Zum Hauptinhalt springen

Hitzewelle, Faschisierung, Klimakollaps: wie essen Angst NICHT Seele auf?

[Generiert mit Stable Diffusion; prompt: "Create an abstract image depicting fear"]


Liebe Leute,

heute mal wieder Emokram.

Genauer: der Versuch einer etwas tieferen Auseinandersetzung mit einem Gefühl, über das ich hier schon mehrfach geschrieben habe, nämlich der Angst. Angst vor einer von Klimakollaps und Faschisierung bestimmten Welt; einer Welt, in der man sich nicht einmal für die eigenen Kinder noch eine schöne, eine befreite, eine angenehme Zukunft vorstellen kann; einer Zukunft, in der alles, oder zumindest vieles immer anstrengender, umkämpfter, härter sein wird; Angst vor brutalen politischen, irgendwann körperlichen Auseinandersetzungen um immer knappere aber unverzichtbare Güter wie Wasser, saubere Luft oder, s. Hitzewelle, gekühlte Räume. Angst vor dem ökologischen und gesellschaftlichen Kollaps, vor dem Ruck nach Rechts, Angst vor dem Ende der Welt, wie wir sie kennen.


Rationale Ängste

Auf die Gefahr hin, dass Ihr meine Annahmen über Eure Gefühlszustände als vage übergriffig empfindet: ich denke mal, Ihr kennt solche Ängste zumindest in Teilen – wegen Eurer Kinder oder Eurer selbst, wegen der Welt im Allgemeinen oder Euch und Euren Liebsten im Besonderen – und werdet sie in den vergangenen Monaten verstärkt gespürt haben: gefühlt nahm die Gesellschaft jeden Tag einen weiteren großen Schritt Richtung Arschlochisierung (Pechstein und Aiwanger, Merz und Linnemann, Sonnenberg und Lindemann). Deswegen die große Resonanz auf meinen Text zum “coming out der Arschlochgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster)”, der die Frage stellte: warum wird eigentlich alles so schnell und vor allem gleichzeitig scheißer, in so vielen Politikfeldern, in so vielen Ländern, in so vielen Bereichen meines Alltagslebens?

Konsens scheint zu sein: in den vergangenen Monaten haben wir mehrere ökologische und gesellschaftliche Kipppunkte überschritten, aber eben nicht in die Richtung, in die sowohl Fridays for Future, als auch die Letzte Generation gerne fabulierten (Kipppunkt zum Klimaschutz), sondern in die andere, die falsche, die Arschlochrichtung. Der Klimakollaps (Öffnet in neuem Fenster) scheint begonnen zu haben (woher sonst das apokalyptische Wetter diesen Sommer?), die Gesellschaft kippt auf der Alltagsebene nach rechts, und auf der politischen ins Autoritäre (Öffnet in neuem Fenster). Die Urlaubsinsel brennt, es gibt immer mehr alltägliche Gewalt gegen Queers, und die AfD, verstärkt durch die AfD mit Substanz (die Merz-Union), scheint auf dem Weg zu sein, mittelfristig die umfragestärkste Partei des Landes zu werden.

Natürlich macht das Angst: es ist völlig rational, Angst vor der Zukunft im Klimakollaps zu haben, völlig nachvollziehbar, Angst vor der rapiden Faschisierung Europas zu haben, völlig verständlich, nicht nur als queere Deutsche of color, Angst vor einer zunehmend brutalisierten Gesellschaft zu haben. Diese Angst kann und soll niemand wegtherapieren, auch nicht mit dem Verweis auf “Wirkungsmächtigkeit” oder Handlungsfähigkeit, die in einem Kontext, wo wir eigentlich keine vorwärtsweisenden Erfolge mehr erzielen können (Öffnet in neuem Fenster), eigentlich auch nur die aktivistische Variante kapitalistischer Arbeitsfähigkeit ist. Angst kann Seele auffressen, kann lähmen, aber sie muss es nicht – und sie jetzt zu verdrängen macht halt auch keinen Sinn, denn dann kommt sie (“Die Rückkehr des Verdrängten”) irgendwann nur mit mehr Wucht zurück.


Wie mit den Ängsten umgehen?

Wenn wir uns entscheiden, dass unsere Ängste erstens rational anstatt pathologisch und therapierbar sind, und dass wir sie, zweitens, nicht verdrängen wollen, dann bleibt uns eigentlich nur, uns ihnen zu stellen. Das klingt für Klimas vielleicht einfacher, als für viele andere, stellen wir uns doch erst einmal der rationalen Angst vor dem Klimakollaps deutlicher, als viele andere das tun. Aber wie Norbert Prinz (Öffnet in neuem Fenster) von der Gruppe Kollapscafé betont: sich der Angst vor dem Klimakollaps zu stellen ist nicht damit identisch, sich der Angst zu stellen, dass dieser eigentlich nicht mehr zu vermeiden ist, weil es keinerlei effektive und realistische Möglichkeiten gibt, ihn noch aufzuhalten: zu spät, zu wenig, zu unpopulär wäre alles, was wir noch tun könnten und/oder tun müssten.

