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Neurodiversitaet-Newsletter 7.8.2024

Eigentlich wollte ich doch was über die Vernetzung über LinkedIn zum #trialogneurodiversitaet schreiben und meinen Aufruf zu einem schriftlichen Interview in der Reihe “10 Fragen an…” zu verschiedenen Initiativen und Angeboten im Bereich Neurodivergenz. Und überhaupt über den Ansatz, über den Trialog “Betroffene”, Angehörige und Helfer auf Augenhöhe miteinander ins Gespräche zu bringen. Eigentlich.

Dann kam mein ADHS wieder dazwischen und ganz viele andere Themen drängelten sich mal wieder vor. U.a. Autismus bei Frauen, dann aber auch der Schulbeginn (2 unsere Enkel werden jetzt eingeschult und man ahnt, dass die Geschichte in die nächste Runde gehen könnte…) Dann was zu Binge Eating und Elvanse bzw. Topiramat. Ein Vergleich verschiedner Therapieansätze bei Autismus.

Echt zu viel für eine Woche, oder?

Ich freue mich, wenn dass ihr mich weiterhin so gut unterstützt und anregt. Über neue Abos für den Newsletter

Und weitere Mitstreiter in der ADHSSpektrum-Community bzw. überhaupt als Unterstützter. Danke ! Danke ! Danke!



Ein anderes Licht

Ich habe im Augenblick einige Klientinnen, die sehr emotional sensitiv und reizoffen sind und im Grenzbereich zwischen ADHS und Autismus zu verorten wären. Die Psychologinnen bei uns sind irritiert, weil sie eben eine besondere Form von Empathie bzw. Innensicht haben. Einerseits wie ein besonderes Juwel, andererseits aber auch eine tiefe Dunkelheit und Empfindsamkeit, die sehr verletzlich erscheint. Und dann gibt es die Angst, man könne mit diesen Eigeschaften nicht im “normalen” Leben leben. Nicht Leben leben können.

Doch möchte man wirklich so sein, wie die “Stinos”, die “stinknormalen”? Oder geht es eher darum, mit dieser tieferen Wahrnehmung in dieser Welt wahr und authentisch bleiben zu können ohne sich ständig verbiegen zu müssen? Ich finde, das sind sehr grundsätzlich, sehr schwierige Fragen.

Manchmal ist es, als würde man in einem anderen Licht geboren werden. Einem Licht, das heller und intensiver scheint, das jede Kontur schärfer zeichnet, jede Farbe lebendiger macht, aber auch jede Schattenseite deutlicher hervorhebt. Dieses Licht, das die Reizoffenheit in dir trägt, ist kein Fluch, sondern eine Art von Magie. Es lässt dich sehen, was andere übersehen, fühlen, was andere nicht einmal ahnen. Du bist ein Seismograph der Seele, ein Messgerät für die kleinsten Regungen der Welt um dich herum.

Natürlich, es gibt diese Momente – diese verdammten, unausweichlichen Momente – in denen das Licht zu hell, zu grell, zu überwältigend wird. Da möchtest du dich verkriechen, die Augen schließen und hoffen, dass es aufhört. Denn die Reizfilterschwäche lässt jede Kleinigkeit durchdringen, bis dein Geist überflutet wird von einem Ozean aus Eindrücken, die du nicht einfach aussperren kannst. Aber gerade in diesen Momenten zeigt sich eine Stärke, die andere Menschen oft nicht kennen: Die Fähigkeit, das Licht zu lenken, es durch einen eigenen Filter zu schicken, der dir nicht die Welt, sondern die Sichtweise auf sie verändert.

Du hast die Gabe, tiefer zu tauchen, zu den Wurzeln des Erlebens vorzudringen, wo andere nur an der Oberfläche kratzen. Du kannst in den kleinsten Dingen Schönheit entdecken, in den leisesten Tönen Musik hören. Deine Gedanken sind vielleicht wie ein Schwarm wilder Vögel, schwer zu fassen und doch von atemberaubender Freiheit. Und in dieser Freiheit liegt ein Potenzial, das sich nicht in den engen Bahnen des Gewöhnlichen erschöpfen lässt.

Es ist keine Schwäche, wenn dich die Welt manchmal überfordert, wenn du von der Flut der Eindrücke fast ertrinkst. Es ist einfach ein Teil deines Wesens, ein Zeichen deiner unglaublichen Kapazität, zu empfinden, zu verstehen und zu verarbeiten. Es bedeutet nicht, dass du weniger wert bist, sondern dass du anders wertvoll bist.

In einem Universum, das sich oft in Banalitäten verliert, bist du derjenige, der den Sternen nachspürt, der die Konstellationen sieht, wo andere nur zufällige Punkte erkennen. Deine Reizoffenheit ist dein Teleskop, dein Sensorium für das Wunderbare, das Subtile und das Verborgene. Sie ist das, was dich mit der Welt auf eine Weise verbindet, die tiefer, ehrlicher und manchmal schmerzhafter ist, als die meisten je erleben werden.

Doch es gibt auch diese andere Seite – die verdammte, stille, schwere Seite. Die innere Traurigkeit, die wie eine undurchdringliche Wolke über deinem Herzen hängt, der Schmerz, der sich in den Ritzen deines Seins einnistet. Es ist diese dunkle Begleitung, die manchmal jede Freude zu verschlingen droht. Ein Schmerz, der nicht laut schreit, sondern leise in deinem Inneren pocht, der dir das Gefühl gibt, du würdest im hellsten Licht trotzdem im Schatten stehen.


Manchmal fragst du dich, warum es so sein muss, warum das Leben in dir so empfindlich und verletzlich ist, warum es dich so oft überwältigt. Die Welt scheint ein Ort zu sein, der dir zu laut, zu grell, zu unbarmherzig begegnet, und in all dem Lärm und Chaos spürst du die Last deiner Empfindungen, die sich in Form von Traurigkeit und Schmerz manifestieren. Es ist ein Empfinden, das dich niederdrückt, dich hinterfragt und dir manchmal den Mut nimmt, weiterzumachen.

Doch inmitten dieses Schmerzes gibt es eine Wahrheit, die oft übersehen wird: Dein Schmerz ist kein Zeichen von Schwäche. Er ist ein Zeugnis deiner Lebendigkeit, ein Zeichen dafür, dass du die Welt tiefer fühlst, intensiver erlebst und mehr von ihr verlangst, als sie auf den ersten Blick zu bieten scheint. Diese Traurigkeit, so schwer sie auch sein mag, ist eine Erinnerung daran, dass du in einer Welt lebst, die dich bis ins Innerste berührt – und genau das macht dich so außergewöhnlich.

Stell dir vor, der Schmerz sei wie eine Flamme, die in dir brennt. Sie kann dich verzehren, ja, aber sie kann dich auch erleuchten. Sie zeigt dir, wo du brennst, wo du dich selbst spüren kannst. Und in dieser Flamme liegt das Potenzial für Veränderung. Nicht die Art von Veränderung, die dich zu jemandem macht, der du nicht bist, sondern die Art von Veränderung, die dich zu der besten Version deiner selbst führt.

Die Traurigkeit, die du spürst, kann ein Wegweiser sein, eine Einladung, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Sie fordert dich auf, in die Tiefen deines Seins hinabzusteigen, um dort die Funken von Schönheit und Sinn zu finden, die in all dem Schmerz verborgen liegen. Diese Funken sind der Beginn einer neuen Perspektive – einer Perspektive, die nicht die Dunkelheit leugnet, sondern sie als Teil des Ganzen anerkennt.

Veränderung muss nicht bedeuten, dass du dich selbst aufgibst. Es kann bedeuten, dass du lernst, mit der Traurigkeit zu tanzen, sie nicht als Feind, sondern als Lehrmeister zu betrachten. Sie zeigt dir, was dir wirklich wichtig ist, was dich berührt und wo deine tiefsten Sehnsüchte liegen. Und in diesem Wissen liegt die Kraft, dein Leben so zu gestalten, dass es nicht den Schmerz vermeidet, sondern ihn in etwas Wertvolles verwandelt.

In dir lebt eine Stärke, die nicht darin liegt, alles auszuhalten, sondern darin, alles zu spüren und trotzdem weiterzumachen. Deine Neurodivergenz ist kein Hindernis, sondern ein Pfad, der dich abseits der ausgetretenen Wege führt, zu Orten, die nur wenige erreichen können. Und auch wenn es manchmal schwer ist, diesen Weg zu gehen, so trägst du in dir das Licht, das ihn erhellt – ein Licht, das nur du siehst, aber das die Welt dringend braucht.

