Das Erbe von Buzzfeed
Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Gedanken zu einer endenden Internet-Ära.
Hallo!
Bevor es losgeht: Ich habe ja schon häufiger von meinem Projekt Flux berichtet. Jetzt wird es ernst, die erste Version ist fast fertig. Ich suche Leute mit einer eigenen Webseite, die mehr Newsletter-Subscriber gewinnen wollen und bereit wären, Flux zu testen und mir Feedback zu geben. Hast du Lust? Dann hinterlasse mir bitte deine Kontaktdaten. (Opens in a new window)
Es gibt ein neues Buch namens „Traffic“, geschrieben von Ben Smith, Mit-Gründer des News-Startups Semafor (Opens in a new window). Es geht darin um die Anfänge des Journalismus im Sozialen Internet. Hauptfiguren sind die beiden Pioniere Jonah Peretti, der Gründer von sowohl Huffington Post als auch Buzzfeed, und Nick Denton, Gründer des Netzwerks rund um den Gossip-Blog Gawker.
Das ist für jemanden wie mich deswegen total spannend, weil Ben Smith Gründungs-Chefredakteur von Buzzfeed News war. Er war also dabei, als diese Geschichte geschrieben wurde, und ist als ehemaliger New-York-Times-Medienkolumnist gleichzeitig der wahrscheinlich am besten informierte Medienjournalist der USA.
Buzzfeed News (Scoops) ist nicht zu verwechseln mit Buzzfeed selbst (Listen mit Tieren). Als seriöser Ableger war es der Versuch, mit den Einnahmen aus sozialem Hyper-Traffic ein investigatives journalistisches Produkt quer zu finanzieren. Buzzfeed News veröffentlichte einige spektakuläre Recherchen in den USA. In Deutschland war die von Daniel Drepper aufgebaute junge Redaktion unter anderem verantwortlich für die Recherche der Reichelt-Affäre, die sich inzwischen zu einem Positions-bedrohenden Problem für den Springer-Chef Mathias Döpfner auswächst. Das mit dem Journalismus klappte also gut.
Buzzfeed und Gawker waren auch Geburtsorte des Rechtspopulismus
Das mit dem Querfinanzieren allerdings ist seit Neuestem vorbei. Pünktlich zum Erscheinen des Buchs wurde Buzzfeed News eingestellt, weil diese Sorte Journalismus teuer ist, hier der Abschieds-Post (Opens in a new window). Zu teuer für die Meme-, Listicle- und Quiz-Fabrik Buzzfeed, dessen viralen Inhalte (wir erinnern uns: „Welche Farben hat dieses Kleid?“) den damals erwachenden Facebook-Godzilla fütterten. Buzzfeeds große Zeit begann etwa 2010 und überschritt – nach Smiths Analyse – 2016 seinen Höhepunkt.
Faszinierend ist im Rückblick die Ambivalenz von Gawker und Buzzfeed. Smith zählt die unglaublichen Reichweiten-Erfolge auf, die die amerikanische Internetkultur und dadurch die globale Popkultur sehr schnell veränderten. Erstaunt war ich aber über die Liste von heute rechtsextremen Charakteren, die aus diesem Ökosystem entstammen, und später zur Wahl Donald Trumps und dem Erstarken des Nationalpopulismus im gesamten Westen entscheidend beitrugen.
Don't feed the Buzz
Ich selbst habe schon immer diesen Widerspruch in meinem eigenen Verhältnis zu diesen Medien gespürt.
Einerseits war ich jahrelang süchtig nach einer täglichen Dosis Gawker-Gossip direkt aus Manhattan. Natürlich hatte ich eine Buzzfeed-App auf meinem ersten Smartphone. Ich hatte geradezu Sehnsucht nach der revolutionären und durch und durch digitalen Dynamik, die in Deutschland so gar nicht in die Puschen kam. Ich finde bis heute, dass Listicles ein tolles journalistisches Format sein können („66 Dinge, die du jetzt sofort wegwerfen solltest! (Opens in a new window)“) und dass die Interaktion mit den Nutzer:innen durch Umfragen und Quizzes die geheime Zauberzutat journalistischer Geschäftsmodelle ist.
Gleichzeitig war ich bestürzt von den Verheerungen, die der Erfolg dieser Medien in meinem Beruf anrichteten, dem Journalismus. Denn statt nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen, basierend auf stabilen Einkommensströmen von zufriedenen Kund:innen, glaubte damals die Medienwelt, es Buzzfeed nachmachen zu müssen, auch in Deutschland. Reichweite um jeden Preis war die neue Währung, verbunden mit dem Geschäftsmodell Werbung. Konkreter: dem Handel mit Informationen über das Verhalten der eigenen Leser:innen, ihren privaten Daten.
Wie Buzzfeed eine Abwärtspirale in Gang brachte
Viele Verlage waren durch Facebook in Kombination mit Buzzfeed in eine Art Panik geraten. Sie hielten das Wettrennen um die größten Reichweiten für eine Art Überlebenskampf, in dem nur die größten übrig bleiben würden. Aus dieser Zeit, an die sich manche heute gar nicht mehr richtig erinnern können, stammt der Eindruck, dass journalistische Medien sich nur noch würden finanzieren können, wenn sie Clickbait-Überschriften am Fließband produzieren würden. Der Mythos von der Kostenlos-Kultur entstand. Diese Spirale führte immer schneller nach unten.
