„Ich erlebe das Aus-dem-Takt-Kommen nicht als negative Störung“
Der Taktvoll-Fragebogen mit Nicola Wessinghage, die sich für den Rhythmus des Gehens begeistert.

Wir tun es jeden Tag ganz selbstverständlich, dabei erfordert das Gehen ein komplexes Zusammenwirken zahlreicher Muskeln, Gelenke, Sinne und des zentralen Nervensystems. Das Gehen ist wie das Laufen oder Springen ein zutiefst rhythmischer Bewegungsablauf. Wie ein Mensch geht, spiegelt nicht nur sein körperliches Befinden wider. Auch sein seelischer Zustand lässt sich zumeist aus dem Gangbild ablesen.
Nicola Wessinghage ist freie Kommunikationsberaterin für Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft. In ihrem (privaten) Podcast „Lob des Gehens“ beschäftigt sie sich auf verschiedenen Ebenen mit der typischen menschlichen Variante der Fortbewegung auf zwei Beinen:
„Vor einiger Zeit habe ich die vielen Vorteile des Gehens für mich entdeckt. Die Idee zum Podcast entstand, als ich mehr über die Hintergründe erfahren wollte und selbst besser verstehen wollte, was alles geschieht, wenn wir einen Fuß vor den anderen setzen.“ (Nicola Wessinghage)
In den bisher 24 Episoden (Abre numa nova janela) geht es in Gesprächen zum Beispiel um das Gehen im Schnee, um eine Wanderung von Hamburg bis an den bayrischen Ammersee sowie eine Ostsee-Umrundung zu Fuß, um das Gehen im Regen oder das Gehen in der Nacht. Eine Fundgrube und eine Fülle wunderbarer Anregungen!
1. Lerche oder Eule?
Kommt darauf an, wann ich gefragt werde. Grundsätzlich Lerche. In der dunklen Winterzeit hat sie es allerdings manchmal schwer, und auch am Abend entdecke ich immer wieder Anteile der Eule in mir.
2. Was gehört für Sie unbedingt zu einem guten Start in den Tag?
Kaffee, Müsli mit viel Obst, eine Zeitung und Bewegung – und im besten Fall noch Zeit genug für das alles.
3. Pflegen Sie eine spirituelle Praxis?
Nein.
4. Wie bereiten Sie sich auf ein besonderes Ereignis vor (einen Wettkampf, ein Konzert, ein schwieriges Gespräch …)?
Ich versuche, möglichst viele Informationen zu sammeln: über die Menschen, denen ich begegne, die Künstler*innen, über den Anlass für das Gespräch. Dann beschäftige ich mich damit, gehe das Ganze in Gedanken einmal durch, stelle mir zum Beispiel mögliche Hindernisse vor. Kurz vorher mache ich dann am liebsten etwas anderes, gehe zum Beispiel noch mal eine Runde. Danach kann ich dem Ereignis gelassener begegnen.
5. Was bringt Sie aus dem Takt?
Negatives (Konflikte, Krankheit, Krisen) wie Positives (Feste, Besuche, Reisen). Ich erlebe das Aus-dem-Takt-Kommen, die Unterbrechung dabei nicht als negative Störung, meistens eher als angenehm. Bei den unangenehmen Auslösern kann ich das allerdings meistens erst im Nachhinein erkennen – und manche Ereignisse bleiben einfach ungut.
6. Welche Jahreszeit mögen Sie besonders? Warum?
Die Übergangsjahreszeiten, weil sie Veränderung bedeuten und diese auch sichtbar machen. Den Frühling wegen des vielen Lichts nach dem dunklen Winter noch ein wenig mehr als den Herbst.
7. Schreiben Sie Tagebuch?
Es gab immer mal wieder Anläufe, aber ich habe es leider noch nicht kontinuierlich geschafft.
8. Welche Rituale ihrer Kindheit praktizieren Sie heute noch, evtl. jetzt mit den eigenen Kindern?
Vieles, das mit Essen, Bewegung und Feiern zu tun hat: Kuchen backen zum Wochenende, Beeren sammeln und Marmelade kochen, die vierte Mahlzeit: „Kaffee und Kuchen". Weihnachtsrituale wie Adventskalender, Kekse backen. Ausgiebige Spaziergänge im Urlaub.
9. Tanzen Sie?
Schon seit meiner Kindheit und in letzter Zeit wieder mehr. Ich mag es auch, Menschen, die gut tanzen können, zuzusehen. In meiner Kindheit habe ich mit Ballett, rhythmischer Sportgymnastik und Jazzgymnastik nach sehr strengen Vorgaben getanzt, das hat mir dann irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Heute gibt nur noch die Musik den Takt vor.
