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Bürokratielast abwerfen: Wie wird Bürokratie für alle leichter?

#09 Die Verteidigung des unternehmerischen Freiraums

Dies ist die neunte Ausgabe von 4. Mio+ , dem wöchentlichen Briefing von Cathi Bruns. Diese Woche:

  • Bürokratie und kein Ende: Schaffen wir die Bürokratie oder schafft die Bürokratie uns?

  • Ein paar Fragen an Jörn Freynick, Leiter Politik vom VGSD e.V.

  • Und wie wir trotz all der Vorschriften die gute unternehmerische Laune nicht verlieren

Hi.

Steuerbürokratie, Arbeitsrecht, Sozialversicherungen, Datenschutz, Genehmigungen, Dokumentationspflichten - zur Selbstständigkeit gehört die Selbstbestimmung, aber es gehören auch jede Menge Vorschriften dazu. Und sie werden immer mehr. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) bestätigte im letzten Jahr eine Bürokratiebelastung für Bürger, Unternehmen und Verwaltung in bisher „nie dagewesener Höhe (Öffnet in neuem Fenster)”.

Irritierend, denn redet nicht jede Partei schon im Wahlkampf und jede Bundesregierung auch nach der Wahl, immerzu von Bürokratieabbau?

Wenn man zu dem Thema recherchiert, reichen die politischen Ankündigungen Bürokratie zu reduzieren, auf Jahrzehnte zurück. Mindestens ebenso lange wird ein Mentalitätswandel gefordert. Aber der Kontroll- und Sicherheitsgedanke ist stark in diesem Land. Stärker, als die unternehmerische Kultur. Um Regulierung zu gestalten, die das Land besser macht, bräuchte es das Vertrauen, dass weniger Vorschriften nicht automatisch mehr Willkür bedeuten.

Alle, die in diesem Land etwas selbstständig und unternehmerisch aufbauen möchten, bekommen die staatliche Vorschriftsverliebtheit besonders zu spüren. Denn für sie hängt an der Erledigung der Pflichten und Einhaltung der Regeln die Existenz.

„8 von 10 Unternehmerinnen und Unternehmer sehen durch die Bürokratiebelastung ihre Freude an der unternehmerischen Tätigkeit schwinden” sagt Dr. Annette Icks vom Institut für Mittelstandsforschung zu den Ergebnissen einer IfM-Analyse (Öffnet in neuem Fenster).

Eine BFB-Konjunkturumfrage unter den Freien Berufen (Öffnet in neuem Fenster) ergab, dass politische Entscheidungen inzwischen als größter Einflussnehmer auf die Zukunft der freiberuflichen Tätigkeit eingeschätzt wird - noch vor den Herausforderungen durch den Fachkräftemangel. Bürokratie als „größtes Problemfeld im Mittelstand“, größer als die Sorge Mitarbeiter zu finden, ergab auch eine aktuelle Research-Publikation der DZ BANK AG (Öffnet in neuem Fenster).

Die Stimmung trübt sich. Der Papierkram raubt den letzten unternehmerischen Nerv. Politik, die Sorgen macht. All das ist nicht gut. Schaffen wir es, all die Bürokratie zu erledigen, oder erledigt die Bürokratie uns?

Darum geht es heute: Die Verteidigung des unternehmerischen Freiraums.

Warum muss uns das beschäftigen?

Bürokratie hat einen Sinn. Damit zB. Standards garantiert sind und Unternehmen Rechtssicherheit erhalten, braucht es verbindliche Regelungen, und Kontrolle. Bürokratie ist nicht per se schlecht. Und sie nützt auch Unternehmen. Aber wenn sie ihren Zweck nicht effizient erfüllt, sondern Arbeit erschwert und unternehmerische Aktivität bremst statt beschleunigt, dann stimmt mit dem Prozess etwas nicht.

Wenn die Prozesse zu oft nicht stimmen, wird das große „Geht-Nicht“ zur Mentalität. Beispiele dafür wie Bürokratie das Land lähmt, statt Abläufe zu vereinfachen, gibt es viele. Als Bürger mag man sich noch damit arrangieren, hier und da mit einem Formular zu kämpfen. Für Selbstständige heißt zu viel der Vorschriften aber, dass ihr gesamtes Arbeitsmodell in Zweifel gezogen wird.

