Bayern: Zeitenwende vs. Wissenschaftsfreiheit
Sollte ein Gesetzgeber Hochschulen die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr vorgeben?
Spoiler: Nein. Das muss er auch gar nicht.
Aber der Reihe nach.
Bayerns Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern
Heute Morgen ist ein interessanter Artikel des Bayerischen Rundfunks (BR24) mit dem Titel “Eingriff in Wissenschaftsfreiheit? Unis sollen Bundeswehr helfen (Abre numa nova janela)” erschienen. Danach beabsichtigt die bayerische Staatsregierung, ihre Hochschulen, einschließlich Universitäten, zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zu verpflichten. Der Hochschulverband habe keine Bedenken. Die bayerischen Grünen hielten den Gesetzentwurf allerdings für verfassungswidrig. Am Nachmittag solle der bayerische Landtag in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Staatsregierung debattieren.
Der Entwurf des Gesetzes zur Förderung der Bundeswehr in Bayern (Abre numa nova janela) sieht zunächst eine Ergänzung des Art. 6 des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes (BayHIG) (Abre numa nova janela) um einen neuen 8. Absatz vor:
Die Hochschulen sollen mit Einrichtungen der Bundeswehr zusammenarbeiten. Sie haben mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist.
Dabei handelt es sich um eine nachdrückliche Empfehlung des Gesetzgebers zur Zusammenarbeit (die Gesetzesbegründung spricht von einem “allgemeinen Kooperationsgebot”). Das bedeutet, in begründeten Ausnahmefällen darf davon abgewichen werden. Wenn nicht das Staatsministerium “im Interesse der nationalen Sicherheit” die Zusammenarbeit für erforderlich hält.
Daneben sieht der Gesetzesentwurf eine Ergänzung des Art. 20 BayHIG um folgende neue Sätze 3 und 4 vor:
Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden. Eine Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel) ist unzulässig.
Bayerische Hochschulen dürfen die Forschung in ihrem Hause also nicht auf zivile Zwecke begrenzen.
Ist das bayerische Gesetzesvorhaben verfassungswidrig?
Mit dem Verbot einer Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen stellt der bayerische Gesetzgeber lediglich die Rechtslage klar. Sog. Zivilklauseln sind längst unzulässig, wenn sie die Forschung wie in der Gesetzesbegründung beschrieben generell auf zivile Zwecke begrenzen und damit jede Beteiligung an Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung verbindlich untersagen. Der berühmt-berüchtigte Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, nach dem Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind, findet seine Grenzen ausschließlich im Grundgesetz selbst. Das Grundgesetz geht von einer wehrhaften Friedensstaatlichkeit aus (siehe Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG (Abre numa nova janela) und Art. 24 Abs. 2 GG (Abre numa nova janela)). Wenn eine Hochschule für friedliche Werte einsteht, liegt darin keine hier problematisierte Zivilklausel. Gibt es eine Zivilklausel, wie z.B. in der Grundordnung der TU Darmstadt (Abre numa nova janela) (S. 2/3), muss sich diese an den verfassungsmäßigen Grenzen messen lassen. Nicht ohne Grund ist die Handhabe der Zivilklausel der TU Darmstadt (Abre numa nova janela) beinahe eine eigene Wissenschaft ( (Abre numa nova janela)vgl. Utz et al., 2019) (Abre numa nova janela), welche die Forschung zu militärischen Zwecken nicht gänzlich ausschließt.
Dass erzielte Forschungsergebnisse durch Deutschland und NATO-Bündnispartner für militärische Zwecke genutzt werden dürfen, ist ebenso als von klarstellendem Charakter zu verstehen. Die Grenze militärischer Nutzung ergibt sich v.a. aus dem Verteidigungszweck, der im Grundgesetz (Art. 87a GG (Abre numa nova janela) sowie dem den Angriffskrieg als verfassungswidrig benennenden Art. 26 Abs. 1 GG (Abre numa nova janela)) und Nordatlantikvertrag (Art. 5 Nordatlantikvertrag (Abre numa nova janela)) verankert ist. Wie geschrieben: das Grundgesetz geht von einer wehrhaften Friedensstaatlichkeit aus (siehe Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG (Abre numa nova janela) und Art. 24 Abs. 2 GG (Abre numa nova janela)). Bundeswehr und NATO benötigen kein Landesgesetz, um veröffentlichte Forschungsergebnisse für Verteidigungszwecke einsetzen zu dürfen. Andere Konstellationen sind im Kontext des Art. 20 BayHIG nicht ersichtlich.
Das Zusammenarbeitensollen von Hochschulen mit Einrichtungen der Bundeswehr ist hingegen nicht unproblematisch. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus:
Die Bundeswehr ist auf eine reibungslose Zusammenarbeit mit Hochschulen angewiesen, benötigt Zugang zu wissenschaftlichem Know-how und wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften. Deshalb wird ein allgemeines Kooperationsgebot für die Hochschulen mit der Bundeswehr festgeschrieben. Wo dies in Frage gestellt wird, obwohl die Kooperation für die nationale Sicherheit erforderlich ist, kann dies ministeriell sichergestellt werden.
