Folge 122

Vorweg
Laser ist nur noch ein wenig Lasarus, aber es braucht nicht viel, um ihn wieder zu destabilisieren. Aktuell hasst er es, dass ich wegen Care zu meiner Mutter fahren musste und behandelt meinen Mann wieder so, als wäre der ein Katzenkiller. Das hat dazu geführt, dass der arme Sohn, wenn er morgens um sechs todmüde aus der Fabrik kommt, erst mal die Katze füttern und kämmen (!) muss. Laser regt sich aber wohl schon wieder etwas ab und inspiziert die Innenräume, sobald er sich unbeobachtet fühlt. Wir hoffen alle, dass er sich irgendwann wieder auf die Couch wagt. Wenn ich Samstag zurückkomme, bin vermutlich ich erst mal wieder die Böse.
Die große Laserkrise hat dazu geführt, dass der komplette Sozialvertrag zwischen Katze und Mensch aufgekündigt wurde. Es herrscht Anarchie. Wäre Laser früher vor sieben Uhr morgens miauend vor einem Bett aufgetaucht, hätte er »Verpiss dich! Unverschämtheit …« gehört. Heute morgen oder eher nacht wurde er um drei Uhr von meinem Mann gefüttert, widerspruchslos, nein, sogar dankbar, es tun zu dürfen. Wir haben jetzt einen kleinen, cuten, etwas dementen Tyrannen bei uns wohnen.
Vielleicht verwandelt Laser sich auch in einen roten Panda, denn er hat jetzt eine rote Schwanzspitze. Manche in der Familie behaupten, das wäre immer schon so gewesen. Ich vermute aber, dass es eine Vorstufe zur Blondierung ist, weil Laser ganztags auf der Terrasse in der prallen Sonne liegt, zwar mit Kopf und Körper unter einem winzigen Dach aus wildem Wein, aber es kann ja sein, dass der Schwanz nicht ganz mitbeschattet ist.
Etwas Altes: die Wahrheit
Auf der Leipziger Buchmesse, die dieses Jahr sehr vielen Menschen, die dort waren, große Freude gemacht hat, konnte ich ja meine alte Begeisterung für Heike Geißler neu aufladen. Wir haben offiziell geklärt, dass wir wechselseitig voneinander begeistert sind, seit wir damals 2018 bei der ziemlich gruseligen Demo in Chemnitz zufällig aufeinandertrafen und dann miteinander rumliefen und redeten. Das war beruhigend, denn sicher sein kann man sich ja nie, dass, wenn man so übertrieben begeistert ist, das auch erwidert wird.
Heike Geißler machte damals auch das Foto von meinem Demoschild, das später eines der wichtigsten Girlssplainings wurde.

