann zu Binge Eating führen, einer Essstörung, bei der große Mengen Nahrung in kurzer Zeit konsumiert werden, oft ohne Hunger und bis zum unangenehmen Völlegefühl.
Night Eating Syndrome: Unregelmäßiges Essen tagsüber kann dazu führen, dass Betroffene nachts übermäßig essen. Dieses Syndrom ist durch das wiederholte nächtliche Aufwachen und Essen gekennzeichnet und kann den Schlaf und den Stoffwechsel negativ beeinflussen.
Adipositas: Sowohl Binge Eating als auch Night Eating erhöhen das Risiko für Adipositas. Wenn der Körper regelmäßige große Mengen Nahrung zu ungewohnten Zeiten erhält, kann dies zu einer Ansammlung von Körperfett führen, da der Stoffwechsel nicht optimal arbeiten kann.
Bedeutung für Therapeuten
Für Therapeuten kann unbeabsichtigtes Fasten ein wertvolles diagnostisches Werkzeug sein. Wenn Klienten über unregelmäßige Essgewohnheiten berichten, könnte dies ein Hinweis auf eine unentdeckte ADHS sein. Hier einige Schritte, die Therapeuten in Erwägung ziehen können:
Essensprotokolle führen: Klienten können ermutigt werden, ein Essensprotokoll zu führen, um Muster im Essverhalten zu erkennen.
ADHS-Screening-Tools einsetzen: Bei auffälligen Mustern sollten spezifische ADHS-Screening-Tools eingesetzt werden, um eine mögliche Diagnose zu unterstützen.
Ganzheitlicher Ansatz: Ein interdisziplinärer Ansatz, der Ernährungsberatung und psychologische Unterstützung kombiniert, kann helfen, das Essverhalten zu regulieren und andere ADHS-Symptome zu managen.
Tipps für Neurodivergente
Für neurodivergente Menschen gibt es einige Strategien, um regelmäßige Essgewohnheiten zu entwickeln:
Erinnerungen setzen: Handy-Erinnerungen oder spezielle Apps können helfen, regelmäßige Mahlzeiten einzuplanen.
Essensvorbereitung: Vorkochen und vorbereiten von Mahlzeiten kann den Stress des täglichen Kochens minimieren.
Strukturierte Pausen: Feste Pausenzeiten im Tagesablauf können das Bewusstsein für regelmäßiges Essen schärfen.
Fazit
Unbeabsichtigtes Fasten mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, kann jedoch ein wertvoller Hinweis auf unentdeckte ADHS sein. Dank der Forschung von Cynthia Hammer können Therapeuten dieses Phänomen nutzen, um Betroffenen besser zu helfen. Für neurodivergente Menschen ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, um regelmäßige Essgewohnheiten zu fördern und so das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.
Wie kann man ADHS aus Grundschulzeugnissen erkennen (oder übersehen)
Der Artikel „Retrospektive Bewertung von ICD-10/DSM-5-Kriterien für ADHS aus Beschreibungen von schulischen und sozialen Verhaltensweisen in deutschen Grundschulzeugnissen“ untersucht, wie man ADHS anhand von Beschreibungen in Grundschulzeugnissen erkennen kann. ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, eine Entwicklungsstörung, die durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet ist. Diese Symptome beginnen in der Kindheit, aber die Diagnose im Erwachsenenalter ist oft schwierig, weil man beweisen muss, dass die Symptome schon als Kind vorhanden waren.
Hintergrund
ADHS kann bei Kindern relativ leicht diagnostiziert werden, aber bei Jugendlichen und Erwachsenen ist es schwieriger. Die Diagnosekriterien der ICD-10 und DSM-5 verlangen, dass die Kernsymptome vor einem bestimmten Alter (vor dem siebten Lebensjahr nach ICD-10 und vor dem zwölften Lebensjahr nach DSM-5) auftreten. Daher ist es wichtig, retrospektiv (rückblickend) die Kindheitssymptome zu bewerten. Bisherige Methoden umfassen Selbstberichte, Berichte von Eltern oder Erziehungsberechtigten und Berichte von Lehrern, aber diese Methoden haben ihre Einschränkungen, weil sie auf subjektiven Erinnerungen beruhen.
Methodik
Die Studie untersuchte Grundschulzeugnisse von Kindern mit ADHS und einer Kontrollgruppe von Kindern ohne ADHS. Die Zeugnisse wurden auf Hinweise auf die Haupt- und Nebenkriterien von ADHS analysiert. Die Beschreibungen wurden von klinischen Experten bewertet, die nicht wussten, ob das Kind ADHS hatte oder nicht. Diese Bewertung umfasste sowohl Symptome (auffälliges Verhalten) als auch Kompetenzen (erwünschtes Verhalten).
Teilnehmer
Die Teilnehmer stammten aus Sachsen und umfassten 1197 Kinder mit ADHS und 656 Kinder ohne ADHS. Die ADHS-Diagnosen wurden von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie gestellt und umfassten verschiedene Subtypen von ADHS. Kinder ohne ADHS wurden aus einer freiwilligen Gruppe ausgewählt, die keine psychiatrischen oder neurologischen Diagnosen hatten.
Maßstäbe
In Deutschland enthalten Grundschulzeugnisse standardisierte Beschreibungen der schulischen Leistungen und des sozialen Verhaltens. Diese Beschreibungen umfassen Bereiche wie Motivation, Kooperation, Fokus auf Ergebnisse, Autonomie, Fleiß und Zuverlässigkeit. Besonders wichtig für die ADHS-Diagnose sind Bewertungen des schulischen Verhaltens, die Hinweise auf Aufmerksamkeitsprobleme, Hyperaktivität und Impulsivität geben können.