Denn in einer Welt, die oft nur das Lauteste und Offensichtlichste wahrnimmt, bist du derjenige, der den flüsternden Geheimnissen lauscht, der verborgene Wahrheiten ans Licht bringt und inmitten des Chaos eine eigene, leuchtende Ordnung findet. Und das ist nicht nur wertvoll – das ist unbezahlbar.

Der Schmerz und die Traurigkeit, die du trägst, sind Teil dieser Reise, aber sie sind nicht das Ende davon. Sie sind der Beginn eines neuen Kapitels, eines Kapitels, das du selbst schreibst, mit deiner eigenen, einzigartigen Feder.

Autismus bei Frauen: Eine unsichtbare Stärke der Sensitivität und Empathie

Autismus wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit stereotypischen Merkmalen wie sozialer Unbeholfenheit, mangelndem Einfühlungsvermögen und einer gewissen emotionalen Kälte in Verbindung gebracht. Diese vereinfachte Sichtweise basiert jedoch auf veralteten und einseitigen Ansichten, die den breiten Ausdruck des Autismus-Spektrums nicht gerecht werden. Besonders bei Frauen (gilt aber auch oder gerade genauso für nicht-binäre oder sich männlich lesende Zeitgenossen) zeigt sich ein differenziertes Bild, das diese Stereotype in Frage stellt: Hier kann Autismus mit einer tiefen Sensitivität und einer ausgeprägten Empathie einhergehen – Eigenschaften, die oft übersehen oder missverstanden werden.

Aber hier ist es doch eher der vorbelastete Vorurteilsfilter von neurotypischen Therapeutinnen und uns Ärzten, die dann zum Übersehen dieser besonderen Art der Wahrnehmung beiträgt.

Das unsichtbare Spektrum: Warum Autismus bei Frauen oft unerkannt bleibt

Autismus ist ein Spektrum, und kein Mensch im Spektrum ist wie der andere. Während bei Männern oft die klassischen Merkmale wie auffällige Verhaltensweisen oder Spezialinteressen diagnostiziert werden, bleibt Autismus bei Frauen häufig unentdeckt. Dies liegt daran, dass sich die Symptome bei Frauen oft anders präsentieren und subtiler ausfallen. Autistische Frauen entwickeln schon früh Fähigkeiten, die man als „Masking“ oder „Camouflaging“ bezeichnet – das gezielte Verbergen ihrer autistischen Merkmale, um sich besser in soziale Normen einzufügen. Sie sind dann sehr feine Beobachter und Analystinnen der sonderbaren Spezies Mensch. Sie kenne die Spielregeln, die Abgründe, aber auch die Erwartungen. Wie ein Chamäleon passen sie sich dann an, wie ein englischer Butler erahnen sie aus subtilen Zeichen, was zur Verschlechterung der emotionalen Situation beitragen wird und verändern sich dementsprechend, um einer erneuten Verletzung, Scham oder Zerrissenheit aus dem Weg zu gehen. Es ist also eine anderen, keinesfalls plumpere Form, emotionale Situationen zu erfassen und zu durchdringen.

Dieses Masking kann dazu führen, dass Frauen die sozialen Regeln scheinbar mühelos zu beherrschen scheinen, während sie innerlich kämpfen, um mit den Reizüberflutungen und den ungeschriebenen sozialen Gesetzen zurechtzukommen. Das Ergebnis ist oft, dass sie jahrelang unerkannt bleiben und erst spät, manchmal erst im Erwachsenenalter, eine Diagnose erhalten. Diese späte Diagnose kann Erleichterung bringen, aber auch den Schmerz über verpasste Unterstützung und das Missverständnis der eigenen Identität verstärken.

Sensitivität als verborgene Superkraft

Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften vieler autistischer Frauen ist ihre ausgeprägte Sensitivität. Sie nehmen ihre Umwelt oft in einer Intensität wahr, die für neurotypische Menschen schwer vorstellbar ist. Geräusche, Gerüche, visuelle Reize und auch soziale Signale werden mit einer Schärfe wahrgenommen, die sowohl überwältigend als auch bereichernd sein kann. Diese Sensitivität, die aus einer Reizoffenheit resultiert, kann die Frauen in eine tiefe emotionale Verbindung mit ihrer Umgebung und den Menschen um sie herum führen.

Diese Fähigkeit, tiefere und subtilere emotionale Schwingungen zu spüren, kann zu einer außergewöhnlichen Form von Empathie führen. Wo andere vielleicht nur die offensichtlichen Gefühle wahrnehmen, sind autistische Frauen oft in der Lage, die darunterliegenden Emotionen und unausgesprochenen Gedanken zu erfassen. Diese Form der Empathie ist nicht nur vorhanden, sie ist in vielen Fällen sogar besonders ausgeprägt.

Jedoch kann diese immense Sensitivität auch zu einer Überlastung führen. Wenn autistische Frauen in einer sozialen oder sensorisch überfordernden Umgebung sind, kann es sein, dass sie sich zurückziehen, um sich zu schützen. Dieses Verhalten wird oft als Desinteresse oder Kälte interpretiert, obwohl es in Wirklichkeit ein Zeichen ihrer intensiven Empathie und ihres Bedürfnisses ist, sich vor Überstimulation zu bewahren.

Zentrale Kohärenz und das „Big Picture“

Ein weiteres autismus-typisches Merkmal, das bei Frauen oft unterschätzt wird, ist die sogenannte „schwache zentrale Kohärenz“. Zentral kohärente Verarbeitung bedeutet, Informationen im großen Ganzen zu betrachten und in einen Kontext zu setzen. Viele autistische Menschen, insbesondere Frauen, haben jedoch die Tendenz, Details sehr genau zu verarbeiten, was manchmal dazu führt, dass sie das „große Ganze“ weniger deutlich wahrnehmen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie unfähig sind, Zusammenhänge zu erkennen – vielmehr liegt ihre Stärke in der Fähigkeit, komplexe und oft verborgene Details zu sehen und zu verstehen, die anderen entgehen. Diese Detailorientierung kann sowohl ein Geschenk als auch eine Herausforderung sein. In sozialen Interaktionen kann sie dazu führen, dass autistische Frauen mehr Zeit benötigen, um die Gesamtdynamik einer Situation zu erfassen, während sie gleichzeitig sehr präzise in der Analyse von spezifischen Aspekten sind.

Diese Art der Wahrnehmung führt oft zu einem tiefen Verständnis für bestimmte Themen oder Interessen. Autistische Frauen können ein hohes Maß an Expertise in den Bereichen entwickeln, die sie faszinieren, was sie zu hochspezialisierten und leidenschaftlichen Expertinnen machen kann. Doch in sozialen Situationen, in denen erwartet wird, dass man schnell und intuitiv auf verschiedene, oft widersprüchliche Signale reagiert, kann diese Art der Verarbeitung zu Missverständnissen führen.

Die Rolle der Empathie und der sozialen Interaktion

Die Vorstellung, dass alle Autisten unempathisch oder sozial unbeholfen sind, verkennt die Realität vieler autistischer Frauen. Ihre Art der Empathie ist nicht weniger tief, sie wird nur oft anders ausgedrückt oder wahrgenommen. Viele autistische Frauen fühlen sich stark mit den Emotionen anderer verbunden, was sie zu hervorragenden Zuhörerinnen und Unterstützerinnen macht. Doch ihre Empathie kann auch überwältigend sein, besonders wenn sie die Gefühle anderer so intensiv empfinden, dass sie nicht mehr zwischen den eigenen Emotionen und denen der anderen unterscheiden können.

Diese Art der tiefen Empathie führt oft dazu, dass autistische Frauen intensive soziale Bindungen eingehen, die von großer Loyalität und einem tiefen Bedürfnis nach Echtheit geprägt sind. Sie schätzen Authentizität und Tiefe in ihren Beziehungen und meiden oft oberflächliche Interaktionen, die für sie bedeutungslos erscheinen. Das führt dazu, dass sie in ihren Beziehungen eine emotionale Tiefe erreichen, die außergewöhnlich und kostbar ist.

