Wenn “rechtsextrem” normal wird
Herzlich Willkommen!
Zum Superwahljahr 2024 und zur achten Ausgabe unseres Newsletters.
Tja, wie sollen wir beginnen, in diesem Jahr, das von einigen als ein Jahr beschrieben wird, in dem die “Welt am Wendepunkt” (Opens in a new window) ist. Ein Jahr, das mit der Nachricht beginnt, SPD und FDP krepeln in Sachsen bei einer repräsentativen Online-Umfrage bei drei, beziehungsweise einem Prozent? (Opens in a new window)
Lasst es uns mit der Aufklärung eines der wohl typischsten rechtsextremen Narrative beginnen: Wer nicht mit dem Strom schwimmt, wird als rechtsextrem abgestempelt.
Lasst uns aber auch zusammenstehen, uns organisieren, uns unterstützen und uns nicht an vermeintlichen Fehlern von Menschen auf der gleichen Seite aufreiben. Niemand ist perfekt. Keine:r werfe den ersten Stein.
Das gemeinsame Ziel ist klar: #noafd.
Bleibt achtsam miteinander! 🧸
Richtigstellung: An dieser Stelle haben wir in der ersten Version unseres dieswöchigen Newsletters darauf verwiesen, dass die im Headerbild gezeigten T-Shirts auf der X-Seite von Harald Schmidt beworben wurden. Hier ist uns ein Fehler unterlaufen: Die Postings stammen von einer Satire-Seite, die nicht dem Original-Komiker Harald Schmidt zuzuordnen ist!
Bitte entschuldigt den Fehler, er ärgert uns sehr.
Worum geht’s diesmal?
Seit Wochen wird über ein Verbotsverfahren gegen die AfD gesprochen. Sicherlich eine Reaktion darauf, dass mittlerweile drei Landesverbände (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt) vom Verfassungsschutz als gesichert rechtstextremistisch eingestuft worden sind.
Währenddessen steigt die AfD in Umfragen. Seit Wochen steht sie in Brandenburg, Thüringen und Sachsen auf dem vordersten Platz (bei der eingangs erwähnten Civey-Umfrage liegt sie derzeit in Sachsen bei 37 Prozent). Das sind die Bundesländer, in denen dieses Jahr ein neuer Landtag gewählt wird.
Es gibt also eine Gleichzeitigkeit der Entwicklungen: Während immer mehr AfD-Landesverbände, die Nachwuchsorganisation und zeitweise auch Teile der Bundespartei selbst als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextrem eingestuft werden, schreckt diese Entwicklung gleichzeitig Wähler:innen – zumindest in Umfragen – nicht ab.
Im Gegenteil. Rechtsextremismus ist offenbar kein Hindernis mehr für gute Ergebnisse.
Das liegt unserer Meinung nach auch an einem Narrativ, das AfD-Anhänger:innen online verbreiten und um das es diese Woche geht:
„Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem.“
Wer spricht da?
Wer nach dem Satz sucht, findet ihn online in zahlreichen Abwandlungen bei meist anonymen Accounts, die vermutlich der rechten Sphäre um die AfD zuzuordnen sind.
Eine:r schreibt: “Der Begriff Rechtsextrem wird mehr und mehr ein Prädikat für ‘Normal denkende, liberale Bürger’.” [sic!]
Oder: “Genau wie bei der AfD. Ist der Bürger unbequem, ist er gleich rechtsextrem. Freie Meinungsäußerung nicht erwünscht.”
Und: “Ist der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem. Ritterschlag für unbequeme Oppositionsarbeit! Die einzige Partei die den Finger in die Wunde legt und schonungslos Probleme anspricht. Wer so etwas macht ist rechtsextrem. [sic!] Wir sollten alle rechtsextrem sein!”
Man liest auch: “#VERFASSUNGSSCHUTZ: #AfD in #Sachsen als gesichert #rechtsextremistisch eingestuft. Merke: Wird der Bürger unbequem, ist die #AfD plötzlich rechtsextrem!”
Dazu werden oft AfD-Bilder geteilt, blaue Herzen und/oder Deutschlandflaggen.
Shops hoffen auf Profit mit Narrativ
Das ist nicht alles: Der Satz taucht noch woanders auf. In Shops wie Amazon oder Patriotex. Aufgedruckt auf vielen Produkten, von Shirts bis Tassen und Fußmatten. Dass Unternehmen mit gesellschaftlicher Stimmung Geld verdienen, kann man ihnen nicht vorwerfen.
Viele der Shops sind aber trotzdem nicht uninteressant: Bei Patriotex steht beispielsweise Roy Elbert im Impressum, ein ehemaliger NPD-Politiker.
Das Narrativ dahinter
Was also wird mit dem Narrativ “wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“ beabsichtigt?
Eine Umdeutung des Begriffs rechtsextrem. Das geschieht in vielen Nunancen, auf die wir jeweils kurz eingehen möchten. Dafür hangeln wir uns an den Beispielen auf X entlang, die das Narrativ leicht abwandeln oder in einen anderen Kontext stellen.
1️⃣ Umdeutung
Die erste Strateige ist die Umdeutung. Dafür wird in einigen X-Beiträgen “rechtsextrem” als Synonym für “unbequem” dargestellt. Das soll dem Begriff seinen historische Schrecken nehmen. Andere sprachliche Verknüpfungen sind: “normal denkende, liberale Bürger” mit “rechtsextrem”.
Eine Folge: Menschen, die diese Erzählungen teilen, können dadurch ihr demokratisches Selbstbild erhalten. Nein, sie sind nicht rechtsextrem im eigentlichen Sinne. Sie sind unbequem, normal, liberal.