Ergebnisse
Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne ADHS
Die Analyse zeigte deutliche Unterschiede zwischen den Beschreibungen in den Zeugnissen von Kindern mit ADHS und denen von Kindern ohne ADHS. Die Bewertungen der Symptome und Kompetenzen zeigten eine hohe diagnostische Genauigkeit. Die besten Ergebnisse wurden erzielt, wenn beide Bewertungen kombiniert wurden. Die Unterschiede waren in den ersten Schuljahren am deutlichsten.
Subkriterien der Unaufmerksamkeit
Besonders auffällig waren die Unterschiede in den Subkriterien der Unaufmerksamkeit. Diese umfassen häufige Flüchtigkeitsfehler, Schwierigkeiten beim Halten der Aufmerksamkeit, das Nichtbeenden von Aufgaben, Organisationsprobleme und das Vermeiden langer Aufgaben. Diese Symptome wurden in den Zeugnissen von Kindern mit ADHS viel häufiger beschrieben als bei Kindern ohne ADHS.
ROC-Analysen
ROC-Analysen (eine Methode zur Bewertung der diagnostischen Genauigkeit) zeigten, dass sowohl die Symptome- als auch die Kompetenzen-Skala eine hohe diagnostische Genauigkeit aufwiesen. Der kombinierte Index, der sowohl Symptome als auch Kompetenzen berücksichtigt, zeigte die höchste Genauigkeit mit einem AUC-Wert von mindestens 0.96. Dies bedeutet, dass diese Methode sehr gut zwischen Kindern mit und ohne ADHS unterscheiden kann.
Kritische Betrachtung
Herausforderungen der Verfügbarkeit von Zeugnissen
Ein bedeutender Aspekt, der bei der retrospektiven Diagnose von ADHS berücksichtigt werden muss, ist die Verfügbarkeit von Grundschulzeugnissen. Viele Erwachsene haben ihre alten Schulzeugnisse nicht mehr, was die retrospektive Beurteilung erschwert. Ohne diese Dokumente ist es schwierig, objektive Beweise für frühere Symptome zu finden, was die Diagnose im Erwachsenenalter unsicher machen kann.
Potenzielles Unterberichten von negativen Aspekten durch Lehrer
Ein weiteres Problem ist, dass Lehrer in Zeugnissen oft vermeiden, auf potenziell negative Aspekte hinzuweisen. Sie könnten aus verschiedenen Gründen zögern, kritische Bemerkungen zu machen, wie zum Beispiel, um die Eltern nicht zu verärgern oder das Kind nicht zu demotivieren. Dies kann dazu führen, dass wichtige Hinweise auf ADHS-Symptome in den Zeugnissen fehlen und somit die Diagnose erschwert wird. Daher könnte das Verhalten eines Kindes, das in Zeugnissen weniger auffällig beschrieben wird, die Diagnose von ADHS im späteren Leben beeinflussen.
Merkmale zur Erkennung von ADHS in Zeugnissen
Eltern und Ärzte sollten auf folgende Merkmale in Zeugnissen achten, die auf ADHS hinweisen könnten:
Unaufmerksamkeit: Häufige Flüchtigkeitsfehler in Schularbeiten.
„Max macht häufig unnötige Fehler in seinen Aufgaben.“
„Sie übersieht oft Details, die zu Punktabzügen führen.“
„Er vergisst häufig, Teile seiner Hausaufgaben zu erledigen.“
Aufmerksamkeitsprobleme: Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielen zu halten.
„Lisa hat Schwierigkeiten, über längere Zeit aufmerksam zu bleiben.“
„Seine Konzentration lässt nach wenigen Minuten nach.“
„Sie scheint oft in Gedanken abwesend, selbst bei einfachen Aufgaben.“
Hörprobleme: Scheint oft nicht zuzuhören, wenn direkt angesprochen.
„Paul wirkt oft, als ob er nicht zuhört, wenn man ihn anspricht.“
„Er scheint häufig in Gedanken versunken und reagiert nicht sofort.“
„Sie schaut oft weg, wenn ihr etwas erklärt wird.“
Aufgabenvermeidung: Schwierigkeiten, Anweisungen zu folgen und Aufgaben zu Ende zu bringen.
„Marie beginnt Aufgaben, beendet sie aber selten.“
„Er hat Schwierigkeiten, Anweisungen genau zu befolgen.“
„Sie verliert oft den Faden und bringt Aufgaben nicht zu Ende.“
Organisationsprobleme: Schwierigkeiten bei der Organisation von Aufgaben und Aktivitäten.
„Tom hat Mühe, seine Materialien organisiert zu halten.“
„Sie vergisst oft, was sie für den Unterricht mitbringen muss.“
„Sein Schreibtisch ist häufig unordentlich und chaotisch.“
Vermeidung langer Aufgaben: Vermeidung von Aufgaben, die geistige Anstrengung über einen längeren Zeitraum erfordern.
„Lea vermeidet Aufgaben, die längere Konzentration erfordern.“
„Er scheint Aufgaben, die länger dauern, nicht zu mögen.“
„Sie verliert schnell das Interesse an langwierigen Aufgaben.“
Verlieren von Dingen: Häufiges Verlieren von Gegenständen, die für Aufgaben oder Aktivitäten notwendig sind.
„Finn verliert ständig seine Stifte und Hefte.“
„Sie vergisst oft ihre Hausaufgaben oder bringt sie nicht mit.“
„Er sucht häufig nach seinen Materialien.“
Ablenkbarkeit: Leicht durch äußere Reize abgelenkt.
„Lena lässt sich schnell von Geräuschen im Klassenraum ablenken.“
„Er schaut oft aus dem Fenster und träumt vor sich hin.“
„Sie reagiert sofort auf jede Ablenkung im Raum.“
Vergesslichkeit: Häufiges Vergessen im Alltag.
„Jonas vergisst häufig, seine Hausaufgaben zu machen.“
„Sie erinnert sich oft nicht an die Anweisungen.“
„Er vergisst häufig, was er gerade gelernt hat.“
Impulsivität und Hyperaktivität: Übermäßige Aktivität und Impulsivität, die in der Schule nicht angemessen sind.
