Jetzt hat er auch noch einen Newsletter!
„Jetzt singt sie auch noch!“. An diesen Albumtitel musste ich denken. Barbara Schöneberger hat ihn für ihr 2007 erschienenes Debut-Album verwendet um so dem Vorwurf „die Nervensäge macht ja wirklich alles“ direkt geschickt den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Ich hätte dem folgend fast ein wenig Lust, mein neues Projekt hier auf Steady „Jetzt hat er auch noch einen Newsletter“ zu nennen. Aber so gerne ich Selbstironie mag, irgendwie funktioniert der Scherz nicht so recht. Ich bin Autor, Texter, Gagschreiber, Kolumnist, Werber, Twitterer und häufig verletzter Wortakrobat – FAST ALLES was ich mache, hat irgendwie mit Text zu tun (der Rest mit Mittagsschlaf). Daher ist ein Newsletter „aus meiner Feder“ dann doch nicht so ganz überraschend. Den Schöneberger-Titel werde ich mir trotzdem merken. Für eventuell folgende, völlig artfremde Projekte. Eine von mir designte Jogpant, eine gemeinnützige Stiftung für Waisenkinder, eigene Kopfhörer. Oder so etwas wie „Jetzt hat er auch noch eine eigene Schmuckkollektion auf QVC“.
Ein Newsletter passt jedenfalls ganz gut zu mir, auch, weil mir meine kürzlich beendete Kolumne im Tagesspiegel (liebe Grüße an dieser Stelle, Harald!) oft Freude bereitet hat. Allerdings war bei dieser aus nachvollziehbaren Gründen immer ein Fokus auf Berlin erwünscht. Häufig dachte ich so etwas wie: DARÜBER würde ich gerne schreiben, aber wie bekomme ich das bloß auf die Hauptstadt gedreht. Außerdem haben die Redakteure mir fast immer rausgestrichen, wenn ich Witze über den Tagesspiegel, seine letzten noch lebenden Leser oder das Marketing dort machte. Daher habe ich bei der Zeitung aufgehört und bei Herrn Steady unterschrieben.
In diesem Newsletter würde ich gerne meine Kolumne auf eine Art fortführen. Aber ohne das jemand reinreden oder redigieren könnte. Was vermutlich dazu führen wird, dass ich mich innerhalb weniger Wochen zu einer Art Attila Hildmann für Arme radikalisieren werde.
Apropos Kochen! Was wird denn hier in diesem Newsletter in Zukunft thematisch auf die Tafel in eurem Posteingang gezaubert werden? Mit welch köstlichen Zutaten wie Witz, Satire, Recherche, Analyse, Beobachtung, Meinung oder gar Schmähgedicht werde ich eure wöchentliche Wortsuppe würzen? Die überraschende Antwort lautet: Ich habe KEINE Ahnung. Ist auch für mich ein Experiment. Aber das Schöne ist ja: Ich brauche es noch gar nicht zu wissen. Es gilt das Swingerclub-Motto: Alles kann, nichts muss.
Ursprünglich hatte ich vor, direkt im ersten Newsletter ein Knallerthema anzusprechen. Zum Beispiel meinen Boykott der WM 2022 in Katar noch mal ausführlich darzulegen oder pointiert in Argumente zu fassen, warum ich GEGEN eine Impfpflicht bin. Ihr kennt das Prinzip: Ein Aufreger-Thema bringt Klicks, Reichweite und Ehre – oder immerhin neue Feinde.
Dann jedoch ergriff mich ich ein bemerkenswert schlauer Einfall! Konkret lautete dieser: Ich bin doch nicht bescheuert!
Ich möchte hier ganz ohne Druck schreiben – und was bitte wäre das für eine Bürde, wenn direkt mein erster Text viral wie Omikron gehen würde? Für aufmerksam beobachtete Alltagsgeschichten, mit zartgliedriger Hand poetisch notiert, wäre doch in Zukunft kaum Raum. „Das klickt nicht genug, Wittkamp“, würde mich mein innerer Chefredakteur (m/w/d) anschnauzen! Und schon wäre er wieder da, der Druck.
Nein. Ich mach hier schön langsam. Ich werde über den Alltag schreiben. Vielleicht über einen meiner geliebten Besuche bei Lidl. Ich werde über Musikstücke schreiben, mit denen mich eine Geschichte verbindet. Natürlich werde ich auch schreiben, wenn mich ein gesellschaftliches Thema besonders interessiert. Oder wenn ich eine politische Haltung so stark vertrete, dass sie es mir wert ist, in diesem Newsletter zu landen. Vielleicht werde ich auch nur mal ein Katzenfoto senden – wenn meine Zwänge in einer Woche zu stark für einen Newsletter sind. Meine Zwangsstörung überhaupt, auch ein gutes Thema. Vielleicht auch mal ein Gedicht oder ein Kochrezept. Ich habe wirklich noch keine Ahnung.
Aber dafür weiß ich ziemlich genau, was eure Rolle sein wird. Zunächst mal, das ist das Wichtigste, freue ich mich über jeden Einzelnen, der diesen Newsletter KOSTENLOS abonniert. Ein Autor braucht Publikum, so wie ein Despot den Konflikt benötigt.
