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Der abgelehnte Antrag, Merz im April und meine zwei Pfenning

Die Gefahr ist nicht das, was derzeit im Bundestag beschlossen wird. Denn das hat eh wenig Auswirkungen.
Die Gefahr ist auch nicht, wer da was mit wem verabschiedet.
Sondern wie wir als Gesellschaft darüber diskutieren.

Das Problem sind zwei simple Mechanismen: Simplifikation und Projektion.

Die Gefahr sind nicht die möglichen Straftäter, die demnächst als Flüchtlinge zu uns kommen. Denn das ist ja ein Konjunktiv, eine Varianz, eine Möglichkeit, mit der wir umgehen könnten, wenn wir wollten. Sondern die, die bereits hier sind. Um die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen, bräuchte es Maßnahmen, das System Flüchtlinge in Deutschland massiv zu renovieren. Das mit den Grenzen käme dann automatisch. Eigentlich ist eine Grundsanierung nötig, denn das System wurde geschaffen für einige tausend Hilfsarbeiter aus Europa. Unsere Gründerväter konnten nicht ahnen, dass sich einmal Millionen von Menschen um den halben Globus auf den Weg zu uns machen.
Wenn Bund und Bundespolizei migrations-, sicherheits- und außenpolitische Themen durch die Länder abhandeln lassen (müssen), ist das, als würde die Kindergartenleitung die Spielplatzrenovierung der Bärchen-Gruppe überlassen.

Es ist bereits Teil der Simplifikation zu denken, würden wir unsere Grenzen schließen, würde sich die Sicherheit signifikant erhöhen. Wenn ein Nigerianer für einen Clan in irgendeinem Park Heroin vertickert, ist es dem herzlich egal, ob die Grenzen dicht sind. Und wenn eine Stimme einem schizophrenen Muslim aus Syrien sagt, er müsste nun auf Schulmädchen einstechen, halten den Grenzkontrollen nicht ab. Es stört weder die hier residierenden Clans, noch die Extrakte aus den syrischen, russischen, afghanischen oder palästinensischen Regimen.

Die CDU nimmt diese Simplifikation zu Wahlkampfzwecken billigend in Kauf. Weil sie genau weiß, dass sie vor der Wahl eh nichts Relevantes mehr ändern kann.
Diejenigen, die das anmahnen, können gar nicht anders, als sich dagegen zu stellen. Und da geht die Simplifikation über in die Projektion.

Sagt beispielsweise jemand wie ich, dass es so nicht funktioniert, wird daraus sofort die Maximalhypothese „Der ist für massenhafte, unregulierte Zuwanderung.“
Findet beispielsweise jemand wie ich einzelne Maßnahmen tatsächlich sinnvoll, wird daraus sofort ein „Der paktiert auch mit Rechtsradikalen.“
Keine gute Zeit für Linke oder Grüne, die ihr Vaterland lieben. Oder Konservative, die nicht so fürchterlich deutsch sind. Wie man‘s macht…

Es wurde schon mit härteren Bandagen im politischen Bonn gekämpft. Wer das nicht weiß, schaue sich alte Reden von Strauß an oder gucke sich an, was im Deutschen Herbst abgelaufen ist. Eine Demokratiegefahr war das nie.
Diese Projektion ist es aber, die einen nur schwer zu heilenden Schaden an unserer Gesellschaft anrichten wird. Das Binäre, nur 0 oder 1; bist du nicht für mich, bist du gegen mich.

Richtig ist, dass eine Partei sich nicht davon leiten lassen darf, wer ihrer Politik womöglich zustimmen könnte. Umso richtiger ist aber, dass diese Anträge der CDU gar nicht nötig gewesen wären. Denn sie bewirken eh nichts. Ihr einziger Existenzgrund ist der Wahlkampf. Ihr einziger Erfolg ist die Positionierung bei 0 oder 1.
Ich kann mir jetzt schon denken, was Merz im April dazu sagen wird, wenn er seine Idee der Grenzsicherung mal mit anderen Europäern und der Polizei besprochen hat.

Ausgerechnet der verfassungs- und europarechtlich fragliche, aufgebauschte Antrag von gestern wurde angenommen. Und ausgerechnet die inhaltlich durchaus sinnvolle (aber eilig auf einem Bierdeckel notierte) Gesetzesvorlage heute wurde soeben abgelehnt.
Umgekehrt hätte mehr Sinn gemacht.

Und so können wir uns nun zurücklehnen in unserer einfachen, simplifizierten Welt, wie gewünscht eingeordnet nach Nullen und Einsen. Gewinnen können nur die Flanken.
Die Grünen sind alles woke Transgender-Nazis, die mit der Hamas demonstrieren, Cancel Culture pflegen und vegane und biologisch abbaubare Batikfarben rauchen. Und die Rechten sind alles normale Nazis, die nur gerade nicht so gut marschieren können, weil sie sich beim Stoßlüften erkältet haben und die zweite Aldilette für die farblich unpassenden Tennissocken nicht finden. Irgendwo wuseln da überall auch noch Leute rum, die das ultrarechte, russische Regime für einen Freund halten. Was zwar nicht in das binäre Schema passt, aber ins Hufeisen und deshalb auch getrost ignoriert werden kann.

Mit der Kernfrage der Sicherheit hat das schon lange nichts mehr zu tun.
So vorhersehbar, so ermüdend, so langweilig und gerade deshalb so enervierend.

Aber es beschert zumindest kurze Momente der Heiterkeit.
In einigen Umfragen ist die Zustimmung zur CDU leicht gefallen und zur AfD und den Grünen leicht gestiegen. Und im ZDF Politbarometer von gestern würde die AfD zwar 21% erhalten, aber nur 13% würden Weidel gerne als Kanzlerin sehen. Da sollte sich selbst eine schweizer Lesbe doch mal Fragen stellen, die sonst wenig Probleme mit Widersprüchen hat.

Das Problem ist vor allem anderen aber, dass die Menschen die Migration inzwischen tatsächlich als drängendstes Problem sehen. Und die Politik – bis auf die Populisten natürlich – darauf keinerlei Antworten hat. Obwohl diese Antworten nun seit zehn Jahren überfällig sind.

In Momenten wie diesen sage ich gerne, dass ich den Einzug der Gladiatoren von Fučík im Ohr habe. Aber die Musik bleibt still.
Denn was gerade abläuft, entspricht nun einmal dem Modell, dass die Nazis an die Macht gebracht hat. Es ist verständlich, dass die Menschen Angst haben.

Und das sollten sie.
Aber nicht vor den anderen, sondern vor sich selbst.

Topic Medien und Politik

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