„Nina steht oft während des Unterrichts auf und läuft herum.“
„Er unterbricht häufig andere Kinder und Lehrer.“
„Sie kann kaum still sitzen und zappelt ständig.“
Schlussfolgerungen
Die Studie zeigt, dass die quantitative Analyse von Grundschulzeugnissen eine vielversprechende Methode zur retrospektiven Bewertung von ADHS-Symptomen darstellt. Die hohe diagnostische Genauigkeit der Symptome- und Kompetenzen-Skalen sowie des kombinierten Indexes unterstreicht das Potenzial dieser Methode als diagnostisches Werkzeug. Jedoch sollte die Möglichkeit einer Unterdiagnostik bei bestimmten Subtypen von ADHS berücksichtigt werden. Eine umfassende Beurteilung sollte daher neben den Zeugnissen auch andere Informationsquellen einbeziehen, um eine genaue Diagnose zu gewährleisten.
Ausblick
Zukünftige Studien sollten diese Methode in anderen Regionen Deutschlands und international replizieren, um zu überprüfen, ob die Ergebnisse verallgemeinerbar sind. Zudem sollten Schulberichte von Kindern mit anderen Diagnosen einbezogen werden, um die Spezifität des Ansatzes im Kontext differenzialdiagnostischer Überlegungen zu bewerten. Die Integration von maschinellen Lernmethoden zur automatisierten Analyse von Schulberichten könnte ebenfalls eine vielversprechende Richtung für die Weiterentwicklung dieses diagnostischen Instruments sein.
Insgesamt bietet die Studie wertvolle Einblicke in die retrospektive Diagnose von ADHS anhand von Grundschulzeugnissen und legt den Grundstein für die Entwicklung eines neuen, objektiven und validen diagnostischen Werkzeugs.
Quelle :
Waltereit J, Schulte-Rüther M, Roessner V, Waltereit R. Retrospective assessment of ICD-10/DSM-5 criteria of childhood ADHD from descriptions of academic and social behaviors in German primary school reports. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2024 Jul 24. doi: 10.1007/s00787-024-02509-4. Epub ahead of print. PMID: 39046525.
Schreibt mir mal, ob und was in deinem “Giftblatt” zu lesen war :-)
Die Unvollständigkeit des perfekten Newsletters
Es gibt diesen bestimmten Typ von Menschen, der in einer nicht enden wollenden Beziehung mit dem Unvollständigkeitsgefühl lebt. Dieser Zustand ist nicht etwa eine beiläufige Nebenwirkung ihres kreativen Prozesses, sondern vielmehr der eigentliche Lebensinhalt. Es ist der Menschen, der an einem Newsletter arbeitet, einem banalen, ach so profanen Medium, das doch eigentlich dazu dient, die Essenz der Kommunikation zu verdichten, und dennoch niemals wirklich vollendet wird. Der Newsletter, dieser digitalisierte, fortschrittliche Verwandte des altmodischen Flugblatts, mutiert unter diesen Händen zu einem Sisyphos-Konstrukt.
Der Drang zur Perfektion – jener Drang, der den unglücklichen Schreiber in den Kaninchenbau der endlosen Überarbeitung und nie endenden Revisionen stürzt – ist eine besondere Art der existenziellen Pein. Es gibt keine Zeile, die nicht umgestellt, kein Komma, das nicht verschoben, und keine Wortwahl, die nicht einer tiefgehenden philosophischen Überlegung unterzogen wird. Jeder Satz, jede Phrase wird seziert und neu zusammengesetzt, bis sie vielleicht, ganz vielleicht, den flüchtigen Anschein von Vollkommenheit erreicht.
Aber wir sprechen hier nicht von einfacher Perfektion. Nein, wir sprechen von einer perfekten Vollständigkeit, einem Zustand, den der Newsletter nie erreichen kann, denn die Anforderungen verschieben sich mit jeder neuen Idee, jedem frischen Gedanken, der während eines abendlichen Spaziergangs durch den Kopf des Schreiberlings geistert. Ein Geistesblitz, der in seiner Intensität einem Meteoriteneinschlag gleicht, zwingt ihn zurück an den Schreibtisch. Der Newsletter wird erneut geöffnet, das Layout noch einmal geändert, die Reihenfolge der Absätze umgestellt, das Sprachregister feinjustiert. Der unablässige Tanz zwischen Hyperpräzision und totalem Chaos wird zur grotesken Choreografie, die keinen Raum für Abschlüsse lässt.
In diesem ewigen Streben nach dem perfekten Newsletter steckt eine absurde Tragik. Der Schreiber sitzt stundenlang vor dem Bildschirm, die Finger über der Tastatur schwebend, gefangen in einem Zustand quälender Unentschlossenheit. Ist das nun der richtige Ausdruck? Kann das so stehen bleiben? Gibt es vielleicht doch ein prägnanteres Synonym? Diese Fragen stellen die eigentliche Arbeit in den Schatten, die einst so vielversprechend begonnen hatte.
Und doch, in all diesem verzweifelten Streben nach Perfektion, nach einem vollendeten Werk, das sich nie wirklich vollendet, schwingt eine Wahrheit mit, die der Schreiber vielleicht selbst nicht ganz begreifen kann. Es ist die Abwesenheit der Perfektion, die der Newsletter tatsächlich vervollständigt. Es ist das Unvollendete, das menschlich macht. Denn in einem perfekten Newsletter, der nie Fehler, keine Unvollkommenheiten, kein Potenzial zur Verbesserung mehr aufweist, wäre der Schreiber selbst überflüssig geworden.