Das Abonnieren von Wittkamps Woche hilft mir also schon mal sehr weiter. In einem zweiten, völlig freiwilligen Schritt dürfen alle, denen meine Arbeit und Texte noch mehr wert als die damit verbrachte Zeit sind, dies gerne in einer finanziellen Unterstützung auf Steady ausdrücken. Es gibt drei verschiedene Abo-Modelle. Zwei sind völliger Quatsch – aber eines ist ganz okay. Zum Glück ist es das günstigste.
Mit dem Abschluss eines dieser drei Pakete gibt es sogar etwas, das allen anderen vorenthalten bleibt. Einen zusätzlichen Newsletter! Aktuell ist der Plan, drei Newsletter im Monat zu versenden. Der Dritte ist exklusiv für Unterstützer. Oder anders ausgedrückt: Wer weniger von mir lesen will, muss nichts bezahlen. Das wird mein finanzieller Untergang! Wer hat sich das denn ausgedacht?
Wie auch immer: Anhand der Zahl der Unterstützer kann ich dann ganz gut einschätzen, wie viel Zeit und Arbeit ich in meinen Newsletter stecken mag. Zum Beispiel für Recherche, Schreiben, das Finden knalliger Themen oder etwas ganz Exklusivem wie ein Lektorat. Bis auf weiteres bleiben aber alle Kommata in diesem Text komplett geraten. Wer Grammatik will, muss zahlen!
Bis hierhin alles verstanden? Prima.
Dann doch noch ein paar Worte zu einem aktuellen Thema, das mir in meinen ersten, eigentlich völlig unpolitischen Newsletter leider ein wenig reingerutscht ist. Vielleicht hat es der ein oder andere von euch auch schon mitbekommen. Krieg in der Ukraine, mitten in Europa.
Ich verstehe das alles nicht. Es ergibt so wenig Sinn. Und mit diesem Gefühl bin ich sicher nicht alleine. Mein ganzer Freundeskreis, ganz Berlin, ganz Deutschland, ganz Europa, ja die ganze Welt versteht es nicht.
Nahezu ALLE sind gegen Putin. Nicht mal China hat Bock darauf. Und wenn es ein Zeichen dafür gibt, seinen perfiden James-Bond-Bösewicht-Plan vielleicht besser aufzugeben, dann ja wohl, dass sogar China dagegen ist. Ich warte schon beinahe darauf, dass Nord-Korea den Einmarsch als inhuman verurteilt.
Zudem ist Russland nicht gerade das Land, das flächenmäßig zwangsläufig auf Expansion setzen müsste. Da hätte ich eher Liechtenstein, Luxemburg oder Monaco als Aggressoren gesehen. Habt ihr mal in eurem Osten nachgeschaut, Russland? Da ist noch viel Platz!! Putin beruft sich jedoch auf historische, ehemalige Grenzen. Da bleibt nur zu hoffen, dass nicht auch noch Italien auf die Idee kommt, an die frühere Ausbreitung seines römischen Reiches zu erinnern. Oder die Mongolei. Das würde dann auch für Russland recht unangenehm. He Reiter, Ho Leute, He Reiter, immer weiter!
Wie gesagt, es ergibt alles so wenig Sinn. Die für mich bisher überzeugendste Erklärung: Vielleicht ist Wladimir Wladimirowitsch Putin einfach verrückt geworden. Ich halte ihn zwar für bemerkenswert klug, aber das schützt ja nicht unbedingt davor, irre zu werden. Ich weiß, wovon ich rede.
Eine weitere Erklärung wäre vielleicht: Er ist krank oder merkt zumindest das Alter und würde sich gerne jetzt, wo die Zeit rennt, noch zwei Lebensträume erfüllen: Zum einen endlich mal bei den Schröders vorbeischauen und mit So-Yeon und Gerd instagramtauglich was feines Kochen – und zum anderen mit einem Angriffskrieg Erinnerungen an die gute, alte Imperialmacht Russland so lebendig halten, wie es viele in seinen Arbeitslagern nicht mehr sind.
Verrückt, erkrankt oder Late-Life-Crisis – alles keine besonders beruhigenden Aussichten. Und die Erklärung, dass dieser furchtbare Plan ohne einen dieser Faktoren entstanden ist, sondern bei komplett klarem Geist, ist dann vielleicht noch die erschreckendste Möglichkeit.
Vor einer Woche fragte ich auf meinem Instagram-Kanal (Abre numa nova janela), ob euch der Konflikt in der Ukraine Angst bereitet. Also nicht Sorge, Wut oder Unverständnis, sondern richtig Angst. Die Antworten waren ungefähr 50/50 zwischen Ja und Nein verteilt. Ich verrate meine persönliche Meinung bei meiner „Freitagsfrage“ zwar fast nie, war aber eigentlich für „Nein“. Doch die Entwicklungen in den letzten sieben Tagen und die Vorstellung eines altersirren Despoten, dem die gesamte Meinung der Weltgesellschaft komplett egal ist, lässt mich langsam zu Team „Ja“ tendieren.
Ich versuche zwar, an dieser Stelle noch halbwegs locker über diesen Irrsinn zu schreiben, aber ich bin sehr betroffen. Ich hoffe, dieser Wahnsinn hört bald auf und denke an die Menschen in der Ukraine. Menschen, die in Frieden leben wollen, die sich aber gestern Nacht in einer europäischen Stadt aus wie Kiew aus Angst vor Bomben in der Metro verschanzen mussten.
Я бажаю тобі миру
Falls Google das korrekt übersetzt hat, bedeutet es „Ich wünsche euch Frieden“ auf ukrainisch.
Bis nächste Woche
Peter
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