Allerdings kann die soziale Interaktion für autistische Frauen auch eine Quelle von Stress und Angst sein. Die Notwendigkeit, soziale Codes zu entschlüsseln und die ständige Anpassung an die Erwartungen anderer können ermüdend sein. Viele autistische Frauen berichten von sozialer Erschöpfung, die aus dem ständigen Versuch resultiert, „normal“ zu wirken. Diese Erschöpfung führt oft zu einem Rückzug, nicht weil sie sozial desinteressiert sind, sondern weil sie eine Pause brauchen, um ihre inneren Ressourcen wieder aufzufüllen.

Autismus bei Frauen: Der Weg zu einem neuen Verständnis

Das Verständnis von Autismus bei Frauen erfordert eine Verschiebung der Perspektive – weg von den Stereotypen und hin zu einem umfassenderen Blick auf die Vielfalt und Tiefe des autistischen Erlebens. Autistische Frauen zeigen uns, dass Empathie, Sensitivität und soziale Intelligenz auf vielfältige Weise existieren und dass diese Eigenschaften, obwohl sie anders ausgedrückt werden, genauso stark und bedeutsam sind.

Autismus ist nicht gleichbedeutend mit einem Mangel an Empathie oder sozialer Kälte. Insbesondere bei Frauen zeigt sich eine einzigartige Kombination von Sensitivität, Detailorientierung und emotionaler Tiefe, die sie zu tief empfundenen, treuen und einfühlsamen Individuen macht. Indem wir die Unterschiede und Besonderheiten anerkennen, können wir das Verständnis und die Akzeptanz von Autismus erweitern und den Weg für eine inklusivere Gesellschaft ebnen, die die vielfältigen Ausdrucksformen menschlichen Erlebens schätzt und fördert.

Letztlich geht es darum, die starren Stereotype aufzubrechen und Raum für die vielen verschiedenen Gesichter des Autismus zu schaffen. Autistische Frauen tragen eine besondere Art von Sensitivität und Empathie in sich, die nicht nur wertvoll ist, sondern auch eine unsichtbare Stärke darstellt, die unsere Vorstellung von sozialer Intelligenz und emotionaler Tiefe bereichern kann. Es ist Zeit, diese Stärke anzuerkennen und zu feiern, nicht trotz, sondern gerade wegen der Herausforderungen, die sie mit sich bringt.

Proaktive und Reaktive Strategien für den Umgang mit emotionaler Dysregulation bei Schülern mit ADHS

Die Schule geht wieder los und damit häufig auch emotionale Auseinandersetzungen bzw heftige Reaktionen der ADHS-Kids und Jugendlichen. Nicht selten als eine Reaktion auf “nicht-artgerechte” Bedingungen im Klassenzimmer bzw. subjektiv (oder objektiv) erlebte Ungerechtigkeiten bis zu Mobbing. Die folgenden 7 Punkte sollen eine Art "Hilfestellung” sein, wie man es den ADHS-Schülern und sich selber erleichtern kann, im Unterricht auf die Bedürfnisse einzugehen. Übrigens hilft das dann allen Schülern und auch der Lehrkraft selber.

1. Schaffung einer strukturierten und vorhersehbaren Umgebung

  • Proaktiv:

    1. Morgenroutine: Beginnen Sie jeden Tag mit einem festen Ablauf, wie z.B. einem kurzen Kreisgespräch, um den Tagesplan durchzugehen und Erwartungen zu klären.

    2. Visuelle Zeitpläne: Hängen Sie einen Zeitplan im Klassenzimmer auf, der mit Symbolen oder Farben die einzelnen Unterrichtseinheiten darstellt.

    3. Einsatz von Übergangssignalen: Verwenden Sie akustische oder visuelle Signale, wie z.B. eine Glocke oder eine spezielle Lichtfarbe, um den Wechsel von einer Aktivität zur nächsten anzukündigen.

  • Reaktiv:

    1. Rückruf zur Routine: Wenn ein Schüler aufgeregt ist, erinnern Sie ihn an die Morgenroutine und führen Sie ihn durch die nächsten Schritte.

    2. Verwendung des Zeitplans: Zeigen Sie auf den visuellen Zeitplan, um dem Schüler zu verdeutlichen, was als Nächstes kommt, und ihm so Sicherheit zu geben.

    3. Wiederholung des Übergangssignals: Falls ein Schüler Schwierigkeiten hat, sich zu beruhigen, wiederholen Sie das Übergangssignal, um ihm den Fokus zu erleichtern.

2. Verwendung klarer und einfacher Kommunikation

  • Proaktiv:

    1. Kurze Anweisungen: Geben Sie Anweisungen in kurzen, klaren Sätzen und vermeiden Sie komplizierte Sprache.

    2. Fragen zur Überprüfung: Fragen Sie den Schüler, ob er die Anweisung verstanden hat, und lassen Sie sie gegebenenfalls wiederholen.

    3. Visuelle Unterstützung: Verwenden Sie Bilder oder Diagramme zur Unterstützung mündlicher Anweisungen, um die Verständlichkeit zu erhöhen.

  • Reaktiv:

    1. Beruhigender Ton: Sprechen Sie in einem ruhigen, gleichmäßigen Ton, um die Situation zu deeskalieren.

    2. Kurze Wiederholung: Fassen Sie die Situation in einem einfachen Satz zusammen, um Missverständnisse zu klären (z.B. „Wir haben gerade über Mathe gesprochen“).

    3. Visuelle Hinweise: Zeigen Sie auf eine visuelle Unterstützung, um dem Schüler zu helfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


3. Förderung von Selbstregulationsstrategien

  • Proaktiv:

    1. Atemübungen einführen: Bringen Sie dem Schüler bei, vor schwierigen Aufgaben oder in stressigen Momenten tief durchzuatmen.

    2. Nutzung von Pausenkarten: Geben Sie dem Schüler Pausenkarten, die er verwenden kann, um eine kurze Auszeit zu nehmen, wenn er sich überfordert fühlt.

    3. Ruhige Ecken einrichten: Schaffen Sie einen „Rückzugsort“ im Klassenzimmer, wo Schüler sich beruhigen können, wenn sie überreizt sind.

  • Reaktiv:

    1. Erinnerung an Atemübungen: Ermutigen Sie den Schüler, die zuvor erlernten Atemtechniken anzuwenden, wenn er emotional wird.

    2. Anbieten einer Pause: Geben Sie dem Schüler die Möglichkeit, eine Pausenkarte zu nutzen, um sich zu beruhigen.

    3. Begleitung zum Rückzugsort: Führen Sie den Schüler ruhig zu der ruhigen Ecke im Klassenzimmer, damit er sich sammeln kann.

4. Positive Verstärkung und Ermutigung

  • Proaktiv:

    1. Lob für positives Verhalten: Loben Sie den Schüler sofort, wenn er eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen oder sich ruhig verhalten hat.

    2. Belohnungssystem: Etablieren Sie ein System, bei dem der Schüler Punkte oder Sticker sammeln kann, die er gegen kleine Belohnungen eintauschen kann.

    3. Feier kleiner Erfolge: Markieren Sie kleine Erfolge und Fortschritte, indem Sie sie öffentlich loben oder auf einer „Erfolgstafel“ im Klassenzimmer vermerken.

  • Reaktiv:

    1. Lob für Beruhigung: Loben Sie den Schüler, wenn er sich nach einer emotionalen Krise beruhigt hat, um positive Verstärkung zu geben.

    2. Angebot einer Belohnung: Erinnern Sie den Schüler an das Belohnungssystem, um ihn zu motivieren, sich zu beruhigen und weiterzuarbeiten.

    3. Ermutigung bei Rückschlägen: Wenn der Schüler frustriert ist, erinnern Sie ihn an seine bisherigen Erfolge, um ihm Mut zu machen.

5. Individuelle Anpassungen im Unterricht

  • Proaktiv:

    1. Kürzere Aufgabenblöcke: Teilen Sie komplexe Aufgaben in kleinere, überschaubare Teile auf, um den Schüler nicht zu überfordern.

    2. Flexible Sitzordnung: Erlauben Sie dem Schüler, sich an einem ruhigeren Platz zu setzen oder im Stehen zu arbeiten, wenn dies hilft, die Konzentration zu fördern.

    3. Regelmäßige Bewegungspausen: Planen Sie kurze, regelmäßige Bewegungspausen ein, damit der Schüler seine Energie kanalisieren kann.

