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Tipps und Strategien für Gespräche in einer verrohten Debattenkultur

Hallöchen,

diese Woche haben wir etwas, das sich viele von euch immer wieder von uns wünschen: Nämlich ganz klare Tipps, wie man (politisch) Themen setzt und (persönlich) Debatten führt.

Diese kommen nicht von uns, sondern von Bestsellerautorin Ingrid Brodnig. Die Österreicherin hat im vergangenen Jahr ein Buch herausgebracht, das heißt “Wider die Verrohung”, (Abre numa nova janela) in dem sie Strategien und Tipps gibt, wie man besser auf die emotionalisierte Debatte und Fake News antworten kann.

Könnt ihr in jeder Buchhandlung eures Vertrauens kaufen. Oder aber eins von Ingrids anderen fünf Büchern. 😉

Cover des Buches "Wider die verrohung" von Ingrid Brodnig.

Ingrid schafft den Spagat zwischen Abstraktion und konkreten Beispielen so mühelos und elegant, dass das Gespräch super interessant war und deshalb auch verschriftlicht ziemlich lang geworden ist. Deshalb nun Schluss mit Vorrede - ab zum Gespräch.

Nur noch ein kurzer Hinweis: Ingrid Brodnig bringt alle 14 Tage einen eigenen lesenswerten Newsletter zum Zeitgeschehen hier auf Steady heraus. Hier geht’s zum kostenlosen Abo. (Abre numa nova janela)

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Bleib achtsam und alles Liebe!

“Man muss sich fragen: Erwische ich noch den Moment, in dem ein U-Turn möglich ist?”

Ingrid Brodnig ist Journalistin, Autorin und Expertin für digitale Debatten, Desinformation und Hass im Netz. Die Österreicherin schreibt unter anderem eine Kolumne für “Der Standard” und beschäftigt sich seit Jahren mit politischer Kommunikation, rechter Sprache und Verschwörungserzählungen.

In ihren Büchern – darunter Hass im Netz, Lügen im Netz und Wider die Verrohung – analysiert sie, wie Sprache emotionalisiert und instrumentalisiert wird. Gleichzeitig zeigt sie, wie man im Alltag besser gegenhalten kann: mit Fakten, Haltung und Strategie. Brodnig wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bruno-Kreisky-Preis. Sie hält regelmäßig Vorträge und Workshops zu Medienkompetenz und Kommunikationsstrategien. Unter anderem wird sie im Mai in Berlin auf der re:publica zu Gast sein. (Abre numa nova janela)

Ingrid, du beobachtest seit Jahren, wie sich die politische Debattenkultur verändert. Du schreibst, dass öffentliche Diskussionen zunehmend emotionalisiert, polarisiert und manipuliert werden. Was meinst du damit konkret und welche Folgen hat das?

Das ist ein Spektrum. Am einen Ende stehen gewaltsame Übergriffe, wie etwa, wenn ein SPD-Abgeordneter im Wahlkampf niedergeschlagen wird, während er Plakate aufhängt. Das ist ein Beispiel für physische Gewalt, die aus politischer Aggression entsteht.

Eine mittlere Stufe ist der beleidigende Ton in der politischen Sprache. Zum Beispiel, wenn Alice Weidel im Bundestag sagt, Deutschland würde brennen und die Bundesregierung sei der Brandstifter. Viele haben sich an solche Sprache schon gewöhnt, aber das ist ein extremer Vorwurf – solche Aussagen treiben die Fronten weiter auseinander.

Und dann gibt es noch die alltäglich aufgeheizten medialen Debatten. Oft wird da in Schwarz-Weiß gemalt. Ein Beispiel: Als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung intern überlegte, die Fleischverzehrempfehlung zu senken, titelte die Bild: “Nur noch eine Wurst pro Monat für jeden! (Abre numa nova janela)” Das hat Wut ausgelöst – Leute schrieben etwa: “Ihr könnt euch 1Wurst im Monat dahinschieben wo die Sonne nicht Scheint.” [sic!] Markus Söder hat damals noch auf Twitter gefragt, warum solle immer alles verboten werden. Aber in Wirklichkeit ging es nur um eine Empfehlung, kein Verbot. Schon mit leichten Zuspitzungen kann man Debatten so aufheizen, dass sie Aggression und eine Frontenstellung befördern.