Gute Bürokratie, schlechte Bürokratie

Effiziente Regulierung sollte das Ziel haben, Innovation zu fördern und unternehmerische Ambition nicht fesseln, sondern, fair, rechtssicher und einfacher machen.

Unattraktive Rahmenbedingungen und Misstrauen sind schließlich hausgemacht. Zu viel der Bürokratie ist nichts anderes, als fehlendes Vertrauen des Staates in Bürgerinnen und Bürger. Das Einhegen und die Kontrolle von Aktivitäten, insbesondere unternehmerischer Natur, hat dabei Überhand genommen. Wenn niemand mehr Lust hat zu gründen, ein Geschäft zu übernehmen, oder Arbeitsplätze zu schaffen - auch ohne Subventionen - dann liegt das an der falschen Politik, die Unternehmertum zu stark belastet und Anreize schafft für alles andere. Aber alles andere, schafft keine ökonomischen Werte, die am Standort bleiben.

Schon jetzt hat das Land ein Produktivitätsproblem - trotz Rekordbeschäftigung. Neben anderen Faktoren wie den aktuell hohen Krankenständen und generell der alternden Gesellschaft sowie dem geringem Digitalisierungsgrad, heißt das auf deutsch: Viele Jobs in der Verwaltung, zu wenig in der Wertschöpfung. Und viel zu wenig Gründerinnen und Gründer.

Zu viel Bürokratie hat viele unschöne Nebenwirkungen. Wenn Selbstständige sich abmelden, dann leise. Sie sind einfach weg. Ach guck, war da nicht mal ein Café? Ach, der Bäcker ist auch weg? Der IT-Kollege fühlt sich in der Schweiz wohler?

Strukturwandel ist das eine, Bürokratismus erledigt den Rest. Auch wenn es keine Meldung in der Tagesschau darüber gibt, was es eigentlich bedeutet, wenn die Selbstständigkeit langsam absäuft, ist der inhabergeführte Mittelstand für den Wohlstand hier bisher unerlässlich.

Worüber derzeit leider viel berichtet wird, ist die berechtigt große Sorge bei Insolvenzen oder Wegzug von Großunternehmen - denn die verbindet man mit Arbeitsplätzen. Sie stellen aber nur die andere Hälfte der gesamten Jobs in diesem Land (45 %).

  • „55 % der 38,7 Millionen Beschäftigten arbeiteten in kleinen und mittleren Unternehmen. In Kleinstunternehmen waren rund 19 % der tätigen Personen beschäftigt, 20 % in kleinen, weitere 15 % in mittleren Unternehmen.” (Quelle: Statistisches Bundesamt (Öffnet in neuem Fenster)).

Und ohne Mittelstand auch keine Ausbildungsplätze. 70 % der Auszubildenden sind bei mittelständischen Betrieben angestellt. (Quelle: IfM Bonn) (Öffnet in neuem Fenster)

Angestelltenland ist dabei seine unternehmerische Basis zu Tode zu nerven. Niemand versteht das. Auch Politiker nicht.

Wenn wir nicht viel mehr Sichtbarkeit für die Belange der Selbstständigkeit und inhabergeführten Unternehmen erreichen, wird sich das Verständnis für den selbstständigen Lebensentwurf nicht verbessern.

Konzerne mit ihren Rechtsabteilungen und eigens für die Anforderungen geschaffenen Verwaltungsebenen können immer mehr der kleinteiligen Auflagenabarbeitung leisten. Aber der standortneue Mittelstand wird langsam mürbe. Das kann niemand wollen.

Die Lage

Bürokratie ist ein Standortfaktor. Wenn die Regelungswut unternehmerische Tätigkeit austreibt, erschwert, gar dazu führt, dass Unternehmertum zum Behörden-Spießrutenlauf wird, dann hat das Auswirkungen auf die Gründungstätigkeit.

Selbst Vorschriften, die politisch nur für Großunternehmen konzipiert werden, nehmen kleine und mittlere Unternehmen mit in die Zange, wie etwa Lieferkettengesetze und neuerdings noch Nachhaltigkeit-Reportings. Für kleine Zulieferer heißt es oftmals mitgefangen, mitgehangen (Öffnet in neuem Fenster).

