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Mein Leben findet auf 6,7 Zoll statt

Mein Leben findet auf 6,7 Zoll statt oder auch:

Als mir das erste Mal klar wurde, dass ich süchtig bin

Eine Kolumne von Charlotte Suhr (16. Juni 2024)

In meinem gesamten Freundes- und Bekanntenkreis war ich die letzte Person, die sich ein Smartphone zugelegt hat. Während es zum Ende der Schulzeit noch nicht merkwürdig war, ein einfaches Tastenhandy zu besitzen und das Internet-Symbol in der Mitte des Telefons noch als gruseliger Geldverschlingungs-Knopf angesehen würde, entwickelte sich die Technik innerhalb meines Studiums so rasant weiter, dass ich mit meinem Spleen irgendwann alleine auf weiter Flur stand. Meine ehemals beste Freundin und ich hatten über lange Zeit ein seltsames Abkommen, nachdem wir fast ein wenig stolz darauf waren, die einzigen ohne smartes Telefon zu sein, bis sie sich irgendwann einmal das iPhone eines Freundes auslieh und es um sie geschehen war. Ich fühlte mich beinahe ein bisschen verraten, als sie verkündete, sie würde sich so bald wie möglich ein eigenes Smartphone zulegen.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich vor allem Angst vor dem Thema. Ich war eine Studentin ohne Geld und wusste nicht einmal, wie ich mir überhaupt so ein teures Gerät leisten sollte. Verträge fand ich gruselig, ich hätte sie auch nicht bezahlen können und die unvertraute Technik gruselte mich. Ich wusste nicht einmal, wie man ein solches Gerät bediente und während ich eigentlich Panik schob war, wie hinterher ich allen Menschen schon wieder war, gab ich mich nach außen hin als aktive Gegnerin. Ich beschwerte mich darüber, dass Menschen in der U-Bahn nicht mehr lasen oder sich unterhielten, sondern an ihren Handys herumtippten. Ich machte eine Show daraus, wie komplex die Bedienung doch war, wenn ich einmal das Smartphone meiner Freundin in der Hand hielt und bewusst dilletanisch auf dem Display herumwischte. Ähnlich wie bei anderen Dingen, von denen ich fürchtete oder wusste, dass ich dafür kein Geld haben würde, gab ich mich bescheiden und bodenständig, als wäre Konsum und moderne Technik für mich viel zu weltlich und vulgär.

Was würde mein früheres Ich wohl zu der heutige Version meiner Selbst sagen, die nicht nur mit den Sozialen Medien ihr Geld verdient, sondern auch locker eine Bildschirmzeit von 8 Stunden am Tag hat, Instagram geistesabwesend 400 Mal am Tag öffnet, sich mit ihrem Freund unterhält, während sie Nachrichten beantwortet? Die keinen Film schauen, keine fünf Minuten arbeiten und keine 30 Sekunden Leerlauf ertragen kann, ohne ihr Handy zu entsperren? Die in Gesellschaft unendlich erleichtert ist, sobald sie auf Toilette schnell ihre neuesten Mitteilungen checken kann, die abends als letztens und morgens als erstes auf ihr Handy schaut? Was würde die 21-jährige Charlotte wohl zur 31-jährigen Charlotte sagen, die schlicht und ergreifend süchtig nach ihrem Handy und allen voran Instagram und TikTok ist?

Vor zwei Tagen habe ich eine Podcast Episode von Jacko Wusch gehört, in welcher sie genau über dieses Thema spricht, über ihren eigenen sowie den gesellschaftlichen Umgang mit Smartphones und Sozialen Medien (Die Folge heißt: „Ich habe Instagram gelöscht“ und ist bei ihrem Podcast „Stripped“ zu finden) und ich war schockiert, beschämt und unendlich traurig darüber, wie recht sie hat und wie tief ich dieser Sucht verfallen bin. Wie sehr sie mein Leben bestimmt und meine Psyche beeinflusst.