Foto © Heike Geißler
In Leipzig neulich hat sie gesagt, dass sie mir gern ihre beiden neuen Bücher, Verzweiflungen und Arbeiten schicken wolle und hat das dann auch getan. (Danke.) Letzte Woche machte ich mich irgendwann morgens auf den Weg zu Sarah Berger, um mit ihr zu arbeiten. Für die relativ lange S-Bahn-Fahrt nahm ich Verzweiflungen mit. Mit einem freudigen Lächeln begann ich inmitten von Menschen zu lesen. Was habe ich mir dabei gedacht? Was habe ich erwartet, beim Lesen zu fühlen? (Das Buch heißt Verzweiflungen.) Nichts habe ich gedacht, nein, nur an Heike habe ich gedacht, und ich war einfach gleich wieder im Begeisterungsmodus und auf Überidentifikation. Nach wenigen gelesenen Seiten saß ich mit sirrenden Ohren und nach Luft schnappend da, denn Verzweiflungen ist ein Buch, in dem meine Wahrheit erzählt wird. Nicht nur eine meiner Wahrheiten, nicht nur einige – auch das –, sondern die Wahrheit. Die Wahrheit, die ich seit vielen Monaten in verschiedenen Texten und pastellfarbenen Listen, vor allem aber in ins Nichts führenden Textanläufen umschweige. Einer der umschwiegenen, ungeschriebenen Texte fühlt sich wie ein sehr wichtiger an – ich kann das immer fühlen –, vielleicht muss ich ihn jetzt endlich schreiben, weil Heike Geißler es konnte und ich das jetzt weiß. Mich hat davon abgehalten, einen so existenziell brutalen Text zu schreiben, – zumindest bilde ich mir das ein –, dass ich im letzten Jahr plötzlich eine Verantwortung fühlte, Menschen jetzt Zuversicht geben zu müssen, weil ich sie doch vorher über zehn Jahre lang mit mir zusammen auf solidarisch-kritisches Bewusstsein geschickt hatte, was die Beobachtung der Weltlage nur noch unerträglicher machte. Ohne mich würden Menschen jetzt weniger leiden, weil ich ohne mich jetzt auch weniger leiden würde. Wäre es nicht manchmal schön (=einfach), nicht so viel strukturelle Ungerechtigkeit zu erkennen und das Leid der Betroffenen nach Belieben ausblenden zu können? ist das neue Wäre es nicht manchmal schön (=einfach), an Gott zu glauben? Ich reiße mich jeden Tag zusammen und schreibe eine pastellfarbene Zuversichtsliste, natürlich mit solidarisch-kritischen Anteilen. Das werde ich auch weiterhin tun, weil es konstruktiv ist und ich es kann. Aber ich werde jetzt auch damit umgehen müssen, dass die Wahrheit raus ist. Lest Verzweiflungen (Abre numa nova janela).
Etwas Neues: Drinnie-Camping
Buchstäblich mein ganzes Leben lang will ich schon im Sommer draußen schlafen und habe es nie getan. Angst, von der unumgrenzten Hochterrasse zu rollen, Angst, im Garten von Füchsen abgeleckt zu werden und andere Quatsch-Gräuel haben mich davon abgehalten.
Diese Newsletterfolge schreibe ich nach Mitternacht auf dem Balkon im Senior*innenwohnen meiner Mutter, wo ich gleich zum zweiten Mal schlafen werde. Ich liebe es. Meine Mutter kann nicht gut schlafen und sieht mich die halbe Nacht von ihrem Bett aus wie einen obskuren Käfer an, wie ich da in meinem an eine Kinder-Höhle erinnernden Konstrukt aus Liegestuhl und Decken liege. Hast du keine Angst vor Fledermäusen? Nein, aber ich weiß, von wem ich meine Quatsch-Ängste habe.
Mein Mann meinte vorhin am Telefon: Was du da so begeistert beschreibst, nennt man Camping und du hasst es.
Vielleicht habe ich gerade Drinnie*-Camping erfunden.
(Hört Drinnies-Podcast (Abre numa nova janela).)
Etwas Geborgtes: ein Zitat
»Ich glaube, ich trage einen Frieden, und dieser Frieden ist tot.« – Heike Geißler, Verzweiflungen, 31
Etwas Unheimliches: Bodysnatchers in Chemnitz
Bei der besagten Demo damals in Chemnitz bin ich irgendwann mit meinem Twitterfreund Sebastian aus den Reihen der Linken dahin gegangen, wo die Rechten sich versammelt hatten und wir sind angestrengt gelassen und ganz still mitten durch sie hindurch spaziert. Es war eine der unheimlichsten Erfahrungen meines Lebens. Die Menschen hatten alle einen komplett hermetischen Gesichtsausdruck, es war, als wäre man im Film Bodysnatchers und jeden Moment würden alle schrill schreien und auf einen zeigen.
Rubrikloses
Gestern hat in der Münchner U-Bahn die Fahrerin dank Mikrofon-Allmacht während der ganzen Fahrt auf alle Ein- und Aussteigenden eingeschimpft. Ich habe wirklich Verständnis, dass Menschen Menschen sind und mal schlechte Laune haben, aber es war gleichzeitig wieder so unangenehm altdeutsch random arschig und gesellschaftsverpestend. Können Menschen bitte mal auf die Richtigen sauer sein? Danke.
Zum Klarkommen fiktionalisiere ich manchmal bewusst das Reale und habe mir hier vorgestellt, dass die Person mit dem Löwenkoffer Angela Merkel ist, die mit BFF – beide sind neu bei den Omas gegen Rechts – zum 1. Mai nach Berlin fährt, um Krawall zu machen.

Eine Bitte. Macht Lobbyarbeit für linke Kulturprojekte. Wenn ihr Journalist*innen oder Blogger*innen oder anderswo von Influence seid, kündigt an, berichtet. (Beugt euch nicht vor dem, was kommen könnte, sonst kommt es gewiss.) Wenn ihr Newsletter schreibt, nehmt einen Hinweis mit rein. Es sind schon so viele gute Verlage, Messen, Kulturorte, Festivals, Initiativen verschwunden, und die drastischen Förderungskürzungen werden absolut verheerende Folgen haben. Helft bitte mit, dass gute Kultur wieder gute Pressespiegel bekommt, denn das ist ein gewisser politischer Schutz, um auch in knallrechten Zeiten nicht als irrelevant und förderungsunwürdig eingestuft zu werden. Konkret bitte ich euch, auf die Performative Buchmesse Hamburg (Abre numa nova janela) vom 14. bis 18. Mai hinzuweisen. Sie führt vor, wie ein solidarischer Literaturbetrieb aussehen und welch großartige Literatur er hervorbringen könnte. – Ihr habt so viele Jahre unbezahlt in sozialen Medien für die Milliardäre gearbeitet. Tut jetzt das Gleiche für ästhetisch und ethisch gute Kultur. Ist supergut für euren digitalen Fußabdruck. Dankeschön.
Ciao miao,
FrauFrohmann