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Kleine Dinge, große Herausforderungen


Dies ist insofern eine Premiere, weil ich Audio bzw. Podcast mit einem Video (u.a. auf Youtube) und dem Text / Transkript verbinde.

Thematisch geht es um die Alltagsherausforderungen der Exekutivfunktionen bei ADHS. Aber noch stärker um das Akzeptieren der eigenen Besonderheiten bei der ständigen Tendenz autonom bzw. als “Chef in eigener Sache” zu bleiben. Und damit natürlich erstmal keine Hilfe anzunehmen oder Aufgaben delegieren zu können.

https://youtu.be/gPIwPSBtEU4 (Öffnet in neuem Fenster)



Wir alle kennen das Gefühl, wenn der Alltag plötzlich unüberwindbar erscheint, wenn einfache Aufgaben zur größten Herausforderung werden und das Scheitern an diesen „Kleinigkeiten“ uns unverzeihlich vorkommt. In dieser Episode möchte ich genau darüber sprechen – über die alltäglichen Hürden, die für Menschen mit ADHS oft wie riesige Berge wirken, und wie wir lernen können, mit ihnen umzugehen.


Es gibt diese beständige, innere Stimme – jene leise, aber unermüdliche Stimme, die dich immer wieder ermutigt, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Sie erinnert dich daran, dass du das Ruder deines Lebens in den Händen halten musst, dass du die Kontrolle über dein Schicksal behalten solltest. Doch für jemanden mit ADHS ist diese Kontrolle oft schwer greifbar, ein Ziel, das sich immer wieder entzieht. Besonders schwierig wird es, wenn es um die alltäglichen Dinge geht – die scheinbar einfachen Aufgaben, die andere mühelos bewältigen und die für dich zu einem unüberwindbaren Hindernis werden können.

Stell dir vor, du versuchst, einen Drachen am Himmel zu halten. Du ziehst an der Schnur, steuerst ihn durch die Lüfte, doch der Wind ist launisch und unberechenbar. Manchmal trägt er den Drachen hoch hinauf, dann wieder reißt er ihn beinahe zu Boden. Du kämpfst, gibst dein Bestes, um den Drachen in der Luft zu halten, aber die Kräfte, die auf ihn einwirken, sind außerhalb deiner Kontrolle. Diese Metapher beschreibt das Leben mit ADHS treffend: ein ständiges Ringen darum, die alltäglichen Dinge zu bewältigen, die für andere selbstverständlich erscheinen, während dich der Wind der Unvorhersehbarkeit immer wieder herausfordert.

Es sind oft die kleinen, alltäglichen Aufgaben – das Aufräumen, das Erledigen von Besorgungen, das Einhalten von Terminen – die für jemanden mit ADHS zu einer riesigen Herausforderung werden können. Während andere diese Aufgaben mühelos und ohne nachzudenken erledigen, fühlst du dich, als müsstest du gegen eine unsichtbare Barriere ankämpfen, um selbst die einfachsten Dinge zu schaffen. Diese alltäglichen Aufgaben, die für andere so selbstverständlich sind, erscheinen dir wie gewaltige Hürden. Und wenn du dann scheiterst, wenn du es nicht schaffst, diese „einfachen“ Dinge zu erledigen, fühlt es sich an, als hättest du etwas Unverzeihliches getan.

In diesem ständigen Versuch, den Alltag zu meistern, lauert eine tiefere Gefahr: das stetig wachsende Gefühl von Unzulänglichkeit und Scham. Du möchtest zeigen, dass du es allein schaffst, ohne fremde Hilfe, denn die Welt hat dir beigebracht, dass wahre Stärke in der Unabhängigkeit liegt. Doch jeder Moment, in dem du das Gefühl hast, nicht einmal die einfachsten Aufgaben zu bewältigen, jedes Mal, wenn du an diesen alltäglichen Herausforderungen scheiterst, nagt es an deinem Selbstwert. Es ist, als würdest du dir selbst immer wieder beweisen, dass du nicht in der Lage bist, dein Leben zu steuern – und diese Last wiegt schwer auf deinem Herzen.

Die Exekutivfunktionen, die so entscheidend für ein geordnetes Leben sind, werden oft übersehen. Sie sind nicht bloß Werkzeuge, die uns helfen, den Alltag zu bewältigen; sie bilden das unsichtbare Fundament, auf dem unser Leben steht. Wenn dieses Fundament wankt, wenn die Fähigkeit, einfache Aufgaben zu erledigen, unter der Last von Ablenkung und innerem Chaos zusammenbricht, entsteht eine Lücke, in der Scham und Selbstzweifel gedeihen. Es ist der Spalt zwischen dem, was du erreichen möchtest, und dem, was du tatsächlich erreichen kannst, der so schmerzhaft ist.

Doch inmitten dieses inneren Kampfes, in diesem fortwährenden Bemühen, die Kontrolle über die alltäglichen Dinge zu behalten, gibt es auch Hoffnung. Es ist das Wissen, dass du nicht allein bist. Dass es Werkzeuge gibt, Unterstützung und Verständnis. Es ist die Erkenntnis, dass der Versuch, alles alleine zu schaffen, dich oft tiefer in die Spirale der Selbstzweifel zieht, anstatt dich zu befreien. Manchmal musst du die Schnur loslassen, nicht um aufzugeben, sondern um Hilfe zu ergreifen, die dich in die Lage versetzt, den Drachen sicher durch die Winde des Lebens zu lenken.