Es ist sicher nicht das erste Mal, dass ich von dem Suchtfaktor von Smartphones und Sozialen Medien gehört habe. Es gibt wahnsinnig viele Dokumentationen, Expert:innen warnen immer wieder vor unserer Abhängigkeit, allen Menschen ist klar, dass sie sehr viel am Handy hängen. Zu viel am Handy hängen. Aber dieses „zu viel“ ist ein abstraktes Konstrukt, bei welchem alleine das Ausmaß nicht unbedingt ausreicht, um die Alarmglocken schrillen zu lassen. Teilt mir mein Handy mit, dass ich in der letzten Woche durchschnittlich 7 Stunden Bildschirmzeit hatte, zucke ich darüber die Schultern wie eine Raucherin, die sich ausgerechnet hat, dass sie täglich anderthalb Packungen Zigaretten geraucht hat. Na und? Was soll diese Zahl mir sagen? Entscheidend ist schließlich nicht, wie lange ich am Handy bin, sondern was die Konsequenz davon ist. Und um eben diese habe ich persönlich mir tatsächlich noch Gedanken gemacht.

Wie Jacko in ihrer Podcast Episode so schön sagte: Es ist ein bisschen so wie mit Zucker. Wie alle wissen, dass er nicht gut für uns ist, aber wenn uns jemand darauf aufmerksam macht, sind wir höchstens genervt. Wir denken, die Person wäre bloß ein Spielverderber. Dieser Reflex ist kein Einzelphänomen in Bezug auf das Thema Soziale Medien. Es ist dasselbe Spiel beim Thema Fleischkonsum, Alkohol, Fliegen, „ungesundes“ Essen, mangelnde Bewegung, Autofahren. Dinge, die für uns und andere Menschen schlecht sind, aber sich dennoch gut anfühlen. Man möchte nicht verzichten, man möchte sich nicht einschränken und die „richtige“ Entscheidung treffen und alle Personen, die einen darauf aufmerksam machen, dass man sich anders verhalten sollte, betrachtet man argwöhnisch, weil man das Gefühl hat, sie wollen einem was wegnehmen.

Jedenfalls habe ich mich immer so gefühlt, wenn es um das Thema Soziale Medien geht. Ich möchte nicht, dass jemand mir diese wegnimmt. Ich möchte nicht, dass jemand mir sagt, dass ich zu viel bei Instagram und TikTok unterwegs bin und ich möchte ganz sicher nicht, dass jemand mir sagt, dass ich doch mal in den Wald gehen und ein bisschen frische Luft schnappen soll. Das fühlt sich ein wenig so an, als würde man einer Alkoholikerin sagen, dass Limonade doch auch schmecken würde und man davon am nächsten Tag auch keine Kopfschmerzen bekäme. Fuck, würde man da denken, aber Limonade knallt mir nicht einmal annähernd so geil in mein Gehirn und lässt mich Dinge fühlen, die besser als ein Orgasmus sind.

Die Sache ist ja auch folgende: Die Kritik an den Sozialen Medien hat viele Dimensionen, wovon einige sehr valide und andere problematisch sind. Es gibt Menschen, die haben eine allgemeine Ablehnung gegen die Sozialen Medien, weil sie adultistisch sind, weil sie keine Ahnung davon haben, weil sie misogyn sind und Infuencer:innen hassen oder schlicht und ergreifend, weil das Medium nicht für sie gemacht ist. Und dann gibt es Menschen, die Soziale Medien zurecht kritisieren, weil diese viele Fakenews verbreiten und rechte Narrative schüren, abhängig machen, Einsamkeit fördern und einen zu übermäßigem, materiellen Konsum animieren. Soziale Medien - und damit meine ich vor allem Instagram und Tiktok - sind ein zweischneidiges Schwert. Ich liebe sie für alles, was sie mir in meinem Leben gegeben haben von Freundschaften, einer Community, Selbsterkenntnissen und Diagnosen (wie wäre ich sonst auf das Thema Neurodivergenz gekommen?) und natürlich vor allem mein Einkommen.

