Skip to main content

💌

Was ist unsichtbar und gefällt Milliardären?

Vielen Dank an alle Partnerorganisationen (Opens in a new window) und an alle Steady-Mitglieder, die unsere Arbeit ermöglichen (Opens in a new window). Neu dabei? Hier geht’s zur kostenlosen Newsletter-Anmeldung (Opens in a new window).

#93 #Lobbyismus #Gas

Abhängig von heißer Luft

Deutschland macht sich für Jahrzehnte abhängig von Gas-Importen aus autoritären Staaten. Diese Unternehmen, Verbände und Politiker stecken dahinter. ~ 11 Minuten Lesezeit

Je nachdem, wann Du diese Zeilen liest, ist es gerade mal ein paar Stunden her, dass ein Buch veröffentlicht wurde, von dem ich mir wünsche, dass es Millionen Menschen lesen würden: „Die Milliarden-Lobby“ von Susanne Götze und Annika Joeres.

Das Buch packt einen wie ein Krimi – nur, dass die Handlung nicht ausgedacht ist. Die beiden Investigativ-Journalistinnen decken auf, wie ein kleines, mächtiges Netz an Konzernen und Verbänden Deutschland systematisch von Erdgas abhängig macht. 

Die Hauptakteure sind Politiker, Medienmogule, Marktradikale und Rechtsextreme – fast ausschließlich ohnehin schon reiche Männer. Sie haben sich verbündet, um mit ihren schmutzigen Geschäften jedes Jahr Milliarden zu verdienen. 

Lobby-Arbeitsteilung in der FDP

Sagt Dir der Name Frank Schäffler etwas? Der 57-Jährige saß für die FDP im alten Bundestag und war dort ein unbedeutender Finanzpolitiker. Das wäre eine Erzählung. Eine andere: Frank Schäffler ist der Architekt hinter der Desinformations-Kampagne gegen die Wärmewende und einer der Hauptverantwortlichen für das Kippen der Klimadebatte in Deutschland.

Frank Schäffler (FDP): „Heiz-Hammer ist eine Atombombe für unser Land“. 📸 (Opens in a new window): Olaf Kosinsky (kosinsky.eu (Opens in a new window)), CC BY-SA 3.0-de (Opens in a new window) 

Schäffler gründete 2014 das marktradikale Schwurbelinstitut Prometheus. Prometheus ist Teil des US-amerikanischen Atlas-Netzwerks und wird von diesem mitfinanziert (Opens in a new window). Das Atlas-Netzwerk wiederum bekommt Geld vom Ölkonzern ExxonMobil. Wer sonst noch so Teil vom Atlas-Netzwerk ist? Das Heartland Institut zum Beispiel, Ideengeber des faschistischen „Project 2025“ rund um Donald Trump. 

Laut Götze und Joeres gibt es Hinweise, dass genau dieser Frank Schäffler hinter dem Leak des Heizungsgesetzes im März 2023 an die Bild-Zeitung stand. Im Anschluss habe es eine Art Arbeitsteilung zwischen Schäffler und Christian Lindner gegeben, schreiben die Journalistinnen: „Schäffler prescht vor und eröffnet mit seinen guten Kontakten zur Bild-Zeitung eine Debatte.“ Dies sei dann die ideale Vorlage für Parteichef Lindner gewesen, um in der Fraktion Gesetzesentwürfe zu ändern oder abzuschwächen. 

Das Ergebnis war eine beispiellose Kampagne gegen Wärmepumpen, Robert Habeck und die Grünen, losgetreten vom Axel-Springer-Verlag. Besonders brisant: Dieser gehörte zu dem Zeitpunkt zu einem Großteil dem Großinvestor KKR, der sein Geld unter anderem mit Öl- und Gas-Deals verdient.

Spiegel-Cover vom 20.05.2023, 📸: Spiegel.de
Auch der Spiegel schloss sich der Anti-Wärmepumpen-Rhetorik der Gas-Lobby an. Cover vom 20.05.2023, 📸: Spiegel.de

Spätestens an diesem Punkt wird klar, warum das Buch „Die Milliarden-Lobby“ heißt. Götze und Joeres schätzen, dass den Gaslieferanten allein durch Wärmepumpen bis zu 28 Milliarden Euro durch die Lappen gehen könnten.

