Thalaris Almanach - Buch 1: Oylien
Teil 20 - Nekropole
„Uff!“, entfuhr es mir, als die weißen Lichtschlieren vor meinen Augen verschwanden. Als ich meinen Kopf drehte, merkte ich, dass ich lag. Toll, wieder einmal, schoss es mir durch den Kopf. Es war dunkel und roch nach muffiger, alter Kleidung. Mehr oder weniger abgestanden und alt. „Friedhof!“, rief ich und wollte mich erheben, was die Wand über mir mit einem heftigen Widerstand gegen meinen Kopf quittierte. Mir dröhnte der Schädel und ich fiel zurück. Hervorragend, trotz der Kopfschmerzen, die ich mir selbst beschert hatte, freute ich mich. Endlich etwas Bekanntes, wurde Zeit. Diese Tatsache war völlig logisch, es musste einen Ort geben, an dem die Spieler wieder erschienen, speziell, wenn die Permadeath-Sache aufgehoben oder mit anderen Optionen ergänzt wurde.
Ich tastete umher, um mein Grab zu erkunden. Zu beiden Seiten fühlte ich trockene und kalte Wand, jene an den Füßen konnte ich nicht erreichen. Der einfachere Weg war zuerst über mir zu testen. Ich zog meine Arme nach oben, was gut gelang und drückte gegen die Fläche oberhalb meines Kopfes. Sie wackelte und klapperte. Ich drückte stärker und mit einem Poltern löste sie sich. Mit hämmernden Herzen lauschte ich, ob meine Geräusche die Grabwächter, so es denn welche gab, aufgeweckt hatten. Alles blieb still. Die Füße und Ellenbogen nutzend, schob ich mich Kopf voran aus meinem Grab. Als ich bis zur Hüfte draußen war, versuchte ich mich etwas zu drehen, um meinen Sturz abfangen zu können, da war es bereits zu spät. Ich flutschte aus dem Loch und krachte halb seitlich auf den harten Boden. Ein scharfer Schmerz raste durch meinen Körper und ich biss mir auf die Zunge. Tollpatschiger ging es kaum. Gut, dass ich noch allein war.
Dunkelheit umgab mich weiterhin, durchbrochen von grünlich flackerndem Licht, abgegeben von Schalen, die auf einem umlaufenden Sims standen. Ich holte mir eine davon, um meine Umgebung besser sehen zu können. Die Substanz in der Schale roch wie altes Fett, mit einer Beimischung unbekannter Art, es brannte und kitzelte in der Nase. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und stellte fest, dass ich mich in einer Kammer mit drei Gräbern befand. Ich hatte in dem Mittleren gelegen.
Vor mir befand sich der Ausgang, den ich leise und vorsichtig betrat, immer auf Geräusche lauschend. Ich erreichte einen Gang, der links von mir endete. Geradeaus gab es einen weiteren Durchgang, wie jener in dem ich stand, nach rechts führte ein hoher, gemauerter Tunnel in die Finsternis. Der Sims mit den Schalen war auch hier zu finden, doch nicht alle waren entzündet, sodass ich nicht weit sehen konnte. Der Gang mir gegenüber faszinierte mich, also marschierte ich schnell darauf zu und ging hinein. Er endete nach wenigen Schritten und öffnete sich in eine Kammer, die anders aussah. Runde Wände zu beiden Seiten und eine Gerade am anderen Ende. In der Mitte konnte ich ein Loch erkennen. Ich ging darauf zu und es stellte sich als Feuerstelle heraus, in welcher sich sogar frisches Holz befand. Moment, das würde heißen, dass hier Leute herkamen!
Ich sah mich hastig um, doch es war einfach nicht hell genug. Ohne weiter zu überlegen, goss ich den Inhalt der Schale in die Feuerstelle. Es knackte und knisterte, dann, schossen Flammen hervor und erhellten meine Umgebung endlich so weit, dass ich alles klar erkennen konnte. Wenn jetzt jemand käme, wäre ich zwar absolut wehrlos, aber wenigstens würde ich sehen, was auf mich zukäme. Um die Feuerstelle waren steinerne Bänke angeordnet, über ihr konnte ich einen Abzug erkennen, durch den der Rauch verschwand. Wofür war dieser Raum? Um den Verstorbenen zu gedenken? Als Versammlungsort für Rituale? Hier befand sich …
Was war das?
Als ich den Kopf drehte und mir die Wand hinter mir ansah, blitzte etwas auf. Eine Reflexion? Ich ging darauf zu, versuchte es nicht aus den Augen zu verlieren. Als ich vor der Wand stand, zog ich vor Verblüffung die Luft ein. Das war seltsam. Es war keine Reflexion, sondern eine Art graues Licht, das direkt aus dem Ziegel zu kommen schien. Je genauer ich hinsah, desto mehr Lichter konnte ich sehen. Jeder Ziegel hatte eins und alle flackerten rhythmisch. Ich legte meine Hand auf den Stein und das Licht vibrierte so, dass ich es spüren konnte. Einem Impuls nachgebend, drückte ich gegen die Wand. Plötzlich begannen mehr der Lichter zu vibrieren und in Richtung meiner Hand zu wandern. Die Ziegel zitterten förmlich, Staub rieselte herab. Ich bekam Angst und wollte meine Hand wegziehen, doch ein innerer Impuls bestärkte mich, eher gegen die Wand zu drücken. Dann gaben die Steine nach und polterten nach innen in einen Hohlraum. Die Lichter beruhigten sich.