Wenn ich über den Suchtfaktor von Sozialen Medien spreche, dann tue ich das nicht nur als Konsumentin, sondern ebenfalls als Produzentin. Die allen voran auch noch ADHS hat und prädestiniert dafür ist, einer Dopamin-Maschine zu verfallen. Ich hatte nie eine Chance.

Seit ich Ende 2019 damit begonnen habe, aktiv auf Instagram zu werden, ist kein Tag vergangen, an welchem ich nicht täglich hunderte Male die App öffne und schaue, was es Neues gibt. Und Neues kann dabei nicht nur der Content von anderen Menschen sein, den ich mir stundenlang reinziehe, sondern auch das Hochladen meiner eigenen Storys und Beträge. Ich würde sogar argumentieren, dass die Kontrolle über die eigenen Zahlen - wie viele Menschen haben meine Story gesehen? Wie viele meinen Beitrag gelinkt? Wie viele neue Abos habe ich? - noch süchtiger macht als das Konsumieren anderer Inhalte. Während ich es mit Disziplin schaffen kann, nicht zu konsumieren und ich manchmal nicht einmal Lust habe, mir Sachen anzugucken, ist das Bedürfnis, den allgemeinen Status von meinem Konto zu checken, überwältigend groß. Ich weiß nicht, ob das nur daran liegt, dass ich mein Geld mit Instagram verdiene, aber ich kenne auch Menschen, die hobbymäßig Content hochladen und ebenfalls pausenlos schauen, wer alles ihre Story schaut und wie viele Herzen sie bereits haben.

Ich glaube, die soziale Anerkennung durch Herzen und Likes kann jeden süchtig machen. Doch je größer der Kanal ist, je mehr Reichweite man bekommt und wenn man irgendwann anfängt, damit Geld zu verdienen, ist es schlichtweg um einen geschehen. Es kommt mir so vor, als müsste ich pausenlos kontrollieren, was passiert und mehr noch: Als könnte etwas Schlimmes passieren, sobald ich nicht alle fünf Minuten kontrolliere, was geschieht. Ich könnte zu viel oder zu wenig hochgeladen haben, einen Tippfehler übersehen oder versehentlich einen Radial Slur benutzt haben. Vielleicht habe ich einen Shitstorm, vielleicht wurde mein Beitrag gemeldet, gelöscht, vielleicht hat Instagram einfach meinen Account deaktiviert. Ich muss Kommentare beantworten, weil Menschen andernfalls nicht wieder bei mir kommentieren werden und ich muss jede Nachricht zu Werbung beantworten und mich bedanken, wenn jemand meinen Post teilt und überhaupt für meine Community da sein. Präsenz zeigen. Hallo, ich bin da, vergesst mich nicht.

Das Konglomerat aus Dopaminhit durch Konsum, Likes, Reichweite und monetärer Vergütung für vorherige, ist eine toxische Mischung. Ich bin süchtig nach Instagram. Aber ich bin vor allem süchtig nach meinem Smartphone. Es ist mein größter Schatz, mein Trost, mein Baby. Ich habe es nicht nur 24 Stunden am Tag ganz nahe bei mir, sondern entsperre es auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wenn ich meine Kolumne schreibe und kurz stocke, weil ich nicht weiß, wie ich den nächsten Absatz beginnen soll, öffne ich mein Smartphone. Wenn ich gelangweilt von meiner Arbeit bin, eine Aufgabe hinausschieben möchte, eine Serie mich nicht genug stimuliert, ich spaziere, auf der Toilette sitze, ein paar Minuten oder Sekunden auf etwas warte, wenn mein Freund und ich uns kurz nichts zu sagen haben oder eine Unterhaltung mich nicht ausreichend stimuliert, bin ich an meinem Handy. Ich halte keine Langeweile aus. Ich halte keine Einsamkeit, keinen Leerlauf, kein Warten aus.

