Von Minipaniken bei ADHS
Minipaniken bei ADHS im Erwachsenenalter: Unterschiede zu Panikstörungen mit Agoraphobie und Somatisierungsstörungen
Vorweg : Meine Psychologen in der Klinik (und meine Chefarztkollegin) haben es im Augenblick echt nicht leicht mit mir. Ich sehe immerzu ADHS, wo doch eigentlich es sich auch gut um Somatisierungsstörungen, Angststörungen oder agitierte Depressionen handeln könnte bzw. aus Sicht der Kolleginnen glasklar handelt. Für mich ist das aber ganz und gar nicht “glasklar”, sondern alles andere als leicht zu differenzieren. Wer bei uns in der Psychosomatischen Klinik “landet” hat ja in der Regel schon eine längere Vorgeschichte von frustranen Diagnostik - und Therapieversuchen. Und nicht selten sind es dann Frauen, die es alleinerziehend mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen zu tun haben und mit einer Mischung von verschiedensten Überlastungssymptomen / Somatisierungsstörungen bzw. auch Schmerzzuständen, Depressionen und Ängsten vor Versagen in die Therapie kommen.
Und spätestens wenn ein Phänomen wie “Minipaniken” dann auch im klinischen Umfeld auffallen, werde ich dann doch innerlich kribbelig und stelle die bisherigen Diagnosen mal so komplett auf den Kopf und komme auf die aus Sicht meiner Kollegen völlig abwägige Idee, Angstpatienten oder Patienten mit Hypochondrie oder Somatisierungssstörungen mit Psychostimulanzien zu behandeln….. Warum ????
Um einer nicht betroffenen Person das Erleben einer Minipanik bei ADHS anschaulich zu beschreiben, könnte man folgende Metapher verwenden:
Die Metapher des „platzenden Luftballons“
Stellen Sie sich vor, Sie tragen den ganzen Tag lang einen Luftballon bei sich. Dieser Luftballon symbolisiert Ihre emotionale Stabilität (oder eben emotionale Dysregulation). Bei einer Person mit ADHS ist dieser Luftballon jedoch besonders empfindlich und wird im Laufe des Tages durch verschiedene Situationen und Reize immer weiter aufgepumpt.
Nun, stellen Sie sich vor, dass dieser Ballon immer praller wird. Jeder kleine Reiz, jede unerwartete Schwierigkeit fügt mehr Luft hinzu, bis der Ballon so angespannt ist, dass schon eine winzige zusätzliche Belastung – sei es ein verlorener Schlüssel oder ein plötzlicher lauter Lärm – genügt, um den Ballon zum Platzen zu bringen.
Das Platzen des Ballons ist die Minipanik: ein kurzer, aber intensiver Ausbruch von Angst, Überforderung und emotionalem Stress. In diesem Moment fühlt es sich so an, als ob die gesamte Welt zusammenbricht, obwohl die Situation objektiv (aus Sicht von Aussenstehenden) gesehen vielleicht nicht so schlimm ist. Man verliert den Boden unter den Füßen, obwohl ja “objektiv gar nichts passiert ist”.
Intensität und Kurzfristigkeit: Genau wie das Platzen eines Ballons ist die Minipanik bei ADHS intensiv und kurz. Sie tritt plötzlich auf, ist heftig und lässt genauso schnell wieder nach, hinterlässt aber ein Gefühl der Erschöpfung und manchmal Scham oder Frustration.
Unkontrollierbarkeit: Genau wie Sie nicht wissen, wann der Ballon platzen wird, haben Menschen mit ADHS oft keine Kontrolle darüber, wann diese Minipaniken auftreten. Es kann jederzeit passieren, wenn die Belastung zu groß wird.
Was sind Minipaniken bei ADHS?
Minipaniken bei ADHS sind also kurze, aber heftige Episoden von Angst und Überforderung. Diese sind oft situationsgebunden und können durch verschiedene Auslöser getriggert werden:
Unerwartete Situationen: Plötzliche Änderungen oder unvorhergesehene Ereignisse können Panik auslösen, da Betroffene sich unvorbereitet fühlen und Schwierigkeiten haben, schnell zu reagieren.
Frustration: Wenn Pläne oder Erwartungen nicht erfüllt werden, kann dies intensive Frustration und Panik hervorrufen. Diese Reaktion basiert oft auf einer langen Geschichte von Enttäuschungen und Versagenserfahrungen.
Überforderung: Zu viele gleichzeitige Anforderungen oder sensorische Reize können das Nervensystem überlasten, was zu einem Gefühl der Panik führt. Menschen mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, Reize zu filtern und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Misserfolge: Die Angst vor dem Scheitern, die durch frühere negative Erfahrungen verstärkt wird, kann Minipaniken hervorrufen. Diese Angst wird durch das ständige Bedürfnis, Erwartungen zu erfüllen, noch verstärkt.
Stresssituationen: Personen mit ADHS reagieren häufig empfindlicher auf Stress, was das Auftreten von Panikgefühlen verstärken kann. Schon geringe Stressoren können eine überproportionale Reaktion hervorrufen.
Soziale Situationen: Unsicherheiten im Umgang mit anderen Menschen oder negative soziale Erfahrungen können kurze Panikattacken auslösen. ADHS-Betroffene fühlen sich oft in sozialen Interaktionen unwohl und haben Angst vor Ablehnung.
Zeitdruck: Das Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen oder Termine nicht einhalten zu können, kann Panik auslösen. Zeitmanagement ist oft eine große Herausforderung für Menschen mit ADHS.
