VH26 Krisenjahr 1923, VII. Teil. Eine deutsche "Oktoberrevolution"?
John T. McCutcheon, The sower, Chicago Tribune, 13. Dezember 1917.
Vor ziemlich genau 106 Jahren brach in Russland die bolschewistische Oktoberrevolution aus. Mit dem Putsch der Bolschewiki sollten die Theorien von Karl Marx erstmals praktisch umgesetzt werden. Lenin, der starke Mann an der Spitze, ging davon aus, dass der Umsturz in Petrograd (St. Petersburg) erst den Anfang einer weltweiten Bewegung war. Die Karikatur von John T. McCutcheon zeigt: die Bolschewiki setzten von Anfang an auf den Export der Revolution. Dabei richteten sich ihre Blicke vor allem auf einen Staat in der Mitte Europas – Deutschland.
Anders als von Lenin erhofft, wurde dieses Deutschland am Ende des Weltkrieges 1918 – trotz seiner eigenen „Novemberrevolution“ – nicht kommunistisch. Eineinhalb Jahre später kam es dann als Reaktion auf den rechten Kapp-Putsch zu einem erneuten Umsturzversuch der revolutionären Linken im Ruhrgebiet. In dreitägigen Kämpfen mit der Roten Ruhrarmee kamen Anfang April 1920 über 1250 Menschen ums Leben; Reichswehr, preußische Sicherheitspolizei und Freikorps schlugen den Aufstand nieder (vgl. Büttner).
In der allgemeinen Krise des Jahres 1923 sah die Kommunistische Internationale (Komintern) dann die einmalige Chance gekommen, den Traum von der Weltrevolution doch noch zu erfüllen. Trotzki hatte sogar einen genauen Zeitplan im Kopf: der Aufstand müsse am 9. November 1923, dem fünften Jahrestag der deutschen Novemberrevolution stattfinden.
Eine Schlüsselrolle sollte hierbei Sachsen und Thüringen zufallen. Beide Länder wurden seit Oktober – als Reaktion auf den rechten Putsch von Kahrs in Bayern – von einer Regierungskoalition aus SPD und Kommunisten regiert. Die Anweisung der Komintern lautete, in Deutschland das zu wiederholen, was die Bolschewiki 1917 vorgemacht hatten: Sachsen sollte der „Ausgangspunkt eines Bürgerkriegs [werden], an dessen Ende der Sieg der Kommunisten über die Faschisten und die bürgerliche Republik stand.“ (Heinrich August Winkler)
Aber die Weimarer Republik zeigte sich wehrhaft. Am 13. Oktober verbot der sächsische Befehlshaber der Reichswehr entsprechend der Weisungen aus Berlin die „proletarischen Hundertschaften“, die den Aufstand durchführen sollten. Drei Tage darauf unterstellte man auch die sächsische Polizei der Armee und am 28. Oktober wurde der linke SPD-Ministerpräsidenten Zeigner auf Grundlage des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung seines Amtes enthoben. Stresemann ernannte an seiner Stelle einen „Reichskommissar“ für Sachsen.
In Hamburg kam es Ende Oktober 1923 noch zu einem letzten größeren kommunistischen Aufstand – damit war die Gefahr von links zunächst einmal gebannt. Ein Ärgernis für die Republikfeinde von rechts: diese hatten sich die „Reichsexekution“ gegen Sachsen anders vorgestellt. Genauso wie die Linken träumten sie von einem Bürgerkriegsszenario, von dem sie mit einem „Marsch auf Berlin“ und einer anschließenden Machtübernahme profitieren wollten.
Vor allem in Münchens rechten und rechtsextremen Kreisen wurde in den nächsten Tagen angestrengt beratschlagt, wie es nun weitergehen könnte.
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Verweise / Links
Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik, Stuttgart 2008.
Heinrich August Winkler, Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, Bonn 2000.
https://www.lpb-bw.de/oktoberrevolution-1917#c36932 (Abre numa nova janela)