Wie ist es dazu gekommen, dass beispielsweise auf politischer Bühne so eine Verrohung der Debatte eingetreten ist?

Weil es funktioniert. Eine Studie beobachtete (Abre numa nova janela): Wenn Politiker:innen moralisch-emotionale Begriffe in ihren Posts verwenden – also Wörter wie “Krieg”, “Protest”, “Schuld” –, dann steigt die Zahl der Retweets im Schnitt pro Wort um zwölf Prozentpunkte. Und die Gefahr ist, dass hier Lerneffekte auftreten:

Wenn man für moralische Empörung, für Wut, Ekel oder Abscheu besonders viel Interaktion bekommt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man am nächsten Tag wieder so postet. Das nennt man reinforcement learning.

Man kann auch beobachten, dass Menschen, die extremen Accounts folgen, im Ton selbst radikaler werden. Das nennt man norm learning: Wir lernen von anderen, wie man in einem bestimmten Umfeld spricht – und imitieren das. Gleichzeitig erhalten Politiker:innen oft auch in klassischen Medien Aufmerksamkeit, wenn sie die Debatte verrohen lassen, indem sie beispielsweise andere beleidigen. Beleidigungen sind häufig Tabubrüche und bringen Headlines.

Wem nützt es besonders, wenn Debatten so geführt werden?

Steffen Mau und seine Kollegen verwenden im Buch “Triggerpunkte (Abre numa nova janela)” das Wort der “Polarisierungsunternehmer”. Das heißt, dass es in verschiedenen Ecken der Gesellschaft, sowohl in Politik als auch in den Medien, Menschen und Institutionen gibt, die von dieser spaltenden Rhetorik profitieren. In der Parteienlandschaften haben diejenigen Parteien die besseren Karten, die keine Hemmungen haben mit Halbwahrheiten, Falschinformationen und Untergriffen zu arbeiten. Im deutschsprachigen Raum sind das oft rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien.

In einem aufgeregten Klima gewinnt oft, wer “noch eins draufsetzt”. Parteien, die sich an wissenschaftliche Erkenntnisse halten oder auf Komplexität verweisen, haben es da schwerer. Und auch viele Medien merken, dass sich Krawallthemen besser verkaufen – dazu gehören zum Beispiel klassische Boulevardmedien wie die Bild, aber auch rechtspopulistische Medien wie Nius.

Wie können demokratische Medien über Tabubrüche berichten, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, von diesen Spaltungserzählungen profitieren zu wollen?

Kritik ist sicher auch angebracht, da rechte Rhetorik immer noch zu wenig eingeordnet wird, aber ich weiß auch, wie schwierig viele Entscheidungen im journalistischen Alltag sind. Insbesondere, wenn diese an einem Newsdesk schnell getroffen werden müssen – während zeitgleich solche Themen auf Social Media schon auf- und ab diskutiert werden. Auf Social Media funktionieren insbesondere Empörungsthemen. Für Medien ist das eine schwierige Situation: Einerseits gibt es jene Kanäle, die Krawallthemen kalkuliert aufgreifen und aufblasen, um Klicks zu generieren. Aber andererseits ist es auch für seriöse Redaktionen eine schwierige Abwägung: Wie geht man mit gezielten Eskalationen um? Tabubrüche sollten nicht nur wiederholt, sondern kontextualisiert werden.

