ADHS Diagnose vortäuschen?
„Wahrheit oder Täuschung?“ – Wie neuropsychologische Tests die Diagnostik von ADHS bei Erwachsenen unterstützen können
Vorweg : Mir persönlich kommt es gar nicht in den Sinn, dass ich nun die Glaubwürdigkeit meiner Klienten in Sachen ADHS-Symptomatik anzweifele oder ihnen Simulation unterstellen würde. Warum sollte man sowas tun? Nur um an Stimulanzien zu kommen???? Da hatte ich seit 1998 vielleicht 2 oder 3 Studenten, die es aber auch so blöd angestellt haben, dass es weh tat.
Aber dennoch scheint es die Neuropsychologen zu beschäftigen.
Die Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Veränderte Symptome, Komorbiditäten und die Möglichkeit, Testergebnisse absichtlich zu beeinflussen, stellen hohe Anforderungen an Diagnostiker. Eine aktuelle Studie zeigt: Die Neuropsychologie kann wertvolle Beiträge leisten – hat jedoch auch klare Grenzen. In diesem Artikel erfahren Sie, wie neuropsychologische Tests bei der ADHS-Diagnostik eingesetzt werden können, welche Herausforderungen bestehen und welche Ergebnisse aktuelle Forschung bietet.
Was macht die ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter so schwierig?
ADHS, eine neuroentwicklungsbedingte Störung, äußert sich bei Erwachsenen oft anders als in der Kindheit. Hyperaktivität weicht häufig einer inneren Unruhe, während Inattention und Impulsivität dominanter werden. Hinzu kommen zahlreiche Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Substanzmissbrauch, die die Symptome verschleiern können.
Ein weiteres Problem: Erwachsene mit ADHS zeigen oft erhebliche Schwankungen in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit – ein Merkmal, das die Diagnostik erschwert. Gleichzeitig gibt es Personen, die ADHS vortäuschen, etwa um Vorteile zu erhalten, wie Nachteilsausgleiche oder Medikamente.
Neuropsychologie: Eine wichtige, aber nicht alleinige Lösung
Die Neuropsychologie setzt auf strukturierte Tests, um spezifische kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis oder Impulskontrolle zu bewerten. In der ADHS-Diagnostik spielen sogenannte Performance Validity Tests (PVTs) eine wichtige Rolle. Diese Tests sollen sicherstellen, dass die Ergebnisse die tatsächliche Leistungsfähigkeit der getesteten Person widerspiegeln und absichtliche Täuschungen erkannt werden können.
Die aktuelle Studie: „Once is enough!“
Eine 2024 veröffentlichte Studie (Dong et al., 2024) untersuchte, ob wiederholte PVTs zusätzliche Erkenntnisse bei der Diagnostik von ADHS im Erwachsenenalter bringen. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt:
ADHS-Gruppe: Erwachsene mit gesicherter ADHS-Diagnose.
Simulations-Gruppe: Personen, die instruiert wurden, ADHS vorzutäuschen.
Kontrollgruppe: Personen ohne ADHS.
Jede Person absolvierte dreimal dieselben Tests, darunter der Groningen Effort Test (GET) und der Reliable Digit Span (RDS). Ziel war es, zu untersuchen, ob die Konstanz der Ergebnisse über mehrere Zeitpunkte einen diagnostischen Mehrwert liefert.
Ergebnisse der Studie:
Einmal reicht aus: Die Testergebnisse blieben über drei Zeitpunkte hinweg stabil. Ein einmaliger Einsatz von PVTs war genauso aussagekräftig wie wiederholte Tests.
Auffälligkeiten bei Simulierenden: Die Simulations-Gruppe zeigte mehr Variabilität in bestimmten Testbereichen, insbesondere bei Kommissionsfehlern (falsches Reagieren auf nicht-relevante Reize).
Limitierter Nutzen von Wiederholung: Wiederholte Tests führten nicht zu besseren Unterscheidungen zwischen ADHS und simulierten Leistungen.
Wie gut sind neuropsychologische Tests für die ADHS-Diagnostik geeignet?