Der perfekte Newsletter ist wie der perfekte Gedanke – eine Illusion, ein Ideal, das in der Realität niemals existieren kann. Vielleicht – und das ist ein Gedanke, der dem Schreiber nie wirklich Ruhe lässt – ist die wahre Vollständigkeit des Newsletters nicht in seiner Perfektion zu finden, sondern in dem Moment, in dem er endlich abgeschickt wird, mit all seinen Makeln und Fehlern. Das Loslassen des Unerreichbaren mag das wahrhaft Befreiende sein. Und vielleicht ist es gerade dieser letzte, absichtlich unfertige Newsletter, der die wahre Meisterschaft des Schreiberlings offenbart.
Neue Studie beleuchtet Aufmerksamkeitsmuster bei autistischen Kindern
Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im Journal Autism Research, untersucht die Aufmerksamkeitsmuster bei jungen autistischen Kindern und deren Zusammenhang mit sensorischen Erfahrungen. Die Forscher fanden heraus, dass es deutliche Verbindungen zwischen sogenannter "sticky attention" (haftenbleibende Aufmerksamkeit oder halt auch “klebende” Aufmerksamkeit) und bestimmten sensorischen Verhaltensweisen wie erhöhter sensorischer Empfindlichkeit und intensiven Interessen gibt. Zudem entdeckten sie ein neues Aufmerksamkeitsmuster, das sie "springy attention" (federnde Aufmerksamkeit) nannten, bei dem autistische Kinder ihren Blick eher zu bekannten Reizen zurückkehrten, anstatt sich auf neue zu konzentrieren.
Wichtige Erkenntnisse der Studie
Sticky Attention: Vorherige Forschung hat gezeigt, dass Menschen mit Autismus Schwierigkeiten haben, sich von bestimmten Reizen zu lösen, was als "sticky attention" bekannt ist. Diese Studie fand heraus, dass autistische Kinder, die langsamer ihre Aufmerksamkeit von einem zentralen Reiz zu einem peripheren Ziel verlagern, häufiger sensorische Überreaktionen und intensive sensorische Interessen zeigen.
Springy Attention: Ein unerwartetes Muster, bei dem autistische Kinder nach kurzem Blick auf neue Reize wieder zu bekannten Reizen zurückkehrten. Diese Verhaltensweise wurde mit geringeren kognitiven Fähigkeiten und einer verminderten Reaktionsfähigkeit auf neue sensorische Reize in Verbindung gebracht.
In Hinblick auf Emoflex fand ich das natürlich spannend, weil “sticky” auch sehr passend zu den “verkleisterten” Reizen (Clustern) passt, die wir durch die Verarbeitung mit inneren Bildern und bilateraler Stimulation lösen wollen.
Methodik der Studie
Die Studie umfasste 95 Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren, darunter 65 autistische und 30 nicht-autistische Kinder. Zwei Hauptmethoden wurden verwendet, um die Aufmerksamkeitsmuster zu messen:
Gap-Overlap-Aufgabe: Diese Aufgabe misst die Fähigkeit der Kinder, ihre Aufmerksamkeit von einem zentralen Reiz zu einem neuen peripheren Ziel zu verschieben.
Neuheitspräferenz-Aufgabe: Hier wurde das Interesse der Kinder an neuen Reizen im Vergleich zu bekannten Reizen untersucht.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Ergebnisse dieser Studie tragen zu einem besseren Verständnis der Aufmerksamkeitsmuster bei autistischen Kindern bei und wie diese Muster sensorische Erfahrungen und kognitive Fähigkeiten beeinflussen. Die Forscher hoffen, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen können, die Lernmöglichkeiten für autistische Kinder zu verbessern und deren sensorische Erlebnisse besser zu verstehen.
Quellenangabe: Dwyer, P., Sillas, A., Prieto, M., Camp, E., Wu Nordahl, C., & Rivera, S. M. (2024). Hyper-focus, sticky attention, and springy attention in young autistic children: Associations with sensory behaviors and cognitive ability. Autism Research.
Neue Erkenntnisse zu den einzigartigen neuronalen Profilen von ADHS und Autismus
Eine aktuelle Meta-Analyse, veröffentlicht im American Journal of Psychiatry, beleuchtet die neuronalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Trotz ihrer unterschiedlichen diagnostischen Kriterien gibt es klinische und genetische Überschneidungen zwischen den beiden Störungen. Die Untersuchung von 243 funktionellen MRT-Studien (fMRT) ergab, dass die Unterschiede in der Gehirnaktivität zwischen ADHS und ASS größer sind als die Gemeinsamkeiten. Dies unterstützt die Auffassung, dass ADHS und ASS als separate Zustände betrachtet werden sollten.
Wichtige Erkenntnisse der Studie
Gemeinsame neuronale Aktivierungen: Sowohl ADHS als auch ASS zeigen ähnliche Aktivierungsmuster in bestimmten Gehirnregionen, darunter der rechte linguale Gyrus und der rechte rectale Gyrus. Gleichzeitig wurde eine geringere Aktivierung im linken mittleren Frontallappen und im oberen Temporallappen festgestellt. Diese gemeinsamen Aktivierungen deuten auf einige überschneidende neuronale Mechanismen hin, die zu den kognitiven und Verhaltenssymptomen beider Störungen beitragen könnten.
Spezifische neuronale Aktivierungen bei ASS: Höhere Aktivierungen wurden im linken mittleren Temporallappen, im inferioren Parietallappen, im rechten Hippocampus und im linken Putamen festgestellt. Geringere Aktivierungen zeigten sich im linken mittleren Frontallappen, im rechten mittleren Temporallappen, in der linken Amygdala und im rechten Hippocampus. Diese Muster deuten auf spezifische neuronale Dysfunktionen in Bereichen hin, die mit sozialen Prozessen, kognitiver Flexibilität und emotionaler Verarbeitung verbunden sind. Dies könnte erklären, warum Personen mit ASS häufig Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen und der Verarbeitung emotionaler Reize haben.