Sogar Soloselbstständige, bei denen man annehmen müsste, dass sie relativ bürokratiefrei durch ihre Selbstständigkeit navigieren, sind von staatlichen Vorgaben und unklaren Anforderungen genervt.

Und was Deutschland sich an Vorschriften nicht selbst ausdenkt, kommt spätestens aus Brüssel auf uns zu. Ob Plattform-Richtlinie (Öffnet in neuem Fenster), Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Nachhaltigkeitsverpflichtungen oder Barrierefreiheitsstärkungsgesetz - auch wenn (fast) jedes Vorhaben gut und die Vorschriften einen Sinn haben mögen, so lässt die Ausgestaltung oft zu wünschen übrig. Und überträgt einen Großteil des Erfüllungsaufwands den Unternehmen und einer nicht hinterherkommenden Verwaltung. Was ist das für eine politische Kultur?

Selbstständige haben - anders als Politiker und Beamte denken - keine Angst vor dem Scheitern oder vor dem sozialen Abstieg, sondern vor der Rentenversicherung und dem Finanzamt. Besonders alle, die immer alles korrekt erledigen. Und zwar weil es inzwischen so viele Vorschriften und rechtliche Grauzonen gibt, dass ein Überblick ohne anwaltliche Hilfe oft gar nicht möglich ist. Auch die „psychologischen Kosten” von Bürokratie sind laut IfM Bonn (Öffnet in neuem Fenster) (2023, VI (Öffnet in neuem Fenster)) von Bedeutung. Wut, Überforderung, Angst etwas falsch zu machen, sind sicher einige der Gefühle, die jeder Selbstständige kennt. Muss das sein? Wie können wir das ändern?

Es muss sich ändern. Die Zusammenarbeit mit Behörden sollte in einer freiheitlichen und modernen Gesellschaft eine Leichtigkeit sein. Wie der Staat mit Gründern und Selbstständigen umgeht, ist auch ein Indikator dafür, wie groß das Interesse daran ist, dass die Bevölkerung frei, innovativ und unabhängig ist.

Wie es um den unternehmerischen Freiraum bei Selbstständigen und kleinen Unternehmen steht, das habe ich mit Jörn Freynick besprochen. Er ist der Leiter Politik des Verbands der Gründer und Selbstständigen in Deutschland (VGSD e.V.).


Das Gespräch

Lieber Jörn, Selbstständige und Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie. Ist die Klage berechtigt und worin zeigt sich, dass Vorschriften Überhand genommen haben?

Jörn Freynick: Ja, diese Klage ist mehr als berechtigt. Die Bürokratie hat ein alarmierendes Ausmaß erreicht: Studien zeigen, dass Solo-Selbstständige im Durchschnitt sechs Stunden pro Woche für solche letztlich unproduktiven Aufgaben aufwenden – Zeit die ihnen für Akquise, ihre Kunden und eigene Weiterbildung fehlt.

 Neben dem hohen Zeitaufwand ist die zunehmende Rechtsunsicherheit ein Alarmsignal, das zeigt, dass Regierung und Verwaltung das rechte Maß verloren gegangen ist: Selbstständige müssen immer häufiger rechtlichen Rat in Anspruch nehmen, um alle Vorschriften erfüllen zu können, auch weil diese praxisfern sind und viele Fragen offen lassen. Wer sich keinen Anwalt und Steuerberater leisten kann, weiß oft gar nicht, was er oder sie alles tun müsste und steht mit einem Fuß im Gefängnis: Regelungen, von man sie noch nie zuvor gehört hat, können einen dann Existenz kosten.

Worin bestehen die drei größten Bürokratiebelastungen für Selbstständige und kleine Unternehmen?

Jörn Freynick: Das wollte auch das Bundesjustizministerium von uns wissen und wir haben dazu unsere Mitglieder befragt. Dabei ist ein Ranking (Öffnet in neuem Fenster) herausgekommen. Die drei größten Bürokratiemonster sind für mich das Statusfeststellungsverfahren, die Beitragsbemessung für Selbstständige in der Sozialversicherung sowie die komplizierten Regelungen bei der Umsatz- und Gewerbesteuer.

