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Unbequeme Wahrheiten

 

Letztens ploppte eine Nachricht auf meinem Handy auf. „Hey, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Wann machen wir wieder ein Date aus?“ Ein Gruppenchat, der schon längere Zeit eine Whatsapp-Leiche war. Eine Müttergruppe aus dem Nachbarort, deren Teil ich mal war. Ohne mir groß den Kopf zu zerbrechen, tippte ich ein paar Worte: „Danke für die Einladung. Aber ich bin raus. Ich habe für Treffen leider keine Zeit mehr.“

Bäm. Klare Ansage. Ohne große Umschweife.

Die Veronika von 2019….ach was: von 2022!….hätte das so nie geschrieben. Sie hätte auch dann zugesagt, wenn sich alles in ihr gewehrt hätte. 

Ich ging über meine Grenzen, um andere Menschen nicht zu enttäuschen, blamieren, brüskieren, verärgern. Das war mein Muster. 

Das Problem: Wenn du unbequemen Wahrheiten ausweichst, lässt du dich selbst im Stich. 

Ich habe mich ganz schön oft im Stich gelassen. 

Irgendwas ist in den letzten zwei Jahren passiert, was mir half, meine Wahrheiten auszusprechen. Ich schiebe es auf den Östrogen-Abbau. Mein Harmoniebedürfnis ist auf den Nullstand gefallen. Frag meine liebsten Mitmenschen. Ich habe keinen Bock mehr mich für den Seelenfrieden anderer Menschen zu opfern. In mir schmort das unbändige Verlangen, für mich selbst einzustehen, mir selbst Raum zu verschaffen. Zunächst mit Zögern und Zaudern und dem Gefühl, ich würde vom 10-Meter-Brett springen. Aber Grenzen ziehen und schwierige Dinge ansprechen ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Du fängst mit Leichtgewichten an: „Nein, Sonntag ist unser Familientag, da kann ich nicht.“ Oder: „Für das Schulfest kann ich nichts backen, weil ich keine Zeit habe.“

Der Muskel wird stärker und eines Tages stellst du fest, dass du schwerere Gewichte ohne große Anstrengung heben kannst. „Nein, ich übernehme dieses Amt nicht.“ „Ich möchte gerne zu Ende reden, ohne unterbrochen zu werden.“ „Du hast mich mit dieser Aussage verletzt.“

Und du hörst auf, noch eine Rechtfertigung anzuhängen. 

Letztens saß ich an einem See auf einer Bank. Vor mir eine Gruppe Jugendlicher. Einer von ihnen rauchte (Gibt es echt noch Jugendliche, die so ganz old school ZIGARETTEN rauchen? Ich dachte, das tun nur noch 55-jährige Dieters). Er warf die Zigarette ans Seeufer in den Sand und drückte sie aus. Schon wollte er sich wegdrehen, da empörte sich meine innere angriffslustige Oma und rief: „Hey Junge, heb mal deine Kippe auf und entsorge sie richtig!“ Der „Junge“ wurde rot, stammelte eine lahme Entschuldigung und fummelte den Stummel aus dem Sand. Ich war baff. Von mir. Von seiner Reaktion. Ich habe mir mittlerweile solche Muskeln antrainiert, dass er instinktiv spürte: Mit der legst du dich lieber nicht an.

Wie dem auch sei. Ich habe mir selbst das Versprechen gegeben, dass ich lieber andere Menschen enttäusche und brüskiere und verärgere, anstatt mich selbst und meine Werte noch ein einziges Mal zu verraten.

Wenn wir Frauen nach unseren Werten leben und klare Grenzen setzen, ohne uns dafür zu entschuldigen, werden wir immer noch häufig als zickig, hysterisch, dominant, kontrollsüchtig betitelt. 

Letztens sagte mir meine Therapeutin: „Frau Smoor, sie sind nicht kontrollierend, sondern initiativ. Das ist eine Eigenschaft, die man eher Männern zuschreibt. Bei Frauen wird das meist negativ als dominant oder kontrollierend geframed.“ 

Lassen wir uns nicht einschüchtern, wenn wir Gegenwind bekommen, sondern lernen wir uns und unserem Bauchgefühl (das so so so oft recht hat) zu trauen. 

Dann werden wir von den Bedürfnissen und Ansprüchen und Manipulationen anderer nicht mehr umhergeworfen wie ein Bäumchen im Wind. Sondern wir stehen fest, weil sich unsere Muskeln tief in den Boden gegraben haben. 

Und gib dir Zeit. Vertraue deinen inneren Prozessen. 

Um unbequeme Wahrheiten aussprechen zu können, habe ich schließlich auch fast 50 Jahre gebraucht. 

 

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