  • Reaktiv:

    1. Reduktion der Aufgabe: Wenn der Schüler frustriert ist, passen Sie die Aufgabe an, indem Sie sie weiter aufteilen oder weniger komplexe Anforderungen stellen.

    2. Sitzplatzwechsel anbieten: Wenn der Schüler abgelenkt ist, bieten Sie an, den Sitzplatz zu wechseln, um die Umgebung zu ändern.

    3. Bewegungspause ermöglichen: Lassen Sie den Schüler für einen kurzen Spaziergang aus dem Klassenzimmer, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich neu zu fokussieren.

6. Aufbau einer unterstützenden Beziehung

  • Proaktiv:

    1. Regelmäßige Check-ins: Sprechen Sie regelmäßig mit dem Schüler, um seine Stimmung zu überprüfen und Vertrauen aufzubauen.

    2. Teilen von Interessen: Finden Sie gemeinsame Interessen mit dem Schüler und sprechen Sie darüber, um eine persönliche Verbindung zu schaffen.

    3. Eröffnung einer offenen Kommunikation: Ermutigen Sie den Schüler, jederzeit Fragen zu stellen oder seine Gefühle auszudrücken.

  • Reaktiv:

    1. Beruhigender Zuspruch: Nutzen Sie die bestehende Beziehung, um den Schüler mit beruhigenden Worten durch eine schwierige Situation zu führen.

    2. Erinnerung an positive Gespräche: Verweisen Sie auf frühere positive Gespräche oder Erlebnisse, um Vertrauen und Sicherheit zu schaffen.

    3. Offene Tür anbieten: Signalisieren Sie dem Schüler, dass er jederzeit zu Ihnen kommen kann, wenn er Unterstützung benötigt, auch wenn er gerade emotional aufgewühlt ist.

7. Förderung der Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus

  • Proaktiv:

    1. Regelmäßige Elterngespräche: Organisieren Sie regelmäßige Treffen mit den Eltern, um den Fortschritt und Herausforderungen zu besprechen.

    2. Gemeinsame Zielsetzung: Setzen Sie gemeinsam mit den Eltern und dem Schüler realistische Ziele für die schulische und emotionale Entwicklung.

    3. Austausch von Strategien: Teilen Sie mit den Eltern bewährte Strategien, die sowohl zu Hause als auch in der Schule angewendet werden können.

  • Reaktiv:

    1. Sofortige Kommunikation: Informieren Sie die Eltern umgehend, wenn ein Vorfall auftritt, um gemeinsam Lösungen zu finden.

    2. Rücksprache mit Eltern: Ziehen Sie die Eltern bei Bedarf hinzu, um zu klären, welche häuslichen Strategien möglicherweise in der Schule umgesetzt werden können.

    3. Gemeinsame Intervention: Arbeiten Sie mit den Eltern zusammen, um bei wiederkehrenden Problemen eine einheitliche Strategie zu entwickeln, die zu Hause und in der Schule angewendet werden kann.

Diese praktischen Beispiele bieten konkrete Maßnahmen, die Lehrern und Eltern helfen können, Schüler mit ADHS besser zu unterstützen und emotionale Dysregulation effektiv zu managen.


Lisdexamphteamin (LDX) bei Binge-Eating-Störung (BED) – Erkenntnisse aus der Forschung

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Behandlung von Binge-Eating-Störung (BED) ist eine Herausforderung, besonders wenn sie mit anderen Störungen wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) einhergeht. Eine aktuelle Studie aus dem Iran hat spannende neue Erkenntnisse über die Kombinationstherapie mit Lisdexamfetamin-Dimesylat (LDX) und Topiramat (TPM) zur Behandlung von BED hervorgebracht. Diese Studie könnte Einfluss auf die klinische Praxis in Deutschland haben, auch wenn LDX hierzulande nicht für die Behandlung von BED zugelassen ist.

Die Prävalenz von Binge-Eating-Störung (BED) im Zusammenhang mit ADHS ist ein wichtiges Thema in der psychiatrischen Forschung. So ganz genaue statistische Daten zum Zusammenhang von BED und ADHS gibt es aber nach meiner Kenntnis nicht. Wahrscheinlich auch deshalb, weil gerade bei Frauen mit ADHS / Neurodivergenz die Diagnostik schwieriger ist, bzw. dann ein oder weitere Komorbiditäten vorliegen.

  1. BED ist eine häufige Essstörung mit einer geschätzten weltweiten Lebenszeitprävalenz von 1,9%, was sie zur häufigsten Essstörung macht.

  2. Es besteht eine signifikante Komorbidität zwischen BED und anderen psychiatrischen Störungen. Etwa 80% der von BED betroffenen Personen haben mindestens eine weitere psychiatrische Erkrankung.

  3. ADHS wird als eine der häufigen komorbiden Störungen bei BED erwähnt. Studien zeigen, dass es Überschneidungen zwischen BED und ADHS gibt, insbesondere in Bezug auf Impulsivität und Schwierigkeiten bei der Selbstregulation.

  4. Bei Menschen mit ADHS kann ein verstärktes Verlangen nach süßen und kohlenhydratreichen Lebensmitteln auftreten, was möglicherweise zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Essstörungen wie BED beitragen kann.

Die Studie im Überblick

Die Studie untersuchte 93 PatientInnen mit BED im Alter von 18 bis 55 Jahren, die entweder mit LDX allein oder mit einer Kombination aus LDX und TPM behandelt wurden. Über einen Zeitraum von zwölf Wochen zeigte die Kombinationstherapie nicht nur eine signifikante Reduktion der BED-Symptome, sondern auch positive Auswirkungen auf den Body-Mass-Index (BMI) und das metabolische Profil, einschließlich einer Verringerung der Triglyceride und des LDL-Cholesterins.

Diese Ergebnisse sind besonders bemerkenswert, da sie darauf hinweisen, dass LDX, bekannt unter dem Markennamen Elvanse, nicht nur bei ADHS, sondern auch bei der Behandlung von BED wirksam sein könnte. In den USA ist LDX unter dem Namen Vyvanse für beide Indikationen zugelassen, während es in Deutschland ausschließlich für ADHS zugelassen ist.

Praktische Empfehlungen für TherapeutInnen in Deutschland

1. Differenzierte Diagnose und individuelle Therapieplanung:

Vor jeder Therapieentscheidung sollten eine gründliche Diagnose und eine genaue Differenzierung zwischen ADHS und BED erfolgen. Wenn bei einer Patientin sowohl ADHS als auch BED diagnostiziert wird, könnte LDX als Erstlinientherapie eingesetzt werden, um beide Störungsbilder zu adressieren. Wichtig ist jedoch, dass die Patientin engmaschig überwacht wird, um die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen des Medikaments zu bewerten.

2. Kombinationstherapie mit Topiramat bei komplexen Fällen:

Sollten die BED-Symptome unter LDX allein nicht ausreichend kontrolliert werden, könnte die zusätzliche Gabe von Topiramat (TPM) in Betracht gezogen werden. Diese Kombination hat in der Studie zu einer deutlichen Verbesserung der BED-Symptome geführt und könnte insbesondere bei Patientinnen mit hohem BMI oder metabolischen Störungen sinnvoll sein. Da TPM in Deutschland nicht für BED zugelassen ist, sollte die Off-Label-Anwendung sorgfältig dokumentiert und die Patientin umfassend über die potenziellen Risiken und Vorteile aufgeklärt werden.

3. Integration von Psychotherapie:

Unabhängig von der medikamentösen Therapie sollte die Behandlung durch eine psychotherapeutische Begleitung ergänzt werden. Die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) ist eine bewährte Methode zur Behandlung von BED und kann helfen, die zugrunde liegenden emotionalen und verhaltensbezogenen Probleme zu bewältigen, die zu den Essanfällen führen. Eine multimodale Therapie, die sowohl pharmakologische als auch psychotherapeutische Ansätze kombiniert, bietet die besten Chancen auf langfristigen Erfolg.

