Der Übermedien-Newsletter von Boris Rosenkranz
Liebe Übonnent:innen,
in Nordrhein-Westfalen wird heute gewählt, und wer vorigen Donnerstag im WDR das „TV-Duell“ (Opens in a new window) der Spitzenkandidaten von CDU und SPD gesehen hat, weiß jetzt, dass es egal ist, wem man seine Stimme gibt. Den Eindruck musste man jedenfalls haben nach 75 Minuten, so einig waren sich Thomas Kutschaty von der SPD und der amtierende CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
„Das Duell“ der Spitzenkandidaten. Screenshot: WDR
Es war ein „Duell“ von einlullender Langweiligkeit: kein Streit, nicht mal eine kleine Kontroverse. Nur immer wieder die, naja, Erkenntnis: Aha, da sind sich CDU und SPD also einig. Und hier. Und, ach, dort auch! Und dann hatte sich der WDR auch noch ein Spiel (ja, ein Spiel) ausgedacht, bei dem es ebenfalls um die Ähnlichkeiten ging. Die Moderatorinnen lasen (mehrfach in der Sendung) Sätze aus den Parteiprogrammen vor; die Kandidaten sollten dann raten, ob die Zitate aus ihrem eigenen Programm stammen oder aus dem der anderen Partei.
Fast immer (Überraschung!) nahmen die Kandidaten an, dass es ihre Sätze sind, womit sie aber auch nicht ganz falsch lagen. Die rätselhafte Pointe war nämlich, dass die Sätze nur in einem Programm wortwörtlich drinstehen, bei der anderen Partei jedoch irgendwie auch, nur anders, aber ähnlich, „ganz nah dran“. Einmal unterschied sich nur ein Wort: „ermöglichen“ statt „erfüllen“. Das habe man „so ein bisschen“ zeigen wollen, „wo Sie gemeinsame Positionen haben“, freute sich Rateduell-Moderatorin Ellen Ehni. Das Spiel kam dann noch zweimal.
(Zum Schluss durften die Kandidaten dann noch „Koalitionspartner-Bingo“ spielen. So ein „TV-Duell“ im WDR ist einfach ein ganz großes Game.)
WDR-Reporterin zum Essen bei den Kutschatys. Screenshot: WDR
Nicht nur inhaltlich sind sich die beiden Parteien offensichtlich nah, auch ganz oberflächlich sind die Kandidaten nicht weit voneinander entfernt: Hendrik Wüst, männlich, mittelalt, Jurist gegen Thomas Kutschaty, männlich, mittelalt, Jurist. Und beide sind Vater, was sie im Wahlkampf betonten: Kutschaty lud sogar eine ARD-Reporterin nach Hause ein, zum Pfannkuchen-Essen mit Frau und Tochter; und Wüst zeigte sich bereits voriges Jahr zum Fototermin vorm Landtag mit Frau und Kinderwagen, das ist jetzt sein neues softes Image. Wüst redete im Wahlkampf gern und viel von seiner kleinen Tochter.
Früher war er anders. Der Journalist Martin Teigeler, der Wüsts Karriere seit gut 20 Jahren verfolgt, hat für uns aufgeschrieben (Opens in a new window), wie sich der Christdemokrat in dieser Zeit verwandelte: vom einst krawalligen Jungunionisten, der auch der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ Rede und Antwort stand, zum grün angehauchten Mann der Mitte, als der er sich heute gibt; und der in „Bunte“ vom Familienglück erzählt und davon, wie er seine Frau zufällig in einer Kneipe in Düsseldorf kennen lernte. Fazit: Sie stammt aus seinem Heimatort und Wüst hat früher in der Kanzlei ihres Vaters gearbeitet. Zufälle gibt‘s, verrückt!
Wer noch mehr darüber erfahren will, wie sich die Kandidaten im Wahlkampf inszenierten, sollte sich die WDR-Doku „Der Weg zur Macht“ anschauen. Eine Reporterin begleitet beide zu Terminen, ins Büro, an den Esstisch. Und immer wieder gibt es Szenen, die man aushalten muss, weil die Kamera sekundenlang draufhält, auch wenn gerade niemand spricht – aber die Stille sagt genug. Zum Beispiel, als Hendrik Wüst nach einem Termin in einem Flüchtlingsheim mit den Tränen kämpft. An einer anderen Stelle in der Doku sagt er, dass er schon auch „emotional“ sei, „aber vielleicht zeige ich es nicht immer so“.