Unordnung oder Chaos: Unübersichtliche oder chaotische Umgebungen können Stress und Panik hervorrufen, da sie die Konzentrationsfähigkeit und das Gefühl der Kontrolle beeinträchtigen.
Entscheidungssituationen: Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen können zu kurzfristigen Panikzuständen führen. Die Angst, die falsche Wahl zu treffen, kann überwältigend sein.
Leistungsdruck: Hohe Erwartungen und Leistungsdruck können überwältigend wirken und Panik auslösen. Die ständige Angst, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, ist allgegenwärtig.
Unterschiede zu Panikstörungen mit Agoraphobie
Panikstörungen mit Agoraphobie sind durch wiederholte Panikattacken gekennzeichnet, die mit einer starken Angst vor Situationen einhergehen, in denen eine Flucht schwierig oder peinlich wäre oder keine Hilfe verfügbar wäre. Diese Angst führt oft zu starkem Vermeidungsverhalten und einer erheblichen Einschränkung des täglichen Lebens.
Wesentliche Unterschiede:
Dauer und Intensität: Panikattacken bei Panikstörungen dauern länger und sind intensiver als die kurzen Minipaniken bei ADHS. Panikattacken bei Agoraphobie können bis zu 30 Minuten oder länger anhalten und sind durch eine extreme körperliche und emotionale Reaktion gekennzeichnet.
Vermeidungsverhalten: Menschen mit Panikstörungen entwickeln oft starke Vermeidungsmuster, um Situationen zu meiden, die Panik auslösen könnten. Und sie entwickeln typischerweise die Angst vor der Angst, die dann weit schlimmer als die eigentlichen Panikattacken sind. Bei Minipaniken bei ADHS fehlt dieses langfristige Vermeidungsverhalten meist, da die Panik oft schnell vorübergeht und situationsspezifisch ist. Es ist eher die (realistische) Erwartung, das die nächste Kleinigkeit wieder zu so einer Überreaktion führen wird, die die Anspannung und ständige Unruhe erklärt und aufrecht erhält. Daraus resultiert eine Art Schonung, um nicht wieder in den nächsten “platzenden Ballon” zu geraten.
Ursache: Panikstörungen können ohne spezifischen Auslöser auftreten, während Minipaniken bei ADHS meist durch konkrete Situationen wie Überforderung oder Frustration getriggert werden.
Unterschiede zu Somatisierungsstörungen
Somatisierungsstörungen sind durch wiederholte körperliche Beschwerden ohne ausreichende medizinische Erklärung gekennzeichnet. Betroffene suchen häufig medizinische Hilfe und nehmen viele Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch, um eine Erklärung für ihre Symptome zu finden.
Wesentliche Unterschiede:
Beschwerdenbild: Somatisierungsstörungen sind durch eine Vielzahl körperlicher Beschwerden charakterisiert, während Minipaniken bei ADHS primär psychische und emotionale Symptome umfassen. Bei Somatisierungsstörungen stehen Symptome wie Schmerzen, Müdigkeit oder Magen-Darm-Probleme im Vordergrund.
Dauer: Körperliche Beschwerden bei Somatisierungsstörungen sind langanhaltend und chronisch, im Gegensatz zu den kurzfristigen Minipaniken bei ADHS, die in der Regel nur wenige Minuten dauern.
Fokus: Bei Somatisierungsstörungen steht die körperliche Symptomatik im Vordergrund, während bei Minipaniken die psychischen Symptome wie Angst und Überforderung dominieren. Betroffene mit Somatisierungsstörungen sind oft überzeugt, dass eine körperliche Erkrankung die Ursache ihrer Beschwerden ist.
Tipps zur besseren Differenzierung
Um Minipaniken von anderen Störungen abzugrenzen, können folgende Maßnahmen hilfreich sein:
Detaillierte Anamnese: Eine gründliche Erhebung der Krankengeschichte hilft, Auslöser und Dauer der Panikattacken zu identifizieren. Ein detailliertes Verständnis der Lebensumstände und der täglichen Herausforderungen kann wesentliche Hinweise liefern.
Symptomtagebuch: Patienten können ein Tagebuch führen, um Situationen und Auslöser für Minipaniken festzuhalten. Dieses Tagebuch sollte sowohl die emotionalen als auch die physischen Reaktionen dokumentieren.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Therapieform hilft, Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und Strategien zur Bewältigung zu entwickeln. KVT kann speziell darauf abzielen, die Stressbewältigung und die Frustrationstoleranz zu verbessern.
Psychoedukation: Aufklärung über die spezifischen Symptome und Auslöser von ADHS kann Betroffenen und Fachpersonen helfen, eine klarere Diagnose zu stellen. Wissen über die typischen Reaktionen und Herausforderungen bei ADHS kann das Verständnis und die Akzeptanz fördern.
Multidisziplinäre Zusammenarbeit: Ein integrativer Ansatz, der verschiedene Fachbereiche wie Psychologie, Neurologie und Medizin einbezieht, kann zu einer umfassenderen und präziseren Diagnose führen. Interdisziplinäre Teams können unterschiedliche Perspektiven und Behandlungsmöglichkeiten anbieten.
Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Therapie: Eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Therapieansätze hilft, die besten Ergebnisse zu erzielen und die Behandlung auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abzustimmen.