Falls Dein Puls gerade immer noch unter 100 sein sollte: 2024 wurde Schäffler das Bundesverdienstkreuz verliehen – für sein „Engagement im Parlament und im Ehrenamt“. 

Cover von „die Milliardenlobby“
„Die Milliardenlobby“ erschien am 02. Mai. 📸: Piper.de

Bewusst abhängig gemacht von russischem Gas 

Dass die FDP fossile Interessen vertritt und dabei mit Trumpisten kuschelt, wundert mich kein bisschen. Wie systematisch und destruktiv sie dabei anscheinend vorgegangen ist, macht einen trotzdem fassungslos. 

Es gibt aber noch andere Gas-Lobbyakteure, die ich so noch nicht auf dem Schirm hatte: die Stadtwerke. Genau, die sympathischen Energieunternehmen von nebenan, die einen Großteil aller Bürger*innen mit Strom und Wärme versorgen. Rund ein Viertel ihres Umsatzes machen sie mit Erdgas. 

Obwohl längst klar ist, dass sie klimaneutral werden müssen, wollen viele von ihnen an ihren fossilen Geschäftsmodellen festhalten. So sehr, dass knapp 70 Stadtwerke (Opens in a new window) beim Verband Zukunft Gas Mitglied sind. 

Sponsor

Dieser Verband ist nicht nur irgendein Zusammenschluss von ewiggestrigen CO₂-Fans. Er ist der größte Lobbyverband der Gasindustrie und mitverantwortlich dafür, dass sich Deutschland von russischem Gas abhängig gemacht hat, schreiben Joeres und Götze. 

Ein besonders beliebter Trick der Gas-Lobby: Wasserstoff als die eine große Lösung anzupreisen. Ein anderer Gas-Lobbyverband, der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), beschreibt öffentlich in einer seiner Publikationen, wie diese Bremserstrategie funktioniert.

Der erste Schritt: Gas als Übergangstechnologie etablieren. Check. Der zweite: Wasserstoff als Gasnachfolger positionieren – und als Klimalösung, die wir noch dringender brauchen als Solar- und Windkraft.

Belegt werden soll das Ganze durch vermeintlich unabhängige Forschung. Der DVGW gründete dafür kurzerhand mehrere Institute, gebündelt im „H₂-Kompetenzzentrum“. Dessen Kuratorium (Opens in a new window) besteht aus 17 Männern, einer Frau und dem Diversitäts-Vibe eines thüringischen Dorfschützenvereins. Partner sind RWE, Evonik und verschiedene andere Unternehmen mit Gas-Geschäftsmodellen.

Wer einem so unseriösen Setup auf den Leim geht? Das Bildungsministerium und die Europäische Union zum Beispiel. Sie finanzieren das Zentrum mit 150 Millionen Euro. 

Aber Moment mal, brauchen wir nicht auch grünen Wasserstoff für die Energiewende? Ja, zum Beispiel in der Stahlindustrie oder für die Energiespeicherung. Wozu wir ihn sicher nicht brauchen: zum Heizen. Mit Wasserstoff zu heizen, wäre ungefähr so sinnvoll, wie mit Champagner zu duschen. 

Deutschland bleibt bei Wasserstoff zudem abhängig von Importen. Ein H₂-Megaprojekt entsteht zum Beispiel gerade in einem Naturschutzgebiet in Namibia – mitgeplant vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Die CDU und das Erdgas

Wenn selbst ein grünes Klimaschutzministerium auf Gas-Infrastruktur setzt, wie wird es dann erst unter der Union und Friedrich Merz? 

Der neue Bundeskanzler ist schließlich ehemaliger Anwalt des größten industriellen Abnehmers für Erdgas weltweit – BASF. Der Chemiekonzern aus Ludwigshafen war unter anderem an der Nord-Stream-Pipeline beteiligt und vermarktete jahrzehntelang russisches Gas in Deutschland. Was Russland heute mit diesem Geld macht, sehen wir jeden Tag in den Nachrichten. 