Besonders dramatisch ist die Lage beim Statusfeststellungsverfahren. Die Beauftragung von Selbstständigen ist durch BSG-Urteile und deren einseitige Auslegung durch die Rentenversicherung so unsicher geworden, dass Auftraggeber enormen Compliance-Aufwand treiben müssen, um Freelancer zu beauftragen, wenn sie die Aufträge nicht gleich an größere Firmen oder ins Ausland vergeben. Das verschärft den Fachkräftemangel. Inzwischen sind von diesem Thema auch die medizinische Versorgung und der Bildungsbereich betroffen, zum Beispiel bei der Integration von Geflüchteten. Mehrere Arbeitsgruppen im Bundesarbeitsministerium suchen mit der Deutschen Rentenversicherung nach Lösungen. Diese dürften aber in noch mehr Bürokratie beim Einsatz von Selbstständigen resultieren. Selbstständige zahlen mindestens 20 Prozent höhere Sozialversicherungsbeiträge als Angestellte, da ihre Beiträge auf dem Gewinn, nicht dem Bruttogehalt berechnet werden. Außerdem werden auch Miet- und Kapitalerlöse zur Berechnung herangezogen, bei Angestellten ist dies nicht der Fall. Dies führt zu einer finanziellen Überforderung und belastet Selbstständige unverhältnismäßig und ungerecht.

 Der Gewerbesteuerfreibetrag ist seit 30 Jahren nicht angehoben worden, die unklare Abgrenzung von Gewerbetreibenden zu Freiberuflern kann Jahre später zu hohen Nachzahlungen führen. Ähnlich ist es bei Umsatzsteuerbefreiungen und Auslandsgeschäften: Hier drohen Nachforderungen, die Betroffene ihre Existenz kosten können. Der bürokratische Aufwand, dies zu vermeiden ist sehr hoch.

Welche Vorschläge gibt es, um Selbstständige von Bürokratie zu entlasten?

Jörn Freynick: Wie schon erwähnt haben wir Berufsverbände eine Vielzahl von Vorschlägen zum Bürokratieabbau gemacht, das Bundesjustizministerium hat sie auch zusammengefasst und priorisiert (Öffnet in neuem Fenster)

Zum Statusfeststellungsverfahren haben wir unsere Verbesserungsvorschläge von Sozialversicherungsexperten priorisieren lassen. Das Ergebnis sind Positiv-Kriterien aber auch methodische Änderungen wie die Wiederherstellung einer bewährten Regelungen aus der Vergangenheit. Mit unserem Verbändebündnis BAGSV werden wir den Druck auf das Arbeitsministerium weiter erhöhen und schmieden ein breites Bündnis, auch unter Einschluss der Auftraggeber. Zur Beitragsbemessung haben wir Vorschläge zur bürokratiearmen Umsetzung gemacht und in rund 30 Gesprächen mit Stakeholdern erläutert. Einer unserer drei Forderungen steht bereits im Koalitionsvertrag, aber das Gesundheitsministerium verweigert seine Umsetzung. Zum Gewerbe- und Umsatzsteuer machen wir ebenfalls konkrete Vorschläge, zuletzt mit einem von über 30 Verbänden mitgezeichneten Positionspapier zur Umsatzsteuerbefreiung für den Bildungsbereich im Rahmen des Jahressteuergesetzes.

Wie sind dabei die Fortschritte?

Jörn Freynick: Die Proteste der letzten Monat zeigen: Der Frust über die enorme Rechtsunsicherheit und eine immer weiter steigende Zahl praxisferner bürokratischer Regelungen ist riesig. Bürokratieabbau ist Kärrnerarbeit, das geht nicht mal eben so am grünen Tisch. Der beste Weg ist unseres Erachtens das Einbeziehen von Betroffenen und ihren Verbände in den Gesetzgebungsprozess – auf einer ganz konkreten Ebene. Der Staat kann sich hier viel von Produktentwicklung und Fokusgruppen in der Wirtschaft abschauen.