Also…
Minipaniken bei Erwachsenen mit ADHS sind kurze, intensive Angstzustände, die sich von Panikstörungen mit Agoraphobie und Somatisierungsstörungen deutlich unterscheiden. Durch gezielte Anamnese, Tagebuchführung und kognitive Verhaltenstherapie können diese Paniken besser identifiziert und behandelt werden. Eine klare Differenzierung ist entscheidend für eine adäquate Behandlung und Unterstützung.
Zusammenfassung
Minipaniken bei ADHS sind kurze, intensive Angstzustände, oft situationsbezogen.
Panikstörungen mit Agoraphobie beinhalten längere, intensivere Panikattacken und Vermeidungsverhalten.
Somatisierungsstörungen sind durch anhaltende körperliche Beschwerden ohne klare medizinische Ursache gekennzeichnet.
Detaillierte Anamnese und Symptomtagebuch helfen bei der Differenzierung.
Kognitive Verhaltenstherapie kann Denkmuster und Verhaltensweisen bei ADHS-bedingten Minipaniken adressieren.
Multidisziplinäre Zusammenarbeit unterstützt eine umfassende und präzise Diagnose.
Am 9.7. um 19 Uhr mache ich ja ein Webinar zu Emoflex und werde da auch den Einsatz von inneren Bildern und bilateraler Stimulation erklären.
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EMDR bei ADHS
Dazu passt dann auch ein Fachartikel, den ich gefunden habe als ich zum Einsatz von EMDR bei ADHS gesucht habe. Dabei geht es um den Einsatz bei belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse childhood events ACE). Genau dafür setze ich Emoflex eben auch täglich in der Klinik bei Klienten mit ADHS und Entwicklungstraumata ein
"Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) als mögliche evidenzbasierte Rehabilitationstherapieoption für einen Patienten mit ADHS und belastenden Kindheitserfahrungen: Eine Fallstudie"
Hintergrund: Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die eine Geschichte von belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs) haben, sind oft schwer mit herkömmlichen psychotherapeutischen Ansätzen zu behandeln. Diese Kinder können auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln oder signifikante traumatische Erlebnisse gehabt haben, die die Kerneigenschaften von ADHS verschlimmern und ein Risikofaktor für schlechte Behandlungsergebnisse darstellen können. Der Artikel untersucht erstmals den Einsatz von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) bei einem Patienten mit ADHS und ACEs.
Das Hauptziel des Artikels ist es, die Geschichte eines Patienten mit ADHS und belastenden Kindheitserfahrungen darzustellen, der erfolgreich mit dem EMDR-Ansatz behandelt wurde.
Einleitung: Belastende Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs) umfassen traumatische Erlebnisse während der Kindheit, die erhebliche Auswirkungen auf das biologische, psychologische und soziale Funktionieren der betroffenen Kinder haben können. Diese Erfahrungen werden normalerweise durch Personen verursacht, die eine Fürsorgerolle im Leben des Kindes spielen und können direkt (sexueller Missbrauch, psychischer Missbrauch, körperlicher Missbrauch und Vernachlässigung) oder indirekt (psychiatrische Erkrankungen, Todesfälle, Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit eines Elternteils) sein.
Definition von ACEs: ACE ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Formen von Missbrauch, Vernachlässigung und Dysfunktion im Haushalt umfasst:
Körperlicher Missbrauch: Schläge, Tritte oder andere körperliche Gewalt.
Sexueller Missbrauch: Jegliche Form von sexueller Gewalt oder unangemessenem sexuellen Verhalten.
Psychischer Missbrauch: Beschimpfungen, Bedrohungen oder andere Formen der emotionalen Gewalt.
Körperliche Vernachlässigung: Unzureichende Versorgung mit Nahrung, Kleidung oder medizinischer Versorgung.
Emotionale Vernachlässigung: Mangel an Zuwendung, Liebe und emotionaler Unterstützung.
Dysfunktion im Haushalt: Dazu gehören häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch eines Elternteils, psychische Erkrankungen im Haushalt, Trennung oder Scheidung der Eltern sowie Inhaftierung eines Familienmitglieds.
Auswirkungen auf ADHS-Kinder: Kinder mit ADHS sind besonders anfällig für die Auswirkungen von ACEs. Ihre erhöhte Empfindsamkeit und Reizoffenheit führen dazu, dass sie belastende Erlebnisse intensiver wahrnehmen und verarbeiten. Diese Erlebnisse können zu sogenannten "Nadelstichtraumata" führen, bei denen auch kleinere belastende Ereignisse aufgrund der hohen Empfindsamkeit als extrem traumatisch empfunden werden. Die Unfähigkeit zur Emotionsverarbeitung und Regulation verstärkt diese Wirkung zusätzlich, was zu einer Verschlimmerung der ADHS-Symptome und weiteren emotionalen und verhaltensbezogenen Problemen führen kann.
Beziehungsgeflecht zwischen ADHS und PTBS: Die Beziehung zwischen ADHS und posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) ist in den letzten Jahren von Interesse gewesen. PTBS wird gemäß den APA-Kriterien als komplexer klinischer Zustand definiert, der durch das Vorhandensein verschiedener klinischer Anzeichen gekennzeichnet ist, darunter beunruhigende Gedanken, Gefühle oder Träume im Zusammenhang mit den traumatischen Ereignissen, Vermeidung und traumaassoziierte Hyperarousal-Symptome. Epidemiologische Daten zeigen, dass PTBS die häufigste psychiatrische Störung im Zusammenhang mit Trauma darstellt. Oft können PTBS und ADHS verwechselt werden, da es eine hohe Überlappung der Symptome gibt. Die Komorbidität zwischen diesen beiden Zuständen ist in der Literatur gut dokumentiert und reicht über die Lebensspanne von 12% bis 37%.
