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Über das Schreiben und das Leben

Okay, eigentlich wollte ich jeden Monat einen Newsletter in die Tasten hauen und ihn an die Welt (oder besser gesagt an euch) schicken. Ich wollte schreiben und mit meinen Texten informieren, zum Nachdenken anregen und vielleicht auch ein bisschen inspirieren. Ich wollte aufklären und diese komplexe Welt in verständlichen Worten begreifbar machen.

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten wenig geschrieben. Auch auf meinem Instagram-Kanal war es ruhiger. Alles was ich schrieb, kam mir plötzlich so banal vor. Alles was ich schrieb, kam mir so falsch vor. Ich hatte viele Gedanken, aber sie wollten nicht aufs Blatt. Und wenn ich doch etwas getippt habe, dann habe ich alles wieder gelöscht.

Die Blockade war da und ich konnte sie nicht sehen. Ich müsste einfach nur zur Ruhe kommen, dann komme ich bestimmt in den Schreibfluss. Ich brauche einfach ein paar Tage Pause, dann wird es schon gehen. Ruhe und Pause haben aber nicht dazubeigetragen, dass ich wieder schreiben konnte. Es fühlte sich einfach leer an. Ich fühlte mich leer. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl zu platzen, weil sich so viel in mir ansammelte und sich keinen Weg nach draußen bahnen konnte.

An vielen Tagen in den letzten Wochen war ich traurig. Es gab keinen spezifischen Grund. An vielen Tagen in den letzten Wochen war ich erschöpft. Dafür gab es viele Gründe.

Ich bin ein Mensch, der (nach außen) gut funktioniert. Ich möchte niemandem Sorgen bereiten. Ich möchte auch nicht negativ auffallen. Eine große Angst in meinem Leben ist, dass sich Menschen in solchen Momenten von mir abwenden, wenn ich nicht funktioniere. Ich möchte keine Last sein oder anderen das Gefühl geben, dass sie sich um mich kümmern müssten.

Ich kann gerade nicht schreiben. Mit diesem Satz mache ich mich unglaublich verletzlich. Vielleicht gibt es Menschen, die enttäuscht sind? Vielleicht gibt es Menschen, die (heimlich oder offen) Schadenfreude empfinden? Ja, womöglich gibt es beides. Und dazwischen gibt es noch so viel mehr.

Kürzlich habe ich einen Satz gelesen, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht: “Perfektionismus ist die Weigerung voranzugehen.” Ich habe ihn aus dem Buch Der Weg des Künstlers von Julia Cameron. Ein Buch, das ich mir vor x-Jahren einmal gekauft habe und das aus so vielen Gründen gar nicht zu mir und meinem Lesegeschmack passt. So geht es im Buch viel um Spiritualität und es hat (für mich persönlich!) an manchen Stellen einen leicht esoterischen Einschlag. Gleichzeitig hat mich das Werk von Cameron auf eine Weise fasziniert und die Worte der Autorin finden in mir Anklang, so dass ich das Buch nie aussortiert habe.

Ich denke, dass ich von der ersten Seite an die perfekten Wörter und Sätze aneinanderreihen müsste. Dass ich ein Manuskript abgebe, bei dem meine Lektorin sagen würde Ich habe hier und da ein paar Satzzeichen verbessert oder einen Abschnitt gekürzt. Und dann würden wir in den Druck gehen. Denn “gute” Autor*innen sind so gut, dass sie eine einzige Fassung einfach runter schreiben. Auch wenn ich genau weiß, dass das eine unrealistische und romantische Vorstellung über das Autor*innen sein ist, gibt es da eben noch eine andere Seite. (Zwei Stimmen in mir, die darüber streiten, wer nun recht hat. Na super.)

Statt frei zu schreiben, fühle ich mich oft gefangen. Denn wenn ich frei schreibe, werden Fehler passieren. Dann werde ich an der ein oder anderen Stelle Ausdrücke oder Wörter verwenden und zu einem späteren Zeitpunkt werde ich es bereuen. Oder ich würde Wörter verwenden, bei denen sich andere stoßen könnten oder noch schlimmer: Ich verletze damit eine andere Person.

Sprache hat Macht. Wir sollten mit Wörtern sorgfältig umgehen. Das ist richtig. Und wichtig. Ich feile manchmal an einer kurzen Instagram-Story so lange, schaue mir jedes Wort, jeden Satz immer wieder an, um eben keinen Fehler zu machen, bis von den Anfangssätzen kaum mehr etwas übrig ist. Ich lasse Sätze weg, weil sie womöglich zu undeutlich sein könnten. Weil sie in unterschiedliche Richtungen interpretiert werden könnten. Weil ich Nachrichten bekäme mit Erklärungen, warum ich dieses oder jenes Wort in einem bestimmten Kontext nicht verwenden sollte. Dann würde ich mich schämen, dass ich es verwendet habe. Also fange ich ständig immer wieder von vorne an.