Ein Beispiel: Als Alice Weidel im Gespräch mit Elon Musk auf X Adolf Hitler als “Kommunisten” bezeichnete, war das eine offensichtliche Revision der Geschichte. Man könnte sagen: “So absurd, das merkt doch jeder!” Aber es ist abzusehen, dass so ein Satz große Wellen schlägt – und da ist besser, man ordnet das rasch journalistisch ein, erklärt auch die potenzielle kommunikative Taktik dahinter. Ich finde hier die sieben Gedankenanstöße von Frank Esser, einem Kommunikationswissenschaftler in der Schweiz, sehr hilfreich. Das sind medienethische Empfehlungen zum Umgang mit rechtspopulistischen Akteuren. Einige Punkte sind für mich besonders zentral:

Erstens: Demokratieverstöße klar benennen. Wenn Parteien etwa Minderheitenrechte einschränken oder rechtsstaatliche Prinzipien untergraben wollen, muss man das aufzeigen.

Zweitens: Nicht mit doppelten Standards messen. Kritik muss sich an alle Parteien richten – zum Beispiel auch konsequent dort, wo antidemokratische Tendenzen auftreten.

Drittens: Medienstrategien sichtbar machen. Journalist:innen sollten nicht nur berichten, was gesagt wurde, sondern auch warum – also erklären, welche kommunikativen Tricks dahinterstecken.

Viertens: Faktencheck.

Und fünftens: Positive Gegenerzählungen sichtbar machen. Es reicht nicht, immer nur auf Skandale zu reagieren – es braucht auch konstruktive, zukunftsgewandte Inhalte, die zeigen, wie eine demokratische Gesellschaft aussehen kann.

Das sind keine einfachen Rezepte, aber sie helfen, sich in diesen schwierigen Fragen zu orientieren.

Warum sind wir Menschen überhaupt so empfänglich für diese negativen Emotionen: Wut, Empörung, Provokation?

Ich beschäftige mich schon lange mit Wut. Mich hat schon immer fasziniert, dass sie so erfolgreich ist. Online hat ein Artikel, der wütend macht, eine um ein Drittel höhere Chance viral zu gehen als andere. (Abre numa nova janela)

Warum ist das so?

Ein Aspekt ist vermutlich, dass Wut eigentlich eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Sie ist eine emotionale Reaktion auf empfundene Ungerechtigkeit – ein Schutzmechanismus. Wenn Frauen nicht wütend geworden wären, hätten wir vielleicht bis heute kein Wahlrecht. Es wäre also falsch, Wut generell zu verteufeln.

Aber Wut kann auch instrumentalisiert werden. Etwa durch Verschwörungserzählungen wie den sogenannten “Großen Austausch”, bei dem suggeriert wird, dass eine fremde Gruppe “uns” ersetzen will. Diese Geschichten lösen starke Gefühle aus – auch wenn sie faktisch völlig haltlos sind.

Was ich besonders interessant finde: Viele dieser unlauteren Strategien nutzen eigentlich sympathische menschliche Eigenschaften aus. Zum Beispiel moralische Empörung – also das Bedürfnis, innerhalb einer Gemeinschaft auf Fehlverhalten hinzuweisen. Wenn Menschen empört auf etwas reagieren, tun sie das oft, weil sie das Gefühl haben, eine Norm oder ein Wert werde verletzt. Es geht also um den Schutz der eigenen Gruppe.

Doch dieses soziale Bedürfnis kann missbraucht werden. Wenn jemand bewusst Empörung erzeugt, indem er etwa stark vereinfachende oder feindselige Behauptungen aufstellt, dann wird dieses Bedürfnis nach moralischer Klarheit gegen andere gerichtet. Und das funktioniert besonders dann gut, wenn Menschen sich bedroht oder verunsichert fühlen. In so einem Klima werden selbst extreme oder widersprüchliche Aussagen leichter akzeptiert – Hauptsache, sie bieten emotionale Orientierung.