Kinder mit PTBS weisen auch ein neuropsychologisches Profil auf, das auf eine beeinträchtigte Funktion des präfrontalen Kortex hinweist, einschließlich Defiziten in der aufrechterhaltenen Aufmerksamkeit, Impulsivität und schlechter Leistung bei kognitiven Maßen zur Bewertung des abstrakten Denkens/der Exekutivfunktion. Es ist unklar, ob Beeinträchtigungen der präfrontalen Funktion bei Kindern mit ACEs auf eine verzögerte Reifung des präfrontalen Kortex zurückzuführen sind, ähnlich wie bei Kindern mit ADHS, oder auf neuronale Schäden durch chronischen Stress.
Mehrere Studien haben hohe Raten von ADHS unter Kindern mit ACEs gezeigt. Eine Längsschnittstudie von Candelas und Kollegen deutet darauf hin, dass die umgekehrte Assoziation zwischen einer ADHS-Diagnose im Kindesalter und dem Auftreten von ACEs ebenfalls möglich ist. Eine andere Studie zeigte, dass Kinder mit ADHS eine höhere ACE-Exposition haben im Vergleich zu Kindern ohne ADHS. Diese Befunde deuten darauf hin, dass ADHS eine Rolle bei der Aufrechterhaltung des Kreislaufs kindlicher Belastungen spielen kann und unterstreichen die Notwendigkeit einer Behandlung.
Fallpräsentation: Ein brasilianisches Kind wurde im Alter von 3 Jahren in ein Waisenhaus eingeliefert und im Alter von 9 Jahren von einer italienischen Familie adoptiert. Das Kind hatte eine normale Entwicklung, jedoch eine belastete familiäre Geschichte, einschließlich des Todes der Mutter durch eine Überdosis und des Verlusts zweier Schwestern durch einen Autounfall. Mit 12 Jahren wurde bei ihm ADHS diagnostiziert und er begann eine kognitive Verhaltenstherapie (CBT) sowie später eine medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat. Aufgrund erneuter traumatischer Erfahrungen und emotionaler Schwierigkeiten wurde die Therapie auf EMDR umgestellt.
EMDR-Therapieprotokoll: EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine integrative Psychotherapie, die eine Vielzahl psychotherapeutischer Orientierungen kombiniert. EMDR basiert auf einem Informationsverarbeitungsmodell und verwendet standardisierte Protokolle und Verfahren, die Affekt, Kognition und Reaktion integrieren. Das EMDR-Verfahren besteht aus acht Phasen, die über mehrere Sitzungen hinweg durchgeführt werden. Diese Phasen sind:
Anamnese und Behandlungsplanung: In dieser Phase wird eine umfassende Anamnese erstellt und die zu behandelnden Zielerinnerungen identifiziert.
Vorbereitung: Der Therapeut erklärt dem Patienten die EMDR-Methode und bereitet ihn auf die Behandlung vor.
Bewertung: Der Therapeut identifiziert spezifische Zielerinnerungen und die damit verbundenen negativen Überzeugungen und Emotionen.
Desensibilisierung: Der Patient fokussiert sich auf die traumatische Erinnerung, während er bilaterale Augenbewegungen, Töne oder Berührungen durchführt, um die emotionale Reaktion auf die Erinnerung zu reduzieren.
Installation: Positive Überzeugungen und Emotionen werden verstärkt, um die ursprüngliche negative Überzeugung zu ersetzen.
Körpertest: Der Therapeut überprüft, ob die körperlichen Reaktionen auf die Zielerinnerung neutral sind.
Abschluss: Der Therapeut sorgt dafür, dass der Patient am Ende jeder Sitzung stabil und sicher ist.
Neubewertung: In den folgenden Sitzungen wird der Fortschritt überprüft und weitere Zielerinnerungen behandelt.
Behandlungsergebnisse: Nach 9 Monaten EMDR-Behandlung zeigte der Patient Verbesserungen in den Exekutivfunktionen und eine Verringerung der emotionalen Dysregulation. Die Behandlung zielte auf spezifische traumatische Erinnerungen ab und führte zu einer Verbesserung der kognitiven und emotionalen Funktionen.
Diskussion: Die Symptome von ADHS und traumaassoziierten Störungen bei heranwachsenden Kindern weisen bestimmte Ähnlichkeiten auf. Sowohl bei ADHS als auch bei PTBS gibt es Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitsaufrechterhaltung, Impulsivität und emotionale Dysregulation. Traumatische Erlebnisse und PTBS können die Symptome von ADHS verschlimmern und umgekehrt. In klinischen Praxen werden oft Symptome, die durch Traumata verursacht wurden, fälschlicherweise als ADHS diagnostiziert. Diese Fehlinterpretation kann durch das sogenannte "Overshadowing" verstärkt werden, bei dem die Traumasymptome so dominant sind, dass eine zugrundeliegende ADHS-Konstitution nicht erkannt wird. Die Unterscheidung zwischen ADHS und traumaassoziierten Symptomen ist daher von entscheidender Bedeutung, um eine präzise Diagnose und eine entsprechende Behandlung zu gewährleisten.
Schlussfolgerungen: EMDR könnte als potenziell nützliche ergänzende Behandlung für Kinder und Jugendliche mit ADHS und traumatischen Kindheitserfahrungen in Betracht gezogen werden. Zukünftige randomisierte klinische Studien sind erforderlich, um die Wirksamkeit von EMDR bei jungen ADHS-Patienten mit ACEs zu bestätigen.
Weitere Einsatzmöglichkeiten von EMDR bei ADHS: Neben der Behandlung von traumatischen Erinnerungen könnte EMDR auch bei folgenden Stressoren und Dysregulationserfahrungen bei ADHS eingesetzt werden:
Emotionale Dysregulation: EMDR könnte helfen, intensive emotionale Reaktionen zu modulieren und die emotionale Stabilität zu verbessern, indem es die Verarbeitung traumatischer Erinnerungen erleichtert und adaptive emotionale Reaktionen fördert.
Impulsivität: Durch die Bearbeitung zugrunde liegender emotionaler Trigger und traumatischer Erfahrungen könnte EMDR dazu beitragen, impulsives Verhalten zu reduzieren, indem es die neuronalen Netzwerke stärkt, die für die Impulskontrolle verantwortlich sind.
Angst und Depression: EMDR kann hilfreich sein, um komorbide Angststörungen und Depressionen, die häufig bei ADHS auftreten, zu behandeln, indem es die Verarbeitung von Angstauslösern und negativen Selbstwahrnehmungen verbessert.
Selbstwertprobleme: EMDR könnte eingesetzt werden, um negative Selbstwahrnehmungen und geringes Selbstwertgefühl, die oft bei ADHS auftreten, zu adressieren, indem es die Integration positiver Selbstüberzeugungen in das Gedächtnisnetzwerk fördert.
Schlafstörungen: Durch die Bearbeitung von stress- und traumaassoziierten Schlafproblemen könnte EMDR die Schlafqualität verbessern, indem es die emotionale Erregung reduziert und ein Gefühl der Sicherheit und Entspannung fördert.
Durch diese umfassenden Einsatzmöglichkeiten könnte EMDR dazu beitragen, die Lebensqualität von ADHS-Patienten signifikant zu verbessern und die Effektivität der Behandlung zu erhöhen. Indem es die Verarbeitung traumatischer Erinnerungen erleichtert und adaptive emotionale und kognitive Reaktionen fördert, könnte EMDR eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden Behandlungsansätzen für ADHS darstellen.
Aus meiner Sicht ist halt das Problem bei dieser Art von “Traumata”, dass es nicht einzelne Ereignisse sind, sondern eben quasi jeden Tag im Leben des Kindes bestimmte und noch heute im Erwachsenenalter bestimmt. Es ist wie eine stickige Luft oder ungünstige Wachstumsbedingungen. Hier habe ich halt mit Emoflex bessere Erfahrungen gemacht, weil man dann nicht ein einzelnes Trauma sondern assoziativ damit vernetzte Erlebnisse lebenslang erfasst…
Fehlende Verfügbarkeit von Atomoxetin aufgrund von Nitrosaminen
Derzeit stehen viele Patienten und Apotheken vor einem erheblichen Problem: Atomoxetin (z.B. Strattera) ist kaum noch verfügbar. Dieser Mangel hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten und stellt Ärzte und Apotheker vor große Herausforderungen.
Hintergrund des Problems
Der Grund für die fehlende Verfügbarkeit von Atomoxetin liegt möglicherweise in neuen regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Nitrosaminverbindungen. Nitrosamine sind chemische Verbindungen, die in geringen Mengen als potenziell krebserregend gelten. Sie können während der Herstellung von Medikamenten als Nebenprodukte entstehen, insbesondere wenn bestimmte chemische Prozesse involviert sind.
Die europäischen und deutschen Gesundheitsbehörden, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), haben die Grenzwerte für Nitrosamine in Arzneimitteln angepasst, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Mehr Informationen zu den Risiken von Nitrosaminen und den regulatorischen Maßnahmen finden sich auf der Website des BfArM (Opens in a new window) und in einem Artikel der Tagesschau über Nitrat- und Nitritbelastungen in Lebensmitteln (Opens in a new window).
Auswirkungen auf die Produktion von Atomoxetin
Bei der Herstellung von Atomoxetin kommt es aufgrund bestimmter chemischer Reaktionen zur Bildung von Nitrosaminen. Die Anpassung der Grenzwerte hat nun zur Folge, dass die bisherigen Herstellungsverfahren überarbeitet werden müssen, um die neuen Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Dies ist ein komplexer und zeitaufwendiger Prozess, der von den Herstellern zunächst entwickelt und validiert werden muss.
Aktuell sind viele Hersteller nicht in der Lage, Atomoxetin zu produzieren, das den neuen Grenzwerten entspricht. Dies führt zu einer drastischen Verknappung des Medikaments auf dem Markt.
Auswirkungen auf Patienten und Behandler
Die eingeschränkte Verfügbarkeit von Atomoxetin ist eine ernsthafte Herausforderung für die Behandlung von ADHS-Patienten. Viele Betroffene sind auf dieses Medikament angewiesen, um ihren Alltag zu bewältigen. Die plötzliche Unterbrechung der Versorgung kann zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen.
Ärzte und Apotheker stehen vor dem Problem, Alternativen zu finden, die nicht immer gleichermaßen wirksam sind oder individuell gut vertragen werden. Diese Situation ist besonders frustrierend, da die Behandler wenig Einfluss auf die Liefer- und Produktionsprobleme haben.
Weiterführende Recherche und Ausblick
Für detailliertere Informationen und aktuelle Entwicklungen sollten Betroffene und Behandler die Mitteilungen der Gesundheitsbehörden verfolgen und sich regelmäßig mit Apotheken und Ärzten austauschen. Die Entwicklung neuer Herstellungsverfahren für Atomoxetin wird einige Zeit in Anspruch nehmen, daher ist Geduld gefragt.
