Du bist nicht Deine Likes
Heiko Powell sieht die Welt als Künstler. Als Autist. Als Mensch.
Wer den Gipfel des Mount Everest erreichen wollte, kletterte viele Jahre lang an einem Verunglückten mit grünen Stiefeln vorbei. Beim Aufstieg. Und beim Abstieg. Was geht in Bergsteigern vor, deren Wege Leichen pflastern? Heiko Powell verknüpft den „Grüne Stiefel-Moment“ in seinem Bild mit einer Sagenfigur, die ebenfalls einen Gipfel erreichen wollte und brutal scheiterte. Sein Gemälde „Der Gipfel“ zeigt Ikarus im freien Fall. Mount Everest und griechische Mythologie – was für eine Assoziation. Und typisch für Heiko Powell. Der 42-Jährige aus Großwallstadt hat in der Kunst, in seinen Acryl-Bildern eine Form gefunden, mit der Welt zu kommunizieren. Das Malen ist sein Hobby; er arbeitet in der IT-Branche. „Ich bin Künstler und ich bin Autist“, sagt er. „Ich bin nicht Künstler, weil ich Autist bin.“
Warum malst Du?
Es war schon immer mein Kernthema, mich über die Kunst verständlich zu machen. Die Kunst ist für mich ein Sprachrohr zu kommunizieren, über den Autismus hinaus. Das ist für mich wesentlich bedeutsam. So habe ich überhaupt gelernt zu kommunizieren. Manchmal schreibe ich trotzdem passende Worte auf dem Bild dazu, denn ich dachte immer, die Leute verstehen, was ich meine. Dem ist aber nur bedingt so.
Fotos: svm
Wann war klar, dass Du Autist bist?
Das war 2010, ich war 30 Jahre alt. Ich habe das damals natürlich in Frage gestellt, für den Arzt war es aber klar. Ich bin durch die Schulzeit relativ normal durchgekommen, es gab keine großen Auffälligkeiten, ich war ein bisschen besonders, das ja. Das waren aber die 1980er. Da saß man im Keller, als Nerd, hatte wenige Freunde und hat Computer gespielt. Mir fällt es schwer, Bücher zu Autismus zu lesen und mich darin zu erkennen als Autist, gerade wenn es medizinische Bücher sind. Das liest sich so einfach, aber mir gefällt das nicht, Dinge nicht zu können. Mir gefällt es nicht, auf manche Dinge angewiesen zu sein. An manche Dinge kann ich mit dem besten Verstand herangehen, es bereitet mir trotzdem Probleme.
In der Kunst ist das anders…
Kunst ist die Brücke, über die ich gehen kann. Ich frage mich, warum man daraus nicht auf den Alltag schließen kann. Ich habe ein Talent. Ich bin ein Autist und ich bin ein Künstler. Ich bin nicht Künstler, weil ich Autist bin. Nicht alle Autisten haben ein Spezialinteresse oder eine spezielle Begabung. Es geht darum, etwas für sich selbst zu machen, mit dem man glücklich wird, egal, was es ist. Wenn Lego bauen dein Ding ist, dann mach das.
Es stört Dich, dass Autisten oft mit Superbegabung in Verbindung gebracht werden?
Ja. Das ist nicht der Autismus. Ich habe ein Talent, aber es gibt Bessere als mich. Ich habe einen Weg gefunden, mit mir zurechtzukommen. Es gibt stärker und weniger Betroffene als mich, es heißt ja nicht umsonst Autismus Spektrum. Ich weiß selbst, dass ich nicht gleich bin mit Nicht-Autisten, das habe ich gelernt. Darum geht es aber auch nicht. Sondern es geht um Chancengleichheit, dass man jemanden mit seinen Dingen annimmt und ihm Hilfestellungen bietet, wo sie gebraucht werden. Vor allem muss man sie ernst nehmen. Das ganze Kategorisieren und in Schubladen einordnen ist furchtbar und absolut gegen den Menschen gerichtet. Es ist absurd so zu denken. Man muss den Menschen so annehmen, wie er sich einem offenbart. Man soll es anderen verlangen, von sich zu verlangen.
Und ich glaube, dass die Leute sich wieder mehr Zeit nehmen müssen für Kunst, dass sie sich einlassen müssen. Die Wahrheit ist immer das Ganze. Man muss immer alles betrachten.
Seit wann malst Du?
Seit ich denken kann. Ich habe schon als kleines Kind einen Ausdruck darin gefunden. Ich war in der Schulzeit aufgefallen, weil ich selten etwas gesagt habe. Die Klassenlehrerin merkte an, ich spreche kaum. Ich meinte damals, weil keine Notwendigkeit besteht. Warum sollte ich etwas sagen, wenn ich nicht gefragt werde. Ich habe eher gemalt. Mein Kunstlehrer hat mich sehr gefördert, bei ihm habe ich mich sehr aufgehoben gefühlt. Die Kunst ist die authentischste Sprache überhaupt. Man kann hier nichts zurückhalten, es steht ja alles da. Für mich ist es einfach offensichtlich, denn es steht schon alles fest.