10. Sie kommen nach einem anstrengenden Tag nach Hause, welche Musik hören Sie?
Eher gar keine. Wenn überhaupt: einen oder zwei meiner aktuellen Lieblingssongs, das wechselt.
11. Ein freier Tag liegt vor Ihnen, was machen Sie am liebsten?
Schon am frühen Morgen mit Proviant aufbrechen und den ganzen Tag in der Natur wandern - alleine oder auch in guter Begleitung.
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12. Welche Rhythmen in der Natur begeistern Sie?
Sonnenaufgang und -untergang. Ebbe und Flut. Und natürlich der Rhythmus des Gehens. Wenn man häufiger, länger und alleine geht, lässt sich ein Rhythmus entdecken, in dem es zu einem schönen Wechselspiel zwischen Natur, Bewegung und Denken kommt. Und genau der begeistert mich.
13. Wie sehen kleine Atempausen in Ihrem Alltag aus?
Aufstehen, Arme und Beine durchschütteln, ein paar Übungen machen, Schritte gehen. Am besten draußen.
14. Zeitung lesen: Papier oder digital?
Beides. Beim Frühstück aus Gewohnheit immer noch gerne Papier. Sonst lieber digital.
15. Urlaub: immer das gleiche Ziel oder jedes Mal Neues entdecken?
Auch beides: Ich schätze die Wiederkehr, das Ankommen an Orten, die mir etwas bedeuten. Selbst im Bekannten gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Wenn man sich in einer Gegend schon häufiger bewegt hat, lässt sie sich intensiver erleben.
Reise ich das erste Mal an einen Ort, liebe ich die Spannung vorher, die Vorfreude auf die unbekannten Eindrücke, möchte möglichst viel sehen. Mein Ideal wäre es, jedes Jahr einmal etwa Neues zu erkunden und parallel an Orte zurückzukehren, die ich gerne mag.
16. Wie wichtig sind Ihnen gemeinsame Mahlzeiten mit dem Partner/der Partnerin, der Familie?
Sehr wichtig. Besonders das Frühstück. Auch das habe ich aus meiner Kindheit mitgenommen. Meistens hat mein Vater bei uns das Frühstück zubereitet, weil es seine Lieblingsmahlzeit war, und wir kamen alle zusammen an den gedeckten Tisch.
Sonntags musste er arbeiten, und es war die einzige Möglichkeit, sich an dem Tag als Familie zu sehen und zu sprechen. Deshalb war es uns allen wichtig, auch wenn es bei mir und meinen Geschwistern am Abend vorher später geworden war.
Heute ist bei uns meistens das Abendessen die wichtigste Mahlzeit. In Gemeinschaft zu speisen ist so sehr in mir verankert, dass ich nicht besonders gerne esse, wenn ich mal alleine bin.
17. Partnerschaft, Ihre Erfahrung: „Gegensätze ziehen sich an“ oder „Gleich und gleich gesellt sich gern“?
Schon wieder beides – aber hier tendiere ich etwas mehr zu den Gegensätzen. Die Anziehung funktioniert aber nur dann, wenn es eine gemeinsame Basis gibt, vor allem, was grundsätzliche Werte betrifft.
18. Lesen Sie vor dem Einschlafen? Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?
Ich versuche es regelmäßig, schaffe in der Regel aber höchstens einige Seiten, weil ich sehr schnell einschlafe. Es liegen immer mehrere Bücher auf meinem Nachttisch, die ich zum Teil auch parallel lese. Aktuell sind das „Zuhören" von Bernhard Pörksen, „Kleine Dinge wie diese" von Claire Keegan und „Macht Marke" von Lucas von Gwinner und Dirk von Gehlen.
19. Gibt es eine Zahl, die eine besondere Bedeutung in Ihrem Leben hat?
Ich hatte schon oft Glück und gute Begegnungen an einem 13. des Monats – deshalb habe ich sie zu meiner Glückszahl ernannt.
20. Welche Rituale oder Rhythmen sind Ihnen unangenehm?
Alles, was mit übermäßigem Alkoholkonsum einhergeht: Schützenfeste, Oktoberfest, Bahnfahren nach dem Fußballspiel oder Junggesellenabschiede. Ich bin auch kein Fan der klassisch aufgemachten Hochzeitsfeier. Ungute Gefühle erwecken in mir Spielmannszüge. Appelle, Marschieren im Gleichschritt. Rhythmus grundsätzlich mag ich.
21. Was fällt Ihnen zum Begriff „taktvoll“ ein?
Zuerst Sensibilität, Einfühlungsvermögen. Wer taktvoll im Umgang mit anderen ist, versucht, sich auf die andere Person einzustellen, genau hinzusehen, sich einzufühlen und sich selbst erst einmal zurückzunehmen. Das finde ich sehr positiv.