Wort-Dock
Newsletter im Januar 2024
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
obwohl der Januar schon einige Tage alt ist, wünsche ich Euch an dieser Stelle alles Gute für das Jahr 2024! In der zweiten Ausgabe meines monatlichen Kultur-Briefs „Wort-Dock“ stelle ich zwei Bücher vor - einen wiederentdeckten Roman von 1950 und einen Roman über das glückliche Erinnern - sowie eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle.
Viel Spaß beim Lesen!
Wiederentdeckter Roman voller bissigen Humors
Titel: Das Fest
Autorin: Margaret Kennedy
Verlag: Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung
Originaltitel: The Feast
Aus dem Englischen übersetzt von: Mirjam Madlung
Erstveröffentlichung: 1950
Deutsche Erstveröffentlichung: 22.06.2023
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten, 24 Euro
Inhalt: Der Roman spielt im August 1947. Das am Fuße der Klippen Cornwalls gelegene, kleine Hotel Pendizack wird durch einen Felssturz verschüttet. Die darin befindlichen Menschen kommen ums Leben - es überleben nur diejenigen, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf einem Fest in der Nähe der Bucht befinden. Wie kommt es zum Absturz der Felswand? Wer überlebt die Katastrophe, wer nicht? Und ist es wirklich ein Zufall, wer verschüttet wird?
Die Siddals haben ihr Haus aus Kostengründen zum Hotel umfunktioniert und leben dort mit ihren Söhnen. Eine Woche vor dem Unglück beherbergt das Hotel kaum Gäste, doch auf einmal reisen die Urlauber an. Es sind eigenwillige Persönlichkeiten aus verschiedenen Gesellschaftsschichten - sie haben ihre Sorgen und Geheimnisse, ebenso wie das Personal. Die bettlägerige Lady Gifford, die die Hotelbetreiber schon vor ihrer Anreise tyrannisiert, und die klagende Haushälterin Miss Ellis sind nur zwei davon…
Hauptteil: Margaret Kennedys (1896 - 1967) wiederentdeckter Roman „Das Fest“ stammt aus dem Jahr 1950. In der 2023 erschienenen, deutschen Übersetzung bezeichnet Schöffling & Co. ihn im Klappentext als „nostalgischen Sommerkrimi“. Doch zugleich handelt es sich hier um einen Roman, der einerseits voll von bissigem Humor steckt, andererseits die unter den Nachwirkungen des Krieges leidende, englische Gesellschaft beschreibt.
Die Leserschaft erfährt im Prolog vom Felssturz, um rückblickend die Betreiber des Hotels, das Personal und die Gäste in der Woche vor der Tragödie zu begleiten. Die Autorin erzählt aus den Perspektiven der verschiedenen Figuren und streut dabei einzelne Tagebuch-Aufzeichnungen sowie Briefe ein. Diese spannende Erzähltechnik gewährt nicht nur nach und nach immer tiefere Einblicke in die Gedankenwelt der Figuren, sondern zeigt auch ihre Verflechtungen untereinander und ihre Blicke auf die anderen Personen. Einige Protagonisten repräsentieren die sieben Todsünden, was den Rätselspaß beim Lesen erhöht.
Fazit: Mir hat dieser sprachlich gelungene, abwechslungsreich konstruierte Roman sehr gut gefallen. Eine witzige, teils anrührende Lektüre, die zum Mitraten einlädt und deren soziale Komponente nachdenklich macht.
Roman über die glücklichen Momente im Leben
Titel: Die Erinnerungsfotografen
Autorin: Sanaka Hiiragi
Verlag: Hoffmann und Campe Verlag
Originaltitel: Jinsei shashinkan no kiseiki
Aus dem Japanischen übersetzt von: Yukiko Luginbühl und Sabine Mangold
Erstveröffentlichung: 2019
Deutsche Erstveröffentlichung: 02.08.2023
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten, 22 Euro
Inhalt: Herrn Hirasakas Fotostudio liegt im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Hier, an der Schwelle zum Jenseits, begrüßt er die gerade Verstorbenen und überreicht ihnen die Fotos ihres Lebens - eines für jeden Tag. Die Besucher des Fotostudios müssen nun für jedes Lebensjahr ein Bild aussuchen, das ihnen vor dem Übertritt ins Jenseits in ihrem persönlichen Lebensfilm gezeigt werden soll. Ist ein wichtiges Bild verblasst, darf die Person eine Zeitreise mit Herrn Hirasaka und einer Kamera ihrer Wahl antreten und diese Lebensstation erneut fotografieren.
