Mit Skischuhen im Schlafwagen
Wie reist es sich eigentlich über 2000 Kilometer Luftlinie zum Skifahren ohne Flugzeug? Reisebericht einer Zugfahrt von den Alpen zum Polarkreis.


Ich weiß nicht, wie es Euch so geht mit der Weltlage gerade. Aber ich selber finde es derzeit unfassbar schwer auszuhalten. Ironisch, oder? Letztes Mal schrieb ich über Zuversicht und Vorfreude. Und jetzt erdrückt mich das Weltgeschehen schon wieder. Trotz der Nische der Thematik Wintersport und Klimawandel habe ich noch einige Gedanken, die ich weiterführen möchte. Heute aber habe ich Wellnessurlaub für mein Gehirn entschieden. Urlaub, den ich gerade gerne von der Welt hätte, aber kaum bekommen kann. Darum schreibe ich drüber: Skiurlaub. Also mein Skiurlaub oder, besser gesagt, der Weg dorthin.
Vorab ein kleiner Hinweis: Heute wird der Text etwas ausgiebiger, also lest ihn gerne erst, wenn Ihr die Zeit dafür habt.
Wenn Menschen über die Folgen des Skisports für die weltweiten Treibhausgas-Emissionen diskutieren, gipfeln diese Debatten allzu gerne in einem Punkt: Das Problem ist die Anreise. Wobei sich aus dieser Feststellung verschiedenste Diskussionen ableiten lassen. Ich möchte an dieser Stelle nicht groß über den Sinn und Unsinn dieser Idee debattieren, dennoch zwei Gedanken beziehungsweise Beobachtungen, die mich persönlich verärgern. Zunächst die Verantwortungsverschiebung, die in dieser Aussage liegt, und zwar eine in Richtung einzelner Skifahrer*innen. Mit der Aussage hier liegt die Verantwortung auf einmal nicht mehr bei den Touristiker*innen, sondern bei den Tourist*innen. Die Destination kann schließlich nichts dafür, wie die Menschen anreisen. Vielleicht ist da was dran, aber leicht machen es sich diejenigen, die am meisten profitieren, schon. Aber zum Glück gibt es noch Argument Nummer zwei. Skiurlaub ist quasi Klimaschutz, wenn der Mensch ihn macht, anstatt auf die Malediven zu fliegen. Die CO2-Zahlen des Vergleichs sind kaum zu leugnen, und dennoch wirkt es wie Whataboutism — also der Verweis, dass andere noch viel mehr zu verantworten haben — in Reinform. Ich möchte mich aber hier gar nicht vertiefen, sondern ein wenig meine eigene Erfahrung bei der Anreise in den Skiurlaub beschreiben. Dennoch sei festgehalten, jeder Mensch, der klimabewusst anreist, ist wichtig, ein struktureller Wandel kann aber nicht allein auf Individualebene stattfinden.

Skiurlaub? Ja, scheinbar ist Skifahren beruflich nicht genug, andererseits ist die hier geschilderte Reise auch der erste längere Individualskiurlaub meines Lebens. In meiner Familie wurde früher gerne in den Skiurlaub verreist, ja gar geflogen. Und zwar im doppelten Sinn. Mein Vater ist vor allem in den 90er Jahren jeden Winter nach Kanada zum Heliskiing geflogen. Wie sehr er davon geprägt wurde, merkt man noch heute, sobald er auf dieses Thema angesprochen wird. Die Begeisterung sprudelt nur so aus ihm raus. Ich höre gern diese Energie, die seinen Schilderungen innewohnt, und zugleich ist es eben nicht mehr die Art von Skiurlaub, die ich für zeitgemäß halte. Mein Ziel sollte im März dieses Jahres auch nicht Kanada sein, sondern Norwegen. Wer genau das Foto am Ende meines ersten Blogeintrags betrachtet, dem fällt wohl das Wasser im Hintergrund auf. Das ist der Fjord bei Narvik, Europas nördlichstem Skigebiet mit Aufstiegshilfen und Austragungsort der alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2029. Zwischen dem Kleinwalsertal und Narvik liegen rund 2300 Kilometer Luftlinie. Aber in die Luft sollte es auf keinen Fall gehen für die Anreise.
Was war meine Alternative? Es war die Schiene. Das dauert zwar “etwas” länger als die Nutzung des Flugzeugs, eröffnet aber ganz neue Perspektiven. Die Reiseroute verlief zunächst nach Berlin, dann mit dem Nachtzug nach Stockholm und schließlich wieder über Nacht nach Narvik. Auf einen kurzen Rückblick durch diese Reise nehme ich Euch hier mit.