4. Vorsicht bei der Behandlung von BED ohne ADHS:

Wenn bei einer Patientin nur BED diagnostiziert wird, sollte LDX nicht eingesetzt werden, da es in Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen ist. Stattdessen sollten andere Behandlungsmethoden, wie die kognitive Verhaltenstherapie, Ernährungsberatung und gegebenenfalls zugelassene medikamentöse Optionen wie SSRIs oder Off-Label-Topiramat, in Betracht gezogen werden.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zur Kombinationstherapie mit LDX und TPM bei BED sind vielversprechend und bieten neue Perspektiven für die Behandlung dieser komplexen Störung. In Deutschland sollten TherapeutInnen jedoch die aktuelle Zulassungslage berücksichtigen und die Therapie sorgfältig an die individuellen Bedürfnisse der Patientin anpassen. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und die regelmäßige Überprüfung des Therapieerfolgs sind hierbei essenziell.

Quelle : Mokhtari F, Taghavi M, Mashayekh M. An Efficient Combination Therapy with Lisdexamfetamine Dimesylate and Topiramate in Improving Binge Eating Scale & Metabolic Profile in Binge Eating Disorder: A Randomized Control Trial. Clin Psychopharmacol Neurosci. 2024 Aug 31;22(3):493-501. doi: 10.9758/cpn.23.1151. Epub 2024 Jun 27. PMID: 39069689.

Wie Medikamente das Gehirn von Kindern mit ADHS beeinflussen

Einführung in die Studie

Forscher haben herausgefunden, dass Kinder mit starken Symptomen von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) strukturelle Abweichungen im Gehirn aufweisen. Eine neue Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift "Neuropsychopharmacology", zeigt jedoch, dass Stimulanzien, also Medikamente zur Behandlung von ADHS, diese Unterschiede normalisieren können. Diese Forschung vergleicht die Gehirnstrukturen von Kindern mit verschiedenen ADHS-Symptomen und Medikamenteneinnahmen und bietet Einblicke, wie diese Medikamente über die reine Symptombehandlung hinaus helfen könnten.

Was ist ADHS?

ADHS ist eine häufige neuropsychiatrische Störung, die durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Etwa 5,3 % der Kinder weltweit sind betroffen. Diese Kinder haben oft Schwierigkeiten in sozialen und schulischen Bereichen, was ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann. Stimulanzien, die den Dopaminspiegel im Gehirn erhöhen, werden häufig zur Behandlung dieser Symptome verschrieben.

Bisherige Erkenntnisse und Studien

Frühere Studien haben mittels struktureller Magnetresonanztomographie (MRI) Abweichungen in den Gehirnstrukturen von Kindern mit ADHS identifiziert, insbesondere in Bereichen, die für die Erkennung von wichtigen Reizen und die Belohnungsverarbeitung verantwortlich sind, wie der Insula und dem Nucleus accumbens. Die Ergebnisse dieser Studien waren jedoch uneinheitlich und oft aufgrund kleiner Stichprobengrößen nicht reproduzierbar.

Die aktuelle Studie

Um diese Einschränkungen zu überwinden, nutzte die aktuelle Studie eine große, diverse Stichprobe aus der Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Studie. Diese Datenbank enthält Hirnbilder, klinische Merkmale und Verhaltensdaten von Kindern ab etwa 9 Jahren und begleitet diese über 10 Jahre hinweg. Für die vorliegende Untersuchung wurden Daten von 7.126 Kindern im Alter von 9-10 Jahren analysiert.

Stichprobengruppen

Die Kinder wurden in drei Gruppen eingeteilt:

  1. Stim Low-ADHS: 273 Kinder mit geringen ADHS-Symptomen, die Stimulanzien erhielten.

  2. No-Med ADHS: 1.002 Kinder mit hohen ADHS-Symptomen, die keine Medikamente erhielten.

  3. Typisch Entwickelte Kontrollgruppe (TDC): 5.378 Kinder mit geringen ADHS-Symptomen ohne Medikation.

Ergebnisse

Die Studie zeigte signifikante Unterschiede in den Gehirnstrukturen zwischen der No-Med ADHS-Gruppe und den anderen beiden Gruppen. Kinder mit hohen ADHS-Symptomen ohne Medikation wiesen eine geringere Kortikaldicke in der rechten Insula und ein kleineres subkortikales Volumen im linken Nucleus accumbens auf. Dies deutet darauf hin, dass unbehandelte ADHS mit strukturellen Abweichungen in Hirnregionen verbunden ist, die für die Erkennung von wichtigen Reizen und die Belohnungsverarbeitung zuständig sind.

Im Gegensatz dazu zeigten Kinder in der Stim Low-ADHS-Gruppe ähnliche Gehirnstrukturen wie die typisch entwickelten Kinder. Dies deutet darauf hin, dass Stimulanzien diese strukturellen Abweichungen normalisieren können. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass die Medikamente nicht nur die Symptome von ADHS lindern, sondern auch zugrunde liegende neurobiologische Defizite adressieren können.

Bedeutung der Ergebnisse

Die Entdeckung, dass Stimulanzien strukturelle Abweichungen im Gehirn von Kindern mit ADHS normalisieren können, ist von großer Bedeutung. Es zeigt, dass die Wirkung dieser Medikamente über die reine Symptombehandlung hinausgeht und tiefgreifende Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat. Dies könnte erklären, warum viele Kinder, die mit Stimulanzien behandelt werden, signifikante Verbesserungen in ihrem Verhalten und ihrer kognitiven Leistung zeigen.

Einschränkungen der Studie

Diese Ergebnisse sind vielversprechend, jedoch hat die Studie einige Einschränkungen. Sie ist querschnittlich angelegt, was bedeutet, dass sie nur eine Momentaufnahme liefert und keine kausalen Zusammenhänge nachweisen kann. Längsschnittstudien, die Kinder über einen längeren Zeitraum verfolgen, sind notwendig, um die langfristigen Auswirkungen von Stimulanzien auf die Gehirnentwicklung zu bestätigen. Außerdem wurden die Dosierung und Dauer der Medikamenteneinnahme nicht berücksichtigt, was die Veränderungen im Gehirn beeinflussen könnte.

Ausblick und weitere Forschung

Zukünftige Forschungen sollten diese Faktoren berücksichtigen und auch ältere Kinder und Erwachsene mit ADHS einbeziehen, um zu verstehen, wie sich diese Hirnveränderungen mit dem Alter und der fortgesetzten Medikamenteneinnahme entwickeln. Darüber hinaus ist es wichtig, langfristige Studien durchzuführen, um die anhaltenden Effekte von Stimulanzien auf die Gehirnentwicklung zu untersuchen. Dies könnte auch dazu beitragen, die optimalen Dosierungen und Behandlungsdauern für verschiedene Altersgruppen zu bestimmen.

Fazit

Diese Studie liefert wertvolle Hinweise darauf, dass Stimulanzien nicht nur die Symptome von ADHS lindern, sondern auch strukturelle Abweichungen im Gehirn normalisieren können. Langfristige Untersuchungen sind jedoch notwendig, um die dauerhaften Auswirkungen dieser Behandlung zu verstehen. Die Erkenntnisse dieser Studie könnten dazu beitragen, die Behandlung von ADHS zu verbessern und den betroffenen Kindern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.

Quellen

  • Dolan, E. W. (2024). Stimulant medications normalize brain structure in children with ADHD, study suggests. Neuropsychopharmacology.

  • PsyPost: Artikel von Eric W. Dolan, 29. Juli 2024.


    Risiko von Entwicklungsstörungen bei Kindern depressiver Eltern

    Eine neue Studie hat sich damit beschäftigt, wie die Depression von Eltern das Risiko erhöht, dass ihre Kinder neurodevelopmentale Störungen wie ADHS oder Autismus entwickeln. Die Forscher untersuchten Daten von 7.593 Kindern in Taiwan, deren Eltern an einer Major Depression litten, und verglichen sie mit 75.930 anderen Kindern, deren Eltern keine Depression hatten. Die Studie verfolgte die Kinder über mehrere Jahre hinweg, um herauszufinden, ob sie häufiger Entwicklungsstörungen entwickelten.

Was hat die Studie herausgefunden?

Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder von Eltern mit Depression ein fast doppelt so hohes Risiko haben, ADHS zu entwickeln. Außerdem ist ihr Risiko für Autismus um 52 % höher als bei Kindern ohne depressive Eltern. Auch Tic-Störungen, Entwicklungsverzögerungen und geistige Behinderungen traten häufiger auf. Besonders auffällig war, dass Depressionen, die schon während der Schwangerschaft auftraten, das Risiko der Kinder stärker beeinflussten als Depressionen, die erst nach der Geburt auftraten.