Insgesamt glaube ich: Viele politische Manipulationsstrategien bauen auf zutiefst menschlichen Reaktionen auf. Sie machen sich zunutze, dass wir moralische Wesen sind – die sich empören, warnen, schützen wollen. Aber in einer aufgeheizten Debatte kann dieser Impuls leicht gegen andere instrumentalisiert werden.

Auch rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien bedienen immer wieder die gleichen emotionalisierenden Narrative. Gibt es eine Art Grundstruktur, die sich immer wieder zeigt?

Ja, da gibt es ein sehr klares Muster, das auch in der Forschung immer wieder beschrieben wird. Drei Merkmale sind zentral: Die Partei sieht sich als einzig wahre Vertreterin des Volkes. Das Volk wird als homogene, einheitliche Masse dargestellt – Unterschiede, Vielfalt, Pluralismus werden ausgeblendet. Und: Es wird suggeriert, dass die Eliten – also Politik, Medien, Wissenschaft – gegen das Volk arbeiten.

Diese Struktur prägt auch die Sprache: Es gibt Heldenerzählungen über die eigene Rolle – “wir kämpfen für euch” – und gleichzeitige Dämonisierungen der anderen Seite – “die da oben”, “die Lügenpresse”. Ein wesentliches Element ist außerdem die Konstruktion einer klaren Trennung zwischen Eigengruppe und Fremdgruppe. Das heißt: Wir, die angeblich echten Deutschen oder Österreicher:innen, würden bedroht – von Migrant:innen, der Elite oder anderen Gruppen.

Welche Beispiele fallen dir ein, in denen rechter Rhetorik besonders schwer logisch beizukommen ist?

Immer wieder werden real existierende Schutzmechanismen als Gefahr geframt. Ein Beispiel dafür ist der Digital Services Act (DSA). Das ist ein EU-Gesetz, das erstmals verbindliche Regeln für große Online-Plattformen wie X, Facebook oder Instagram schafft – insbesondere im Umgang mit Hassrede, Desinformation und algorithmischer Transparenz.

Faktisch stärkt der DSA die Rechte der Nutzer:innen. Dennoch wird er im rechtspopulistischen und rechtsextremen Diskurs als Versuch dargestellt, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Diese Erzählung verkehrt die Realität ins Gegenteil: Ein Regelwerk, das demokratische Standards sichern soll, wird zum Symbol autoritärer Gängelung umgedeutet – weil Begriffe wie “Zensur” oder “Sprachpolizei” eine starke emotionale Aufladung erzeugen.

Ähnlich funktioniert das Framing bei der sogenannten “Frühsexualisierung”. Damit wird gegen sexualpädagogische Inhalte oder kindgerechte Körperaufklärung polemisiert – etwa gegen Kinderbücher, die Vielfalt abbilden oder die Benennung von Geschlechtsteilen ermöglichen. Dabei wirken solche Inhalte präventiv – etwa indem sie Kindern helfen, Übergriffe sprachlich zu benennen oder ein positives Körpergefühl zu entwickeln.

Die rhetorische Umkehr besteht hier darin, Schutzmaßnahmen für Kinder als Gefährdung darzustellen – und damit letztlich genau jene Aufklärung zu delegitimieren, die für Kindeswohl und sexuelle Selbstbestimmung zentral ist.

Wie kann man nun – zunächst politisch – dieser Art der Rhetorik beikommen?

Ich halte es für zentral, dass Politiker:innen eigene Narrative setzen, die über die Gegenrede hinausgehen. Rechte Akteure bieten oft eine große – wenn auch düstere – Geschichte an: Die Meinungsfreiheit sei bedroht, das Volk werde verraten, Werte gingen verloren. Wenn dem nichts entgegengesetzt wird, bleibt diese Erzählung dominant.

Außerdem sollten sie sich nicht nur fremdbestimmen lassen, sondern vermehrt ihre eigenen Themen und Werte setzen. Agieren statt reagieren. Das kann man auch, indem man ein vermeintlich provokantes Thema umlenkt auf ein wirklich relevantes.