Beginnen wir in Berlin. Von hier ging es mit dem Nachtzug also abends um 18:37 Uhr nach Stockholm. Dieses Teilstück war vor allem geprägt durch die Begegnungen im Abteil. Ich reiste im Sechser-Liegeabteil. Ab Berlin mit dabei waren zwei schwedische Lehrer auf der Rückreise von einem Lehrkräfteaustausch in einer brandenburgischen Schule und ein US-Amerikaner, der in Schweden lebt, aber für eine Softwarefirma in Berlin arbeitet und, wenn er ausnahmsweise dies nicht im Home-Office macht, den Nachtzug nutzt. Die Gespräche waren schon auf diesem Teil der Reise spannend, aber ab Hamburg stieg der Wintersportleranteil auf 50 Prozent. Neu dabei ein älterer Schweizer, der auf dem Weg nach Lappland zum Langlaufen war. Er erzählte, er mache das jedes Jahr, und dass er bei der Schweizer Bundesbahn arbeitet. Quasi nicht nur Winter-, sondern auch Bahnexperte.
Außerdem wurde unser Abteil nun von einem Hamburger verstärkt, der sich auf dem Weg zum Vasaloppet befand. Zur Erklärung: Der Vasaloppet in Schweden gilt als eines der ältesten und längsten Langlaufrennen der Welt. Das Spannende an seiner Geschichte war, dass er quasi nicht auf Schnee dafür trainieren konnte. Stattdessen war oft stundenlang auf und ab auf derselben Straße in Hamburg auf den Rollerski unterwegs. Mental beeindruckend. Die Nacht selbst empfand ich dann als sehr angenehm. Es sei aber fairerweise an dieser Stelle erwähnt, dass es bei weitem nicht das erste Mal im Nachtzug für mich war. Entsprechend ausgeruht verabschiedete ich mich am Morgen in Stockholm von meinen Mitreisenden.
Insgesamt war ich gut 72 Stunden unterwegs nach Narvik, allerdings mit einer nicht unerheblichen Pause inklusive zusätzlicher Übernachtung in Stockholm. Die wäre nicht zwingend notwendig gewesen, bot sich aber an. Denn ehrlicherweise ist auch das ein großer Vorteil dieser Anreise: ein Zwischenstopp lässt sich recht leicht organisieren. So blieben mir rund 36 Stunden in Stockholm, in denen ich unter anderem das schwedische Parlament besichtigt habe und genug Zeit hatte für mehr als einmal Fika, also die traditionelle schwedische Kaffeepause inklusive obligatorischer Zimtschnecke.