Spezifische neuronale Aktivierungen bei ADHS: Hier wurden höhere Aktivierungen in der rechten Insula, im posterioren cingulären Cortex, in der rechten Amygdala und im Putamen beobachtet. Geringere Aktivierungen zeigten sich im rechten mittleren Temporallappen, im linken inferioren Frontallappen, im rechten Globus Pallidus und im linken Thalamus. Diese Ergebnisse weisen auf spezifische neuronale Abnormalitäten in Bereichen hin, die mit Aufmerksamkeit, Inhibition und Belohnungsverarbeitung zusammenhängen. Diese neuronalen Muster könnten erklären, warum Personen mit ADHS häufig Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeit und Impulsivität haben.
Bedeutung der Ergebnisse für die Klinik
Diese neuen Erkenntnisse haben wichtige klinische Implikationen für die Diagnose und Behandlung von ADHS und ASS:
Differenzierte Diagnose: Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, ADHS und ASS als separate, aber manchmal überlappende Zustände zu betrachten. Kliniker sollten bei der Diagnose dieser Störungen besonders auf die spezifischen neuronalen und verhaltensbezogenen Profile achten, um eine genauere Unterscheidung zu ermöglichen. Dies könnte dazu beitragen, Fehldiagnosen zu vermeiden und sicherzustellen, dass Patienten die passende Behandlung erhalten.
Individuelle Therapieansätze: Da die neuronalen Aktivierungsmuster für jede Störung spezifisch sind, sollten Behandlungsansätze entsprechend angepasst werden. Für ADHS könnten Therapien, die auf die Verbesserung der Aufmerksamkeit und der Impulskontrolle abzielen, besonders wirksam sein, während bei ASS Therapien, die soziale Fähigkeiten und emotionale Verarbeitung fokussieren, besser geeignet sein könnten. Die Berücksichtigung der spezifischen neuronalen Profile könnte dazu beitragen, individuellere und effektivere Therapiepläne zu entwickeln.
Gemeinsame Therapieansätze bei Überschneidungen: Trotz der Unterschiede gibt es auch Gemeinsamkeiten in den neuronalen Aktivierungen, die für beide Störungen relevant sind. Therapien, die sich auf diese gemeinsamen Bereiche konzentrieren, könnten für Patienten mit Symptomen beider Störungen von Nutzen sein. Beispielsweise könnten Interventionen zur Verbesserung der kognitiven Kontrolle sowohl bei ADHS als auch bei ASS hilfreich sein.
Zukunftige Forschung und Daten: Die Studie betont die Notwendigkeit weiterer fMRT-Studien, in denen Personen mit ADHS und ASS dieselben Aufgaben ausführen. Dies könnte zu klareren und konsistenten Daten führen und die Unterscheidung der einzigartigen und gemeinsamen neuronalen Merkmale dieser Störungen weiter verbessern. Größere Datensätze und die Verwendung gemeinsamer Aufgaben in der Forschung könnten dazu beitragen, ein umfassenderes Verständnis der funktionellen Architektur des Gehirns bei diesen komplexen neuroentwicklungsbedingten Störungen zu entwickeln.
In einem begleitenden Editorial hebt Philip Shaw, ein führender Forscher im Bereich der neurobehavioralen klinischen Forschung, die Notwendigkeit solcher Studien hervor. Durch die Sammlung und Analyse größerer Datensätze und die Durchführung von Studien mit gemeinsamen Aufgaben für ADHS- und ASS-Teilnehmer könnten Forscher ein vollständigeres Bild der neuronalen Mechanismen dieser Störungen erhalten.
Quellenangabe: Tamon, H., Fujino, J., Itahashi, T., Frahm, L., Parlatini, V., Aoki, Y. Y., Castellanos, F. X., Eickhoff, S. B., & Cortese, S. (2024). Shared and Specific Neural Correlates of Attention Deficit Hyperactivity Disorder and Autism Spectrum Disorder: A Meta-Analysis of 243 Task-Based Functional MRI Studies. The American Journal of Psychiatry.
In unserer “Profi”-Intervisionsliste für ADHS und Autismus streite ich mich häufiger über das Thema Fatigue = Erschöpfung. Während ein Teil der Teilnehmerinnen bei Auftregen von Erschöpfungssyndromen an eine Infektion bzw. Post-Covid im Sinne von ME/CFS denken, denke ich halt häufiger daran, dass eine neurodivergente Konstitution auch chronischen Stress, damit chronische Entzündungsaktivität (Interleukine bzw. Cortisol) und damit auch Erschöpfungssyndrome / neurodivergenten Burnout auslösen kann.
Heikeles Thema, wenn es dann zu der Therapie kommt.
Eine aktuelle Studie ist in diesem Zusammenhang dann natürlich sehr spannend (wenn man sich dafür interessiert)
Childhood neurodivergent traits, inflammation and chronic disabling fatigue in adolescence: a longitudinal case–control study
Autoren
Lisa Quadt, Jenny Csecs, Rod Bond, Neil A Harrison, Hugo D Critchley, Kevin A Davies, Jessica Eccles
Zielsetzung
Diese Studie untersucht, ob entzündliche Prozesse eine Verbindung zwischen neurodivergenten Merkmalen in der Kindheit (insbesondere Autismus und ADHS) und chronischer ermüdender Fatigue im Jugendalter herstellen können. Ziel ist es zu verstehen, ob erhöhte Entzündungswerte wie Interleukin-6 (IL-6) als mediierende Variable fungieren und somit erklären können, warum Kinder mit neurodivergenten Merkmalen häufiger an chronischer ermüdender Fatigue leiden.
Studiendesign
Die Studie ist eine längsschnittliche Fall-Kontroll-Studie, bei der Daten aus der Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) verwendet wurden. Diese Kohortenstudie umfasst Daten von 14.541 lebend geborenen Kindern aus Avon, England, die zwischen April 1991 und Dezember 1992 geboren wurden. Eltern und Kinder füllten regelmäßig Fragebögen aus, und die Kinder nahmen an jährlichen Bewertungskliniken teil.
