Wie ich mich anders positioniert habe :: Homosexualität
Ich war vielleicht 10 oder 11.
Der Stuhl unter mir war unbequem, aber ich merkte es nicht. Das Geschehen auf der Bühne nahm mich zu sehr gefangen. Ein Astronaut war in unsere kleine Stadt gekommen. Nicht nur irgendein Astronaut, sondern einer, der auf dem Mond war und von seinen Erlebnissen berichtete. Ich glaube, ich habe während seines Vortrags nur fünfmal geatmet.
Ich kann mich daran erinnern, wie er einen Stein hochhielt, den er vom Mond mitgebracht hatte. Für ein paar Stunden wollte ich nicht mehr Pferdepflegerin werden, sondern Weltall-Erforscherin.
Aber im Verlauf des Abends erzählte er irgendwann gar nicht mehr vom Mond, sondern vom Berg Ararat. Wie er sich auf die Suche nach der Arche Noah begeben hatte. Von der er glaubte, dass sie irgendwo unter dem Eis des hohen Bergs im Osten der Türkei verborgen sein müsse. Der Astronaut organisierte teure Expeditionen und fand….nichts.
Ich weiß noch, wie ich enttäuscht auf meinem Stuhl nach hinten rückte. Zu gern hätte ich von einem erfolgreichen Expeditionsausgang gehört, der die Wahrheit der Bibel untermauert. Denn wenn es Beweise für die Arche Noah gegeben hätte, dann wäre es so viel einfacher gewesen, dem Rest der Bibel vertrauen zu können. Das hätte mir als handfeste Bestätigung für den Wahrheitsgehalt der Bibel gedient, mit dem ich Diskussionen haushoch gewinnen hätte können. Ha, fresst das, ihr Ungläubigen!
Viele Jahre und spirituelle Umwege später stand ich an einem ähnlichen Punkt.
Nur dieses Mal mit einem erwachseneren Geist, der nicht mit dem Wahrheitsgehalt einer uralten Geschichte rang, sondern mit der Auslegung weit kniffligerer Bibelstellen. Die, die mir wie schwere Steine im Bauch lagen. Es ging um das Thema Homosexualität, was in meiner frommen Bubble ganz klar als Sünde deklariert wurde. Als Zielverfehlung. Gott liebt den Sünder und hasst die Sünde. So unser Sündenkatalog (den es tatsächlich gab und der sicherlich immer noch seine Runden macht.)
Der christliche Kreis, dem ich angehörte, vertrat eine rigide Sexualethik. Eine, die man heute noch in konservativen Kreisen findet. Sie wurde schon den Kindern beigebracht. Und versteh mich nicht falsch: Ich bin ganz und gar für einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität! Aber die prüde Verbotskultur richtet in vielen Menschen Schaden an: Scham. Und Angst vor Fehltritten. Und wieder Scham. Und eine verkorste Sexualität.
Heute schmerzt es mich, wenn ich daran denke, wie viele Jugendliche Gott den Rücken zuwendeten, weil sie spürten, dass sie mit ihrer Sexualität aus dem erlaubten Raster herausfielen. Weil sie wussten, sie können den heteronormativen Standard nie erfüllen. Welchen Schmerz haben wir ihnen zugefügt, obwohl wir es doch „gut meinten“?
Ich spürte ein massives Ungleichgewicht, konnte es aber nicht in Worte fassen.
Das war mein Dilemma als junge Christin: Ich konnte nie zu hundert Prozent hinter der Auffassung stehen, dass Homosexualität Sünde ist, aber gleichzeitig wollte ich doch auch der Bibel glauben. Ich war eine ernsthafte Christin. Eine von der Sorte, die alles richtig machen wollte. Die Gott gefallen wollte.
Die Jahre vergingen und die Spannung in mir wurde nicht weniger. Ich wusste, ich würde mich irgendwann positionieren müssen.
In unserer Jugendarbeit versuchten wir unsere Dogmen zu untermauern. Wir luden Ex-Gays zu Vorträgen ein. Sie behaupteten, dass Homosexualität etwas sei, was man nicht ausleben müsse und wovon man geheilt werden könne. Ich wollte ihnen so gerne glauben, aber ein Kern des Zweifels blieb und ich betete gegen ihn an. Aber er blieb und wuchs.
Und dann waren da meine schwulen Arbeitskollegen, die ich von Herzen liebte. Die in festen Beziehungen lebten und einfach nur ihre Ruhe wollten. Wann immer ich mit ihnen nach Feierabend ein Bier trank und mit ihnen über Liebesfragen sprach, quälte mich ein schlechtes Gewissen. Ich konnte nie ganz frei sein in ihrer Gegenwart, weil tief in mir die Sirenen der Moralpolizei heulten. Aber ich hätte ihnen niemals ins Gesicht sagen können, was ich in meinen christlichen Kreisen vertrat.