Hendrik Wüst: „Stehen se ma auf! Gucken se ma!“ Screenshot: WDR
Ansonsten wirkt Wüst eher abgebrüht, manchmal schroff, wenn er da so sitzt an seinem Ministerpräsidenten-Schreibtisch und Aktenstapel abarbeitet, während die Reporterin ihm Fragen stellt. Es dauert, bis er antwortet. Manchmal lässt er Fragen auch abtropfen, er sagt dann Sachen wie: „Bestimmte Dinge macht man und muss nicht so viel drüber gackern“. Ein anderes Mal fährt er die Reporterin mit wüster Stromberghaftigkeit an: „Stehen se ma auf! Gucken se ma!“ Hendrik Wüst möchte, dass sie sich mal ansieht, worauf Hendrik Wüst immer sitzt, wenn er Videokonferenzen macht: auf einer Art Fahrrad, immer in Bewegung.
Kutschaty wirkt dagegen fast ein bisschen unbeholfen und schüchtern vor der Kamera, ab und an auch genervt von einer Frage. Und obwohl er in NRW schon Justizminister war, ist er kein Prominenter, auch in der eigenen Partei. Einmal filmt ihn die Kamera vor einem großen Schlechtwetter-Wahlkampf-Auftritt in seiner Heimatstadt Essen. Kutschaty ist nervös. Karl Lauerbach ist gekommen, Franz Müntefering, Lars Klingbeil, die ganze SPD-Prominenz. Und Kutschaty ist plötzlich ein Groupie, das jetzt selbst ein bisschen Musik macht. Es bewege ihn, sagt er: „So viel Unterstützung von so vielen Prominenten, wo man ja vor ein paar Jahren die nur ausm Fäärnsehn auch kannte, nech?“
Heute Abend, wenn die ersten Hochrechnungen kommen, ist das alles egal. Und es wird tatsächlich spannend, weil CDU und SPD auch in den Umfragen ähnlich nah positioniert sind: ungefähr gleichauf. Aber, naja, diese Umfragen.
Vor ein par Tagen meldete „Bild“, die CDU ziehe an der SPD vorbei, weil sie bei 31 Prozent lag und die SPD „nur“ bei 29 Prozent. Was aber alles gar nicht so viel aussagt. Die Fehlertoleranz der Umfrage lag bei 3,1 Prozent – doch das stand, wie üblich, nur im Kleingedruckten. Der Wahlforscher Thorsten Faas hat schon vor ein paar Monaten in unserem Podcast erzählt (Opens in a new window), wie seriös solche Umfrage-News sind, und wie Medien damit umgehen sollten. Darüber hinaus haben wir noch viele Artikel mehr (Opens in a new window) über problematische Umfragen (und Forsa (Opens in a new window)) im Archiv.
Diese Woche neu bei Übermedien
Na? Queere ARD-Serie „All You Need“ Foto: ARD
Wie werden Filme und Serien wirklich diverser? (Opens in a new window)| Sender machen einiges, um die Gesellschaft in ihrer Vielfalt besser abzubilden. Aber reicht das? (Ü)
Die gnadenlose Launigkeit der „Aktuellen Stunde“ (Opens in a new window) | Stefan Niggemeier hat anlässlich der NRW-Wahl eine Woche lang das Regionalmagazin geguckt.
Hefte raus, Mathearbeit! (Opens in a new window) | Die Spitzenkandidaten der CDU und SPD treten zum „TV-Duell“ an – und es wird dann auch eine muntere Zahlenschlacht. (Video)
Der scheißlegale Hubschrauberflug (Opens in a new window) | Hendrik Wieduwilt kommentiert die (mal wieder) große Aufregung um Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Von Fynn Kliemann lernen (Opens in a new window) | Samira El Ouassil über den DIY-Influencer und die mediengesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre. (Ü)
„Auch Tote haben Würde und Persönlichkeitsrechte“ (Opens in a new window) | Medienwissenschaftler Oliver Zöllner über den Umgang mit Bildern, die Krieg und Gewalt zeigen.