Die Beamten erklären den Teilnehmer/innen, was sie erreichen möchten und welche Regelungen und Formulare sie sich zu diesem Zweck überlegt haben. Sie spielen mit ihnen das Procedere durch, lernen dazu, formulieren Fragen weniger missverständlich, erkennen Überflüssiges und Unpraktikables – der Prozess wird dadurch im Idealfall für beide Seiten einfacher, die Betroffenen haben weniger Rückfragen und können ihre bürokratischen Pflichten schneller und zuverlässiger erledigen – ein Gewinn für beide Seiten.

Eine positive Entwicklung in dieser Legislaturperiode ist die Einführung so genannter Praxischecks. Es wird höchste Zeit, dass sie auch mit Solo-Selbstständigen und kleinen Unternehmen als Zielgruppe durchgeführt werden. Das Bundesjustizministerium hat letztes Jahr eine Anhörung zum Thema Schriftformerfordernis durchgeführt, die wir als sehr konstruktiv und konkret erlebt haben. Auch hierzu hatten wir im Vorfeld unsere Mitglieder befragt. Die entsprechenden Vereinfachungen werden schon bald in Kraft treten. Kompetenz einbringen, um Bürokratieabbau und Verbesserungen für Selbstständige zu erreichen, so macht unsere Arbeit Spaß!

Vielen Dank, lieber Jörn Freynick!

...Ok, und jetzt?

Das Schöne an der Selbstständigkeit ist, dass der unbürokratische Teil dem bürokratischen haushoch überlegen ist - Selbstständige sind durch ihre Arbeit und Ziele motiviert, denn für die meisten ist ihre Tätigkeit nicht nur ein Job. Laut einer Studie von Infas Quo, über die ich in der Süddeutschen Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) las, geht durchschnittlich aber ein ganzer Arbeitstag pro Woche nur für Bürokratie drauf.

Die SZ-Autoren schreiben mit Bezug auf die Studie (Öffnet in neuem Fenster) weiter: „Trotz aller Belastungen würde sich mit 85 Prozent die breite Mehrheit der Kleinunternehmer wieder für die Selbständigkeit entscheiden. Die damit einhergehende Freiheit ist dabei der meistgenannte Grund.” (Quelle: Jonas Tauber, Katrin Berkenkopf. „Ein Arbeitstag nur für Bürokratie (Öffnet in neuem Fenster)”, Süddeutsche Zeitung (online), 6.Mai 2014).

Auch das IW Köln kommt zu dem Schluss: „Mehr als 80 Prozent der Selbstständigen sind in hohem Maße mit ihrer Arbeit zufrieden. Damit sind sie zufriedener als abhängig Beschäftigte.” (Quelle: iwd (Öffnet in neuem Fenster)zum IW-Gutachten, Schäfer et al. Unternehmerisches Selbstverständnis von Selbstständigen in Deutschland, 2024) (Öffnet in neuem Fenster).

Wir Selbstständigen wollen selbstständig sein. Und wir liefern auch, wenn die Bedingungen schlechter werdenden. Das allerdings führt dazu, dass es politisch noch weniger verstanden wird, wann die Grenze des Erträglichen an Papierkram und Kontrolle überschritten wurde und Bürokratie uns nicht mehr hilft, sondern bremst. Im Bezug auf das Statusfeststellungsverfahren stellt das IW Köln (Öffnet in neuem Fenster) fest: „Aufgrund dieser Unsicherheit und der negativen Auswirkungen der Bürokratie hat mehr als ein Drittel der befragten Selbstständigen erwogen, ins Ausland zu ziehen. Mehr als ein Viertel hat darüber nachgedacht, die Selbstständigkeit zu beenden. Dies betrifft überdurchschnittlich häufig IT-Freelancer, die hohe Einkommen erzielen.” (iwd. Selbstständigkeit: Bürokratie schlägt Leidenschaft. 24.07. 2024. (Öffnet in neuem Fenster))

Der Zirkus rund um das Statusfeststellungsverfahren verdirbt qualifizierten Fachkräften in wichtigen Branchen die Selbstständigkeit. Bravo, Deutschland.

Oder ist das alles vielleicht gar nicht so schlimm? „Das Lied des Kaufmanns ist die Klage“, spaßt Bundeskanzler Scholz (Öffnet in neuem Fenster) angeblich schon mal, wenn es um unternehmerische Sorgen geht. Man stelle sich vor, ein Kanzler würde das Gleiche in Richtung Gewerkschaften witzeln.