Was ist das letzte Bild, das Du gemalt hast?
Es heißt „Extrem stark“. Ich wollte eigentlich ein Bild mit Wurzeln malen, eine Anknüpfung an Van Gogh. Ich hatte das Bild wie alle meine Bilder schon im Kopf. „Extrem stark“ hat aber zu der ganzen Corona-Situation besser gepasst, ich brauchte ein Kraftbild. Das ist auch von der Art und Weise passend mit dem Panther und dem Kaninchen, das ich dort zeige. Das Kaninchen sitzt ganz relaxed und entspannt in seinem Bau und raucht eine Pfeife. Der Panther ist mächtig, aber nicht ärgerlich oder wütend. Ich wollte keinen wütenden Panther zeichnen. Er ist einfach da.
Warum ist der Panther nicht schwarz?
Er war lila in meinem Kopf. Man soll nicht vom Verstand her darauf gestoßen werden, dass es ein Panther sein soll. Er sollte verniedlicht und nicht in den gewohnten Farben sein. Keine dicke, fette Raubkatze. Er ist mighty, not angry, deshalb stehen diese Worte beim Panther.
Die Cree-Indianer haben auf ihrem Wappen einen Panther, und auf der anderen Seite ein Kaninchen. Die Cree-Indianer waren ein sehr kriegerischer Stamm. Warum haben die ein so niedliches Kaninchen auf der Rückseite ihres Wappens? Weil das Kaninchen schlauer ist als der Panther und sich bei Gefahr einfach in seinen Bau zurückzieht. Die ganze Kraft allein nützt also gar nichts, sondern es kommt auf Vernunft und Weisheit an. Nur das Zusammenspiel bringt einen Sinn und eine Einheit.
Es gibt in der Psychologie den Ausdruck kognitiver Konsistenz. Alles, was uns zusammenhält. Ein glückliches Leben kann der führen, der seine moralischen Vorstellungen mit seinem Verstand und seinen Handlungen zusammenbringt. Wenn man seine Entscheidungen im Herzen mit seinen Vorstellungen zusammenbringt, breitet sich eine unheimliche Kraft aus. Alle Werte und Gefühle, Aktionen bestimmen in dieser Art und Weise unser Leben.
Sollen die Worte auf Deinen Bildern noch klarer zum Ausdruck bringen, was Du meinst?
Genau richtig. Ich deute auch mit Symbolen an oder mache kleine Witze darüber. Ich denke mir gerne Wortspiele aus, die ich im Bild verpacke, oder schreibe zum Beispiel Binärcodes hinein. Das ist wie ein Prozess, ein Katalysator, durch den sich Dinge entwickeln. Ich möchte niemandem meine Vorstellungen aufzwängen und ihm sagen, wie er die Welt oder meine Bilder zu sehen hat. Ich mache lediglich ein Angebot.
Der Betrachter muss sich auf Kunst einlassen können. Wenn er an einem Bild vorbeigeht, kann man ihm nichts Gutes tun. Die Bedeutsamkeit und Schönheit einer Blume oder eines Schmetterlings kann man ihm dann nicht vermitteln. Es ist auch nicht mein Bedürfnis, das Verständnis für etwas beizubringen. Vielleicht findet derjenige, der sich einlässt, in meiner Kunst irgendetwas, was ihn weiterbringt. Ich möchte gerne den Betrachtern meiner Kunst etwas Gutes tun.
Wie lange malst Du an einem Bild?
Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Die Zeit vergeht, und ich vergesse sie. Ich bin dann so in diesem Prozess drin, alles steht im Kopf schon fest, ich muss mir den Wecker stellen, um überhaupt ans Trinken zu denken. Es entsteht ein Flow, in dem ich auch acht Stunden lang durchmalen könnte. Ich wünsche mir eigentlich einen Drucker, der Mir das fertige Bild aus meinem Kopf ausdruckt, damit ich weniger Arbeit habe.
Wann ist ein Bild fertig?
Jackson Pollock hat diese Frage mal gestellt bekommen und hat geantwortet: Wann weiß man, dass man mit einem Kuss fertig ist? Oder dass man genug geliebt hat? Das weiß man einfach.