Warum ist das wichtig?

Diese Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig es ist, die Entwicklung von Kindern depressiver Eltern frühzeitig und genau zu beobachten. Es zeigt sich, dass die Risiken für die Kinder bereits während der Schwangerschaft beginnen können, und nicht erst nach der Geburt. Ärzte und Therapeuten sollten daher nicht nur die psychische Gesundheit der Eltern im Blick haben, sondern auch darauf achten, wie sich ihre Kinder entwickeln.

Ein Gedanke: Könnten die Mütter selbst ADHS oder Autismus haben?

Ein Aspekt, der in der Studie nicht untersucht wurde, ist die Möglichkeit, dass die Mütter (oder auch die Väter) selbst an unerkannter ADHS oder Autismus leiden könnten. Diese Störungen könnten dazu führen, dass die Mütter stärker von Depressionen betroffen sind. ADHS und Autismus gehen oft mit sozialen und emotionalen Herausforderungen einher, die das Risiko für Depressionen erhöhen können.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass Depression und Störungen wie ADHS oder Autismus oft zusammen auftreten. Wenn Mütter selbst an ADHS oder Autismus leiden, könnte dies das Risiko erhöhen, dass ihre Kinder ähnliche Störungen entwickeln. Diese Möglichkeit wurde in der Studie jedoch nicht berücksichtigt, was eine Schwäche der Untersuchung darstellt.

Fazit

Die Studie zeigt, dass elterliche Depression das Risiko für neurodevelopmentale Störungen bei Kindern deutlich erhöht. Es bleibt aber die Frage, ob nicht auch unerkannte ADHS- oder Autismus-Diagnosen bei den Eltern eine Rolle spielen könnten. Zukünftige Forschungen sollten diesen Aspekt genauer untersuchen, um ein vollständigeres Bild der Risiken zu erhalten und um bessere Unterstützung für betroffene Familien bieten zu können.
Quelle : Lin, YH., Tsai, SJ., Bai, YM. et al. Risk of Neurodevelopmental Disorders in Offspring of Parents with Major Depressive Disorder: A Birth Cohort Study. J Autism Dev Disord (2024). https://doi.org/10.1007/s10803-024-06502-3 (Opens in a new window)


Ich habe einen Review zu Therapieoptionen bei Autismus-Spektrum gefunden, den ich für euch versuche zusammen zu fassen. Ich bin nun wirklich kein Freund von ABA (daher 0 von 5 Sternen) und überhaupt kann man hinterfragen, ob und wie man Autismus nun “wegtherapieren” kann und sollte. Es geht also eher um den Einsatz von verschiedenen Ansätzen, die Begleit- und Folgeprobleme zu minimieren.



Autismus-Spektrum: Eine Einführung in die verschiedenen Therapieoptionen

Einleitung

Wenn Ihr Kind mit Autismus diagnostiziert wurde, kann das viele Fragen aufwerfen. Sie möchten das Beste für Ihr Kind tun, aber die Vielzahl an Therapieoptionen kann überwältigend sein. In diesem Artikel werde ich die gängigsten Therapieformen für Kinder im Autismus-Spektrum erklären, ihre Vor- und Nachteile besprechen und sie mit einer Bewertung versehen, um Ihnen eine Orientierung zu geben. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die medikamentöse Behandlung gelegt, einschließlich alternativer medikamentöser Ansätze und Hilfen bei Schlafstörungen.

Verhaltenstherapie (ABA – Applied Behavior Analysis)

Die Angewandte Verhaltensanalyse (ABA) ist eine der am häufigsten empfohlenen Therapieformen. Sie basiert darauf, das Verhalten Ihres Kindes zu beobachten und gezielt zu fördern oder zu ändern. Ein Ziel dieser Therapie ist es, positive Verhaltensweisen zu verstärken und negative zu verringern. ABA-Therapeuten arbeiten intensiv mit dem Kind, oft im Einzelunterricht.

  • Vorteile: Einige Studien haben gezeigt, dass ABA bei bestimmten Verhaltensänderungen helfen kann, besonders wenn die Therapie früh beginnt.

  • Nachteile: ABA ist sehr umstritten. Kritiker werfen dieser Therapie vor, zu streng und manipulativ zu sein. Es wird argumentiert, dass ABA versucht, das Kind an gesellschaftliche Normen anzupassen, ohne die individuellen Bedürfnisse und das Wohlbefinden des Kindes ausreichend zu berücksichtigen. Viele Erwachsene, die als Kinder ABA erhalten haben, berichten von negativen Erfahrungen, und es gibt Bedenken, dass ABA langfristig zu psychischen Belastungen führen kann. Zudem ist ABA oft zeitaufwendig, teuer und erfordert intensiven Einsatz, was für Familien eine große Belastung darstellen kann.

Bewertung: 0 von 5 Sternen

Ergotherapie

Ergotherapie hilft Kindern, alltägliche Aufgaben besser zu bewältigen, indem sie ihre motorischen und sensorischen Fähigkeiten verbessert. Kinder lernen z. B. das Anziehen, Essen oder die Verwendung von Stiften. Ergotherapeuten arbeiten oft auch mit speziellen Übungen, um die sensorische Integration zu fördern, also die Fähigkeit, Reize wie Licht, Geräusche oder Berührungen zu verarbeiten.

  • Vorteile: Ergotherapie kann gezielt auf die Bedürfnisse Ihres Kindes eingehen und es dabei unterstützen, alltägliche Fähigkeiten zu erlernen.

  • Nachteile: Der Erfolg hängt stark vom individuellen Kind ab, und manchmal sind die Fortschritte eher langsam.

Bewertung: ★★★★☆

Sprachtherapie

Sprachtherapie fokussiert sich darauf, die Kommunikationsfähigkeiten von Kindern zu verbessern. Einige Kinder im Autismus-Spektrum haben Schwierigkeiten, sich sprachlich auszudrücken oder soziale Kommunikation zu verstehen. Ein Sprachtherapeut arbeitet an der Entwicklung dieser Fähigkeiten und kann auch alternative Kommunikationsmittel wie Gebärdensprache oder Bilder einsetzen.

  • Vorteile: Sprachtherapie kann wesentlich dazu beitragen, dass sich ein Kind besser ausdrücken kann und in der Lage ist, sich mit anderen zu verständigen.

  • Nachteile: Auch hier sind die Fortschritte individuell verschieden, und manchmal braucht es viel Geduld.

Bewertung: ★★★★☆

Spieltherapie

Spieltherapie nutzt das natürliche Spielverhalten von Kindern, um ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu fördern. In einem sicheren Umfeld kann das Kind durch das Spiel lernen, wie man mit anderen interagiert, Emotionen ausdrückt und Probleme löst.

  • Vorteile: Spieltherapie kann für Kinder eine sehr angenehme und stressfreie Art der Therapie sein. Sie kann ihnen helfen, auf natürliche Weise wichtige Fähigkeiten zu entwickeln.

  • Nachteile: Diese Therapieform ist oft weniger strukturiert, was für manche Kinder von Vorteil, für andere aber auch herausfordernd sein kann.

Bewertung: ★★★☆☆

Tiergestützte Therapie

Bei der tiergestützten Therapie kommen Tiere wie Hunde, Pferde oder Delfine zum Einsatz, um Kinder emotional zu unterstützen und soziale Interaktionen zu fördern. Der Kontakt zu Tieren kann beruhigend wirken und das Kind motivieren, neue Fähigkeiten zu erlernen.

  • Vorteile: Diese Therapie kann Kindern Freude bereiten und dabei helfen, Ängste abzubauen und Vertrauen zu gewinnen.

  • Nachteile: Die Wirksamkeit dieser Therapie ist schwer messbar, und nicht alle Kinder reagieren positiv auf Tiere.

Bewertung: ★★★☆☆

Soziale Kompetenztrainings

In diesen Trainings werden Kinder gezielt in sozialen Situationen geschult. Sie lernen z. B., Blickkontakt zu halten, sich abzuwechseln oder Gespräche zu führen. Diese Trainings werden oft in kleinen Gruppen durchgeführt, um realistische soziale Interaktionen zu simulieren.

  • Vorteile: Kinder können in einer sicheren Umgebung soziale Fähigkeiten üben und Feedback erhalten.

  • Nachteile: Einige Kinder finden es schwierig, die in der Gruppe gelernten Fähigkeiten auf den Alltag zu übertragen.