Die Leserschaft begleitet drei sehr unterschiedliche Menschen zu besonderen Momenten in ihre Vergangenheit. Auf den ersten Blick scheinen die Geschichten nichts miteinander zu tun zu haben…
Hauptteil: Sanaka Hiiragi (geboren 1974) liebt nach Verlagsangaben alte Fotoapparate und das Fotografieren, was sich in diesem sehr schönen, berührenden Roman widerspiegelt. Das Thema des Buches ist zwar ernst, aber die Geschichte macht Hoffnung. Sie zeigt, wie schön das Leben ist, dass es immer etwas gibt, an das es sich zu erinnern lohnt, und dass unsere Sichtweise auf das Erlebte zählt: Die Besucher des Fotostudios können sich im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Bild ihrer Erinnerung machen.
Die Autorin benutzt die Vergangenheitsform. Mir gefällt der Wechsel aus allwissender Erzählperspektive, Dialogen mit Herrn Hirasaka sowie Erinnerungen der Verstorbenen in der Ich-Form. Interessant ist auch, wie die jeweiligen Menschen, die das Fotostudio besuchen, Herrn Hirasaka wahrnehmen, über den man im Laufe der Geschichte immer mehr erfährt. In der Übersetzung des Romans ist der Sprachstil angepasst an die jeweiligen Besucher des Studios, was ich als stimmig empfinde.
Fazit: Dieser Roman beschäftigt sich auf eine hoffnungsvolle Weise mit dem Leben, seinem Ende und dem Umgang mit Erinnerungen. Ich finde ihn sehr schön - berührend, traurig und tröstlich.
Relief-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle
Eine spannende Ausstellung zeigt die Hamburger Kunsthalle derzeit im Hubertus-Wald-Forum und der Galerie Klassische Moderne: „Herausragend! Das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp“. Sie umfasst rund 130 Werke von über 100 Künstlerinnen und Künstlern aus Europa und den USA - darunter nicht nur Reliefs, sondern auch Gemälde, Skulpturen und Plastiken.
Das Relief hat seine Wurzeln in der Steinzeit. Es ist eine Mischform aus Malerei und Bildhauerei, in der die traditionellen Gattungen miteinander verschmelzen: Immer mehr Maler arbeiteten im 19. Jahrhundert auch plastisch, während Bildhauer zusätzlich malten. Im 20. Jahrhundert wiederum experimentierten die Kunstschaffenden mit neuen Techniken und Materialien.
Die Ausstellung zeigt die Ausprägungen der Kunstgattung von 1800 bis in die 1960er Jahre. Sie ist nicht chronologisch geordnet, sondern in zwölf thematische Kapitel eingeteilt, zum Beispiel Antike als Vorbild, malerisch/plastisch, Erzählungen, Relief in Farbe, Raum und Umraum, Strukturen sowie der öffentliche Raum.
Unter den Exponaten sind Werke von Alexander Archipenko, Hans Arp, Willi Baumeister, Edgar Degas, Paul Gauguin, Ernst Ludwig Kirchner, Henri Matisse, Pablo Picasso, Gerhard Richter, Kurt Schwitters, Daniel Spoerri, Sophie Taeuber-Arp und Bertel Thorvaldsen. Neben Arbeiten aus Bronze, Marmor und bemaltem Holz sind beispielsweise Werke aus Gips, Wachs mit Glaseinlagen, Stahl und Draht, Nägeln sowie Alltagsgegenständen zu sehen.
Nach Angaben der Hamburger Kunsthalle fand die letzte Ausstellung zur Gattung Relief vor über 40 Jahren statt. Die aktuelle Schau ist in Kooperation mit dem Städel Museum in Frankfurt am Main entstanden, wo sie vom Mai bis September 2023 gezeigt wurde.
Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle (Opens in a new window) läuft noch bis zum 25. Februar 2024.
Der monatliche Newsletter Wort-Dock ist kostenlos. Wer meine Arbeit daran finanziell unterstützen möchte, kann das gerne hier tun: