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Danke, Veränderung und Neuanfänge

Ich bin überwältigt. Meinen letzten Blogpost tippte ich in höchster Anspannung. „Wie werden meine Leser und Leserinnen reagieren? Werde ich mit Bibelstellen und Übergriffigkeiten erschossen?“ 

Als ich auf „Veröffentlichen“ klickte, schloss ich den Laptop. Ich atmete auf. Und als ich ihn ein paar Stunden später wieder öffnete, wartete eine Flut an Nachrichten und Kommentaren auf mich.

ALLE eure Worte waren Balsam. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie viel mir das bedeutet! Euer Support, das Mitgefühl, die Liebe, das Feingefühl. Ich danke euch aus tiefstem Herzen. Es war mir, als würde eine zentnerschwere Last von mir fallen. Endlich kann ich darüber schreiben, darüber reden, die Karten, die ich lange (und  bewusst)  verdeckt hielt, offen auf den Tisch legen. In einer Zeit, in der sich Social Media an populistischen Posts sattfrisst und Hate in den Kommentarspalten regiert, gibt es eben auch die stilleren Ecken des Internets, in denen kleine Communities – wie wir hier – die wie üppige Inseln der Ruhe und des Friedens mitten im lauten Wahnsinn vor sich hindümpeln. 

An den Tagen nach dem Blogpost kehrte der Frühling ein. Ich riss die Fenster auf. Die Narzissen wagten einen Vorstoß. Es duftete nach den Blüten der Wildpflaume, die unseren Garten einrahmt. Wir holten den Grill raus und packten ihn mit Maiskolben, Veggiewürstchen, Grillkäse und Steaks voll. Mein Mann stand am Grill, ich holte ihm ein Bier. Vielleicht staunst du über unser Familienkonstrukt, dass in der Trennungsphase trotzdem funktioniert. Du siehst uns gemeinsam essen, Karten spielen und ZDF Magazin Royale schauen. Nicht jede Trennung muss mit Drama und Trauma einhergehen. Wir haben das Beste für den anderen im Sinne. Meine Therapeutin sagte gestern: „Das ist die harmonischste Trennung, die ich seit langem gesehen habe.“ Dieses Lob ging mir Streberin runter wie Honig. Wenn wir schon keine vorbildhafte Ehe hinbekommen haben, so sind wir immerhin richtig gut darin uns zu trennen. Das sagte ich gestern Abend meinem Mann und wir musste beide lachen. 

Diese großzügige, gelassene Haltung kam nicht über Nacht angeflogen. Ooooooh nein! Sie ist das Ergebnis von vielen, vielen Monaten des Verhandelns, Aushaltens, Schweigens, Betens, Redens, Weinens, Betrauerns, Akzeptierens. Innere Arbeit, bei der ich zentnerschwere Blöcke der Wut und Angst vor mir herschob. Ich hätte diesen Prozess so gerne abgekürzt. Hätte die Wegstrecken vermieden, bei denen ich mich in Dornenranken verfangen habe. Und die Täler, in denen ich ratlos hockte und aus denen ich keinen Ausgang fand. Aber von A nach B gibt es selten eine Direktverbindung. Wir müssen wohl die Erfahrung der Zerbrüche mitmachen. In Zeiten der vielen Sofortlösungen erscheint das sehr archaisch. „Hat denn niemand eine Tablette oder ein Coaching dagegen?“

Wer den Schmerz umgehen will, bleibt stehen. Menschliche Reife hat sehr viel damit zu tun, sich dem Leben mit seinen Umwegen zu stellen. Ich weiß, ich weiß, das klingt nicht nach fluffigen Frühlingsgefühlen. 

Aber Veränderung und Wachstum sind in uns Menschen hineinprogrammiert und mir scheint, sie werden erst in Krisenzeiten aktiviert. 

Das lässt mich an die Zeit zurückdenken, in denen mein Glauben zerbrach. Oder das, was ich für den einen echten Glauben hielt. 

Es war ein Veränderungsprozess, der letztendlich zu einer gesünderen Gottesbeziehung und vor allem auch zu einer gesünderen Beziehung zu mir selbst und meinen Mitmenschen führte (hat meine Ehe trotzdem nicht gerettet, haha). Ich bog vom evangelikalen Happy-Clappy-Highway ab mittenhinein in unbekanntes Terrain, in dem ich mich nicht mehr auskannte. In mir brodelte die Sehnsucht nach etwas Neuem, nach Unerhörtem! Ich war es satt, immer die gleichen Lieder zu singen, immer dasselbe Vokabular zu nutzen, immer unter Druck zu stehen, noch mehr zu glauben, noch mehr zu dienen, noch mehr in der Bibel zu lesen, noch mehr anderen von Jesus zu erzählen. Die Scham und die Angst, die das „Nie-Genug“ meines Glaubenslebens begleiteten, waren giftige Nebenprodukte. Wo war die versprochene Freiheit in Jesus?

Ich ließ Performance- und Anpassungsdruck zurück und erlaubte mir: Alte Liturgien. Vorgefertigte Gebete. Die Gemeinde verlassen. Hinterfragen meines Bibelverständnisses. Mein inneres Tor weit aufreißen für andere Lebens- und Liebesformen. Ausmisten. Meinem Bauchgefühl vertrauen. In der Natur tiefe Verbindung zu meinem Schöpfer finden. Die weibliche Seite Gottes entdecken. Den Alltag feiern. Heilung. 

Meine Gottesbeziehung hat sich verändert, aber er hat sich nicht verändert. Das durfte ich in meinen Krisen der letzten zwei Jahre spüren. Nie war er mir näher. 

Wenn wir meinen, wir hätten alles verstanden, verwehren wir uns jede Weiterentwicklung. (Außerdem werden wir zu unerträglichen Mitmenschen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich war selbst mal einer.) Je länger ich lebe, desto mehr erahne ich, dass Entwicklung viel mit Verlernen zu tun hat. Mit dem Eingeständnis: „Ich habe es nicht im Griff. Ich schenke mir selbst die Möglichkeit, alles nochmal von vorne und ganz anders zu beginnen.“

Ich fange noch mal neu an. Anders. Nicht mehr so idealistisch wie in jungen Jahren. Vorsichtiger. Langsamer. Aber mit sehr viel mehr Gnade für mich. Für meine Umwege. Für die Täler- und Dornenzeiten. 

Heute morgen fällt der Regen wie Bindfäden auf die Erde. Ich freue mich darüber. Laut dem deutschen Dürremonitor ist die Bodendürre Schnee von gestern. Nach sechs Jahren Dürre ist der Boden endlich gesättigt. Und was für Leben er schon jetzt hervorbringt! 

Auch mein Überlebensmodus fällt langsam von mir ab. Noch wird es eine Weile dauern, bis alle meine Schichten sich erholt haben, aber ich bin sicher: Das pralle Leben will mich wiederhaben. Bald, Bald.  

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