Stichprobe
Teilnehmeranzahl: 8115 Kinder im Alter von 7 Jahren und 8036 Kinder im Alter von 9 Jahren. Von diesen nahmen 4563 Kinder im Alter von 18 Jahren an Selbstbericht-Maßnahmen teil.
Bewertete Merkmale: Neurodivergente Merkmale (Autismus und ADHS) im Alter von 7 und 9 Jahren sowie chronische ermüdende Fatigue und depressive Symptome im Alter von 18 Jahren.
Hauptergebnisse
Neurodivergente Merkmale und chronische ermüdende Fatigue:
Kinder, die im Alter von 7 und 9 Jahren neurodivergente Merkmale zeigten, hatten im Alter von 18 Jahren ein erhöhtes Risiko, an chronischer ermüdender Fatigue zu leiden.
Kinder mit ADHS-Merkmalen hatten eine Odds Ratio (OR) von 2,18 (95% CI = 1,33 bis 3,56).
Kinder mit autistischen Merkmalen hatten eine OR von 1,78 (95% CI = 1,17 bis 2,72).
Entzündungsmarker und chronische ermüdende Fatigue:
Erhöhte IL-6-Werte im Alter von 9 Jahren waren mit einem erhöhten Risiko für chronische ermüdende Fatigue im Alter von 18 Jahren verbunden (OR = 1,54, 95% CI = 1,13 bis 2,11).
Vermittelnde Rolle der Entzündung:
Die Studie fand heraus, dass die erhöhte Entzündung (gemessen an IL-6) die Beziehung zwischen neurodivergenten Merkmalen und chronischer ermüdender Fatigue vermittelte. Diese Effekte blieben signifikant, auch wenn depressive Symptome berücksichtigt wurden.
Indirekte Effekte: ADHS b = 1,08 (95% CI = 1,01 bis 1,15); Autismus b = 1,06 (95% CI = 1,03 bis 1,10).
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Kinder mit neurodivergenten Merkmalen ein höheres Risiko für die Entwicklung chronischer ermüdender Fatigue haben, was wahrscheinlich mit erhöhten Entzündungswerten zusammenhängt. Die Studie empfiehlt die Implementierung transdiagnostischer Screening-Kriterien, um frühzeitig Unterstützungsstrategien zu entwickeln und die Risiken zu mindern.
Detaillierte Analyse und Diskussion
Fatigue bei ADHS und Autismus
Fatigue bei ADHS: Fatigue bei ADHS ist ein komplexes und multifaktorielles Symptom. ADHS-Patienten berichten häufig über anhaltende Müdigkeit, die durch mehrere Mechanismen erklärt werden kann:
Neuroinflammation: Studien zeigen, dass ADHS-Patienten erhöhte Spiegel von entzündlichen Markern wie IL-6 aufweisen. Diese chronischen Entzündungsprozesse könnten zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Fatigue beitragen, indem sie das Immunsystem dauerhaft aktivieren und Entzündungen im zentralen Nervensystem verursachen.
Schlafstörungen: Schlafprobleme sind bei ADHS häufig und tragen erheblich zur Müdigkeit bei. Kinder und Erwachsene mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, einzuschlafen, durchzuschlafen und einen erholsamen Schlaf zu finden. Diese Schlafstörungen führen zu unzureichender Erholung und anhaltender Müdigkeit am Tag.
Exekutive Dysfunktion: ADHS ist mit Schwierigkeiten in der Organisation und Ausführung von Aufgaben verbunden. Diese exekutiven Dysfunktionen können zu geistiger Erschöpfung führen, da betroffene Personen mehr Anstrengung und Energie aufwenden müssen, um alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Psychische Komorbiditäten: Depressive Symptome und Angststörungen treten häufig bei ADHS auf und können ebenfalls zur Fatigue beitragen. Die emotionale Belastung und die geistige Erschöpfung durch diese komorbiden Bedingungen verstärken das Gefühl der Müdigkeit.
Fatigue bei Autismus: Auch bei autistischen Personen ist Fatigue ein häufiges und bedeutendes Symptom. Die Mechanismen, die zur Müdigkeit bei Autismus beitragen, umfassen:
Erhöhte Entzündungswerte: Ähnlich wie bei ADHS zeigen autistische Personen häufig erhöhte Entzündungsmarker. Diese systemische Entzündungsbereitschaft kann zu chronischer Müdigkeit führen, indem sie das Immunsystem und das Nervensystem dauerhaft belastet.
Sensorische Überlastung und soziale Erschöpfung: Autistische Personen sind oft empfindlicher gegenüber sensorischen Reizen und sozialen Interaktionen. Diese erhöhte Empfindlichkeit kann zu schneller Erschöpfung führen, da das Gehirn mehr Energie aufwenden muss, um Reize zu verarbeiten und sich in sozialen Situationen zurechtzufinden.
Schlafstörungen: Auch bei autistischen Personen sind Schlafprobleme weit verbreitet. Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen sowie unruhiger Schlaf tragen zur Tagesmüdigkeit bei.
Kognitive Überlastung: Autistische Personen können durch die Anforderungen des Alltags schnell kognitiv überlastet sein. Die Anstrengung, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, kann zu geistiger und körperlicher Erschöpfung führen.
Vergleich von Fatigue bei ADHS und Autismus mit ME/CFS
ME/CFS (Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis): ME/CFS ist eine komplexe, multisystemische Erkrankung, die durch extreme Müdigkeit gekennzeichnet ist, die nicht durch Ruhe verbessert wird und länger als sechs Monate anhält. Die Symptome umfassen:
Postexertionale Malaise (PEM): Eine Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, die länger als 24 Stunden anhält.
Nicht erholsamer Schlaf: Trotz ausreichender Schlafdauer fühlen sich die Betroffenen nicht erholt.