Dazu fällt mir ein Beispiel ein. Im Herbst kam die Geschichte auf, dass in Wiener Kindergärten keine Garderobenbilder für die Kinder mehr erlaubt seien. Also diese niedlichen Bilder von Enten oder Fliegenpilzen, die beim Platz des Kindes hängen. Das war aber falsch, es gab kein Verbot. Es gibt die pädagogische Empfehlung, statt Symbolen das Foto des Kindes anzubringen, damit es sich selbst erkennen lernt. Eine völlige Nullgeschichte – aber sie wurde aufgegriffen und emotional aufgeladen, als vermeintlicher Beweis für “politische Korrektheit”.

Statt nur darauf einzugehen, dass es kein Verbot gibt, könnte man als Politiker:in beispielsweise sagen: “Wenn euch die Kitas so wichtig sind, dann lasst uns doch über etwas Reales sprechen – zum Beispiel über den eklatanten Personalmangel.” So hijacked man das Thema und lenkt es in eine relevantere Richtung. Ich versuche in meiner Arbeit auch darüber nachzudenken, welche Themen mir wirklich wichtig sind. Worin will ich mich überhaupt einmischen? Pick your battles!

Was würdest du Menschen empfehlen, die im persönlichen Umfeld oder auf Social Media in die Gegenrede gehen möchten?

Ein guter erster Schritt ist, sich die eigenen Werte und Prioritäten bewusst zu machen. Also: Wofür stehe ich eigentlich? Was ist mir wichtig? Und wen möchte ich mit meiner Kommunikation erreichen? Das klingt banal, ist aber zentral – gerade in aufgeheizten Debatten.

Man kann sich zum Beispiel überlegen: “Ich möchte mich politisch einbringen, mir liegt besonders das Thema soziale Gerechtigkeit oder Klimakrise am Herzen. Und ich will Menschen erreichen, die vielleicht offen sind, aber noch nicht so tief im Thema.” Wenn ich das klar habe, fällt es leichter, auch schwierige Gespräche strategisch zu führen – statt sich treiben zu lassen.

Wer das nicht tut, läuft Gefahr, bei jeder Provokation reagieren zu müssen und am Ende immer fremdbestimmt zu kommunizieren. Aber wenn ich meine eigene Haltung gut kenne, kann ich auch gezielter entscheiden, wann ich spreche.

Wie schaffe ich es denn, dass ich nicht wütend auf Provokationen zurückplautze?

Ich würde als Erstes empfehlen, sich Zeit und Raum zu nehmen, bevor man reagiert – besonders dann, wenn man merkt, dass man wütend ist. Eine gute Methode ist ein kurzer Body-Scan, wie das die Kommunikationswissenschaftlerin Diane Grimes (Abre numa nova janela) empfiehlt: Spüre ich Anspannung in Schultern, Händen oder Nacken? Das ist oft ein Gradmesser dafür, dass ich gereizter bin, als ich denke. Dann ist es besser, kurz innezuhalten, bevor ich antworte.

Hilfreich ist auch, sich die Menschlichkeit des Gegenübers vor Augen zu führen. Auch wenn ich die Meinung ablehne – das ist ein Mensch mit Ängsten, Erfahrungen, vielleicht Familie. Sich das bewusst zu machen, hilft, nicht selbst in blinde Wut zu verfallen. Und das kann den Ton des Gesprächs entscheidend verändern.

Zeit und Raum nehmen wäre sicher sinnvoll.  Aber im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie ist meine sachliche Einordnung oder Antwort zwei Tage nach dem Vorfall ja gar nicht mehr interessant und wird durch den Algorithmus kaum jemandem mehr angezeigt. Wie kann ich da etwas schneller sein?

