Warum reagiert mein ADHS-Kind so extrem emotional?
Emotionale Dysregulation (ED), kognitive Neubewertung (CR) und Ausdrucksunterdrückung (ES): Ein tieferer Einblick mit Studienbezug
Die kürzlich veröffentlichte Studie „Emotion regulation strategy and its relationship with emotional dysregulation in children with attention-deficit/hyperactivity disorder: behavioral and brain findings“ (European Child & Adolescent Psychiatry, 17. Januar 2025) beleuchtet, warum Kinder mit ADHS oft Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu regulieren. Im Folgenden erkläre ich die zentralen Begriffe und Ergebnisse der Studie ausführlicher.
Was ist emotionale Dysregulation (ED)?
Emotionale Dysregulation (ED) bedeutet, dass es schwerfällt, Emotionen auf eine flexible und situationsgerechte Weise zu steuern. Bei Kindern mit ED äußert sich das durch:
Übersteigerte emotionale Reaktionen: Schon kleine Auslöser können zu Wutausbrüchen, Tränen oder Frustration führen.
Probleme mit Beruhigung: Nach starken Gefühlsausbrüchen fällt es schwer, wieder in einen ausgeglichenen Zustand zu kommen.
Impulsivität: Gefühle wie Wut oder Freude werden oft ungefiltert und unmittelbar ausgedrückt, was zu Konflikten führen kann.
Die Studie zeigt, dass Kinder mit ADHS signifikant stärker von ED betroffen sind als Gleichaltrige ohne ADHS.
Wie regulieren wir normalerweise unsere Emotionen?
Emotionen werden oft durch bewusste Strategien reguliert. Die beiden untersuchten Hauptstrategien sind:
Kognitive Neubewertung (CR – Cognitive Reappraisal):
Bei dieser Strategie wird die Bedeutung einer Situation umgedeutet, um die damit verbundenen Gefühle zu verändern.
Beispiel: Ein Kind, das ausgelacht wird, könnte sich selbst sagen: „Vielleicht war das nur ein Witz und gar nicht böse gemeint.“
CR hilft, negative Gefühle frühzeitig abzuschwächen, bevor sie überwältigend werden.
Ausdrucksunterdrückung (ES – Expressive Suppression):
Hierbei versucht man, sichtbare Anzeichen von Gefühlen (z. B. Weinen, Schreien) zu kontrollieren, selbst wenn die inneren Gefühle gleich bleiben.
Beispiel: Ein Kind, das traurig ist, unterdrückt Tränen, um nicht vor anderen schwach zu wirken.
Beide Strategien sind wichtig für die emotionale Anpassung. CR wirkt präventiv, während ES kurzfristig soziale Konflikte reduzieren kann.
Was hat die Studie herausgefunden?
Die Studie untersuchte 148 Kinder mit ADHS (9–16 Jahre) und verglich sie mit 265 gesunden Kontrollkindern. Neben Fragebögen zu ED, CR und ES wurde auch die Hirnaktivität einer Untergruppe (via fMRI) analysiert.
1. Höhere emotionale Dysregulation bei ADHS
Kinder mit ADHS zeigten deutlich höhere ED-Werte als die Kontrollgruppe. Das bedeutet, dass ihre emotionalen Reaktionen intensiver und schwerer zu steuern sind.
2. Geringerer Einsatz von CR und ES bei ADHS
Kinder mit ADHS nutzen sowohl CR als auch ES weniger häufig und weniger effektiv.
Weniger CR: Kinder mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, ihre Gedanken so umzulenken, dass sie die emotionale Belastung reduzieren.
Weniger ES: Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigen Kinder mit ADHS eine geringere Fähigkeit, ihre sichtbaren Gefühlsausdrücke (z. B. Weinen oder Schreien) zu kontrollieren.
3. Zusammenhang zwischen CR und ED
Die Studie zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen CR und ED: Je weniger die Kinder CR einsetzen, desto stärker sind ihre Schwierigkeiten mit ED. CR könnte also ein Schlüssel sein, um ED bei Kindern mit ADHS zu verbessern.
4. Hirnentwicklung und ES
In der Hirnscan-Analyse fiel auf, dass Kinder mit ADHS eine abnormale Verbindung zwischen der rechten superfiziellen Amygdala (zuständig für emotionale Verarbeitung) und dem linken mittleren Okzipitallappen (verarbeitet visuelle Reize) aufweisen. Diese Auffälligkeit könnte erklären, warum sie ES weniger effektiv einsetzen können.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Hirnreifung eine wichtige Rolle spielt: Kinder mit ADHS haben möglicherweise eine verzögerte Entwicklung in den Bereichen, die für ES entscheidend sind.
Warum ist diese Forschung wichtig?
Diese Ergebnisse zeigen, dass emotionale Schwierigkeiten bei Kindern mit ADHS nicht nur Verhaltensprobleme sind, sondern auch biologische Grundlagen haben. Das Wissen über CR und ES kann helfen, gezielte Ansätze für den Alltag zu entwickeln.
CR fördern: Da CR direkt mit geringerer ED zusammenhängt, sollten Kinder dabei unterstützt werden, diese Strategie zu erlernen. Das kann z. B. durch Rollenspiele, Geschichten oder begleitete Selbstgespräche geschehen.
ED verstehen: Eltern und Lehrer sollten ED nicht als „schlechtes Benehmen“ werten, sondern als Ausdruck von Überforderung. Geduld und Verständnis sind wichtig.
Langfristige Unterstützung: Kinder mit ADHS brauchen Zeit, um Strategien wie CR oder ES zu entwickeln. Ihre Gehirnentwicklung läuft oft langsamer in diesen Bereichen, was zusätzliche Geduld erfordert.
Wie sind DEINE Erfahrungen ? Was hilft deinem Kind ? Wie wirken ADHS-Medikamente auf die Emotionale Dysregulation ? Was kann man sonst machen ?
Quellenangabe
Liu, Q., Feng, Y., Chen, W., Zhu, Y., Preece, D. A., Gao, Y., Luo, X., Dang, C., Wang, Y., Sun, L., & Liu, L. (2025). Emotion regulation strategy and its relationship with emotional dysregulation in children with attention-deficit/hyperactivity disorder: behavioral and brain findings. European Child & Adolescent Psychiatry.