Der Kern des Zweifels wuchs weiter und heute glaube ich zu wissen, das Gott am Werk war. Es war nicht der Zweifel, der wachsen wollte, sondern mein Herz.
Vor Kurzem erhielt ich eine Nachricht von einer Freundin, die gerade nicht weiß, wie sich positionieren soll. Weil sie eine ähnliche evangelikale Prägung hat. Aber da nagt Zweifel an ihr. Sie will laut werden, denn sie ist angeekelt von dem Hass gegen Homosexuelle, der zurzeit durchs Netz fegt, angefacht von bestimmten christlichen Influencern. Aber sie ist so unsicher.
Vielleicht bist du in einer ähnlichen Position wie diese Freundin. Du hast dein Leben lang verinnerlicht, dass Homosexualität Sünde ist, aber in letzter Zeit pulsiert ein Zweifel in dir und du spürst eine Spannung, die sich nicht mit dem Zitieren der eingängigen Bibelstellen auflösen lässt. Du möchtest dich anders positionieren, hast aber Angst vor den Reaktionen deines Umfelds. Du hast Angst, Freunde zu verlieren. Oder vielleicht sogar deinen Job, wenn du einen fromm-konservativen Arbeitgeber hast. Du hast Angst, dein Glaube könne verwässern.
Ich habe den Eindruck, dass die Positionierung zum Thema Homosexualität in konservativ-evangelikalen Kreisen der Lackmus-Test für die Echtheit und Ernsthaftigkeit der eigenen Gottesbeziehung ist.
Und genau da liegen wir so fatal falsch. Unser Glaube ist nicht echt, wenn wir uns richtig positionieren. Wenn wir jedes Wort in der Bibel verteidigen. Wenn wir „die Arche Noah finden und beweisen können“. Sondern Glaube kennzeichnet sich durch die demütige Einsicht, dass wir fehlerhaft sind und Gott brauchen. Buße ist nichts anderes als das Ändern unseres Denkens, das Auswirkungen hat auf unsere Gebete, unsere Handlungen und unsere Mitmenschlichkeit.
Wir können zum Mond fliegen, aber Gott interessiert es viel mehr, dass wir für Gerechtigkeit sorgen und uns um „Witwen und Waisen“ kümmern und zu denen gehen, die einen Arzt brauchen und mit denen essen, die am Rande stehen und uns berühren lassen von der Not der Welt. Wenn wir unseren Kreis weiter machen. Nicht apokalyptische Weltflucht sollte das Merkmal von Christen sein, sondern genau das Gegenteil. Das Hineingehen in diese Welt, in ihre Nöte und Ghettos und Szenen. Das demütige, stille Zuhören. Das Aushalten unterschiedlicher Standpunkte.
Und anstatt mit Bibelversen den eigenen Standpunkt zu untermauern, sollten wir lieber Brot verteilen.
Vor acht oder neun Jahren wagte ich den Schritt. Ich positionierte mich neu: Homosexualität ist keine Sünde (puh, mir fällt es immer noch schwer, das einfach so zu schreiben. Als würde mir die Sittenpolizei über die Schulter schauen). Erst heimlich, ohne meinen Glaubensgeschwistern davon zu erzählen. Und mit Zittern, denn natürlich war da die Angst vor dem Dammbruch. Wenn ich hier nachgebe, wird dann mein ganzer Glaube einstürzen?
Ich kann es dir gut nachfühlen, wenn dich diese Fragen innerlich zerreißen. Aber gib dir Zeit. Sprich mit Menschen, die ähnliche Prozesse durchwandert haben. Höre queeren Menschen zu. Still und demütig. Du musst dich weder heute noch morgen positionieren. Sondern vertraue dem organischen Wachsen. Gib ihm Raum. Menschen, die auf ewig im starren, dualistischen Denken hängen bleiben, geben dem Zweifel und Wachstum keinen Raum. Denn beides, so kontraintuitiv es klingen mag, geht Hand in Hand.
Wir dürfen uns die Erlaubnis zur Weiterentwicklung geben. Denn auch innerhalb der Bibel gibt es Weiterentwicklungen. Sie stemmt nicht von Anfang bis Ende starr die Füße in den Boden. Aus einer Stammesreligion mit strengen Regeln (von denen sich heute sehr konservative Menschen nur ein paar herauspicken und den Rest unter den Tisch fallen lassen) entwickelte sich mehr und mehr Gnade heraus, die im Leben und Wirken und Tod und Auferstehung Christi gipfelte. So ist es auch ein wenig mit unserem Leben. Aus dem rigiden Schwarz-Weiß-Denken unserer jungen Jahre dürfen und müssen wir herauswachsen und eine stille Herzensweite entwickeln. Und wie man neuerdings sagt: Eine Ambiguitätstoleranz*.