Kognitive Beeinträchtigungen: Schwierigkeiten bei Konzentration, Gedächtnis und Denkprozessen.
Weit verbreitete Schmerzen: Muskel- und Gelenkschmerzen sind häufige Beschwerden.
Pathophysiologie von ME/CFS: Die genauen Mechanismen von ME/CFS sind nicht vollständig verstanden, aber es wird vermutet, dass immunologische und mitochondriale Dysfunktionen eine Rolle spielen. Zu den vorgeschlagenen Mechanismen gehören:
Immunsystem-Dysregulation: Eine chronische Aktivierung des Immunsystems mit erhöhten Entzündungsmarkern wie IL-6.
Mitochondriale Dysfunktion: Eine beeinträchtigte Funktion der Mitochondrien, die die Energieproduktion in den Zellen stört.
Neuroinflammation: Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem, die zu einer dauerhaften Aktivierung der Mikroglia (Immunzellen im Gehirn) führen.
Vergleichende Analyse:
Schwere und Spezifität: Fatigue bei CFS/ME ist schwerwiegender und umfassender als bei ADHS und Autismus. CFS/ME beinhaltet spezifische Symptome wie PEM und weit verbreitete Schmerzen, die bei ADHS und Autismus nicht in gleicher Weise vorhanden sind.
Diagnosekriterien: CFS/ME hat spezifische, international anerkannte Diagnosekriterien, während Fatigue bei ADHS und Autismus weniger klar definiert ist und eher durch allgemeine klinische Bewertungen diagnostiziert wird.
Mechanismen: Beide Bedingungen weisen erhöhte Entzündungsmarker auf, aber CFS/ME zeigt umfassendere systemische Dysfunktionen, einschließlich mitochondrialer und immunologischer Anomalien. Bei ADHS und Autismus sind die Fatigue-Symptome oft mit kognitiver und emotionaler Erschöpfung sowie Schlafstörungen verbunden.
Hypothetische Verbindung zwischen ADHS, Autismus und ME/CFS
Die Studie zeigt, dass Kinder mit ADHS und autistischen Merkmalen ein erhöhtes Risiko für chronische ermüdende Fatigue haben. Dies könnte darauf hinweisen, dass ADHS und Autismus als Grundlage oder Risikofaktoren für die Entwicklung von Fatigue bei CFS/ME dienen könnten. Die folgenden Punkte unterstützen diese Hypothese:
Gemeinsame Entzündungsmechanismen: Erhöhte IL-6-Werte und andere entzündliche Prozesse könnten eine gemeinsame Grundlage darstellen. Sowohl bei ADHS und Autismus als auch bei CFS/ME werden erhöhte Entzündungsmarker gefunden, was auf eine potenzielle immunologische Verbindung hinweist.
Überlappende Symptome: Es gibt symptomatische Überschneidungen zwischen chronischer Müdigkeit bei ADHS und Autismus und den Symptomen von CFS/ME. Diese umfassen Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigungen und anhaltende Erschöpfung.
Neuroentwicklungsstörungen und Immundysregulation: Die Verbindung von neurodivergenten Merkmalen mit einer erhöhten Entzündungsbereitschaft könnte auf eine Anfälligkeit für Immundysregulation und daraus resultierende chronische Fatigue hinweisen. Kinder mit ADHS und autistischen Merkmalen zeigen oft bereits in jungen Jahren Anzeichen einer immunologischen Dysregulation, was sie möglicherweise anfälliger für die Entwicklung von CFS/ME macht.
Biopsychosoziale Faktoren: Neurodivergente Kinder erleben oft höhere Stresslevels, soziale Isolation und Mobbing, was zu einer erhöhten Entzündungsbereitschaft beitragen kann. Diese psychosozialen Faktoren könnten ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung von Fatigue bei CFS/ME spielen.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Frühzeitige Interventionen: Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit frühzeitiger Interventionen und gezielter Unterstützungsmaßnahmen für Kinder mit neurodivergenten Merkmalen. Durch frühzeitige Erkennung und Intervention können Risiken für die Entwicklung chronischer Fatigue reduziert werden.
Transdiagnostische Screening-Kriterien: Es wird empfohlen, transdiagnostische Screening-Kriterien zu implementieren, um neurodivergente Kinder frühzeitig zu identifizieren und gezielte Unterstützung anzubieten. Dies könnte die langfristige Lebensqualität verbessern und die Belastung durch chronische Fatigue verringern.
Weiterführende Forschung: Weitere Forschung ist notwendig, um die genauen Mechanismen zu verstehen, die die Verbindung zwischen neurodivergenten Merkmalen und chronischer Fatigue herstellen. Zukünftige Studien sollten auch klinische Bewertungen einbeziehen, um die diagnostische Genauigkeit zu erhöhen.
Holistische Gesundheitsversorgung: Eine integrative, holistische Gesundheitsversorgung, die sowohl physische als auch psychische Aspekte berücksichtigt, ist entscheidend für die Unterstützung neurodivergenter Personen. Dies schließt regelmäßige Gesundheitschecks, gezielte Therapien und psychosoziale Unterstützung ein.
Bewusstsein und Bildung: Erhöhtes Bewusstsein und Bildung über die Zusammenhänge zwischen neurodivergenten Merkmalen und chronischer Fatigue sind notwendig, um Vorurteile und Missverständnisse abzubauen. Gesundheitsdienstleister sollten über diese Verbindungen informiert sein, um angemessene Behandlungsstrategien zu entwickeln.
Zusammenfassung
Diese umfangreiche Studie liefert wichtige Erkenntnisse über die Verbindung zwischen neurodivergenten Merkmalen und chronischer ermüdender Fatigue. Die Ergebnisse zeigen, dass entzündliche Prozesse eine zentrale Rolle spielen könnten und dass neurodivergente Kinder ein höheres Risiko für die Entwicklung von Fatigue haben. Frühzeitige Interventionen, gezielte Unterstützung und weiterführende Forschung sind entscheidend, um die langfristige Gesundheit und Lebensqualität neurodivergenter Personen zu verbessern.