Grafik zu verschiedenen Posten von Friedrich Merz
📊: Die Milliarden-Lobby (Piper); Annika Joeres, Susanne Götze

Merz ist außerdem Fördermitglied bei der marktradikalen Lobbygruppe INSM, die sich gegen Umweltschutz und die Umsetzung von Menschenrechten stark macht (Opens in a new window).

Zusammen mit INSM-Chef Thorsten Alsleben nahm Merz’ Kampagnen-Chefin Christine Carboni (ja, sie heißt wirklich Carboni) und mehrere andere CDU-Mitglieder im September 2024 an der „Berlin Campaign Conference“ teil. Ein Event, das von der Heritage Foundation organisiert wurde – genau, die Trumpisten-Denkfabrik mit dem faschistischen „Project 2025“. 

Visionen ohne fossilen Lobbyismus

Warum wird über solche Lobbyismus-Eskapaden eigentlich so wenig berichtet? Die Schlagzeilen müssten doch eigentlich voll davon sein. Sind sie aber nicht.

Woran das liegt, haben wir taz-Chefredakteurin Barbara Junge bei unserem letzten Mitglieder-Treffen gefragt. Ihre Antwort: „Lobbyismus liegt häufig im Graubereich. Dass es solche Verbindungen zwischen Politik und fossiler Wirtschaft gibt, ist leider nicht verboten.“

Selbstverständlich sei es wichtig, darüber zu berichten. Aus einer journalistischen Perspektive sei es allerdings schwer, an einer konkreten Lobbyismus-Geschichte dran zu bleiben, da es selten direkte Konsequenzen gibt (zum Beispiel ein Gerichtsverfahren). 

Was müsste sich dafür ändern? Ein Anfang wäre, lobbyistische Verstrickungen besser zu kontrollieren. In Frankreich gibt es schon seit 2013 eine Aufsichtsbehörde, die genau das tut. Wenn Politiker*innen in die Wirtschaft wechseln wollen, hat sie darauf ein wachsames Auge. Genauso wie auf ihre Angaben zu Vermögen und Interessenskonflikten. Wieso gibt es so etwas nicht längst auch in Deutschland? 

Die NGO Abgeordnetenwatch fordert (Opens in a new window), Unternehmensspenden an Parteien komplett zu verbieten und Privatspenden auf 10.000 Euro zu deckeln. Was sonst passiert, haben wir gerade erst im Wahlkampf gesehen. 

Parteispenden im Wahlkampf
📊: Abgeordnetenwatch.de

Allein die CDU und die FDP erhielten zusammen 13,7 Millionen Euro – mehr als alle Parteien im Wahlkampf 2021 zusammengerechnet. Die CSU erhielt ihre größte Spendensumme (Opens in a new window) (613.000 Euro) ganz unverblümt von einer klimaschutz-bremsenden Lobbyorganisation, dem Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. 

Eine weitere dringend nötige Maßnahme wäre der „legislative Fußabdruck“. Mit diesem soll transparent gemacht werden, welche Lobbyist*innen Einfluss auf Gesetzestexte genommen haben. Und natürlich wäre ein wirkungsvolles Lobbyregister hilfreich, in dem die Interessensvertreter*innen angeben müssen, mit wem sie sich treffen und warum. 

„Die Politik sollte mit fossilen Akteuren mit dem alleinigen Ziel im Austausch stehen, klimaschädliche Geschäftsmodelle schnellstmöglich zu beenden“, schreibt mir Christina Deckwirth, Sprecherin von LobbyControl. In ihrer Idealwelt treffen Politiker*innen dann Entscheidungen auf Grundlage eines breiten und ausgewogenen Austauschs – informiert durch unabhängige Medien und Wissenschaft.

Eine solche Idealwelt ist weit entfernt (erst recht mit der Merz-Union an der Macht). Aber ging es hier nicht vor zwei Wochen (Opens in a new window) genau darum, dass uns gerade die Utopien abhanden kommen? Dass es wichtig ist, nicht einfach nur im Verteidigungsmodus den Narrativen der Rechten und Fossilverfechter hinterherzulaufen, sondern eigene radikale Visionen zu entwickeln?