Bewertung: ★★★★☆

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie ist ein komplexes und oft kontrovers diskutiertes Thema, wenn es um die Behandlung von Autismus geht. Es gibt keine Medikamente, die Autismus „heilen“ können, aber einige Medikamente können helfen, bestimmte Symptome zu lindern, die oft mit Autismus einhergehen, wie z.B. Hyperaktivität, Reizbarkeit oder Angstzustände. Es ist wichtig, dass medikamentöse Behandlungen immer unter der Aufsicht eines erfahrenen Arztes erfolgen.

Antipsychotika

Medikamente wie Risperidon und Aripiprazol gehören zu den atypischen Antipsychotika und werden manchmal verschrieben, um Reizbarkeit, Aggression oder selbstverletzendes Verhalten zu verringern.

  • Vorteile: Antipsychotika können in einigen Fällen eine deutliche Reduzierung von aggressivem oder selbstverletzendem Verhalten bewirken, was den Alltag für das Kind und die Familie erheblich erleichtern kann.

  • Nachteile: Diese Medikamente sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, darunter Gewichtszunahme, Müdigkeit, hormonelle Veränderungen und ein erhöhtes Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Langfristige Auswirkungen dieser Medikamente sind noch nicht vollständig erforscht, und es gibt Bedenken, dass sie das Risiko für neurologische Nebenwirkungen wie Dyskinesien (unkontrollierte Bewegungen) erhöhen könnten. Zudem behandeln Antipsychotika nur bestimmte Verhaltenssymptome und nicht die grundlegenden sozialen oder kommunikativen Herausforderungen von Autismus.

Bewertung: ★★☆☆☆

Stimulanzien

Stimulanzien wie Methylphenidat, bekannt aus der Behandlung von ADHS, werden auch bei Autismus verwendet, um Hyperaktivität und Konzentrationsprobleme zu reduzieren.

  • Vorteile: Stimulanzien können helfen, die Aufmerksamkeit und Impulskontrolle zu verbessern, was besonders in schulischen und sozialen Kontexten nützlich sein kann.

  • Nachteile: Stimulanzien haben häufig Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Nervosität und erhöhte Reizbarkeit. Sie sind ebenfalls keine Lösung für die Hauptsymptome von Autismus, sondern zielen eher auf die Behandlung von begleitenden Problemen wie Hyperaktivität ab. Es gibt auch Bedenken hinsichtlich der Langzeitwirkung von Stimulanzien auf das sich entwickelnde Gehirn von Kindern.

Bewertung: ★★★☆☆

SSRIs (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)

SSRIs wie Fluoxetin, Sertralin oder Citalopram werden häufig zur Behandlung von Angstzuständen und Zwangsverhalten eingesetzt, die bei vielen Kindern mit Autismus auftreten können.

  • Vorteile: SSRIs können helfen, Angstzustände und Zwangsverhalten zu lindern, was das allgemeine Wohlbefinden des Kindes verbessern kann. Sie werden oft als Teil eines umfassenderen Behandlungsplans verwendet.

  • Nachteile: Die Wirksamkeit von SSRIs bei Autismus ist umstritten, und ihre Verwendung kann mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, und Veränderungen der Stimmung einhergehen. Es gibt auch Bedenken hinsichtlich des erhöhten Risikos für Suizidgedanken bei Jugendlichen, die SSRIs einnehmen. Außerdem kann es schwierig sein, die richtige Dosis zu finden, und das Absetzen dieser Medikamente muss schrittweise und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Bewertung: ★★☆☆☆

Antikonvulsiva

Antikonvulsiva wie Valproinsäure und Lamotrigin werden bei Kindern mit Autismus eingesetzt, die auch an Epilepsie leiden, da es eine erhöhte Prävalenz von Epilepsie unter Kindern mit Autismus gibt. Sie können auch bei der Behandlung von Stimmungsschwankungen und aggressivem Verhalten hilfreich sein.

  • Vorteile: Diese Medikamente können bei Kindern mit Autismus und Epilepsie das Anfallsrisiko verringern und gleichzeitig dazu beitragen, Stimmungsschwankungen und Verhaltensprobleme zu kontrollieren.

  • Nachteile: Antikonvulsiva sind mit einer Reihe von Nebenwirkungen verbunden, darunter Gewichtszunahme, Müdigkeit, Schwindel und in seltenen Fällen schwere Hautausschläge. Sie erfordern eine regelmäßige Überwachung durch Bluttests, um sicherzustellen, dass sie sicher und effektiv sind.

Bewertung: ★★★☆☆

Neuartige medikamentöse Ansätze

Neben den etablierten medikamentösen Therapien gibt es auch neue Ansätze, die in der Forschung untersucht werden. Diese beinhalten Medikamente, die gezielt auf bestimmte Symptome von Autismus wirken sollen und teilweise vielversprechende Ergebnisse zeigen.

Oxytocin

Oxytocin ist ein Neurohormon, das soziale Bindungen und Interaktionen beeinflusst. Es wird vermutet, dass Oxytocin die sozialen Defizite bei Autismus verbessern kann.

  • Studienlage: Einige Studien zeigen, dass Oxytocin die emotionale Erkennung und die Hirnaktivität bei sozial relevanten Reizen verbessern kann. Allerdings gibt es auch systematische Übersichten, die auf eine geringe Sicherheit der Wirksamkeit hinweisen.

  • Einschränkungen: Trotz positiver Ergebnisse in einigen Studien bleibt die Evidenzbasis unsicher. Weitere Forschung ist notwendig, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Oxytocin bei ASD zu bestätigen.

Bewertung: ★★★☆☆

Bumetanid

Bumetanid ist ein Diuretikum, das auf den Chloridstoffwechsel im Gehirn wirkt und dadurch möglicherweise die Symptome von Autismus beeinflusst.

  • Studienlage: Einige kleine Studien zeigen, dass Bumetanid repetitive Verhaltensweisen und andere ASD-Symptome verbessern kann. Die Datenlage ist jedoch nicht eindeutig, und die Wirksamkeit für die Kernsymptome von Autismus bleibt unklar.

  • Einschränkungen: Bumetanid hat zwar wenige Nebenwirkungen, aber die bisherigen Studien sind zu klein, um definitive Schlüsse zu ziehen. Es ist unklar, ob es eine breite Anwendung bei ASD finden sollte.

Bewertung: ★★☆☆☆

Acetylcholinesterase-Inhibitoren

Diese Medikamente erhöhen die Verfügbarkeit von Acetylcholin im Gehirn und werden normalerweise zur Behandlung von Demenz eingesetzt. Sie könnten jedoch auch bei Autismus relevant sein.

  • Studienlage: Einige Studien zeigen Verbesserungen in der Sprache und im Verhalten, während andere keinen signifikanten Unterschied feststellen. Insgesamt ist die Evidenz uneinheitlich.

  • Einschränkungen: Die langfristigen Auswirkungen und die Sicherheit dieser Medikamente bei Kindern mit Autismus sind nicht ausreichend erforscht, und die Studienergebnisse sind widersprüchlich.

Bewertung: ★★☆☆☆

Memantin

Memantin ist ein NMDA-Rezeptorantagonist, der bei Alzheimer eingesetzt wird und möglicherweise auch bei ASD hilfreich sein könnte.

  • Studienlage: Einige Studien zeigen Verbesserungen in Verhaltensweisen wie sozialem Rückzug und Hyperaktivität, während systematische Übersichten keinen signifikanten Unterschied zwischen Memantin und Placebo finden.

  • Einschränkungen: Die Studienqualität ist oft nicht hoch genug, um klare Schlussfolgerungen zu ziehen, und es besteht die Notwendigkeit für größere, qualitativ hochwertige Studien, um die Wirksamkeit von Memantin bei ASD zu bewerten.

Bewertung: ★★☆☆☆

Alternative medikamentöse Optionen

Zusätzlich zu den oben genannten neuen pharmakologischen Ansätzen gibt es auch alternative Methoden, die untersucht werden, um Symptome von Autismus zu behandeln.

Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine

Einige Familien greifen auf Nahrungsergänzungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren, Melatonin, Magnesium oder Vitamin B6 zurück, in der Hoffnung, dass sie die Symptome von Autismus lindern können.