2️⃣ Normalisierung
Eine zweite Strategie ist es, den Begriff auszuhöhlen und im dadurch seine Tragweite zu nehmen. Das geschieht beispielsweise, indem “geschlussfolgert” wird, dass AfD-Anhänger:innen in Debatten immer dann als rechtsextrem abgestempelt werden, wenn sie doch eigentlich nur von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen.
Was hier im Subtext transportiert wird: AfD-Anhänger:innen haben mit ihren Aussagen und Positionen recht, ihre Kritik ist angebracht und ihnen ist argumentativ auch nicht beizukommen. Deshalb ist die Reaktion darauf von Anhänger:innen anderer Parteien immer nur die “Rechtsextremismus-Keule”.
3️⃣ Auszeichnung
Eine weitere Ebene des Narrativs ist es, rechtsextrem nicht nur nicht negativ zu konnotieren, sondern sogar positiv aufzuladen. Das zeigt sich im folgenden X-Beispiel: “Ist der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem. Ritterschlag für unbequeme Oppositionsarbeit! […]”
Die Zuschreibung rechtsextrem ist hier als Auszeichnung zu verstehen. Damit wird die AfD als starke Oppositionspartei geframed, die vor allem aufgrund ihrer politischen Leistungsfähigkeit Zulauf in Wähler:innen-Umfragen erhält.
Im Vordergrund steht damit die erfolgreiche parlamentarische Arbeit. Und diese ist es auch, die der Regierung angeblich unangenehm wird. Sie versucht deshalb, den Aufstieg der AfD zu verhindern und instrumentalisiert – um an der Macht zu bleiben – den Verfassungsschutz. Der brandmarkt die AfD als rechtsextrem, um sie unwählbar zu machen. Aber das durchschauen die Anhänger:innen und schließen, dass rechtsextrem eine Auszeichnung sein kann.
Der Logik folgend hat dann die Einstufung keine sachliche Grundlage, sie findet nicht aufgrund von mehrjährigen Untersuchungen durch die Behörden statt, die hunderte und tausende Äußerungen der Parteikader gesammelt und eingeordnet haben. Sondern weil es die Regierung so will.
Auf diese Weise wird die Zuschreibung rechtsextrem nicht nur geschliffen, sondern gleichzeitig Stimmung gegen die etablierten Parteien gemacht. Denn die können sich der Erzählung folgend nur mit undemokratischen Mitteln an der Macht halten.
4️⃣ Verknüpfung
Es wird hier also eine Brücke zu einem Haupt-Narrativ der AfD geschlagen – der Elitenkritik (Opens in a new window). Was mitschwingt: Die korrupte politische Elite hat sich gegen die Partei verschworen.
Erika Steinbach, Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (Opens in a new window), schrieb dazu kürzlich:
“Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist keine unabhängige Behörde, sondern weisungsgebunden durch die Bundesregierung. Herr Haldenwang und seine Länderkollegen müssen das machen, was die jeweilige Regierung will. Ansonsten geht es ihnen wie Herrn Maaßen. Ziel ist erkennbar, Oppositionszerstörung. Demokratie geht anders!”
Hier wird von einer Verschwörung geraunt, die im Grunde nur dazu dienen soll, die AfD zu verhindern: eine von oben angeordnete Einstufung der Partei als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz.
🔎 Ziele des Narrativs
Was hier zusammenfassend geschieht, ist die Aushöhlung und Umdeutung des Begriffs rechtsextrem. Das ist eine bekannte rechte Strategie. Der Rhetorik-Professor Volker Friedrich schreibt, dass damit “Begriffe besetzt und dem politischen Gegner entrissen werden sollen – ein bewährter Schachzug politischer Propaganda (Opens in a new window)”.
Grundsätzlicher wird die Strategie auf der Seite der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt (Opens in a new window) erklärt:
“Es lassen sich zwei Strategien beobachten, wie die öffentliche Meinung von rechts beeinflusst wird. Zum einen verwendet die Neue Rechte im Sinne der Konservativen Revolution ‘Schlagwörter als notwendige politische Mittel zur Vereinfachung einer Ideologie’. Zum anderen werden Begriffe gezielt umgedeutet und der eigenen Ideologie gemäß verwendet.”
Das sei besonders offensichtlich bei Begriffen wie Kultur, Volk und Nation. Kultur diene der Neuen Rechten als zentraler Begriff in der Argumentation für den Ausschluss “des Fremden” vom konstruierten homogenen Eigenen.
Historisch behaftete Begriffe wie “Rasse” würden durch “nationale Identität” und “Kultur” ersetzt, “Ungleichheit” wird zu “kultureller Differenz”. So begründeten rechte Vordenker:innen einen “Rassismus ohne Rassen”, der stattdessen Kultur als unvereinbare Differenz konstruiert.
Ähnlich soll nun auch die Zuschreibung rechtsextrem umgedeutet werden und und dadurch den historischen Schrecken, der daran haftet, lösen. Oder, noch einen Schritt weitergedacht, soll “rechtsextrem” sogar positiv aufladen und zu einem identitätsstiftenden Gruppenmerkmal machen.
So werden potenzielle Wähler:innen vom Label rechtsextrem nicht mehr abgeschreckt.
👉 Ziele des Narrativs sind damit eine Immunisierung und Verharmlosung.Im Nachkriegsdeutschland galten bislang rechtsextreme Parteien als unwählbar für die Mehrheit der Gesellschaft. Wird allerdings die Zuschreibung rechtsextrem verwässert, im Sprachgebrauch und vor allem in der Bedeutung, könnte sich das zukünftig ändern.
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