Es bleibt zu hoffen, dass die Hersteller bald Lösungen finden, um die Produktion wieder aufzunehmen und die Versorgung der Patienten sicherzustellen. In der Zwischenzeit ist es wichtig, alternative Behandlungsstrategien zu prüfen und den Dialog mit den Betroffenen offen zu halten.
Aufmerksamkeitslücken und ADHS (vorsicht, nicht ganz ernst)
Stellen Sie sich vor, Sie fahren die Straße entlang, in Gedanken vertieft über den Sinn des Lebens oder einfach nur darüber, warum die Tomatensuppe immer so sauer schmeckt. Plötzlich taucht ein Stoppschild auf – oder besser gesagt, es hätte auftauchen sollen. Sie haben es nicht gesehen.
Dabei sind sie schon zigmal da langgefahren, sonst war es ja immer da. Und jetzt nicht… Warum? Weil Ihr Gehirn gerade damit beschäftigt war, ein mentales Labyrinth aus Monstern des Alltags und To-Do-Listen zu durchqueren.
Willkommen in der wunderbaren Welt der Aufmerksamkeitslücken und ADHS!
Diese Aufmerksamkeitslücken, die uns die offensichtlichsten Dinge übersehen lassen, sind nicht einfach nur kleine Aussetzer. Sie sind das Resultat einer Überlastung unserer kognitiven Kapazität. Der Präfrontalkortex, unser Hirn-Dirigent, versucht verzweifelt, das Chaos zu ordnen, während im Hintergrund das Konzert des Lebens in voller Lautstärke spielt.Je (Opens in a new window) lauter dieser Lärm, desto schlimmer die Aussetzer.
Und dann haben wir ADHS – das Sahnehäubchen auf unserem neuropsychologischen Kuchen. ADHS sorgt dafür, dass unser Gehirn von einem Gedanken zum nächsten springt, wie ein auf Koffein getrimmter Hase. Menschen mit ADHS können sich nicht nur schwer konzentrieren, sie haben auch die Angewohnheit, Dinge zu verlegen – sei es der Schlüssel, das Handy oder manchmal auch der eigene Verstand.
Im hektischen Alltag von Zoom-Meetings und der Suche nach der neuesten Diät (ist Keto noch angesagt oder doch Paleo?), ist es erstaunlich, dass wir überhaupt etwas auf die Reihe bekommen, oder? Jedenfalls staune ich da immer wieder über mich selbst, dass man bei den ganzen Sprüngen und Ablenkungen dann noch Inhalt zwischen den Lücken wieder erfasst.
Einge von uns füllen die Lücken ganz passabel über Konfabulation, d.h. sie erfinden die Wahrheit zwischen den Fragmenten der Erinnerungen.
Vielleicht sollten wir uns alle eine Pause gönnen, tief durchatmen und uns daran erinnern, dass das Leben nicht nur aus den großen Dingen besteht, die wir verpassen könnten, sondern auch aus den kleinen Momenten der Klarheit, wenn wir den Lärm um uns herum für einen Augenblick abschalten können.
Also, liebe Freunde, lasst uns die Komplexität unserer Gehirne feiern. Sie sind trotz all ihrer Macken und Aussetzer immer noch das Wunderbarste, das die Evolution je hervorgebracht hat – auch wenn sie manchmal ein Stoppschild übersehen. Denn am Ende des Tages sind es diese kleinen Unvollkommenheiten, die uns menschlich machen.Also, auf ein Punkt mehr in Flensburg…
ADHS-Medikamente und Lebensqualität
Diese Studie befasst sich mit der Wirksamkeit von Medikamenten zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und deren Einfluss auf die Lebensqualität (Quality of Life, QoL) der Betroffenen. Die wichtigsten Erkenntnisse und Hintergründe werden im Folgenden erläutert.
Ziel der Studie
Forscher wollten herausfinden, ob sowohl Stimulanzien als auch Nicht-Stimulanzien, die zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können. Dabei wurde untersucht, ob es Unterschiede in der Wirksamkeit dieser beiden Medikamentengruppen gibt.
1. Systematische Überprüfung und Meta-Analyse:
- Systematische Überprüfung: Dabei werden viele Studien zu einem bestimmten Thema gesammelt und analysiert, um ein umfassendes Bild zu erhalten.
- Meta-Analyse: Hierbei werden die Daten aus verschiedenen Studien statistisch zusammengefasst, um eine Gesamtaussage treffen zu können.
2. Studiendaten:
- Es wurden 17 randomisierte kontrollierte Studien analysiert, an denen insgesamt 5388 Personen teilnahmen.
- Die Studien umfassten sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche.
- Teilnehmer wurden zufällig entweder einer Medikamentengruppe oder einer Placebogruppe zugeordnet.
3. Diagnosekriterien:
- Diagnosen von ADHS wurden anhand anerkannter Kriterien gestellt, entweder nach dem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) oder den ICD-Codes (International Classification of Diseases).
Ergebnisse der Studie
1. Verbesserung der Lebensqualität:
- Stimulanzien (z.B. Amphetamine und Methylphenidat) und Nicht-Stimulanzien (z.B. Atomoxetin) zeigten signifikante Verbesserungen der Lebensqualität im Vergleich zu Placebos.
- Amphetamine: Mittlere Verbesserung (Hedges g, 0.51; 95% CI, 0.08-0.94; P = .023).
