Für Ferhat Unvar
Es nicht aushalten
»Wir müssen es aushalten«, sagte Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr – nicht zum ersten Mal – über die Präsenz rechter Verlage auf der Messe.
»Die Bilder notleidender Menschen an der Grenze muss die Gesellschaft aushalten«, sagte gerade erst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), er nahm damit Bezug auf die Situation in Belarus.
Halt, nein, ich bin auch wir, und ich bin auch die Gesellschaft, und ich halte das nicht aus, ich will es auch ganz bewusst nicht aushalten, denn es impliziert, dass Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, etwas aushalten sollen, was sie sich gar nicht leisten können, auszuhalten, weil es ihre Existenz, ihr sicheres und würdiges Leben angreift, ihr einzigartiges menschliches Leben, ihr Überleben.
Nein! Nichts wird mehr ausgehalten, es wird jetzt gegengehalten. Gegen solche schnell gesagten Kaltschnäuzigkeiten von Menschen, die sich ganz persönlich nicht mal eine Fahrt in der U-Bahn zumuten würden.
»Mein Sohn, heute wärst du 25 Jahre alt geworden. Du hast geschrieben ›Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst‹ . Ich schwöre dir, ich werde das niemals zulassen. Was wir in deinen Namen machen, soll allen Jugendlichen Hoffnung und Kraft geben. Wir sind nicht alleine.« Das hat Serpil Temiz Unvar gesagt, deren Sohn Ferhat Unvar am 19. Februar 2020 in Hanau von einem Rassisten ermordet wurde.
Rassismus gedeiht in einer Atmosphäre, in der rassistisch motivierte Gewalt als unbehagliche Meinung eingeordnet wird, die man »aushalten muss« und in der von Bildern oder Zahlen gesprochen wird, wo man zuerst Menschen, Mitmenschen sehen müsste.
Es nicht aushalten. Ganz bewusst nicht. Gegenhalten. Als weiße Person mehr, besser, endlich zusammenhalten mit Menschen, die von rassistischer Gewalt betroffen sind.
Ich bitte euch, zeigt Serpil Temiz Unvar heute, am Geburtstag ihres ermordeten Sohnes, dass sie und alle anderen Menschen, die entgegen schönen Worten aktuell existenziell in Gefahr sind, wirklich nicht alleine sind.
Geht auf die Webseite der Bildungsinitiative Ferhat Unvar (Abre numa nova janela). Teilt ihre Spendenaufrufe und spendet nach Kräften selbst. Folgt ihnen auf Twitter (Abre numa nova janela) und Instagram (Abre numa nova janela).
Arbeitet auch an euch selbst, wir sind durch unhinterfragte Strukturen und Gewohnheiten alle Rassist*innen, auch wenn es das Letzte ist, was wir sein wollen.
Man muss es nicht aushalten.
Man kann es nicht aushalten.
Man darf es nicht aushalten.
Haltet es nicht aus, haltet gegen.
Für Ferhat Unvar.
Es wäre sein Menschenrecht gewesen, unbetroffen von rassistischer Gewalt, heute 25 Jahre alt zu werden. Wir haben es ihm nicht ermöglicht. Man kann es nicht aushalten.