4. Januar 2021
Bei deiner jüngsten Arbeit, der Radioechtzeitinstallation „~nowwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww~“ (Opens in a new window)habe ich so eine direkte Assoziation zu John Cages „Slow As Possible“ in Halberstadt, vergangenes Wochenende war gerade Tonwechsel. Hast du daran auch gedacht?
Thomas Wagensommerer: Das ist natürlich eine Arbeit, die ich immer schon großartig fand, und das gar nicht nur wegen ihrer Ausdehnung, sondern auch, weil die Orgel ja bislang noch von niemandem bespielt werden konnte. Eine Art subversiver Akt, als Veranstalter mit dem Image des Künstlers kokettieren zu wollen und dann aber die Bühne/das Instrument damit quasi zu blockieren.
Entgegen Cage fragst du aber nach dem Gegenwärtigen, indem du es mit dem Unendlichen auszufüllen bzw. dessen Grenzen aufzuspüren versuchst.
Thomas Wagensommerer: Seit ich dieses Stück wahrgenommen habe, ist es mir natürlich nie wieder aus dem Kopf gegangen. Mich interessiert das Resultat letztendlich nicht sonderlich, aber es ist spannend zu beobachten, welche Fetische da auftauchen und sich Menschen an der Orgel einfinden, um zuzuschauen, wie der Ton wechselt. Das Publikum ist begeistert vom Konzept, will aber trotzdem diese physische Erscheinung der Orgel als Anker im Raum und in der Zeit.
Was wiederum die Notwendigkeit des Konzeptes bestätigt … Wie baust du die Brücke zwischen Konzept, Gedanke, Theorie, Modell, Frage zur Umsetzung? Brauchst du das Ergebnis als Substanz gegenüber der Lust am Denken? Wie muss das Ergebnis dann aussehen?
Thomas Wagensommerer: Das ist abhängig vom Zugang zu einer Arbeit, der sich meistens schon entscheidet, bevor überhaupt irgendetwas passiert. Wenn ich so etwas wie „wildes Denken“, für mich also das lustvolle Nach-Vorne-Denken, ein Nicht-Wissen-Müssen, ansetze, dann ist das Resultat ähnlich einem Bumerang, der ins Konzept zurückschleudert, ein Ort der visuellen, akustischen oder haptischen Verhandlung, eine Art Schatulle, ein Gefäß. Andererseits nähere ich mich unterschiedlichen Projekten doch oft auch von einer sehr praktischen Seite, weil ich das Arbeiten mit dem Material sehr gerne mag und mich auch als ein in der Kunst Arbeitender verstehe. Wie eine Bildhauerin baue ich mir zuerst mal mein Material ab, recherchiere, sammle und lege dann erst Hand an, vielleicht eher prothetische Hände, die über Codes und technische Erweiterungen funktionieren. Mir geht es um das Eingreifen in und das Resonieren mit dem Material und ich möchte dessen Auswirkungen spüren, so etwas wie einen vibrierenden Draht aufbauen, das heißt, ich muss mich einlassen und mich einige Zeit in das Material vergraben, mit ihm leben. Das ist natürlich auch eine Selbstvergewisserung meines physischen und emotionalen Empfindens.
Und die Software, die Programmiersprache ist dein Werkzeug …
Thomas Wagensommerer: Genau, obwohl ich kein guter Programmierer bin. Meine eher kindliche Herangehensweise erzeugt wahnsinnig viele Fehler und lässt mich auch auf positive Art und Weise den Respekt vor den Vorgängen verlieren. Ich verwende Material immer gerne von einem leicht außenstehenden Standpunkt aus, weil ich dadurch das Scheitern
Und wie gehst du da ran?
Thomas Wagensommerer: Ich habe diesen sehr ineffizienten Zugang, immer wieder von vorne beginnen zu wollen und erinnere mich da gerne an Aphex Twin, der angeblich alle Patches löscht, wenn ein Track fertig ist, um immer wieder von vorne beginnen zu müssen.
Vor Jahren hätte ich dich eher im elektroakustischen Feld aufgesucht, jetzt sind es mehr Videos, die dein Output dominieren – ist es egal, womit du arbeitest?
Thomas Wagensommerer: Ja, es ist egal. Ich muss mich ja nicht einer Tradition verpflichten, sondern stehe gerne lieber für mich allein. Ich arbeite nur mit Freundinnen und Freunden und lebe in einer Generation, in der solche medialen Unterscheidungen gar nicht mehr so stark stattfinden. Wir nehmen einfach das, was kommt und be- und verarbeiten es.
https://vimeo.com/392255961 (Opens in a new window)Wie läuft dann die Zuordnung in gemeinsamen Projekten?
Thomas Wagensommerer: Abhängig von den Konstellationen ergibt sich das meist sehr schnell von selbst. In Projekten mit dem Ensemble andother stage (von Brigitte Wilfing und Jorge Sanchez-Chiong) wird zum Beispiel versucht Zustände und Situationen zu entwickeln, um dann zu schauen, wer welchen Zugang dazu liefern könnte. Der Versuch ist der, dass sich die Choreografie, die Musik, die mediale Umgebung, die Performance und die Performenden sich entsprechend dieser Zuordnungen verändern. Zusammen mit meiner Partnerin Louise Linsenbolz sind wir als TE-R, neben David Panzl und Samuel Toro-Pérez, auch Teil des Ensembles. Je nach Projekt ändern sich die Konstellationen und somit auch die Funktionen. Vieles passiert also tatsächlich vor Ort durch das Zusammenkommen und Zusammensein.
Das ist eigentlich Improvisation.
Thomas Wagensommerer: Genau, ich improvisiere eigentlich die ganze Zeit, auch weil ich nichts so wirklich kann. Das meinte auch mit dem Außenstehen beim Programmieren. Ich lerne in Tutorials, setze das dann meist sehr fehlerhaft um und verwende diese Fehler weiter, wenn sie mich überraschen und mir gefallen. Ich kuratiere eigentlich meine eigenen Fehler.
https://vimeo.com/107987296 (Opens in a new window)Trotzdem ist eine Aufmerksamkeit gegenüber Details feststellbar, die dann von dir wie bei „Morpheme“ mikroskopisch betrachtet und in Bewegung versetzt werden…
Thomas Wagensommerer: Bei diesem Projekt mit Electric Indigo hatte Susanne [Kirchmayr, Anm.] genau diesen mikroskopisch-konzeptionellen Zugang vorgeschlagen. Die gesamte Arbeit basiert auf dem Satz „To let noise into the system is a kind of fine art in both cybernetic terms and in terms of making music, too.“ von Sadie Plant, den Susanne bei dem CTM panel “sound, gender, technology” 2014 aufgenommen hat. Ich habe dann versucht ...
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