- Methylphenidat: Kleine bis moderate Verbesserung (Hedges g, 0.38; 95% CI, 0.23-0.54; P < .001).
- Atomoxetin: Kleine Verbesserung (Hedges g, 0.30; 95% CI, 0.19-0.40; P < .001). Diese Wirkung war unabhängig von der Dauer der Behandlung und zeigte sich bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen.
- Guanfacin zeigte eine Verbesserung der Lebensqualität bei Erwachsenen, Modafinil hingegen nicht.
2. Bewertung der Studienqualität:
- Mit Hilfe des Cochrane Risk of Bias Tools 2 wurde das Risiko von Verzerrungen bewertet.
- 33% der Studien hatten ein hohes Risiko für Verzerrungen, während 44% gewisse Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit aufwiesen.
Bedeutung der statistischen Werte
- Hedges g: Dies ist ein Maß für die Effektgröße, also die Stärke des Effekts der Behandlung. Ein höherer Wert zeigt eine größere Verbesserung an.
- 95% Konfidenzintervall (CI): Dieser Bereich gibt an, wo der wahre Effekt mit 95% Wahrscheinlichkeit liegt. Ein engeres Intervall bedeutet eine präzisere Schätzung.
- P-Wert: Gibt an, ob die Ergebnisse statistisch signifikant sind. Ein P-Wert kleiner als 0.05 zeigt, dass die Ergebnisse sehr wahrscheinlich nicht zufällig sind.
Wie wird die Lebensqualität gemessen?
Die Lebensqualität in solchen Studien wird oft durch standardisierte Fragebögen gemessen, die verschiedene Aspekte des täglichen Lebens und Wohlbefindens erfassen. Diese können folgende Bereiche umfassen:
- Psychisches Wohlbefinden: Gefühle von Glück, Zufriedenheit und emotionalem Stress.
- Physische Gesundheit: Körperliche Beschwerden und allgemeine Fitness.
- Soziale Beziehungen: Qualität und Anzahl sozialer Kontakte, Unterstützung durch Familie und Freunde.
- Berufliche und schulische Leistung: Erfolg und Zufriedenheit im Beruf oder in der Schule.
Einordnung der Ergebnisse
Die Studie zeigt, dass ADHS-Medikamente nicht nur die Kernsymptome von ADHS (wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität) lindern, sondern auch die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können. Dies ist besonders wichtig, da Menschen mit ADHS häufig eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu neurotypischen Personen haben.
Die Forscher empfehlen, zukünftige Studien durchzuführen, um zu untersuchen, ob eine Kombination aus medikamentösen und nicht-medikamentösen Behandlungen die Lebensqualität noch weiter verbessern kann. Hierbei könnten zum Beispiel Verhaltenstherapien, Coaching oder andere unterstützende Maßnahmen berücksichtigt werden.
Diese detaillierte Zusammenfassung soll helfen, die Ergebnisse und deren Bedeutung besser zu verstehen und einzuordnen.
Bellato A, Perrott NJ, Marzulli L, Parlatini V, Coghill D, Cortese S. Systematic review and meta-analysis: effects of pharmacological treatment for attention-deficit/hyperactivity disorder on quality of life (Opens in a new window). J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. Published online May 29, 2024. doi:10.1016/j.jaac.2024.05.023
Cognitive Disengagement Syndrome (CDS): Symptomatik, Risikofaktoren und Abgrenzung zu ADHS
Einleitung
Cognitive Disengagement Syndrome (CDS), früher als Sluggish Cognitive Tempo (SCT) bekannt, ist ein relativ wenig erforschtes Syndrom, das oft in Verbindung mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) vorkommt. Eine aktuelle Studie beschäftigt sich mit Risikofaktoren.
Symptomatik von CDS
CDS ist gekennzeichnet durch:
Innere Ablenkung: Betroffene verlieren sich häufig in Tagträumen und scheinen "abwesend" zu sein.
Mentale Verwirrung: Schwierigkeiten, klar zu denken oder fokussiert zu bleiben.
Hypoaktivität: Lethargie und geringe Energie, was sich oft in einem verlangsamten Tempo und weniger Aktivität äußert.
Diese Symptome unterscheiden sich von den typischen Symptomen der ADHS, die vor allem Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität umfassen.
Risikofaktoren für CDS
Die Studie von Wiggs et al. (2024) untersuchte verschiedene pränatale und frühkindliche Risikofaktoren, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für CDS-Symptome verbunden sind. Hier sind die wichtigsten Ergebnisse:
Pränatale Risikofaktoren
Ungeplante Schwangerschaften: Kinder, die aus ungeplanten Schwangerschaften stammen, hatten ein 60% höheres Risiko für CDS.
Späte Schwangerschaftserkennung: Wenn die Schwangerschaft erst nach sechs Wochen erkannt wurde, erhöhte sich das Risiko für CDS um 47%.
Teenager-Elternschaft: Sowohl Mütter als auch Väter, die im Teenageralter Eltern wurden, erhöhten das Risiko für CDS bei ihren Kindern um etwa 90%.
Erkrankungen und Komplikationen während der Schwangerschaft
Schwere Übelkeit und Erbrechen: Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft unter schwerer Übelkeit litten, hatten ein 2,28-fach höheres Risiko für CDS.
Präeklampsie/Toxämie: Dies war mit einem mehr als doppelt so hohen Risiko für CDS verbunden.
Schwere Anämie und Harnwegsinfektionen: Beide Bedingungen verdoppelten das Risiko für CDS.