Es gibt nicht 40-mal so viele Impfnebenwirkungen wie gedacht (Opens in a new window) | Eine Charité-Studie bekommt viel Aufmerksamkeit – sie ist weder seriös noch publiziert.
Selbstdarsteller plaudern vor sich hin (Opens in a new window) | Drei Männer mit Hollywood-Ego verlieren sich im Podcast „Smartless“ in Running Gags und PR-Blabla. (Ü)
Wie politisch ist der Eurovision Song Contest? (Opens in a new window) | Holger Klein schaltet live nach Turin zum ESC-Experten Lukas Heinser, der für die ARD vor Ort ist. (Podcast)
Großstadtpiefkes buchstabieren Deutschland aus (Opens in a new window) | Unser Praktikant Joel Souza Cabrera rezensiert das „Deutschlandmagazin A – Z“. Nicht nur für Kartoffeln!
Die „Bunte“ hat kürzlich die Pressefreiheit verteidigt, wer hätte das gedacht. Der (inzwischen ehemalige) CSU-Generalsekretär Stephan Mayer soll einem Reporter der Illustrierten am Telefon gedroht haben, ihn zu „verfolgen“, und zwar bis ans Lebensende, und „vernichten“ wollte er ihn angeblich auch. Am Ende hat es dann stattdessen Mayer hingerafft: „Bunte“ machte den Vorgang öffentlich und der CSU-General trat ab, aus „gesundheitlichen Gründen“.
Im „Spiegel“ erschien in der vergangenen Woche dann ein Artikel (Opens in a new window), der weitere Entgleisungen des CSU-Politikers aufzählte und die Frage stellte, ob die Partei nicht hätte wissen können, welchen „Wüterich“ sie da vor kurzem erst befördert hatte. Berechtigte Frage. Andererseits: Von so mancher Entgleisung erfuhr die Öffentlichkeit ja erst jetzt! Mayer hatte nämlich, schon vor der „Bunte“-Sache, einer „Spiegel“-Redakteurin gedroht. Per Mail. Auch ihr schrieb er, er werde sie „mit allen legalen Mitteln verfolgen“; und bereits davor soll er einen „Ausbruch“ gehabt haben, der „verstörend“ gewirkt habe, in einem Telefonat. Der betroffene „Spiegel“-Reporter habe sich deshalb an sein Bundestagsbüro gewandt, um zu fragen, „ob es dem Chef gutgehe“. Wie fürsorglich. Es folgte: eine „Wutmail“.
Weshalb schreibt der „Spiegel“ das jetzt erst auf und nicht, wie „Bunte“, als es passierte? Auf meine Frage weist die Sprecherin lediglich darauf hin, dass der „Spiegel“ schon in der Vergangenheit kritisch über Herrn Mayer (Opens in a new window) geschrieben habe, und „auch über sein fragwürdiges Verhalten gegenüber anderen“. Über das fragwürdige Verhalten gegenüber dem „Spiegel“ aber nicht? Als er drohmailte, habe man „davon abgesehen, den Vorfall für sich in eigener Sache öffentlich zu machen“. Weshalb, dazu sagt der „Spiegel“, auch auf Nachtfrage, nichts.
Und noch eine Entgleisung Mayers erregte einst kaum Aufsehen, stand aber jetzt ebenfalls noch mal im „Spiegel“. Vor fast zehn Jahren hatte Mayer dem „Wochenblatt“ aus Bayern gedroht – wie die Zeitung damals schrieb: „auf wirre und völlig inakzeptable Weise“. Mehr war aber nicht zu erfahren, denn: „Der Anstand gebietet uns, den genauen Sachverhalt nicht zu veröffentlichen“.
Und so war es also „Bunte“, über die Mayer letztlich stolperte. Ein Klatschblatt, das eine Klassiker-Story über den CSU-General gebracht hatte: Konservativer Politiker kümmert sich nicht um seinen Sohn! Man könnte nun diskutieren, ob diese Privatsache denn wirklich so politisch (relevant) ist, wie „Bunte“ nun ganz katholisch vorgibt. Aber mit seinem Geschrei hat Mayer das leider übertönt.
Schönen (Wahl-)Sonntag!
Herzliche Grüße
Boris Rosenkranz