Die Studie bestätigt: Neuropsychologische Tests sind ein wichtiges Werkzeug, aber sie sind nicht unfehlbar. Ihre Stärken und Schwächen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Stärken:
Objektivität: Tests wie der GET messen kognitive Fähigkeiten unabhängig von subjektiven Einschätzungen.
Identifikation von Täuschung: PVTs helfen, simuliertes Verhalten zu erkennen.
Ergänzung zur Anamnese: Sie liefern konkrete Daten, die andere diagnostische Verfahren untermauern.
Schwächen:
Unspezifität: Viele Tests, wie der RDS, sind nicht speziell für ADHS entwickelt und können daher Fehldiagnosen begünstigen.
Begrenzte Sensitivität: Einige Tests erreichen nur Sensitivitätswerte von 35–63 % (z. B. RDS in der Studie von Dong et al.).
Beeinflussung durch externe Faktoren: Müdigkeit, Stress oder Komorbiditäten können die Ergebnisse verfälschen.
Weitere Forschungsergebnisse zur Neuropsychologie bei ADHS
Neben der aktuellen Studie gibt es weitere relevante Arbeiten, die die Rolle der Neuropsychologie bei der ADHS-Diagnostik beleuchten:
Continuous Performance Tests (CPTs):
Studien wie die von Fuermaier et al. (2022) zeigen, dass CPTs nützliche Daten zur Aufmerksamkeit und Impulskontrolle liefern können. Allerdings sind diese Tests zeitintensiv und erfordern eine sorgfältige Auswertung.Vergleich von PVTs:
Eine Meta-Analyse von Tucha et al. (2015) ergab, dass Tests wie der Word Memory Test (WMT) oder der Test of Memory Malingering (TOMM) begrenzt geeignet sind, da sie nicht speziell für ADHS entwickelt wurden.Die Rolle von Variabilität:
Die Studie von Boskovic et al. (2021) zeigt, dass selbst Personen, die simulieren, konsistente Ergebnisse über mehrere Tage liefern können, was die Validität von Wiederholungstests in Frage stellt.
Praktische Empfehlungen für Diagnostiker
Auf Basis der aktuellen Forschung lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:
1. Fokus auf spezifische Tests
Tests wie der GET, die speziell für ADHS entwickelt wurden, bieten höhere diagnostische Genauigkeit und sollten bevorzugt eingesetzt werden.
2. Einmalige Durchführung ist ausreichend
Eine einmalige Durchführung gut validierter PVTs reicht oft aus, um valide Ergebnisse zu erhalten.
3. Kombination von Methoden
Neuropsychologische Tests sollten nie isoliert betrachtet werden. Eine umfassende Anamnese, Berichte aus der Kindheit und klinische Interviews bleiben essenziell.
4. Vorsicht bei Fehldiagnosen
Testergebnisse können durch externe Faktoren wie Stress, Depression oder Schlafmangel beeinflusst werden. Diagnostiker sollten dies bei der Interpretation berücksichtigen.
Grenzen und Ausblick
Die Neuropsychologie ist ein mächtiges Werkzeug, hat jedoch klare Grenzen.
ADHS ist eine klinische Diagnose, es gibt natürlich nicht DEN Test oder DIE Ausschlussmethode.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass wiederholte Tests selten zusätzliche Informationen liefern. Gleichzeitig gibt es noch viele offene Fragen: Wie können neuropsychologische Tests weiterentwickelt werden, um spezifischer für ADHS zu sein? Und wie lassen sich simuliertes Verhalten und genuine kognitive Schwächen besser unterscheiden?
LG Martin 🧠💡🌈👥🗣️✨🔗🎨💬🚀
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Quellen:
Dong, H., Groen, Y., Pijnenborg, M., et al. (2024). Once is enough! An analogue study on repeated validity assessment in adults with ADHD. Applied Neuropsychology: Adult. DOI: 10.1080/23279095.2024.2431133 (Opens in a new window)
Fuermaier, A. B. M., et al. (2022). Continuous Performance Tests in ADHD Diagnosis. Clinical Neuropsychology.
Tucha, O., et al. (2015). Comparative Sensitivity of Performance Validity Tests. Neuropsychological Review.