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Dunkle Dankbarkeit

Ich gehe momentan sehr früh zu Bett. Gegen halb neun kriecht die Müdigkeit in Kopf und Glieder, nur mühsam halte ich die Augen offen, um ein paar Maschen zu stricken oder eine Fernsehsendung zu sehen.

Zunächst reagierte ich mit Empörung auf diesen körperlichen Zustand. Ich bin doch noch keine Oma!

Aber dann wurde mir klar, dass Trauer richtig viel Energie kostet. Nicht nur seelische, sondern auch handfeste körperliche Kraft. Wenn mir nicht schon vorher klar gewesen wäre, wie eng Körper und Seele miteinander verwoben sind, spätestens jetzt würde ich es verstehen.

Ich gebe dem Schlafbedürfnis  nach. Ich schlafe und schlafe und schlafe. Manchmal wache ich nachts auf. Desorientiert. Wähne mich wieder im Haus meiner Eltern. Brauche Zeit zu begreifen.

Alles ist anders.

Auch mein Verständnis von Dankbarkeit.

Gestern Abend, als ich mich todmüde ins Bett wälzte, fiel mein Blick auf mein Dankbarkeitstagebuch. Jaja, ich hab auch so ein Ding auf dem Nachtisch liegen. Ist irgendwie Trend. Jeder selbsternannte Self-Improvement-Guru auf Youtube und Instagram empfiehlt das Notieren von Dingen, für die man dankbar ist. Aus rebellischem Trotz lehne ich eigentlich alles ab, was aus dieser Ecke kommt. Aber das Dankbarkeitstagebuch ist wirklich eine ganz famose Übung.

Ich schlug es auf. Der letzte Eintrag ist bereits Wochen her. Ich halte nichts davon, sich in schweren Zeiten auf eine künstlich erzwungene Dankbarkeitssuche zu machen. Es dürfen und müssen Zeiten der Klage sein, ohne sofort ein Pflaster draufkleben zu wollen(Vielleicht sollten wir neben einem Dankbarkeitstagebuch auch ein Klage-Tagebuch führen? Ich glaube, das wäre sehr sehr gesund).

Aber gestern Abend wollte ich den Tag nicht ohne die Suche nach den Dingen, die meiner aufgewühlten Seele gerade gut tun, abschließen.

Ich notierte ein paar Sachen.

Danke für:

Alleinsein

Stille

Harte Gartenarbeit

Müdigkeit

Zeit zum Traurigsein

Dunkelheit

Das Crescendo meines Gartens, bevor er stirbt

Tränen

Wie anders mein Dankbarkeitstagebuch dieser Tage klingt.

Ich weigere mich, meine Trauer zu überpinseln. Stattdessen darf ich mich hineinsinken lassen in die dunklen Abende, in die Stille, die Tränen, die Einsamkeit, die Schönheit des Gartens. Und in mein Bett. Auch schon um halb neun abends.
(Öffnet in neuem Fenster)

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