Wie viel davon durch meine ADHS bedingt ist und wie viel durch meine Handy- und Social-Media-Sucht, kann ich nicht sagen. Beides befruchtet sich gegenseitig jedenfalls ganz hervorragend und ich habe machmal das Gefühl, ich habe keinerlei Resilienzen für Zeiten, in denen nichts passiert, weil ich sofort die Stimulation brauche. Nun bin ich -  eben durch meine ADHS - noch nie der Typ Menschen gewesen, der einfach so durch den Wald spazieren kann und so genug unterhalten wird. Ich hatte schon immer rasende Gedanken und Grübelprobleme, die mich belasten und am einfachsten mit einem äußeren Stimulus bekämpft werden können. Ich war schon immer ungeduldig, konnte nicht warten und habe jede Art von Leerlauf als schrecklich empfunden. Doch früher gab es Zeiten, in denen ich nichts zu tun hatte oder in denen ich auf eine Sache gewartet habe oder sogar Langeweile hatte und dann etwas daraus gemacht habe. Mir eine Beschäftigung gesucht habe.

In ihrer Podcast Episode erzählt Jacko davon, dass Gefühle wie Langeweile, Einsamkeit oder Verdrießlichkeit kaum noch aktiv aufkommen oder gefühlt werden, weil wir bei jeder Kleinigkeit direkt ans Handy gehen. Wir denken nicht, dass wir einsam sind, weil wir digital mit allen Menschen der Welt verbunden sind, weil wir unser Leben in unserem kleinen Handy führen, während wir eigentlich gar nicht leben.

So dramatisch und schmerzhaft das auch klingt, kann ich ihr nur zustimmen. Ein großer Teil meines Lebens findet auf 6 Zoll statt. Ich führe meine Freundschaften zu einem großen Teil digital, bin verbunden mit Menschen von Instagram und bin manchmal an einem Tag im Austausch mit Hunderten Menschen. Und so sehr ich auch schätze, dass mir Instagram Menschen in mein Leben gebracht hat, die ich liebe und schätze und die mir ähnlich sind und die Möglichkeit geben, im Kontakt mit Personen zu sein, die leider nicht in meiner Gegend wohnen. So sehr ich die Vorteile sehe, digital sozial zu sein. So sehr habe ich sowohl als Konsumentin als auch als Creatorin oft das Gefühl, dass mich die vielen verschiedenen Meinungen, Eindrücken und Geschehnisse, die ich durch mein Handy erlebe, psychisch wahnsinnig machen.

Womit wir tatsächlich bei den Konsequenzen von einem wahnsinnig hohen Handy- und Social-Media-Konsum angekommen sind. Die Konsequenzen, die ich jahrelang nicht ernstgenommen habe und als normale Begebenheit eines modernen Lebens in der Großstadt als Millenial mit einem digitalen Homeoffice-Job angesehen habe. Und die ich mir als Mensch, der von den Sozialen Medien lebt, ebenfalls nicht eingestehen wollte. Ich kann doch nicht kritisieren, was mir meine Miete bezahlt. Und erst Recht nicht vor anderen Menschen, die dann gegebenenfalls meine Inhalte nicht mehr konsumieren.