Wie ist meine eigene Geschichte weitergegangen? Ich habe viel gelesen. Mich mit Theolog*innen unterhalten. Mein Herz geprüft. Gebetet. Gefragt. Nach und nach, ganz vorsichtig habe ich eine andere Ebene betreten. Geprüft, ob sie hält. Und dann meine neue Ansicht ganz vorsichtig, langsam und ängstlich geteilt. Ich wurde nicht aus meinem Verlag geschmissen und habe weiterhin christliche Bücher und Artikel verfasst. An die Stelle meiner inneren Zerrissenheit ist Friede getreten. Meine Beziehung zu Gott ist nicht verwässert, sondern tiefer geworden. Denn dort, wo ich nicht mehr zerrissen bin, kann ich besser vertrauen.
Nicht alles ging gut aus. Unser Hauskreis hatte Schaden genommen. Dort gab es bei manchen einen entsetzten Aufschrei. Und keinerlei Kompromissbereitschaft oder Zuhören. Da war er wieder. Der Lackmus-Test. Und mein Mann und ich waren durchgefallen. Als Leiter. Und Christen. Das schmerzt noch heute.
Ich wollte einst zum Mond fliegen, die ganze Welt mit dem Evangelium erobern und auch noch die Arche Noah heben. Ich brannte für die Wahrheit. Heute versuche ich am Fuß des Berges ein Feuer mit meinen Worten zu machen und lade all die ein, die an ihrer eigenen Reise zweifeln. Die zerrissen sind. Die müde und kaputt und ausgelaugt sind. Und dann denke ich daran, dass Jesus einst Ähnliches tat.
Er hat am Rand eines Sees ein Feuer gemacht. Fische gebraten. Seinen desillusionierten und ausgelaugten und traurigen Freunden Frühstück bereitet. Jesus hat dieses Feuer nie wirklich gelöscht, sondern uns beauftragt, es am Brennen zu halten, so dass auch heute noch die Müden und Desillusionierten und Randfiguren ihren Platz finden.
Ganz sicher sitzt an diesem Feuer jetzt auch der Astronaut (er ist vor über 30 Jahren gestorben) und ich stelle mir vor, dass es ihn überrascht, wen er dort alles antrifft. Und dann erzählt er von seinen Mond- und Arche-Noah-Abenteuern und stellt lachend fest, dass es einen Ort gibt, der alle anderen übertrifft. Einer, an dem alle willkommen sind.
Alle.
Oder wie es der südafrikanische Geistliche Desmond Tutu ausgedrückt hat: „Ich würde nicht einen Gott anbeten, der homophob ist […]. Ich würde mich weigern in einen homophoben Himmel zu gehen. Nein […] ich würde lieber zu dem anderen Ort gehen.“

Wenn du theologische Erklärungen, Erfahrungsberichte etc. suchst, dann scroll weiter bis zu den Links der Woche. Ich habe dir dort einige gute Ressourcen verlinkt, die dir helfen können, Klarheit zu bekommen.
Wie geht es dir mit dem Thema? Welche Erfahrungen hast du gemacht?
(*Ambiguitätstoleranz ist die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen.)
What would Grandma do?
Danke für alle Eure Buchbestellungen (Öffnet in neuem Fenster)! Manche dauern etwas länger (entschuldigt!), weil ich auf Nachlieferung warte und diese irgendwo hängt. Wenn ich nicht gerade Bücher packe und versende, bin ich anderweitig beschäftigt, mein Buch zu vermarkten (das gehört heute leider zur Autorendasein dazu). Nebenbei arbeite ich bereits an einem neuen Buch (Coffee & Jesus 2), das bis Ende April fertig sein muss. Deshalb bleibt hier vieles liegen. Habe ich mich noch im letzten Blogpost zum Frühjahrsputz motiviert, muss ich nun nachjustieren. Denn ich werde nicht alles schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Es wird einiges liegenbleiben. Was mich nicht stört. Denn ich habe gelernt, den Flow des Lebens zu akzeptieren. Es reicht, dass ich die Hälfte aller Fenster geputzt habe (yeah!) und die Vorhänge wasche ich dann halt erst in ein paar Wochen. Jetzt in den Ferien helfen die Kinder (nein, nicht freiwillig....). Und deshalb kann ich ein wenig mehr arbeiten.

Aber dafür habe ich mich in allen freien Minuten diese und letzte Woche im Garten vergnügt. Wenn die Temperaturen über 10 Grad steigen und die Sonne scheint und die Amsel flötet und die Luft nach nasser, fruchtbarer Erde riecht, fühle ich mich berauscht. Dann hänge ich die erste Wäsche nach draußen. Der Geruch von windgetrockneten Laken ist wie eine Droge.

