VH21 Krisenjahr 1923, III. Teil. Ein neuer deutsch-französischer Krieg?
"Tige" Reynolds, Tacoma Daily Ledger, 23. Januar 1923
„Brandgefährlich“ und „hoch explosiv“: Das war der französische Einmarsch ins Ruhrgebiet im Januar 1923 in der Tat. Die Kriegsgefahr war real. Der neue Konflikt zwischen Paris und Berlin beherrschte deshalb nicht nur in Europa monatelang die Titelseiten der Zeitungen, sondern selbst in den fernen USA.
Welche Folgen wird der „Ruhrkampf“ haben? Droht ein neuer Krieg in der Mitte Europas? „Tige“ Reynolds beunruhigte nicht nur die französische „Brandfackel“, sondern auch die deutsche „Rauchwand“ des passiven Widerstands. Was passiert, wenn es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den französischen Besatzern und den Menschen im Ruhrgebiet kommt?
So gefährlich die Situation in Deutschland war: Der Ruhrkampf blieb keineswegs die einzige Krise, die Europa vor 100 Jahren erschütterte: In Italien war im Jahr zuvor mit Mussolini der Faschismus an die Macht gekommen. Besonders besorgt blickte nicht nur Reynolds auf die Vorgänge in Russland und die Aktivitäten der Kommunistischen Internationale (vgl. die Größe des Pulverfasses). Zahlreiche politische Beobachter befürchteten ein Übergreifen des „Bolschewismus“ auf Mitteleuropa. Und die alte Furcht vor dem „pan-teutonischen“ TNT des Alldeutschen Verbandes steigerte sich noch weiter angesichts der durch die Ruhrkrise befeuerten nationalistischen Aufwallungen.
Am Ende blieb Europa von der ganz großen Explosion verschont. Am 26. September 1923, morgen vor 100 Jahren, brach die neue Reichsregierung unter Kanzler Gustav Stresemann den passiven Widerstand an der Ruhr ab. Damit trat in Deutschland allerdings keine Ruhe ein; im Gegenteil, der Höhepunkt des „Krisenjahres 1923“ stand erst noch bevor.