Die großen Bürokratieabbau-Bemühungen bei gleichzeitig mäßigen Erfolgen über die Jahre, zeigen, dass ein kooperativer Ansatz sinnvoller wäre. Bei der Implementierung praxistauglicher Prozesse können wir Selbstständigen helfen.

Daher ist es wichtig, dass wir uns aufs Brücken bauen konzentrieren und nicht bloß schimpfend Formulare ausfüllen. Normalerweise sind wir alle froh, wenn wir möglichst wenig mit Behörden zu tun haben. Dass der Mittelstand sich mehr Einbeziehung wünscht, ist aber nicht verwunderlich. Und warum eigentlich nicht? Für eine bessere Verwaltung, braucht es auch mehr Kenntnis über unternehmerische Realitäten in den Behörden. Es geht nur zusammen.

Unternehmerisches

Bürokratie ist notwendig, aber gewissermaßen das Gegenteil von Unternehmertum. Was also tun, damit trotz Bürokratie die Freude an der Selbstständigkeit nicht vergeht? Na, alles was geht optimieren. Und erst recht alles, was nicht zur kreativen und unternehmerischen Kerntätigkeit gehört.

Dazu gehören digitale Prozesse in der Buchführung. Weil 2025 die neue Pflicht zur E-Rechnung kommt, hat das lexoffice-Podcast-Team ein paar Steuer- und Digitalisierungsexperten zum Gespräch geladen. Und mich.

Ich trage meine 2 Cents aus Sicht einer Selbstständigen bei. Sind wir bereit für die E-Rechung?

Die ganze Podcast-Folge kannst du hier anhören:

(Öffnet in neuem Fenster)

Zahl der Woche

(Öffnet in neuem Fenster)

Politisches

Wie alle Regierungen zuvor, hat auch die Ampel sich den Kampf gegen den erkannten „Bürokratie-Burnout (Öffnet in neuem Fenster)” vorgenommen.

Was wir wollen ist Bürokratieabbau. Was wir bekommen, ist ein weiteres „Bürokratieentlastungsgesetz (Öffnet in neuem Fenster)“, das so Dinge vorsieht wie eine verkürzte Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre (Aufbewahrungskostenersparnis für Aktenordner...) oder die Abschaffung der Hotelmeldepflicht (?) …

So wird aus Bürokratieverdrossenheit Politikverdrossenheit.

Wie schaffen andere Länder, was uns hier nicht gelingt?

Die Antwort ist: Sie schaffen es mit einer anderen Mentalität. Und einer passenden Strategie. Die Frage ist ja nicht, ob wir die hohen Ansprüche an zB. Nachhaltigkeit aufgeben sollen, sondern wie man es Unternehmen leicht machen kann, den bürokratischen Anforderungen nachzukommen. Und wie man das Ganze digitaler, effizienter und vor allem sinnvoller gestalten kann. Nicht nur Unternehmertum verfolgt Ziele, sondern auch Bürokratie hat welche. Und auch Vorschriften sollten aus einem bestimmten Geist heraus entwickelt werden.

Praxis-Checks, so wie Jörn Freynick sie im Interview erwähnt, sind eine gute Sache. Man meint, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Politik in der Konzeption neuer Vorschriften und besserer Rechtsetzung eine gewisse Praxistauglichkeit mitdenkt. Die große Realitätsferne wird aber von Unternehmen und auch vom Normenkontrollrat immer wieder kritisiert. Und wenn man die Verwaltung nicht digitalisiert und Behörden zu schleppend modernisiert, dann bleibt Papierkram eben tatsächlich ein Papier-Prozess. Den Rückstand bei der Digitalisierung der Verwaltung aufzuholen, wird vom Normenkontrollrat regelmäßig angemahnt.

Die schon erwähnte Analyse des IfM Bonn (Öffnet in neuem Fenster) veranschaulicht, dass es in Deutschland beim Bürokratieabbau nicht am Wollen, sondern am Hinbekommen hapert. Und vergleicht die Herangehensweise anderer Länder, die beim Abbau von Bürokratie gute Erfolge erzielen. Am Vorbild der Niederlande zB. kann man sehen, dass eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und ihre Einbeziehung in Regulierungs-Prozesse alles etwas integrativer, und vieles einfacher machen kann.