Ich hätte da ein paar Ideen: ein striktes Lobbyverbot für Unternehmen (und deren Verbände und Vereine), die nicht klimaneutral wirtschaften oder zumindest ernsthaft daran arbeiten, es möglichst schnell zu werden. 

Noch nicht radikal genug? Wie wäre es mit einem lebenslangen Maximalvermögen von einer Million Euro für alle Bundestagsabgeordneten? Oder mit bundesweiten Bürgerräten, die ausschließlich von unabhängigen Wissenschaftler*innen beraten werden? 

Das klingt nach großen Schritten, ich weiß. Und dann denke ich wieder an Schäffler und sein Bundesverdienstkreuz, an die Wasserstoff-Märchen der Gas-Lobby und an BASF-Kanzler Merz – und finde die Ideen noch längst nicht radikal genug.

Vielen Dank fürs Lesen!

Unser Klimasong kommt dieses Mal vom französischen Künstler Manu Chao (danke für den Tipp, Leonie!). Am Ende seines Songs Mentira (Opens in a new window) („Lüge“) auf dem legendären Album Clandestino läuft ein Radiomitschnitt über die Weltklimakonferenz in Kyoto, auf der 1997 (ein Jahr vor dem Albumrelease) das Kyoto-Protokoll beschlossen wurde.

Todo es mentira en este mundo
Todo es mentira la verdad
Todo es mentira, yo me digo
Todo es mentira ¿Por qué será?

Die nächste Ausgabe bekommst Du am 17. Mai.

Herzliche Grüße
Julien

PS: Wir freuen uns sehr, wenn Du unsere Arbeit als Mitglied unterstützt.

Treibhauspost-Partner (Opens in a new window)

👨🏻‍🎨 Alle Illustrationen wie immer in Handarbeit von Manuel Kronenberg

📣 Folge uns auf Instagram (Opens in a new window), Bluesky (Opens in a new window) und Mastodon (Opens in a new window)

📖 Zu unserem Buch „Unlearn CO₂ (Opens in a new window)“ (Ullstein)

💚 Herzlichen Dank für die Unterstützung an alle Treibhauspost-Partner:

🤝 Mehr über unsere klima-engagierten Partnerorganisationen (Opens in a new window)

💌 Außerdem danken wir allen Mitgliedern, insbesondere Peter S., Johannes W., Hans-Peter K., Gesa F., Beate W., Kirsten S., Karina M., Cornelia S., Daniel O., Matthias Z., Barbara B., Peter S., Claudia S., Raffael v. N., Maren H., Stephanie B., Frank S., Jannes K., Dirk W., Anke H., Katharina D., Veronika W., Jojo B., Maria M., Stefanie S., Anne K., Johannes S., Cornelia F., Carmen S., Alexander L., Nora B., Hans W., Rajive G., Jörn A., Bettina P., Eckart v. H., Malte K., Gabriele S., Yannic W., Michael K., Susanne B., Johanna T., Harry L., Maren W., Birgit J., Max H., Jennifer S., Astrid K., Günter R., Ingke P., Derek B., Judith G., Lukas L., Martin D., Svenja G., Ruth L., Jonas K., Benedikt S., Frank W., Chris B., Anna G., Jeremiah B., Jörg A., Brigitte K., Alex K., Valeska Z., Hans Christian M., Elke J., Lari H., Thomas K., Ulrich S., Sigurd M., Peter B., Malte N., Martin V., Macha B., Familie E., Petra F., Birgit S. & K. F., Beate H., Antje H., Konrad H., Volker H., Stefanie J., Oliver K., Joanna K., Klemens K., Alois K., Reto L., Annika N., Johannes P., Ralf R., Isabel S., Sabine S., Guido S., Annette T., Daniela T., Kurt W. und Anett W., die uns mit den höchsten Beträgen supporten!

Topic Verantwortung

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Treibhauspost and start the conversation.
Become a member