Quelle : Quadt L, Csecs J, Bond R, Harrison NA, Critchley HD, Davies KA, Eccles J. Childhood neurodivergent traits, inflammation and chronic disabling fatigue in adolescence: a longitudinal case-control study. BMJ Open. 2024 Jul 22;14(7):e084203. doi: 10.1136/bmjopen-2024-084203. PMID: 39038862.
Sexuell übertragbare Krankheiten und ADHS: Eine systematische Literaturübersicht
Ein Thema, von dem ich zwar immer wieder lese, aber wenig Kontakt dazu bei meinen PatientInnen und Patienten habe. Was sicher auch an meiner Klientengruppe wiederum liegen könnte. Da ich mich aber gerade mit Statistiken und aktuellen Untersuchungen beschäftige, bin ich auch auf dieses Thema gestossen:
Ein aktueller Artikel im Journal of Psychiatric Practice untersucht den Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und sexuell übertragbaren Krankheiten (STDs). Diese systematische Literaturübersicht zeigt, dass Patienten mit ADHS häufiger STDs haben als die Allgemeinbevölkerung, was auf impulsives Verhalten, mangelnde Selbstkontrolle und häufigeres Eingehen riskanter sexueller Verhaltensweisen zurückgeführt wird.
Wichtige Erkenntnisse:
Häufigkeit von STDs: Patienten mit ADHS berichten häufiger von STDs. Mehrere Studien zeigen signifikante Unterschiede:
Eine Studie ergab eine STD-Prävalenz von 17% bei ADHS-Patienten im Vergleich zu 4% bei Nicht-ADHS-Patienten (Barkley et al., 2006).
In einer anderen Studie lag die STD-Inzidenz bei ADHS-Patienten bei 1.2% im Vergleich zu 0.4% in der Kontrollgruppe (Chen et al., 2018).
Eine weitere Untersuchung berichtete eine STD-Prävalenz von 45.1% bei ADHS-Patientinnen im Vergleich zu 26.1% bei der Kontrollgruppe (Pandiyan et al., 2021).
Einfluss von Psychostimulanzien: Die Behandlung mit Psychostimulanzien senkt das Risiko für STDs:
Chen et al. (2018) fanden heraus, dass kurzzeitige Medikation das STD-Risiko um 31% und langfristige Medikation um 41% reduzierte.
Eine Studie zeigte, dass die Medikation das Risiko für STDs um 3.6% senkte und die Gesundheitskosten um 10.34 USD pro Jahr verringerte (Chorniy und Kitashima, 2016).
Risikofaktoren: Neben den ADHS-Symptomen erhöhen zusätzliche Faktoren das STD-Risiko:
Höhere Anzahl an Sexualpartnern (Ramos Olazagasti et al., 2013).
Alkohol- und Cannabiskonsum (Rohacek et al., 2022).
Psychiatrische Komorbiditäten, insbesondere Substanzmissbrauch, depressive Störungen und Persönlichkeitsstörungen (Chen et al., 2018; Chung et al., 2019).
Alter: Die untersuchten Altersgruppen variieren:
Studien zu Jugendlichen zeigten, dass ADHS-Patienten signifikant früher STDs entwickeln als die Kontrollgruppen (Chen et al., 2018; Chorniy und Kitashima, 2016).
Bei Erwachsenen zeigte sich in mehreren Studien eine erhöhte STD-Rate bei ADHS-Patienten (Barkley et al., 2006; Rohacek et al., 2022).
Klinische Empfehlungen:
Risikobewusstsein: Psychiater sollten ADHS-Patienten über das erhöhte Risiko von STDs informieren und zu sicherem Sexualverhalten ermutigen. Ein verstärkter Fokus auf die Aufklärung über Risiken und Präventionsmaßnahmen ist notwendig.
Medikation und Therapie: Eine bessere Adhärenz zur Medikation kann das STD-Risiko verringern. Psychostimulanzien, die die Impulsivität und exekutive Dysfunktionen reduzieren, spielen eine wichtige Rolle. Die Effektivität von Psychotherapie in der Prävention von STDs sollte weiter untersucht werden.
Weitere Forschung: Notwendig sind zusätzliche Studien, um den Einfluss von Geschlecht, Alter, Art der ADHS-Symptome und psychiatrischen Komorbiditäten auf das STD-Risiko bei ADHS-Patienten besser zu verstehen. Interventionsstudien sollten den Fokus auf Risikoverhalten und individuelle Risikowahrnehmungen legen.
Quelle Soldati, Lorenzo MD*; Deiber, Marie-Pierre PhD†,‡; Schockaert, Pauline MSc*; Köhl, John MSc*; Bolmont, Mylène PhD*,‡; Hasler, Roland PhD†,§; Perroud, Nader MD, PhD†,§,∥. Sexually Transmitted Diseases and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: A Systematic Literature Review. Journal of Psychiatric Practice 30(4):p 259-265, July 2024. | DOI: 10.1097/PRA.0000000000000789
Wenn Du bist hierher die Aufmerksamkeit gehalten hast, bist du im falschen Newsletter oder ein Wunder.
Aber ich freue mich natürlich. Vielleicht hast du - wie ich - aber auch zuerst an das Ende gescrollt. Dann bist du hier natürlich doch richtig.
Wenn du noch nicht in der ADHSSpektrum Community bist, wäre jetzt vielleicht der richtige Start für den Monat August, oder ?
Auf jeden Fall ganz dollen Dank an alle Unterstützer von ADHSSpektrum und meiner Aufklärungsarbeit bzw. Bemühungen für Vernetzung. Hier auf meinem Blog bzw. auch auf LinkedIn, bei Facebook oder eben der ADHSSpektrum-Community.
Bis demnächst in diesem “Kino”
Martin