Jeden Tag mit Hunderten von Meinungen, Nachrichten aus aller Welt, Ansichten und Erfahrungen anderer konfrontiert zu sein - die sich mitunter komplett wiedersprechen - ist belastend auf eine Art, die sich in das Leben schleicht, ohne dass man es merkt. Schlechte Nachrichten, Kriege, Wahlergebnisse aus der Hölle, Sexismus, Rassismus, Transfeindlichkeit, Femizide werden mir jeden Tag mehrfach in meinen Alltag gespült. Und ich fühle mich wie ein Schwein, wenn ich weiterscrolle, weil ich nicht kann, weil ich nicht mal die emotionalen Kapazitäten habe, mir das aus Tausenden Kilometern Entfernung als Unbeteiligte anzusehen. Unglücke, Naturkatastrophen und Kriege wechseln sich ab mit Tipps und Ratschlägen, wie ich mein Leben verbessern, mehr Geld verdienen, stärker und schöner werden kann und was andere alles so vor acht Uhr morgens schaffen. Meine Wohnung ist nicht groß genug, ich bin politisch nicht aktiv genug, die Welt wird in fünffacher Hinsicht untergehen, Klimawandel, Nazi-Parteien auf der gesamten Welt, der Hass nimmt zu, Kinder wissen nicht mehr, wie man einen Stift in der Hand hält, aber dieser Hund freut sich wirklich, seinen Besitzer endlich wiederzusehen.

Und neben den unpersonalisierten Nachrichten gibt es noch die personalisierten die vielen verschiedenen Ansichten zu mir und meinem Leben und meinem Alltag. Tipps, die ich beachten soll und Menschen, die sich Hilfe von mir erhoffen, die ich nicht enttäuschen will. Menschen, die ich dennoch enttäusche, Erwartungen und Ansichten: vegan ist toll, vegan ist privilegiert, du bist nicht vegan genug. Was ist mit dieser Petition? Ich will allen gerecht werden, lechze nach mehr Input von anderen, will alles haben und breche darunter zusammen.

Ich kann natürlich nur von mir sprechen und bin damit natürlich nicht die gängige Social-Media-Nutzerin, die sich auch einmal dazu entscheiden kann, einen „digital detox“ zu machen. Ich bin seit vielen Jahren jeden Tag über Stunden bei Instagram oder Tiktok zum Arbeiten und Konsumieren, meistens freiwillig, manchmal auch unfreiwillig. Meine Sucht zeigt sich darin, dass ich nach kurzer Zeit nervös werde, wenn ich nicht bei Instagram hineingucke und dass ich mindestens die Hälfte der Zeit, wo ich Instagram öffne, unterbewusst auf die App gedrückt habe. Egal, warum ich mein Handy in die Hand nehme, ich lande früher oder später bei Instagram. Alleine diese Kontrolllosigkeit ist an sich schon einmal bedenklich. Alle Dinge, für die man sich nicht bewusst entscheidet und bei denen man denkt, dass der Körper sie quasi ohne Erlaubnis durchführt, sollte man einmal analysieren.

Schlimmer als das finde ich aber die Tatsache, dass der „Status“ meines Instagram Accounts einen großen Teil meiner Stimmung ausmacht. Wenn ich aufwache, auf mein Handy schaue und „nur“ drei neue Abos habe - oder gar keine! - wird es kein guter Tag und ich bin quasi im Dopamin-Minus. Ich bin enttäuscht und beschämt, wenn ein Beitrag vor mir nicht „performt“ und kann nur befriedigt werden, wenn Content von mir über alle Erwartungen, die ich hatte, hinaus erfolgreich wird. Mein Selbstwert, meine Stimmung und meine Motivation sind abhängig davon, wie wie Menschen meine Story gucken, wie hoch die Views bei einer Werbung waren, wie viele Nachrichten ich bekomme. Es ist unmöglich zu rekapitulieren, wie viele Stunden, Tage, Wochen ich schon depressiv in meinem Bett lag und sowohl mich als auch meine gesamte berufliche Existenz angezweifelt habe. Das Gefühl, unwichtig, peinlich, nicht genug und viel zu klein und unbedeutend auf Instagram zu sein verfolgt mich, seit ich 100 Abos hatte und ist immer noch genauso präsent mit 45.000 Abos. Ich glaube nicht, dass ich mich mit 100.000 Abos anders fühlen würde. Es ist niemals genug. Ich bin niemals genug. Gerade, wenn es mir mental nicht gut geht, öffne ich besonders häufig die App in der Hoffnung, dass ich wenigstens neue Abos habe. Eine Wohnung nicht bekommen? Schade, aber vielleicht habe ich ja wenigstens mal 46.000 Abos? Das zuzugeben und zu sagen, dass meine Lebensmotivation seit vier Jahren zu einem großen Teil von Mark Zuckerbergs App abhängt, fühlt sich erbärmlich an.