Dazu kam die Attitüde mancher dieser Leute, dass sie den Journalismus neu und besser erfunden hätten. Ein Beispiel findet sich in dem sehr sehenswerten Dokumentarfilm „Page One“ von 2011, ein Porträt des legendären und inzwischen verstorbenen Medienkolumnisten der New York Times, David Carr. Die Szene zeigt ihn im Gespräch mit ein paar Dudes des Video-Reportagen-Startups Vice, die er etwas ratlos fragt, was zur Hölle sie mit ihren Video-Reportagen auf einem (damals) seriösen Sender wie CNN zu suchen hätten. Shane Smith, Gründer von Vice, antwortet sinngemäß: Während die New York Times über Surfing berichtete, habe er in Liberia Kannibalismus dokumentiert, und die mit menschlichen Exkrementen übersäten Strände dort auf CNN gezeigt.
Woraufhin David Carr tief Luft holt und „Time out!“ sagt. Er braucht eine Pause, um die Ehre seiner wirklich ehrwürdigen Zeitung zu verteidigen, und damit die des gesamten journalistischen Handwerks. Die Times habe schließlich seit Jahrzehnten mit eigenen Korrespondenten von dort berichtet, sagt er Smith. „Just because you just put on a fucking safari helmet and looked at some poop, doesn’t give you the right to insult what we do.“ Bäm.
https://youtu.be/iLmkec_4Rfo (Opens in a new window)Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es seit der vergangenen Woche Hinweise auf eine bevorstehende Insolvenz von Vice gibt. Von den unglaublichen Investments, die bisher in das Unternehmen flossen, hat sich Shane Smith Berichten zu Folge 100 Millionen abgeknapst (Opens in a new window). Es würde mich nicht wundern, ihn bald im Court TV zu sehen.
Es war ein Konflikt zwischen journalistischen Handwerkern, deren Verlage keinen Plan hatten, wie in der Zukunft Geld reinkommen würde, und dieser neuen Generation von Digital-Pionieren, die die Kultur des Internets verstanden hatten, und sie in Reichweite verwandeln konnten. Mit diesen Zahlen gelang es ihnen, große Investments zu Milliardenbewertungen anzulocken.
Mein Gegenentwurf zu Buzzfeed
In diesem Konflikt jedenfalls stand ich eindeutig auf der Seite der Traditionalisten. KR war ein Gegenentwurf zu Buzzfeed, Gawker und Vice. Ich wollte beides: Einen Schritt nach vorne tun – in neue Formate, Geschäftsmodelle und ein neues Verhältnis zur Community – und einen Schritt zurück – in die journalistische Tradition, die gerade verloren ging. Das führte allerdings zu einem anstrengenden Missverständnis, als wir 2014 Krautreporter gründeten.
Als wir schrieben „Der Online-Journalismus ist kaputt“, beschrieben wir diese Irrwege der Verlage, es Buzzfeed nachzutun. Was viele Kolleg:innen in traditionellen Medien aber hörten, war das, was sie seit Jahren nervte: Irgendwelche Digital-Fuzzis, die ihnen mit Internet-Manifesten vorschreiben wollten, wie Journalismus zu funktionierten hat. Gemeint war tatsächlich das Gegenteil. Wir wollten uns zurückbesinnen auf das eigentliche Handwerk und die Aufgabe von Journalismus, abseits von Reichweite.
Wir waren nicht allein. Eine ganze Generation von Neugründungen als Gegenentwurf zu den Reichweiten-Medien ist seitdem entstanden. In den USA zuerst Vox (Opens in a new window) („Understand the News“) mit dem genialen Erklär-Jorunalismus-Konzept von Ezra Klein. In Europa, wo Medieninvestments mehr oder weniger unbekannt sind, mit Crowdfunding-Magazinen wie De Correspondent (Niederlande), Zetland (Dänemark), Republik (Schweiz), Blank Spot (Schweden) und viele anderen. Und im Gegensatz zu Reichweiten-Projekten aus deutschen Verlagen wie Bento (Spiegel), Zett (Zeit) oder eben Buzzfeed geht es uns gut.
Die meisten Verlage haben es inzwischen verstanden
Wir haben allerdings ein anderes Problem. Die meisten traditionellen Medien glauben nicht mehr an Reichweiten-Geschäftsmodelle. Manche betreiben das immer noch, verabschieden sich aber mehr und mehr vom Journalismus, zum Beispiel der Ippen-Verlag oder Burda. Andere sind daran zugrunde gegangen, nämlich Gruner+Jahr. In Spiegel und Zeit finden wir heute immer häufiger Artikel, die es vor ein paar Jahren so nur bei Krautreporter gab. Wir unterscheiden uns weniger als früher.
Es ist die Aufgabe für eine neue Generation von journalistischen Gründer:innen: Neue Lösungen zu finden für neue Probleme. Die AI-Revolution wird dafür sorgen, dass es bald viel Bedarf gibt nach Innovationen im Journalismus.
Bis nächste Woche!
👋 Sebastian
PS:
👂 Einen interessante, aber irgendwie auch traurig gestimmte Diskussion zwischen Ben Smith, Jonah Peretti und Nick Denton gibt es hier (Opens in a new window).
📧 Der oben erwähnte Daniel Drepper schreibt einen tollen Newsletter (Opens in a new window), den ich empfehlen möchte.
⁉️ In der kommenden Woche werde ich einige Fragen von Leser:innen beantworten. Hast du auch welche? Dann antworte auf diese Mail.
Wie nutze ich meine Reichweite auf Social Media für den Aufbau einer Community – und wie nicht?
Ich möchte meine Community von vornherein auf zahlende Mitglieder beschränken, da ich aus meiner Sicht schon ganz schön viel free rausgebe. Ist das sinnvoll?
Meine Idee ist, die Community erstmal wirklich kleinzuhalten – any thoughts and comments auch dazu?
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👎 Diese Ausgabe war für mich uninteressant. (Opens in a new window)
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