Dafür nutze ich das 4-Augen-Prinzip. Bevor ich etwas antworte, zeige ich es einem Bekannten, der in öffentlichen Debatten oft eine gute Flughöhe einnimmt und der auch auf eine ähnliche Art und Weise wie ich kommuniziert. Das hilft mir, schnell einzuordnen, ob das, was ich sagen will in Inhalt und Form passend ist.

Wie kann man also das Gegenüber am besten in Form und Inhalt erreichen?

Mein erster Tipp wäre, niedrige Erwartungen zu setzen. Man macht sich selbst zu viel Stress, wenn man hofft, die Tante, den Nachbarn oder die Person im Internet mit logischen Argumenten zu überzeugen.

Und mir hilft es auch, wenn ich mir vor Augen führe, dass niemand in eine Diskussion geht, um danach die Welt mit anderen Augen zu sehen. Ich ja auch nicht. Und selbst wenn das Argument, das mir jemand entgegen schmettert, hanebüchen ist, sollte man davon ausgehen, dass diese Person es für sich womöglich braucht.

Leute können beispielsweise fragwürdige Dinge bis hin zu Verschwörungsmythen glauben, weil ihnen diese Geschichten Halt auf einer emotionalen Ebene bringen. Wenn ich da auf der Faktenebene etwas entgegensetze, hilft das nicht. Hier rate ich, immer wieder das Gespräch zu suchen und behutsam Zweifel an der Erzählung des oder der Gegenüber:s zu säen.

Wie kann ich diese Zweifel säen?

Eine Möglichkeit ist, mit Fragen zu reagieren, statt direkt zu widersprechen. Zum Beispiel: “Woher hast du das?”, “Warum glaubst du gerade dieser Quelle?“ oder „Warum ist dir dieses Thema so wichtig?”. Das kann helfen, beim Gegenüber Reflexion auszulösen – ohne es frontal anzugreifen.

Natürlich kann es sein, dass jemand schon sehr fest in einer alternativen Weltsicht steckt. Dann stellt sich die Frage: Erwische ich noch den Moment, in dem ein U-Turn möglich ist? Ein simples Beispiel: Wenn ein Familienmitglied eine Falschmeldung in den Chat schickt, ist der erste Impuls oft Wut – etwa: “Ich kann nicht glauben, dass du so etwas postest.”

Sinnvoller ist oft, die Person privat anzuschreiben: “Du, ich hab‘ deine Nachricht gerade gesehen. Ich hatte das auch gelesen, aber dann erfahren, dass das gar nicht so ganz stimmt. Hier gibt’s diese Infos...” Vielleicht einen seriösen Link dazupacken – so macht man es der Person leichter, ihre Meinung gesichtswahrend zu ändern.

Ich habe dazu auch ein Beispiel: Ein Bekannter hatte einen Mitarbeiter, der sich in der Corona-Zeit nicht impfen lassen wollte. Statt zu argumentieren, erzählte er ihm nur ruhig von einem Freund, der schwer an Long-Covid erkrankt war – und ließ es dann dabei. Ein paar Wochen später bekam er eine Nachricht vom Mitarbeiter: Er hatte sich impfen lassen. Auch hier: kein Druck, sondern eine Information, die stehen gelassen wurde – und gewirkt hat.

Kann ich denn mit Fakten überhaupt etwas bewirken?

Wissen hilft auf jeden Fall – aber man sollte sich fragen: Wen will ich überhaupt erreichen? Wenn im Büro eine Kollegin oder ein Kollege regelmäßig Falschinformationen verbreitet, kann es sinnvoll sein, sich zu dem Thema gut einzulesen.

Aber im Gespräch ist oft nicht die Person selbst die wichtigste Zielgruppe, sondern die anderen, die zuhören – die vielleicht verunsichert sind. Das gilt auch für Diskussionen im Netz: Man spricht häufig für die Mitlesenden, nicht unbedingt für das Gegenüber.

Wie verpacke ich Fakten am besten, damit sie nicht verpuffen?