Ich habe mal ein Bild gemalt über Carlos Castanedas „Die Lehren des Don Juan“. Da gibt es diese lustige kleine Geschichte, wie man ein Wissender werden kann. Man muss als Erstes seine natürlichen Feinde besiegen. Das ist als Erstes die Angst. Man muss sich ihr stellen, bis man nur noch aus Angst besteht. Wenn die Angst zurückweicht, macht sich die Klarheit der Gedanken im Kopf breit. Das ist der zweite Feind. Denn je mehr man lernt, desto verwirrter wird man. Es ist wichtig, nicht zu selbstbewusst zu werden, um mit dieser Klarheit umgehen zu können und die Macht zu besiegen, damit man nicht größenwahnsinnig wird, sondern demütig bleibt. Der letzte Feind ist das Alter. Deswegen habe ich auf das Bild einen alten Mann gemalt und es „Steineklopfer“ genannt. Dem Alter kann man sich nur stellen, man kann es nicht besiegen. Wenn man das geschafft hat, kann man sich in den letzten fünf Minuten seines Lebens einen Wissenden nennen.
Was sind Deine Inspirationsquellen?
Es ist alles da, im Kopf. Wenn ich nur rausgehe, ist alles da. Die Welt ist so laut und lärmend geworden, dass fast zu viel Input von allem da ist. Es ist ja nur ein Umwandeln. Ich fasse es nur in ein für mich stimmiges Ganzes. Ich speichere alles ab aus unserer Informationsgesellschaft und muss es in die Leinwand klopfen. Ich erinnere mich mit meiner Kunst an mich selbst. Mir fällt auch sofort auf, wenn in meinem Umfeld etwas verändert ist.
Kannst Du damit besser umgehen als früher?
Ja. Nein. Jein. Viele Leute fragen sich, wo das Problem liegt beim Autismus, weil ich reden kann und mich verständlich machen. Aber wenn man mit mir zum Beispiel einkaufen geht oder Schuhe kaufen, ist das schon eine Herausforderung.
Die entscheidende Frage ist wohl, ob Du die Andersartigkeit in Dein Leben gut integrieren kannst.
Das höhere Wesen glücklich zu sein die Andersartigkeit liegt in deren Unmitteilbarkeit – das ist Nietzsche. Das heißt, es spielt überhaupt keine Rolle, ob man jemanden beeindruckt, so lange man selbst mit dem glücklich ist, was man tut. Mich bringt es in meinem Prozess weiter. Ich würde auch malen, wenn ich auf einer einsamen Insel wäre und meine Farben hätte, meine Leinwand. Kunst ist etwas so Tolles, das den Menschen gegeben ist. Ich kann die ganze Welt in meine Bude holen, ich kann in der verlaustesten Gefängniszelle sitzen mit der Aussicht auf Asphalt und mir die ganze Welt in meine Vorstellung hineinnehmen. Es ist mir nicht wichtig, das Bild zu verkaufen, ich hänge nicht wirtschaftlich daran. Mir ist der Prozess wichtig, das Malen.
Auf meinem Bild „Der Gipfel“ zum Beispiel ist eine fliegende Figur dargestellt. Das ist kein Engel, sondern Ikarus. Er fliegt ja der Sonne entgegen und hört nicht auf seinen Vater, schwingt sich in die Höhen und fliegt immer weiter, der Sonne entgegen, bis seine Wachsflügel schmelzen und er abstürzt. Daneben erklimmen zwei Bergsteiger den Gipfel. Dort warten alle Prestigeobjekte: Auto, Job, Geld, Bildung, Likes. Aber Du bist nicht Dein Auto, Dein Geld, Deine Bildung, Deine Likes. Wir sind alle gleich, wir sind alle Menschen.
Was wird Dein nächstes Motiv werden?
Im Kopf ist es angefangen, aber ich male selten parallel.
Und Du malst alle Bilder bunt?
Ja, denn bei aller Ernsthaftigkeit mancher Themen will ich keine depressiven Bilder malen. Jeden Tag, wenn ich aufstehe, habe ich einen schlechten Tag, wenn ich mir das Bild anschaue: Das möchte ich nicht. Meine Bilder sind bunt wie Bonbon-Papier, auch wenn eine Sozialkritik drinsteckt. Auch bei meinem Bild „Der Gipfel“ mit Ikarus und Daidalos.
Wenige achten auf die grünen Gummistiefel, die einer der Bergsteiger trägt. Daneben steht „Green Boots Awareness“. Warum? Wir alle brauchen ein Grüne-Schuhe-Bewusstsein. Auf dem Mount-Everest lag jahrelang kurz vor dem Gipfel ein toter Bergsteiger, von dem nur noch die grünen Schuhe herausragten. Alle, die auf den Mount Everest hinaufstiegen, sahen diese Szene und erinnerten sich daran: Dir kann es genauso gehen. Man sollte sich eine gewisse Demut bewahren. Ich bin noch nicht auf dem Gipfel, und selbst wenn ich oben stehe, habe ich ihn nicht erreicht. Denn ich muss wieder herabsteigen und am Leben teilnehmen. Das Geheimnis steckt darin, wieder bei den Menschen zu sein.
Man muss viel wissen, um Deine Bilder zu durchdringen!
Ach naja. Man darf nicht alles so genau nehmen. Mich regt es an, wenn ich etwas sehe, über das ich mehr erfahren möchte.
Mehr über Heiko Powell:
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