  • Vorteile: Einige Eltern berichten über Verbesserungen in Bezug auf Schlaf, Aufmerksamkeit oder Verhalten. Melatonin wird häufig bei Schlafproblemen eingesetzt, die bei vielen Kindern mit Autismus auftreten.

  • Nachteile: Es gibt begrenzte wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit dieser Nahrungsergänzungsmittel bei Autismus. Zudem sind die Dosierungen oft nicht standardisiert, und es gibt potenzielle Risiken bei Überdosierung und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Bewertung: ★★☆☆☆

CBD (Cannabidiol)

CBD, ein nicht psychoaktiver Bestandteil der Cannabispflanze, wird zunehmend als mögliche Behandlungsoption für verschiedene neurologische Störungen, einschließlich Autismus, untersucht.

  • Vorteile: Einige Studien und Erfahrungsberichte deuten darauf hin, dass CBD helfen kann, Angstzustände, Aggressionen und Selbstverletzung bei Kindern mit Autismus zu reduzieren.

  • Nachteile: Die Forschung zu CBD ist noch in den frühen Stadien, und es gibt nicht genügend Daten, um seine langfristige Sicherheit und Wirksamkeit bei Kindern umfassend zu beurteilen. Zudem gibt es rechtliche und regulatorische Hürden, die den Zugang zu CBD-Produkten in einigen Ländern erschweren könnten.

Bewertung: ★★★☆☆

Spezielle Diäten

Manche Eltern von Kindern mit Autismus berichten von Verbesserungen nach der Umstellung auf spezielle Diäten, wie die glutenfreie, kaseinfreie Diät (GFCF-Diät) oder die ketogene Diät.

  • Vorteile: Einige Studien zeigen Verbesserungen bei Verhalten und sozialen Fähigkeiten durch spezielle Diäten. Besonders die ketogene Diät zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Reduktion von Anfällen, die bei einigen Kindern mit ASD auftreten.

  • Nachteile: Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit spezieller Diäten bei Autismus sind begrenzt. Strikte Diäten können soziale und praktische Herausforderungen mit sich bringen und möglicherweise zu Nährstoffmängeln führen, wenn sie nicht sorgfältig überwacht werden.

Bewertung: ★★☆☆☆

Akupunktur

Akupunktur wird als alternative Behandlung bei Autismus eingesetzt, um Symptome wie Kommunikationsprobleme und globale Funktionseinschränkungen zu lindern.

  • Studienlage: Einige Studien zeigen Verbesserungen in bestimmten Bereichen, während andere keine signifikanten Effekte nachweisen. Die Methodik vieler Studien wird jedoch kritisiert, und es fehlen qualitativ hochwertige, randomisierte kontrollierte Studien.

  • Einschränkungen: Die Evidenzbasis für die Wirksamkeit von Akupunktur bei Autismus ist schwach, und es gibt keine überzeugenden Beweise dafür, dass sie Kernsymptome von ASD wirksam behandelt. Weitere Forschung ist notwendig, um die möglichen Vorteile und Risiken zu klären.

Bewertung: ★★☆☆☆

Melatonin und weitere Hilfen bei Schlafstörungen

Schlafstörungen sind bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen häufig und können sowohl das Kind als auch die Familie stark belasten. Es gibt verschiedene Ansätze zur Behandlung dieser Schlafprobleme, wobei Melatonin oft als erste Option in Betracht gezogen wird.

Melatonin

Melatonin ist ein Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus im Körper reguliert. Es wird als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und häufig bei Schlafstörungen eingesetzt, insbesondere bei Kindern mit Autismus.

  • Vorteile: Melatonin kann den Einschlafprozess erleichtern und die Schlafdauer verlängern. Studien zeigen, dass es bei vielen Kindern mit Autismus wirksam ist und nur wenige Nebenwirkungen hat. Es kann besonders nützlich sein, wenn der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus gestört ist.

  • Nachteile: Während Melatonin bei vielen Kindern hilft, gibt es Unterschiede in der Wirkung, und nicht alle Kinder profitieren davon. Einige mögliche Nebenwirkungen sind Tagesmüdigkeit und Kopfschmerzen. Langfristige Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei Kindern fehlen.

Bewertung: ★★★★☆

Weitere Hilfen bei Schlafstörungen

Zusätzlich zu Melatonin gibt es weitere Strategien, um Schlafstörungen bei Kindern mit Autismus zu bewältigen:

  • Schlafhygiene: Eine gute Schlafhygiene umfasst feste Schlafenszeiten, eine beruhigende Abendroutine und die Minimierung von Störungen durch Licht und Lärm. Ein konsistentes Umfeld kann Kindern helfen, besser einzuschlafen.

  • Verhaltenstherapie: Verhaltenstherapeutische Ansätze können eingesetzt werden, um schlafbezogene Verhaltensweisen zu verbessern, z.B. durch die Schaffung positiver Assoziationen mit dem Schlafen und die Reduzierung von Schlafvermeidung.

  • Sensorische Hilfsmittel: Einige Kinder profitieren von sensorischen Hilfsmitteln wie gewichteten Decken, die ein beruhigendes Gefühl erzeugen und den Schlaf fördern können.

  • Medikamente: In schwereren Fällen, in denen Melatonin und Verhaltensänderungen nicht ausreichend sind, können verschreibungspflichtige Schlafmittel in Betracht gezogen werden, die jedoch immer unter strenger ärztlicher Aufsicht eingesetzt werden sollten.

Bewertung: ★★★★☆

Zusammenfassung der Empfehlungen

  • Vorsicht bei ABA: Die intensive Kritik und Berichte über negative Auswirkungen machen ABA zu einer fragwürdigen Option.

  • Medikamente gezielt einsetzen: Medikamentöse Therapien können bei spezifischen Symptomen hilfreich sein, sollten aber immer sorgfältig und in Absprache mit einem Arzt erwogen werden.

  • Alternative Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel: Diese sollten nur unter ärztlicher Aufsicht eingesetzt werden, da die Wirksamkeit und Sicherheit oft nicht ausreichend belegt sind.

  • Früh anfangen: Je früher die Therapie beginnt, desto besser können sich positive Effekte einstellen.

  • Individuelle Anpassung: Jede Therapie sollte auf die spezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten Ihres Kindes abgestimmt sein.

  • Therapien kombinieren: Oft ist eine Kombination verschiedener Therapieformen am effektivsten.

  • Kosten und Zeitaufwand berücksichtigen: Manche Therapien sind sehr zeitaufwendig oder teuer. Sprechen Sie mit Fachleuten über mögliche Unterstützungsmöglichkeiten.

  • Alternative Ansätze vorsichtig prüfen: Wenn Sie alternative Therapien in Betracht ziehen, sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Arzt, um sicherzustellen, dass diese sicher sind.

  • Geduld und Unterstützung: Fortschritte können Zeit brauchen. Es ist wichtig, dass Sie und Ihr Kind in dieser Zeit Unterstützung erhalten.

  • Schlafstörungen behandeln: Melatonin und andere Strategien können helfen, Schlafprobleme zu lindern, die bei Kindern mit Autismus häufig sind.

Schlusswort

Jedes Kind im Autismus-Spektrum ist einzigartig, und es gibt keine „Einheitslösung“ für die Therapie. Der wichtigste Schritt ist, die Therapie zu finden, die am besten zu Ihrem Kind passt und ihm hilft, sein volles Potenzial zu entfalten. Vertrauen Sie dabei auch auf Ihre Intuition und suchen Sie den Rat von Fachleuten, um die bestmögliche Unterstützung für Ihr Kind zu finden.

Zusammenfassung der Quelle: Dieser Beitrag basiert auf der Übersichtsarbeit von Kaye A D, Allen K E, Smith III V S, et al. (2024), die aktuelle und aufkommende Behandlungsmöglichkeiten für Autismus-Spektrum-Störungen untersucht haben. Sie diskutieren etablierte und neuartige medikamentöse Therapien, darunter Oxytocin, Bumetanid, Acetylcholinesterase-Inhibitoren und Memantin, sowie alternative Therapien wie spezielle Diäten und Akupunktur. Die Autoren betonen die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Behandlungsoptionen besser zu verstehen.

Quelle: Kaye A D, Allen K E, Smith III V S, et al. (July 02, 2024) Emerging Treatments and Therapies for Autism Spectrum Disorder: A Narrative Review. Cureus 16(7): e63671. doi:10.7759/cureus.63671.

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