Ausweislich seiner Begründung geht der Gesetzesentwurf zur Ergänzung des Art. 6 BayHIG über ein bloßes Kooperationsgebot der Hochschule hinaus. Der “Zugang zu wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften” soll eröffnet werden. “Zugang” wird sich kaum auf den Zugang zum Hörsaal im Rahmen von Vorlesungen beziehen. Denn dieser ist auch ohne die Gesetzesänderung möglich. Meint der bayerische Gesetzgeber hier vielleicht, dass die Hochschule nicht auf eine (unzulässige) Zivilklausel verweisen darf, wenn sich eine kooperations- und forschungswillige Fachkraft im Hause findet? Dafür genügt jedoch die o.g. Klarstellung. Angesichts wiederholt klarstellender Regelungen ist denkbar, dass ein Eingriff in die Grundrechte von Forschenden nicht gemeint ist. Gleichzeitig kann ich eine Einflussnahme auf wissenschaftlich qualifizierte Fachkräfte nicht wegdenken. Der bayerische Gesetzgeber sollte hier seine Intentionen klarer formulieren, um eine verfassungswidrige Regelung sicher ausschließen zu können.
Doch auch “die nationale Sicherheit” im Gesetzesentwurf ist kein dem Grundgesetz bekannter Rechtsbegriff. Damit sind die verfassungsimmanenten Grenzen nicht klar benannt, an denen die freie Forschung und Lehre ggf. enden soll. Auch hier sollte der bayerische Gesetzgeber noch einmal in sich gehen.
Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Förderung der Bundeswehr in Bayern (Abre numa nova janela) kann ich so nicht abschließend bewerten. Ich halte das Gesetzesvorhaben allerdings auch unabhängig von den Unklarheiten für vorrangig geprägt von Pionierstreben. Das bestätigt der am Abend erschienene Folgebeitrag des BR (Abre numa nova janela):
Die Staatsregierung sagt, dass dieses Gesetz das erste eines Bundeslandes zu Förderung der Bundeswehr ist. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) machte im Landtag deutlich, welche Bedeutung das Bundeswehr-Gesetz aus Sicht der Staatsregierung hat: Man schreibe gewissermaßen Rechtsgeschichte. Das sei Bayerns Beitrag zur Zeitenwende – ein vom Kanzler geprägter Begriff, der seit dem Ukraine-Krieg vor allem die Aufrüstung der Bundeswehr bedeutet.
Braucht es überhaupt ein Gesetz?
Ein Gesetz ist denkbar, welches die Hochschulen im grundgesetzlichen Gefüge einordnet und ihre Aufgaben zum Wohle der Gemeinschaft konkretisiert. Denn auch Hochschulen können sich dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels und damit der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Probleme nicht völlig entziehen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 333/75 –, BVerfGE 47, 327-419 (Abre numa nova janela)):
Aus alledem folgt, daß der Staat für die Regelung des wissenschaftlichen Lebens in seinen Universitäten nicht auf die absolute Freiheit für die Forschungs- und Lehrtätigkeit des einzelnen Wissenschaftlers unter Vernachlässigung aller anderen im Grundgesetz geschützten Rechtsgüter festgelegt ist, zu deren Wahrung die Universität ebenfalls berufen ist oder die durch ihren Wissenschaftsbetrieb betroffen sind. Die Distanz, die der Wissenschaft um ihrer Freiheit willen zu Gesellschaft und Staat zugebilligt werden muß, enthebt sie auch nicht von vornherein jeglicher Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen. Dieser Freiraum ist nach der Wertung des Grundgesetzes nicht für eine von Staat und Gesellschaft isolierte, sondern für eine letztlich dem Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert.
Ein Gesetz erscheint mir jedoch nicht notwendig, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr geht, deren grundgesetzlicher Auftrag die Verteidigung ist. Denn vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels darf nicht vergessen werden, was der Grund für die Einführung hochschulischer Zivilklauseln war: Die Hochschulen sahen die Wahrung des Friedens als eine der wichtigsten Aufgaben der globalisierten Gesellschaft, zu der sie gehören (Utz et al., 2019). (Abre numa nova janela)
Die Erfahrung mit Zivilklauseln am Beispiel der TU Darmstadt und der Universität Bremen zeigt zudem, dass diese erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten mit sich bringen und fortlaufend an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden müssen (Utz et al., 2019). (Abre numa nova janela) Eine Öffnung der Hochschulen für Kooperationen mit der Bundeswehr kann also nicht nur aus der eigenen Motivation zur Anpassung an die gesellschaftlichen Umstände folgen, sondern auch eine willkommene Erleichterung sein.
Zivilklauseln können daneben auch erwünschte Schutzwirkung entfalten, wenn z.B. andere Staaten Forschung unter Mitwirkung von deutschen Hochschulen oder Forschenden zu potenziell (bündnis-)feindlichen Zwecken beabsichtigen, aber hieran scheitern. Ein generelles Verbot von Zivilklauseln könnte geopolitisch betrachtet also auch nachteilig sein. Der bayerische Gesetzgeber sollte vielmehr auf diese Gefahren schauen, als die Hochschulen als Gefahr für die Zeitenwende zu betrachten.
Eine Vorgabe der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr halte ich nicht zuletzt für kontraproduktiv: So kommt der Bundeswehr noch lange nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung zu, die ihr zusteht. Akzeptanz kommt nicht von der Vorgabe der Zusammenarbeit, vielmehr könnte diese die fehlende Akzeptanz vertiefen. Auch fehlt es in der deutschen Gesellschaft - v.a. aufgrund unzureichender Information und Kommunikation (Abre numa nova janela) - weitgehend an einem Gefühl für die deutsche und internationale Sicherheitslage. Dieses Informationsdefizit wird durch eine Vorgabe der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr nicht beseitigt. Auch ist die Bundeswehr nicht zur Aufklärung und Einstimmung der Bevölkerung auf andere Zeiten verpflichtet. Hier ist es an Bund und Ländern, gesellschaftliche Informationsdefizite zu beseitigen.
Bundeswehr und Hochschulen können und sollten also selbst zueinander finden. Das Grundgesetz gibt den Rahmen vor.