Ich habe den Anspruch möglichst viele Perspektiven zu beleuchten und scheitere immer wieder daran. Denn am Ende bin ich einfach ein Mensch, der nicht alles sehen kann. Ich kann mich noch so sehr bemühen, es bleibt doch nur eine Annäherung. Diese Erkenntnis schmerzt, einerseits. Sie entlastet, andererseits.

“Perfektionismus ist nicht die Suche nach dem Besten. Er ist die Beschäftigung mit dem Schlechtesten in uns, dem Teil, der uns sagt, dass nichts von dem was wir tun, je gut genug sein wird - und dass wir nochmal von vorn anfangen sollten.”

(Aus: Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, 2019, S.208)

Ich glaube weiß , dass ich dieser einen Lüge immer wieder aufsitze: Nämlich nur dann gut und liebenswert zu sein, wenn ich etwas leiste. Wenn ich anderen Menschen etwas bringe und für sie einen Mehrwert bin. Mir ist klar, dass das Unsinn ist. Mir ist klar, dass diese neoliberale Sichtweise ungesund ist. Für alle. Und trotzdem ploppen diese Gedanken wie Blitze in mir auf und nehmen mich ein.

Die Angst zu versagen hat sich seit meiner Kindheit tief in mir eingebrannt. (Nicht etwa, weil ich aus einem Elternhaus komme, das von mir Leistung erwartet hätte. Ganz im Gegenteil. Ich musste nie etwas leisten, um geliebt zu werden.) Wer versagt, macht sich verletzlich: Schau mal, habe ich es doch gewusst, dass sie das nicht schafft. Das haben Leute gesagt, als ich ein Jahr vor dem Abitur mit der Schule aufgehört habe um eine Ausbildung anzufangen. Dass ich in den Jahren zuvor in einer tiefen Depression war, hatten sie nicht gesehen. Was sie gesehen haben, war, dass ich kaum mehr Leistung brachte.

Es gibt auch diese Konstellation: Du bist nur Teil einer Gemeinschaft, wenn du dich kleiner machst als du bist. In diesen Kreisen darfst du niemals erfolgreicher oder besser sein (was auch immer das bedeutet) als die anderen. Als ich dann doch noch meinen Hochschulabschluss machte und nach Freiburg zum Studieren ging, hatte ich plötzlich das Gefühl in bestimmten Kreisen nicht mehr dazuzugehören. Ich war raus, aber niemand hat es mir gesagt. Ich habe es gespürt.

In den letzten Wochen habe ich mich mit der Tätigkeit des Schreibens beschäftigt. Einfach aus aus dem Grund heraus, weil ich es auf einmal nicht mehr konnte. Ständig habe ich mich selbst zensiert. Ich habe Ängste vor dem weißen Blatt entwickelt und mich im Kreis gedreht.

Bis vor einer Woche hätte ich diesen Newsletter nicht schreiben können. Ich hätte es nicht gewagt all diese Wörter und Sätze, die bereits da waren, aufs Papier zu bringen. Jeden einzelnen Satz hätte mein innerer Kritiker in der Luft zerrissen: Das kannst du so nicht schreiben; Das ist nicht präzise genug; Das ist schlecht. Ich hätte mich geschämt. Und Scham führt bekannterweise zum Rückzug.

Ich weiß nicht, ob ich die Blockade schon überwunden habe. Ich weiß nur, dass es sich gerade gut anfühlt all das zu schreiben. Ich kann das Schreiben gerade zulassen und achte nicht auf jedes einzelne Wort. Für mich ein großer Fortschritt.

Wie ich das geschafft habe? Ganz genau kann ich es nicht sagen. Ich habe kein Rezept gegen Schreibblockaden. Ich kann lediglich erzählen was bei mir und in meiner Situation hilfreich war. Ich habe die Übung des “Schreibdenkens” (Opens in a new window) nach der Psychologin Ulrike Scheuermann in meinen Alltag einziehen lassen. So habe ich jeden Tag zu einem einzelnen Wort oder einem Satz fünf Minuten frei geschrieben. Möglichst ohne innezuhalten. Es geht darum einfach draufloszuschreiben und jeden Gedanken, der gerade kommt, zuzulassen und ihn aufzuschreiben.

Die Methode des “Schreibdenkens” hat mir geholfen wieder den Faden des Schreibens aufzunehmen. Ich bin durch diese Methode ins Tun und somit ins Schreiben gekommen. Denn genau das war ja mein Problem: Ich konnte nicht schreiben. Ich saß vor einem Blatt oder einem Bildschirm und nichts ist passiert. Mein Leidensdruck war hoch und ich dachte wirklich, dass ich diesen Zustand nicht überwinden kann.

Ich habe in letzter Zeit Bücher von Autor*innen gelesen, die über das Schreiben schreiben. Dabei habe ich so viel gelernt - auch über mich selbst. Und auch das war (für mich) hilfreich.

Ich weiß nicht, ob ich die Blockade überwunden habe. Ich weiß nicht, ob das was ich schreibe “gut” ist. Ich weiß aber eines: Ich möchte schreiben.

Herzlichst, Sandra

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