Vertreibung, Vergessen, Verzweiflung
Liebe Leserinnen und Leser,
ich wünsche euch und Ihnen ein gesundes neues Jahr! Ja, das darf man noch wünschen, laut Knigge sogar noch bis Mitte des Monats. Und damit herzlich Willkommen zum ersten ReportagenFM-Newsletter 2025, mit den besten Texten des Jahreswechsels und -anfangs.
Mich haben diese Woche zwei Texte beeindruckt, die das Besondere im Alltäglichen suchen und mit tiefer Recherche und tollen Sprachbildern füllen. Paul Weinheimer hat sich wochenlang im Heide Camp Brüggen, einem Trailerpark bei Mönchengladbach, mit den Bewohnern getroffen – und: zugehört. Da ist Sandra, die von ihrem Mann geschlagen wurde und sich ihren persönlichen Rückzugsort erschuf. Sigi verliebte sich in einen Bewohner, seitdem er starb, ist sie auf sich gestellt, in der Gemeinschaft, aber nicht allein. Doch ein Investor kauft das Grundstück, will Luxus-Chalets darauf bauen und schmeißt die Bewohner nun vom Hof. Eine Geschichte über Ungerechtigkeit und am Ende über die Abgründe des Kapitalismus.
In Berlin stirbt jede Woche ein Obdachloser, so eine Schätzung. Denn genau weiß es niemand, weil es niemanden interessiert. Nach einem der zu vielen Toten recherchierten Sara Wess und Dariusz Kalan nach. Piotr Pająk starb unter einer Eisenbahnbrücke am Hauptbahnhof, mit 10,74 Euro in der Tasche. Der Pole hatte Verwandtschaft, heute liegt er auf einem schlesischen Friedhof neben seinem Bruder. Seine Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass Obdachlosigkeit theoretisch jeden treffen kann. Wir sollten also weniger kalt zu Menschen sein, die auf der Straße leben. Wer Geld hat, sollte geben, wer nicht, kann dem “Nein” auch ein Lächeln hinzufügen.
Auch wenn die Themen der heutigen Auswahl alle hart klingen, lohnt sich die Lektüre. Denn alle Autor:innen schaffen es, die Grausamkeiten des Lebens in Worte zu fassen, die ich sehr gern gelesen habe.
Ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre und ein schönes, erholsames Wochenende!
Tom Schmidtgen
P.S.: Etwas Aufmunterung verspricht der Text, der sich hinter dem Satz der Woche versteckt. Sascha Chaimowicz hält ein sehr lustiges Plädoyer, warum es lohnt, auf Alkohol zu verzichten, oder auch nicht? Ich mache beim Dry January mit und spüre außer dem guten Gewissen leider noch keine anderen Vorteile, ich schlafe vor allem genau so schlecht wie im Dezember. Ihr und Sie auch? Dann freue ich mich über eine Nachricht!
Sie dachten, sie würden hier alt werden
In dieser Wohnwagensiedlung wohnen Menschen mit 800 Euro Rente oder 1.300 Euro Lohn. Sie finden keine Wohnung – oder wollten gar nicht. Nun müssen sie, denn ihr Trailerpark wird ein Luxusressort.
Paul Weinheimer · ZEIT (€) · 10 Minuten (Opens in a new window)
Seine letzte Habe: 10 Euro und 74 Cent
Am 26. September 2023 finden Sozialarbeiter Piotr Pająk unter einer Brücke. Wie lange er schon tot ist, weiß man nicht. Er war obdachlos. Wer war der Pole, der nach Deutschland kam, weil er Hoffnung hatte?
Sara Wess und Dariusz Kalan · SPIEGEL (€) · 15 Minuten (Opens in a new window)
Junge, Junge
Luka ist ein Systemsprenger. Er klaut, beißt, zerstört – und bringt seine Adoptiveltern zur Verzweiflung. Sie fragen sich: Was ist in den zweieinhalb Monaten nach seiner Geburt passiert, bevor er zu ihnen kam?
Oliver Gehrs · Dummy · 20 Minuten (Opens in a new window)
Satz der Woche
»Ich bewunderte die fast schon grenzenlose Geschmeidigkeit der Trinker, die dafür sorgte, dass ein noch so banaler Satz wie “Schon krass, was da in Amerika abgeht” nicht das Ende, sondern der Anfang einer Unterhaltung war.«
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