Die schwersten Momente auf diesem Weg sind nicht die Zeiten, in denen du gegen den Wind kämpfst und versuchst, den Drachen zu beherrschen, sondern die, in denen du beginnst zu akzeptieren, dass du all das nicht alleine bewältigen kannst. Es ist der Moment, in dem du in den Spiegel blickst und dir eingestehen musst, dass deine Herausforderungen real sind, dass sie tief in dir verwurzelt sind und dich auf eine Weise beeinflussen, die du nicht allein überwinden kannst. Es ist ein Moment der Ehrlichkeit, in dem die Illusion von Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit zu bröckeln beginnt.

Die Akzeptanz der eigenen Schwierigkeiten ist ein schmerzhafter, aber unverzichtbarer Prozess. Sie bedeutet, sich seinen Schwächen zu stellen, den inneren Kampf anzuerkennen, ohne ihn kleinzureden oder zu verleugnen. Für viele Menschen mit ADHS ist dies der schwerste Schritt. Es geht nicht nur darum, die Einschränkungen der Exekutivfunktionen zu erkennen, sondern auch die ständige Überforderung als real und nicht als Einbildung zu akzeptieren. Vor allem geht es darum, sich selbst mit diesen Schwierigkeiten anzunehmen, ohne sich dafür zu verurteilen.

Doch Akzeptanz bedeutet nicht, die Verantwortung abzugeben. Es bedeutet, Raum für die Realität zu schaffen – so schmerzhaft sie auch sein mag. Diese Akzeptanz bildet die Grundlage für Veränderung. Sie ist das Fundament, auf dem du beginnen kannst, neue Wege zu beschreiten, neue Methoden zu finden, die dir helfen, trotz der Herausforderungen voranzukommen.

Der nächste Schritt, vielleicht der schwerste, ist das Annehmen von Hilfe. Wenn du dein Leben lang versucht hast, alles allein zu schaffen, weil du glaubtest, dass Stärke darin liegt, keine Unterstützung zu brauchen, dann kann dieser Schritt wie ein Eingeständnis von Schwäche erscheinen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von wahrer Stärke. Es erfordert Mut, die eigene Verwundbarkeit zu zeigen, die Unvollkommenheiten zu offenbaren und Unterstützung anzunehmen.

Hilfe anzunehmen bedeutet, sich selbst einzugestehen, dass du nicht alles alleine bewältigen kannst – und das ist in Ordnung. Diese Erkenntnis mag beängstigend sein, denn sie erfordert, ein Stück weit die Kontrolle abzugeben. Doch in dieser Abgabe liegt eine tiefgehende Kraft. Indem du Hilfe zulässt, gibst du dir selbst die Möglichkeit, zu wachsen, zu heilen und neue Perspektiven zu entdecken.

Dieser Widerstand, der uns davon abhält, um Hilfe zu bitten, ist tief verwurzelt in Scham und dem Glauben, dass wir weniger wert sind, wenn wir auf die Unterstützung anderer angewiesen sind. Doch tatsächlich ist es genau dieser Widerstand, der uns davon abhält, unser volles Potenzial zu entfalten. Wenn wir lernen, Hilfe als Teil unseres Weges zu akzeptieren, öffnen wir uns für Möglichkeiten, die uns sonst verborgen blieben.

Die Menschen um uns herum – Freunde, Familie, Therapeuten, Mentoren – sind da, um uns zu unterstützen, nicht um uns unsere Lasten abzunehmen. Hilfe bedeutet nicht, dass du weniger fähig bist. Es bedeutet, dass du weise genug bist, zu erkennen, wann du Unterstützung brauchst, und stark genug, diese anzunehmen.

In der Annahme von Hilfe liegt eine stille, aber mächtige Transformation. Es ist der Moment, in dem du den Druck loslässt, den Drachen in der Luft zu halten, und dir selbst erlaubst, nicht perfekt zu sein. Es ist der Moment, in dem du lernst, dich mit Mitgefühl zu betrachten, statt mit ständiger Kritik. Indem du Hilfe annimmst, erlaubst du dir, menschlich zu sein – mit all den Stärken und Schwächen, die dazugehören.

Der Weg zur Akzeptanz und zum Annehmen von Hilfe ist lang und oft steinig. Er erfordert, dass du dich deinen tiefsten Ängsten stellst – der Angst, nicht gut genug zu sein, der Angst, als schwach oder unfähig angesehen zu werden. Doch wenn du diesen Weg gehst, wirst du feststellen, dass diese Ängste nur Schatten sind, die von überholten Vorstellungen geworfen werden. In Wahrheit bist du nicht weniger wertvoll, weil du Hilfe brauchst. Du bist nicht weniger stark, weil du Unterstützung suchst. Ganz im Gegenteil: Diese Entscheidungen machen dich stärker und widerstandsfähiger.



Soviel für heute.



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