„Was war denn das?“, rief ich lauter als beabsichtigt und sah mich erschrocken um. Der Krach hatte nach wie vor niemanden angelockt, also holte ich mir eine der Schalen, entzündete sie am Feuer und steckte neugierig meinen Kopf in die soeben geschaffene Öffnung. Ich sah erst nichts, erst als ich meine Lichtquelle höher hob und mich etwas zur Seite drehte, drang genug Feuerschein in die Ausbuchtung. Den so etwas lag vor mir. Kaum größer als ich, etwas so tief wie mein Arm lang. Auf dem Boden hockte ein Skelett, gerüstet und mit einem Schwert in der Hand. Ich führte die Feuerschale an der Wand entlang und tatsächlich – die Person hatte versucht, sich durch den Fels zu graben. Überall lagen Splitter herum, die Felswand zeigte Kratzer und Scharten. Armer Kerl, vermutlich lebendig eingemauert.
Neben dem Skelett lag ein kleiner Beutel, der zu zerfallen schien. Vorsichtig hob ich ihn auf, dabei stieß ich an den Brustkorb des Eingeschlossenen, was ihn endgültig zusammenbrechen ließ. Unter seinem Brustharnisch kam eine Kette zum Vorschein, an welcher ein unförmiger, runder Stein hing. Ich nahm an, dass dies die Art von Beute wäre, wie ich sie hier im Spiel finden konnte. Also entfernte ich dieses Schmuckstück.
Ohne die Ruhe des Toten weiter zu stören, verließ ich den winzigen Hohlraum und nahm auf einer der Steinbänke Platz. Der Beutel auf meinen Knien war etwas größer als zwei Fäuste und faserte aus. Das Material erinnerte an meine Kleidung beim ersten Start, jetzt trug ich etwas Leinenartiges in derselben Ausführung. Ich öffnete ihn.
Darin lag ein Gebilde, was grob an eine Sanduhr erinnerte. Zwei birnenförmige, dünn geschliffene Blasen, miteinander verbunden und von einem feinen Gespinst an Ornamenten aus Metall umgeben. Die untere Hälfte war mit stilisierten Blättern verziert, die obere zeigte lang gezogene Wolken an einem Nachthimmel. Zumindest kam es mir so vor. In dem Metallgespinst befanden sie winzige Kristalle, die im Schein des Feuers funkelten. Außerdem deutete eine kleine Kugel den Mond an. Im inneren der beiden Blasen war, im Gegensatz zu einer Sanduhr, nichts enthalten. Seltsames Ding. Ich hatte keine Tasche dabei, also packte ich es wieder ein und klemmte es vorsichtig in meinen Gürtel am Rücken. Ich würde mir meine Beute später genauer ansehen. Jetzt war die Kette an der Reihe, bevor ich sie näher betrachten konnte, hörte ich etwas: leise Stimmen, die nicht freundlich klangen.
Ich hängte mir die Kette um und schlich behutsam zum Durchgang, um zu lauschen, doch es war wieder ruhig. Was jetzt? Unbewaffnet und ohne ausreichend Schutz, dazu besaß ich weder mein Buch noch einen anderen Teil meiner alten Ausrüstung. Ich wusste nicht, was die Akin damit bezweckte, hoffte aber jetzt das Beste. Dann fiel mir ein, dass der Tote ein Schwert besaß. Ich holte es aus der Nische, nicht ohne mich still zu entschuldigen, und wog es in der Hand. Es hatte etwas von einem Krummsäbel, war recht leicht und gut zu führen. Auch wenn ich eher kein Nahkämpfer war, wusste ich doch einige Techniken, die ich nutzen konnte.
Mit Bedacht, um mit keinem weiteren Geräusch auf meine Position aufmerksam zu machen, bewegte ich mich in Richtung Hauptgang. Ich schob mich an der Wand entlang und neigte den Kopf um die Ecke. Nichts.
Geduckt lief ich weiter, als die Stimmen wieder erklangen, diesmal näher. Mich an die Wand pressend, hielt ich mich im Schatten, was mangels ausreichend entzündeter Feuerschalen leicht war. Ich wollte gerade in den Gang zur nächsten Krypta schauen, als mich etwas gegen die Wand warf. Mein Angreifer hielt mich mit aller Macht fest. Interessanterweise auf Hüfthöhe. Dann schnatterte er los. Und dieses Schnattern kannte ich. Grnarks, waren hier!
„Ruu-faart?“, vernahm ich sogleich Nim’s Stimme. Ein weiteres Schnattern und der Griff löste sich. Ich erhob mich und putze meine leidlich saubere Kleidung ab. Dann sah ich, wie Nim, gefolgt von drei dieser großen Wach-Grnarks auf mich zukamen. Die vierte schaute grimmig zu mir auf, die Hand am Dolch.
„Hallo Nim“, begrüßte ich meine Retterin.
„Ruu-faart, du nicht hier. Du tot!“, gab diese entsetzt zurück und hielt an. Ihre Begleiter hoben misstrauisch die Speere.
„Warte, Nim, es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht tot. Lass es mich dir erklären.“