Vor der Abfahrt in Stockholm stieß meine Schwester dazu, die aus zeitlichen Gründen nach Stockholm geflogen war und ehrlich gesagt auch noch nicht völlig überzeugt war von meiner Begeisterung, möglichst alle Reisen auf dem Landweg zu bestreiten. Nach dem Einsteigen in den Nachtzug der norwegischen Bahn Richtung Narvik sollte ich aber auch andere Gesichter wieder sehen. Eine vierköpfige deutsche Reisegruppe Studierender aus Passau fiel mir ins Auge. Nicht zufällig, wir hatten uns bereits zuvor gesehen in Stockholm bei der Führung im Parlament. Die Welt der Nachtzugreisenden ist scheinbar klein und irgendwie familiär. Unser Weg nach Narvik sollte besonders werden, auch weil ich mich diesmal nicht für den Liegewagen, sondern den Schlafwagen entschieden hatte. Zur Erklärung: Wir teilten uns also diesmal kein Sechs-Personen-Abteil, sondern hatten unser eigenes kleines zu zweit. Und wir hatten eine Dusche im Wagen, und die hat mich sehr positiv überrascht, oder anders ausgedrückt: Ich habe schon Duschen in Hotels erlebt, die viel schlechter waren. Genug Zeit für das Duschen war jedenfalls, denn die Fahrzeit betrug 18 Stunden.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir nicht die ganze Fahrzeit im Genuss unseres rollenden Hotelzimmers waren. Wegen einer Streckenbeschädigung mussten wir am Morgen zunächst in einen Zug mit reiner Sitzwagengarnitur umsteigen, und für die letzte Stunde schließlich auf den Bus. Das hatten wir bereits Wochen vor der Abfahrt erfahren, und wir konnten uns entsprechend darauf vorbereiten. Dennoch war es sehr bedauerlich, dass wir uns in den Morgenstunden bereits von unserem bequemen Schlafabteil verabschieden mussten. Auf der anderen Seite hatte der Sitzwagen dann auch vormittags sicherlich seine Vorzüge. Und er belegte einmal mehr, wie klein die Welt der Nachtzugreisenden hier oben doch ist. Eine Sitzreihe vor uns saß ein Reisegespann aus Mutter und erwachsener Tochter, mit denen wir uns eine Zeit lang lose unterhielten — Tage später sollten wir sie im Frühstückswaggon auf dem Weg zurück nach Stockholm wiedersehen.
Gegen Mittag kamen wir schließlich in Narvik an, eine Stadt, die mir, aus meiner Alpensichtweise heraus, einen ganz anderen Wintertourismus lieferte im Vergleich zu dem vom zu Hause bekannten. Darauf soll an dieser Stelle aber nicht mehr detailliert eingegangen werden, es soll ja ein (An)-Reisebericht sein. Vielleicht gehe ich ein anderes Mal darauf ein.

Was bleibt also von dieser Reise? Wie gesagt, bin ich durchaus schon öfter mit dem Nachtzug gereist, und trotzdem war es eine spezielle Erfahrung. Einerseits natürlich wegen der Länge, in der ich aber durchaus etwas Positives sehen kann. Entschleunigung, Perspektive und das Bewusstwerden der Distanz und Welt möchte ich hier stellvertretend nennen. Andererseits bestand die Besonderheit darin, dass für diesen Skiurlaub natürlich anders gepackt werden muss. Ich hatte lange überlegt, meine eigenen Ski mitzunehmen, mich aber schließlich dagegen entschieden. Der Rest der Ausrüstung inklusive Skischuhen schaffte es aber in den Schlafwagen und mit meinem jetzigen Wissen würde ich auch die Ski selber mitnehmen. Natürlich bedarf das einiger Planung im Vorhinein, aber das braucht eine Reise sowieso. Wir hatten die ganze Reise übrigens rund vier Monate im Voraus geplant. Selbstverständlich auch mit Rückfahrt, auf die ich aber nicht mehr detailliert eingehen möchte, dort hatten wir Richtung Stockholm wieder ein Sechser-Liegeabteil, das aber durch die Belegung mit nur vier Reisenden trotzdem sehr angenehm war. Und dann war da noch ein Highlight, das ich wohl ohne Zugfahrt kaum gesehen hätte, wie im letzten Foto zu sehen. Das allein könnte fast schon für eine Wiederholung motivieren…

Vielen Dank, dass Ihr auch diesen im Umfang ausgearteten Text gelesen habt. Ein besonderer Dank gilt meiner Schwester, die für die Mehrzahl der Bilder hier verantwortlich ist und die offen für diese Abenteuer war (und sogar ein bisschen Gefallen an dieser Art zu reisen gefunden hat).
Wenn Ihr möchtet und es noch nicht getan habt, könnt ihr gerne weiterhin diesem Mail-Blog folgen. Ihr kennt Menschen, die das auch lesen möchten, müssten, sollten? Teilt es gerne weiter. Ich werde wahrscheinlich mit nahendem Winter öfter meine Gedanken zu “Papier” bringen. Was als Nächstes da auf Euch und auf mich zukommt? Das weiß ich ehrlicherweise jetzt noch nicht so genau, aber ich bin gespannt darauf.