Substanzgebrauch während der Schwangerschaft
Illegale Drogen: Der Konsum illegaler Drogen während der Schwangerschaft war der stärkste Prädiktor für CDS, mit einem fast dreifach erhöhten Risiko.
Tabak: Rauchen während der Schwangerschaft erhöhte das Risiko für CDS um 90%.
Verschreibungspflichtige Medikamente: Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft verschreibungspflichtige Medikamente einnahmen, hatten ein 1,62-fach höheres Risiko für CDS.
Geburts- und Entwicklungsfaktoren
Blau bei der Geburt und Atemprobleme: Kinder, die bei der Geburt blau waren oder nicht sofort atmeten, hatten ein mehr als doppelt so hohes Risiko für CDS.
Späte motorische und sprachliche Entwicklung: Kinder, die später als ihre Altersgenossen motorische und sprachliche Meilensteine erreichten, hatten ein mehr als 2,5-fach höheres Risiko für CDS.
Abgrenzung zu ADHS
Obwohl CDS und ADHS einige überlappende Symptome haben, gibt es wichtige Unterschiede:
ADHS: Charakterisiert durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Diese Symptome sind oft nach außen gerichtet und führen zu sichtbarem Verhalten.
CDS: Charakterisiert durch innerlich gerichtete Symptome wie Tagträumen, mentale Verlangsamung und hypoaktive Verhaltensweisen. Diese Symptome sind oft weniger offensichtlich und können leicht übersehen werden.
Gemeinsame und unterschiedliche Risikofaktoren
Die Studie von Wiggs et al. (2024) zeigt, dass sowohl CDS als auch ADHS durch ähnliche pränatale und frühkindliche Risikofaktoren beeinflusst werden können, wie z.B. Substanzgebrauch während der Schwangerschaft und Schwangerschaftskomplikationen. Jedoch ist die genaue Art und Weise, wie diese Faktoren zu CDS im Gegensatz zu ADHS führen, noch nicht vollständig verstanden und bedarf weiterer Forschung.
Studienergebnisse im Detail
Methodik
Die Studie nutzte Daten der Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Studie, die eine repräsentative Stichprobe von 8096 Kindern im Alter von 9-10 Jahren umfasste. Die Eltern dieser Kinder gaben umfassende Informationen zu pränatalen, geburtlichen und frühkindlichen Faktoren sowie zur Entwicklung ihrer Kinder.
Wichtige Ergebnisse
Ungeplante Schwangerschaften: Kinder aus ungeplanten Schwangerschaften hatten signifikant höhere CDS-Symptome.
Pränatale Gesundheitsprobleme: Erhebliche Gesundheitsprobleme der Mutter während der Schwangerschaft, wie Präeklampsie und schwere Anämie, waren stark mit CDS verbunden.
Substanzgebrauch: Der Konsum illegaler Drogen während der Schwangerschaft zeigte die stärkste Assoziation mit CDS-Symptomen.
Geburt und Entwicklung: Geburtskomplikationen wie Blau bei der Geburt und späte Entwicklung von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten waren ebenfalls wichtige Prädiktoren für CDS.
Interpretation der statistischen Ergebnisse
Odds Ratio (OR): Ein Maß, das angibt, wie viel wahrscheinlicher ein Ereignis in einer Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe ist. Eine OR größer als 1 zeigt ein erhöhtes Risiko, während eine OR kleiner als 1 ein vermindertes Risiko anzeigt.
95% Konfidenzintervall (CI): Gibt den Bereich an, in dem der wahre Wert mit 95% Wahrscheinlichkeit liegt. Ein engeres CI zeigt eine präzisere Schätzung.
p-Wert: Zeigt an, ob die Ergebnisse statistisch signifikant sind. Ein p-Wert kleiner als 0.05 bedeutet, dass die Ergebnisse wahrscheinlich nicht zufällig sind.
Schlussfolgerungen und zukünftige Forschung
Die Studie unterstreicht die Bedeutung pränataler und frühkindlicher Faktoren für die Entwicklung von CDS. Zukünftige Forschungen sollten darauf abzielen, die genauen Mechanismen zu verstehen, durch die diese Faktoren das Risiko für CDS erhöhen, und wie sie sich von den Mechanismen unterscheiden, die zu ADHS führen. Insbesondere sollten Kombinationen von medikamentösen und nicht-medikamentösen Interventionen untersucht werden, um die Lebensqualität von Menschen mit CDS weiter zu verbessern.
Cognitive Disengagement Syndrome (CDS) ist eine eigenständige neuropsychiatrische Störung, die oft übersehen wird, da ihre Symptome weniger auffällig sind als die von ADHS. Die Identifizierung und das Verständnis der Risikofaktoren für CDS sind entscheidend für die Entwicklung effektiver Präventions- und Behandlungsstrategien. Die Ergebnisse der ABCD-Studie liefern wichtige Hinweise darauf, welche pränatalen und frühkindlichen Faktoren das Risiko für CDS erhöhen und bieten eine Grundlage für zukünftige Forschung in diesem Bereich.
Quelle : Wiggs KK, Cook TE, Lodhawala I, Cleary EN, Yolton K, Becker SP. Setting a research agenda for examining early risk for elevated cognitive disengagement syndrome symptoms using data from the ABCD cohort. Res Sq [Preprint]. 2024 Jun 10:rs.3.rs (Opens in a new window)-4468007. doi: 10.21203/rs.3.rs (Opens in a new window)-4468007/v1. PMID: 38947040; PMCID: PMC11213211.