Was bedeutet es, sich einer Angst zu stellen? Zuerst einmal geht es ganz einfach darum, sich diese Ängste selbst einzugestehen, und vor allem – denn “sich selbst eingestehen” kann auch leicht der 1. Schritt zur Verdrängung sein, wenn man das, was man sich eingestanden hat, dann in sich selbst vergräbt – heißt das, mit Anderen darüber zu reden. Diese rationalen Ängste werden in einem gesellschaftlichen Feld produziert, und sie lassen sich nicht außerhalb von gesellschaftlichen Beziehungen bearbeiten. Das “mit Anderen darüber reden” hebt erst einmal das Gefühl von Einsamkeit, vom dauernden bloß Kassandra sein auf, vergesellschaftet die Emotion.

Das mag jetzt wirklich sehr banal klingen, aber zwei Drittel aller Amerikaner*innen sagen, dass sie selten/nie mit Freunden*innen über die Klimakrise sprechen: 'Man denkt, je beängstigender es ist, desto mehr sollten wir darüber sprechen. Aber es ist umgekehrt: Es ist zu beängstigend, um darüber zu (Öffnet in neuem Fenster)sprechen.'“ Diese Menschen (und ich dehne das jetzt mal auf Deutschland aus), also wir, fühlen die Angst vor der Klimakrise, dem Klimakollaps, und vermeiden es genau deswegen, darüber zu sprechen, kennen wir doch alle das Phänomen, dass über etwas sprechen diese Sache sehr viel realer macht, als sie allein in unseren Köpfen aufzubewahren.

Also: gehet hin, und sprecht offen über Eure Gefühle, auch, wenn sich dieses sprechen zuerst einmal nicht besonders „ermächtigend“ (Ermächtigung being der heilige Gral in sowohl Aktivismus als auch Psychologie) anfühlt, und Euch erst einmal tiefer in das negative Gefühl (Angst) hineinzuziehen scheint. Ich bin ein großer Fan der emotionalen Strategie, sich neuen, auch negativen Gefühlen erst einmal to the fullest extent possible auszusetzen, also auch einmal quer durch den breiten, tiefen Fluss aus Scheiße zu waten, zu dem die momentane politische, gesellschaftliche und ökologische Realität geworden ist. Ich verspreche: egal, wie tief er ist, dieser River of Shit hat eine andere Seite, irgendwo geht’s raus aus der Scheiße.


Metaanpassung an den Kollaps

Aber wieso, fragt Ihr Euch vielleicht, hat dieser Fluss eine „andere Seite“? Im Kollaps wird doch alles immer schlimmer, also ist es weniger ein Fluss, als ein Ozean von Scheiße, so ung. der Pazifik der Arschlochgesellschaft, durch den durchzuschwimmen nicht einmal die beste Triatlethin vermöge.

Das stimmt zwar, und stellt erst einmal ein Problem dar. Zwar kann sich das menschliche Gehirn, soviel wissen wir aus Ethnographien und psychologischen Studien über Gesellschaften im Krieg und aus den Vernichtungslagern der Nazis, an so ziemlich jede auch noch so abgefuckte Situation gewöhnen, aber was, wenn es sich im Grunde jeden Tag an eine neue, noch abgefucktere Situation gewöhnen muss? Da hilft etwas, das ich in Ermangelung tatsächlichen psychologischen Wissens mal als „Metaanpassung“ bezeichnen würde: ich habe in den vergangenen Monaten angefangen, mich nicht jeden Tag an die neue, verschlechterte Situation anzupassen, sondern ein Metaverständnis davon zu entwickeln, dass sich die Situation jeden Tag (möglicherweise) verschlechtern wird.

Diese Erzählung klingt vielleicht verzweifelt, aber sie entspricht den empirisch belegbaren Fakten durchaus mehr, als eine, die von der fundamentalen Korrigierbarkeit der Kollapspfade ausgeht. Sie hat außerdem eine ganz konkrete praktische Vorteile, nimmt sie doch viel von der emotionalen Arbeit vorweg, macht manche davon unnötig, sich jeden Tag neu der Scheiße zu stellen – denn dass diese zunehmend von oben und von der Seite auf uns einpladdern wird, ist darin schon eingepreist und (in Teilen) verarbeitet. Mit dieser Metaawareness im Rücken kann ich zum Beispiel anfangen, darüber nachzudenken, wie eine linksökologische Gerechtigkeitspolitik im Kollaps aussehen kann, ohne mich damit aufzuhalten, noch Strategien zu entwickeln, die daran scheitern werden, den Kollaps aufzuhalten, because that ship has sailed, dear comrades. Und während die Kapitalseite schon aktiv daran arbeitet, die Gesellschaft-im-Kollaps zu strukturieren, arbeiten wir uns oft an Zielen ab, die schon verfehlt sind. Hopium is my least favourite drug these days.

Dabei belasse ich es mal, würde mich interessieren, wie Ihr das seht. Bis auf weiteres,

Euer Tadzio

10 Kommentare

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Friedliche Sabotage und diskutiere mit.
Mitglied werden