Die dortige Arbeitsweise zeigt, dass eine völlig andere Grundhaltung zum Tragen kommt, bei der es stark um die Machbar- und Verhältnismäßigkeit geht - ganz anders als viele Selbstständige und der Mittelstand die Bürokratie-Prozesse hierzulande wahrnehmen. Auch Großbritannien, als weiteres Beispiel in der Studie, pflegt eine andere „Regulierungskultur“. So scheint auch die britische Regierung ein anderes Verständnis von Regulierung zu haben, nicht bloß als Kontrollinstrument, sondern auch mit dem Anspruch, Innovation zu ermöglichen und im Standortwettbewerb zu bestehen. (Studie: Holz et al., Analyse zur Bürokratiebelastung in Deutschland. Wie kann ein spürbarer Bürokratieabbau erreicht werden? IfM Bonn, 2023 (Öffnet in neuem Fenster)).

Die beiden Länder tauchen schon lange immer wieder als Entbürokratisierungs-Vorreiter in der Debatte auf. Großbritannien wurde bekanntlich bereits unter Thatcher maßgeblich dereguliert, der niederländische Ansatz („Standardkostenmodell“) fiel schon unter Kanzlerin Merkel auf und diente zB. für den 2006 eingerichteten Nationalen Normenkontrollrat als Vorbild.

Wenn eine andere Mentalität auch andere Bürokratie- und Regulierungsprozesse bringt, ist das der Beweis, dass alles auch anders geht.

Wäre es nicht schön, wenn wir alle etwas mehr das Gefühl hätten, der Staat begegnet uns als Selbstständigen nicht mit Skepsis, sondern hat ein klares Interesse daran, dass wir Erfolg haben? „Regulation as a service”, wie es in der IfM-Analyse (S.41 (Öffnet in neuem Fenster)) heißt und wie Großbritannien es handhabt, wäre ganz offenkundig hierzulande ein weitreichender Kulturwandel in der Politik und den Behörden. Er würde schon bei der freundlichen Bescheidgestaltung beginnen und über funktionierende digitale Angebote der Behörden, bis hin zu besseren Gesetzen, Form annehmen. Freilich nicht nur für Selbstständige, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Und nebenbei auch die Verwaltung entlasten.

Für mehr Bock auf Unternehmertum, wäre ein wichtiges Ziel jeder Bundesregierung, Bürokratie auf das Nötigste zu reduzieren, Verwaltungs-Prozesse effizient zu gestalten und Selbstständige und Unternehmensvertreter für erfolgreiche Regulierungsvorhaben miteinzubeziehen. Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser.

Übrigens: Die Gründungsquote, sowohl im Vereinigten Königreich, als auch in den Niederlanden, ist laut GEM 2023/24 (Öffnet in neuem Fenster) „signifikant höher”, als in Deutschland. Die Selbstständigenquote in den Niederlanden lag 2023 bei 16,2%. In UK bei 15,3%. In Deutschland nur bei 8,3% (Quelle: EUROSTAT, ILO via WKO) (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn wir unser gestörtes Verhältnis zur Selbstständigkeit überwinden, überwinden wir auch den Hang zur Bürokratie.

Die Stärkung

Was gibt diese Woche Schub?

  • Ich habe mich jetzt so viel mit Bürokratie beschäftigt, dass es mich schon erleichtert zu sehen, dass man ihr nicht ausgeliefert ist. Man muss zusammenarbeiten, damit sie ihren Zweck erfüllt: Nämlich das (unternehmerische) Leben einfacher, sicherer und effizienter zu machen. Hierfür weiter Brücken zu bauen und die Belange von Selbstständigen sichtbar zu machen, kann nicht verkehrt sein.

Zum Gründen gehört es groß zu träumen - zum Erwachsenwerden, die Selbstständigkeit. In diesem Sinne - nicht aufhalten lassen!

Bis nächste Woche!

Cathi ✌️

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Kategorie Selbstständigkeit

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