Ich habe Kompost geschaufelt, bis mir Arme und Rücken schmerzten. Und das erste Hochbeet mit Salat und Kohlrabi bepflanzt. Zunächst habe ich es mit einer Schicht frischen Pferdemist aufgefüllt, der von unten wie eine Heizung wirkt. Die Erde in einem Hochbeet setzt sich nach einem Jahr ab, deshalb muss man jedes Frühjahr auffüllen. Und dann schüttete ich noch eine dicke Schicht Kompost darauf, in die ich die Jungpflanzen setzte. Mein selbstgebauter Aufsatz schützt die zarten Pflanzen vor Frost und wirkt wie ein Minigewächshaus. Ich hoffe, in drei bis vier Wochen das erste frische Gemüse ernten zu können. Eine komplette Selbstversorgerin werde ich nie, aber ich bin schon zufrieden, fünf bis sechs Monate im Jahr alles Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten beziehen zu können.


Auch der Schnittlauch wächst bereits. Und demnächst setze ich die vorgezogenen Puffbohnen ins Freie, säe Karotten und Schnittsalat. Unser Apfelbaum ist im Winter gestorben und ich hatte die Idee, ihn als Rankhilfe für eine Ramblerrose stehen zu lassen (die Äste haben wir stark gekürzt). Wenn ich also dieser Tage keine Buchpakete packe und am Laptop tippe, so bin ich im Garten zu finden, weil er der perfekte Ausgleich ist. Er fordert mich kreativ heraus, er ist mein Workout, meine Seelenkur.






Wenn du selbst keinen Garten besitzt, aber trotzdem dir die Hände so richtig dreckig machen willst, dann habe ich ein paar Tipps für dich. Dazu ein Auszug aus meinem aktuellen Buch "What would Grandma do? (Öffnet in neuem Fenster)":
Auch wenn man kein Stückchen Land sein Eigen nennt, lassen sich Möglichkeiten für jeden Geldbeutel finden:
- Auf einer Fensterbank und einem Balkon kann man mehr anbauen als nur Kräuter und Salat.
- Auch auf einem Stück asphaltierten Hof kann man in verschiedenen Pflanzkübeln und Containern Gemüse und Obst anbauen.
- An vielen Orten boomen Gemeinschaftsgärten. Gegen Mithilfe kann man einen Teil der Ernte behalten. Einen Überblick findest du auf: www.urbane-gaerten.de (Öffnet in neuem Fenster)
- Selbst auf einem winzigen Streifen Vorgarten mit Schotter oder traurigem Rasen lässt sich Gemüse kultivieren.
- Einen Schrebergarten pachten. Zugegeben: In Großstädten ist die Warteliste lang und mitunter muss man bis zu drei bis vier Jahre auf den Zuschlag warten. Aber wenn es dann klappt, hat man nicht nur einen Ort für den Gemüse- und Obstanbau, sondern auch einen idyllischen Rückzugsort vom städtischen Treiben.
- Eine großartige Alternative ist das Gartenpaten-Programm. Die Webseite www.gartenpaten.org (Öffnet in neuem Fenster) bringt Gartenlose und Gärtner zusammen. Hier kann man kostenlos ein Gesuch oder ein Angebot schalten.
- Solidarische Landwirtschaft (oder SoLaWi): Die Mitglieder teilen sich die Kosten der Landwirtschaft, die Arbeit und ebenso den Ertrag. Der Vorteil: Das Gemüse ist biologisch angebaut und regional. Jeder kann mitmachen! Mehr dazu: www.solidarische-landwirtschaft.org (Öffnet in neuem Fenster)
- Bei den Ackerhelden (Öffnet in neuem Fenster) kannst du deinen eigenen, vorbepflanzten Biogemüsegarten (40 qm) mieten und von Anfang Mai bis Ende November gärtnern und ernten. www.ackerhelden.de
Links der Woche
Homosexualität und die Bibel (Öffnet in neuem Fenster)
Hier findest du eine Liste mit hilfreicher Literatur (Öffnet in neuem Fenster)
Wenn du Netflix hast, dann empfehle ich dir die Doku "Pray Away". Hier der Trailer (Öffnet in neuem Fenster).
Let's talk about sex (Homosexualität) (Öffnet in neuem Fenster)
Queere Christ*innen und die Gemeinden (Öffnet in neuem Fenster)
Zwischenraum - ein Netzwerk für queere Christen und Christinnen (Öffnet in neuem Fenster)
Herz im Wandschrank - Erfahrung eines schwulen Christen (Öffnet in neuem Fenster)