Die Zeit, die ich in den Sozialen Medien verbringe, fühlt sich ein wenig so an wie die Zeit, die ich früher betrunken war. Ein Wimpernschlag. Vielleicht habe ich deswegen so oft das Gefühl, dass mir die Zeit für Dinge fehlt, weil ich so viel bei Instagram und TikTok unterwegs bin. Fünf Minuten hier, sieben Minuten dort, es summiert sich.

Seit zwei Tagen versuche ich, meinen Umgang mit Instagram ein wenig bewusster zu gestalten. Und es fühlt sich merkwürdig an. Als wäre ich eine Alkoholikerin, die ihren ersten Drink versucht, immer später auf den Tag zu schieben. Ich bin angespannt und habe pausenlos das Gefühl, diszipliniert sein zu müssen. Wenn ich Instagram doch öffne, ist es wie ein Belohnung und Erleichterung, auf die ich eine Ewigkeit gewartet habe, dabei sind es vielleicht höchstens ein paar Stunden. Die App habe ich auf meine zweite Smartphone Seite geschoben und jedes Mal, wenn ich mein Handy entsperre, blinzele ich verwirrt auf den Bildschirm und frage mich, wo die rosa App ist, die mein Herz höher schlagen lässt. Mir fällt auf, dass ich teilweise nicht weiß, was ich tun soll (Gott sei Dank habe ich aktuell eine wirklich gute Fanfiction zum Lesen) und mir fällt auf, dass mir Menschen fehlen. Mir!

Ich bin zwar Autistin und wirklich wahnsinnig gerne alleine, aber auch ich habe irgendwann das Bedürfnis nach menschlichen Kontakten und Nähe. Und obwohl mir diese Tatsache schon früher aufgefallen ist und ich mein Homeoffice teilweise wirklich verfluche, fällt es mir noch einmal mehr auf, wenn ich nicht pausenlos die Story anderer Menschen sehe. Mehrere Menschen in meinem Umfeld haben mir schon einmal gesagt, dass ihnen nicht aufgefallen ist, dass sie mich schon länger nicht gesehen haben, weil sie jeden Tag meine Story gucken!

Ich kenne das Gefühl, wenn man denkt, jemandem nahe zu sein, weil man die Person digital verfolgt. Aber in Wahrheit ist das natürlich ein Trugschluss, denn wir bekommen dort in Wahrheit gerade mal ein paar Sekunden von einem Menschen mit und dann auch noch die kuratierte Internet-Persona. Es ist kein Ersatz für ein echtes Treffen, aber auch das ist einem oft nicht einmal bewusst. Vielleicht ist das das schlimmste an der Sucht: Dass die Konsequenzen einen zwar zerfressen, aber man es gar nicht merkt.

Sollte ich es schaffen, meinen Konsum tatsächlich zu reduzieren, werde ich sicher noch wesentlich bewusster und stärker mit der Tatsache konfrontiert werden, dass ich einen großen Teil meines Tages ganz alleine und mit der Verbesserung meiner Person und meines Jobs beschäftigt bin. Ich hoffe irgendwie darauf, dass ich durch die Langeweile und Leere, die ich dann das erste Mal richtig fühle, gezwungen bin, aus meiner Wohnung und mir selbst herauszukommen und mein Leben nicht mehr zu einem großem Teil auf einem Bildschirm zu leben.

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