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Was mein Herz höher schlagen lässt

Der Juli ist der Monat der seltsamsten Nachtgeräusche. 

Mein Garten grenzt an undurchschaubare Wildnis, Blättergewirr in allen erdenklichen Grünschattierungen, stacheliges Brombeerdickicht. 

Sobald die Hitze des Tages weicht und der Himmel sich in sein rosa, dunkelblaues und schließlich schwarzes Gewand hüllt, übernimmt die unsichtbare Welt das Kommando in den Tiefen des Grüns: Das einsame Geräusch, welches einer quietschenden, rostigen Schaukel ähnelt, das Bellen der Füchse, das letzte keckernde Aufbäumen unserer gewitzten Raben…

…. und ein Laut, den ich bis vor Kurzem trotz zahlloser Google-Suchen nicht zuordnen konnte. Er klingt wie die Mischung aus Ente und Hund….Ein bellendes Quaken. Ein quakendes Bellen. Jeden Abend Quauk! Quauk! QUAAAAUK!

Stu-n-den-lang.

Immer im Wechselgesang mit der „rostigen Schaukel“. 

Wer behauptet, man fände in der Natur Ruhe, ist ein bodenloser Schwindler oder jemand, der noch nie seinen Wohnblock in Berlin-Marzahn verlassen hat. 

Vorgestern, als der letzte Lichtstreif am Horizont verblasste, verschloss ich die Terrassentür und wollte gen Bett. Da erscholl das Quak-Bellen aus nächster Nähe.

Das Tier war in meinem Garten! Ich schob die Terrassentür so leise ich konnte auf, tapste auf Zehenspitzen ins Freie und legte den Finger auf den Schalter des Gartenlichts. Gleich würde ich den Unruhestifter erblicken! Ein Dachs? Ein Waschbär? Oder gar ein nimmersattes Wildschwein? 

Licht flutete den Garten. Ich blickte in große Augen. Sie starrten mich an. Quauk! Quauk! QUAUK!! 

Der Atem blieb mir im Hals stecken, ich schrieflüsterte nach meiner Tochter, die sich die wichtigste Mahlzeit eines Teenagers in der Küche zubereitete: Den Nacht-Snack. 

Sie ließ ihren Toast fallen, eilte an meine Seite und erstarrte. 

„Ich habe noch nie eine Eule in freier Wildbahn gesehen!“ flüsterte sie. „Ich auch nicht,“ gab ich atemlos zurück. 

Die Waldohreulenmutter quak-bellte nach ihren Kindern. Und diese antworteten mit rostigen Schaukel-Quietschern. Dann breitete  sie unbeeindruckt ihre Schwingen aus und englitt lautlos in die Wildnis hinter unserem Garten.

Eine Begegnung mit einem seltenen Wildtier hinterlässt Spuren. Sie waren in meinem Gesicht zu lesen. Ein seliges Lächeln. 

Die coole Teenagertochter lächelte auch. 

Die Sichtung eines Wildtiers. Das plötzliche Aufbrechen eines Glücksgefühls im Bauch. Das Sichtbarwerden des Unsichtbaren. Geschenke, die einem unerwartet in den Schoss fallen. Auf dem Weg ins Bett, während der Zubereitung eines Nacht-Snacks. Auf der Fahrt zur Arbeit, im Traum, beim Spazierengehen.

Da schimmert etwas hinter unserem Alltagsdickicht. Und manchmal lüftet sich der Schleier, der uns von der unsichtbaren Welt trennt, für einen kurzen Moment und gewährt uns Einblicke in andere Welten. Ein Tonikum für Herzen, die von Hektik und Überstimulierung schon ganz taub geworden sind. Wir leben in einer hochrationalen Welt, die für Mystik und Staunen wenig übrighat. Das schiebt man schnell ab ins Reich des Esoterischen, des Kindischen. 

Aber ohne das Kind-ische in mir würde ich mich in diesem Juli über die nächtliche „Lärmbelästigung“ ärgern. Ich wäre dem Geräusch nicht nachgegangen. Mir hätte die Begegnung mit der Eule nichts bedeutet. Und sie hätte schon gar kein Glücksgefühl in meinem Bauch explodieren lassen. 

Das Staunen ist es, was meinen Glauben in diesem Sommer am Leben hält. 

Mich versetzen die einfachsten Dinge in Verzückung. 

Das Licht am Abend, welches die roten Äpfel an meinem alten Apfelbaum zum Leuchten bringt. Das Lachen meiner Kinder, das wie Honig aus der Küche quillt. Julifülle in Beeten und am Straßenrand. 

Ich könnte auf der Suche nach Besserem, Großartigerem diese Momente an mir vorüberziehen lassen. Wie ein Kind an seinem Geburtstag, das skeptisch die kleinen Geschenke anschaut und dann nach dem „richtigen“ Geschenk verlangt. 

Aber das hier ist mein Leben. Heute. Ich will nicht auf ein großes Geschenk warten, das vielleicht nie kommt und dabei mein Leben verpassen. Sondern alles dankbar annehmen, was ich heute bekommen kann. 

Ich bin nicht besonders gut in geistlichen Disziplinen. Aber das Staunen, darin bin ich Expertin. Es ist mein Bindeglied zu Gott. Auch wenn alle anderen Zufahrten zur Ihr verstopft sind. 

I think awe is an exercise, both a doing and a being. It is a spiritual muscle of our humanity that we can only keep from atrophying if we exercise it habitually.
Cole Arthur Riley

Ich glaube, Staunen ist eine Disziplin. Ein Tun und Sein zugleich. Es ist ein geistlicher Muskel unseres Menschseins, den wir nur durch regelmäßige Übung vor dem Verkümmern bewahren. 
Cole Arthur Riley

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