Mit einem sogenannten Truth Sandwich. Falsche Behauptungen verfestigen sich, wenn sie ständig wiederholt werden – der Wiederholungseffekt. Darum: Erst einen richtigen Fakt nennen, dann kurz sagen, was falsch ist – und zum Schluss wieder einen wahren Fakt setzen. So wird die Lüge in ein “Wahrheitssandwich” eingebettet – und bleibt nicht als Hauptbotschaft hängen. Und: Viele Menschen steigen gedanklich schon nach dem ersten Satz aus – deswegen sollte der Einstieg unbedingt korrekt und klar sein.

Hast du selbst schon Erfolge mit solchen Strategien erlebt?

Ja. Bei einer Veranstaltung hat eine Person sich mal sehr kritisch, teils auch mit falschen Behauptungen über Bill Gates geäußert. Ich versuche in solchen Momenten, ruhig zu bleiben und meine Emotionen zu kontrollieren.

Die Person war nicht komplett verschwörungsgläubig, sondern vor allem kritisch gegenüber Gates und seiner Stiftung – auch in Bezug auf Impfungen. Ich habe dann einen wertebasierten Zugang gewählt: Ich habe der Person gesagt, dass ich den Punkt verstehe. Ich bin selbst auch skeptisch, wenn es darum geht, wie viel Einfluss Superreiche auf Forschung und medizinische Infrastruktur haben. Auch ich würde mir eine Welt wünschen, in der solche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung liegen – nicht in den Händen Einzelner.

Aber ich habe auch ergänzt: Selbst, wenn man das kritisch sieht, sollte man fair bleiben und Gates nichts anlasten, das er de facto nicht gesagt hat. Und das war für mein Gegenüber offenbar ein akzeptabler Punkt. Da waren wir uns einig – und das war ein Erfolg. Und ehrlich gesagt: Größer sind die Erfolge meistens nicht.

Die Person hatte ihre Infos vermutlich aus Quellen, die sich ad hoc schlecht überprüfen lassen. Wie gehe ich damit um, wenn der oder die Gegenüber ganz andere Medien konsumiert als ich und dadurch eine ganz andere vermeintliche Faktenlage hat?

Da kann es hilfreich sein, sich zu fragen: Gibt es noch einzelne Personen oder Medien, denen diese Person vertraut? Vielleicht ist es der Onkel, der zwar medienkritisch ist, aber seit Jahrzehnten die Lokalzeitung abonniert hat. Oder er schätzt einen Politiker, der in diesem Punkt faktenbasiert kommuniziert. Dann kann man versuchen, über diese Restbestände an Vertrauen anzuknüpfen – also nicht gleich mit den eigenen vermeintlich besseren Quellen zu kommen, sondern mit einer Quelle, die für die andere Person noch akzeptabel ist.

Man darf nämlich nicht unterschätzen: Vertrauen ist oft wichtiger als Expertise. In einer idealen Welt würde zählen, wer die stärkeren Fakten hat. In der Realität zählt oft mehr, wem man sich verbunden fühlt.

Und wenn sich jemand schon sehr weit entfernt hat – also jede Quelle sofort anzweifelt, mit Gegenbehauptungen kommt oder direkt in Verschwörungserzählungen abdriftet –, dann ist das ein Zeichen, dass es sehr schwer wird, diese Person zu erreichen. In solchen Fällen sollte man sich fragen: Was ist mein Ziel? Wenn es jemand ist, der mir wichtig ist, kann es sinnvoll sein, die Beziehung aufrechtzuerhalten – und immer wieder kleine Impulse zu geben, in der Hoffnung, dass irgendwann ein Zweifel entsteht.

Aber manchmal muss man auch anerkennen, dass nicht jede Diskussion sinnvoll oder möglich ist. Dann geht es darum, die eigene Zeit und Energie klug einzusetzen: Wo kann ich wirklich etwas bewirken? Und wann ist es in Ordnung, es gut sein zu lassen?

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