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Reizhusten

Es ist wirklich ein Privileg als Frau arbeiten zu können, sagt eine Bekannte, sie genieße es total. Zufälliges Treffen auf dem Marheinekeplatz, unterwegs mit meiner Tochter zum Einkaufen. Die neben dem Fahrradanhänger-Kinderwagen herläuft, der mittlerweile meistens in der Funktion des Einkaufswagens genutzt wird. Meine Tochter hustet. Zum Glück nur noch leicht. Die letzten zwei Wochen waren gezeichnet von Nächten mit herbstlichem Reizhusten, was sich problemlos an meinen Augenringen ablesen lässt. Kita war tabu. Den Versuch, meine Tochter trotz Resthusten – allerdings rotzfrei! – am Montag der zweiten Woche anzuliefern, bereue ich ein wenig. Nicht wegen meiner Tochter, sie hatte Lust und war das Wochenende top fit durch die Parks getobt, sondern wegen des Personals. Der gereizte Tonfall war nicht nur am Telefon, sondern auch live deutlich, als ich am achten Erkältungstag meine Tochter um 12:30 Uhr aufgrund des noch nicht bis zum letzten Körnchen Grammel abgeklungenen Hustens wieder abholen durfte. Protest sinnlos. Heute ist Donnerstag, damit der elfte Erklätungstag. Erkältungen sollen ja bis zu acht Wochen andauern. Doch hege ich die Hoffnung, meine Tochter zumindest morgen, am Freitag, dem 12.Tag ohne Betreuungshilfe, wieder in die Kita bringen zu können. Warum mich nicht in Geduld üben, in Super-Muttitum und doch das noch Wochenende abwarten, zur neuen Eingewöhnung in den Kita-Alltag? Ganz einfach: Weil ich seit zwei Wochen nicht gearbeitet habe. Oder fast nicht. Ok, E-Mails gecheckt, verschickt. Die Kommunikation nach außen irgendwie aufrecht und laufende Projekte am Laufen gehalten. Ok, in der ersten Krankheitswoche nachmittags bei krankheitsbedingtem Mittagsschlaf meiner Tochter fast 90 Minuten! an einem Projekt gearbeitet. Ok, weil Zeit zu Hause war und ich sozusagen an den Herd gebunden, mal den Backofen gereinigt, die Küche geputzt, sogar den Kühlschrank, das Bad, dann doch das Wohnzimmer, auch das Schlafzimmer und das Kinderzimmer, also warum nicht noch den Flur, und dort mal sämtliche Schuhe gereinigt, auch die Gummistiefel, ja, warum nicht, die Fahrräder im Hof poliert, Blätter von der Gartenterrasse gefegt, den Garten winterfest gemacht, die Draußenspielsachen gesäubert, die frostempfindlichen Pflanzen reingetragen, parallel meiner Tochter Tee gekocht, Suppe, Fischstäbchen gebraten, Gläserweise Apfelmus selbst gemacht, Gemüse eingetubbert, eingekauft und verfüttert, dazu Hustensaft und Lutschpastillen, die mit Erdbeergeschmack, vorgelesen, vorgelesen, auch vorgelesen, Tier gespielt, Verreisen gespielt, Mutter und Kind und Vater und Kind und Oma und Opa und großer Bruder und Kind und Baby und Pferd und dann Drache, eine Kuschelhöhle gebaut, zum Kaufmannsladen gepilgert, gemeinsam mit den Puppen, dem Bären und der Giraffe, dort tonnenweise Holzobst gekauft, damit von denen keiner krank wird, Papiergeld gezählt, fiktive Einkaufslisten erdacht, die Kindergitarre (vergeblich) gestimmt, Band gespielt, getwistet, in unsichtbare Mikrophone gesungen, für den Auftritt Tier-Tatoos auf Unterarme geklebt, frisiert und mich frisieren lassen, Perlen auf Armbänder gefädelt, zur Entspannung nach der Show geknetet, gemalt, gepuzzelt, Memory-Kartentürme gestapelt, Lego-Autos entworfen und verworfen und die geworfenen Teile der Designnieten in der Wohnung eingesammelt und die Stofftiere und das Holzobst sowieso und natürlich die Murmeln, ohne auszurutschen oder sie mal wieder einzusaugen, und die Bücher und die Tonis und die unendlich vielen Täschchen und Beutelchen die meine Tochter für alle ihre Tiere und Puppen gepackt hat, als Proviant, die natürlich alle gewickelt und angezogen und gefüttert werden mussten, bevor sie auf Abenteuer auszogen, den Piratenschatz fanden, im Spielhäuschen campten, in der Kuschelhöhle mit dem Drachen auf Weihnachten warteten, von Kikeriki, dem verzauberten Hahn, geweckt wurden und alle knapp noch den Zug ans Meer bekamen, wo sämtliche Bären, Hasen, Hunde, Katzen, Giraffen, Küken, Tiger, Pferde, Raupen, Schnecken, Wale und Robben, selbst der Drache sich in einer endlosen Reihe am Strand niederließen, die ganze Bucht des Wohnzimmers füllend, gemeinsam Fake-Sand-Burgen mit Holzklötzen errichteten, die ziemlich schnell trotz Windstille wieder umfielen, was den Badespaß jedoch nicht verdarb, im Gegenteil, ziemlich viele Muscheln und Glitzersteine zu Tage förderte, die selbstverständlich auch alle in Taschen, im Kinderkoffer und einem Trolley der Eltern nach Hause transportiert werden mussten, wo niemand je ankam, weil zwischendurch der Magen plötzlich knurrte und ein laufender Meter-Pirat hangry die Schatzkiste Kühlschrank plünderte (dabei ziemlich gesund wirkte) und eine Mutter sich mal setzen durfte. Doch weil sie merkte, wie sehr das Sitzen die Erschöpfung von den Haarspitzen bis zu den Zehen spüren ließ, rasch anfing zu zu backen, zu rühren, zu kneten und zu schmieren und sich dabei trotzdem (oder erst recht) zu fühlen wie die Spuren dieses Regenfilms auf dem Küchenfenster.

Darum

Also gestern hatte ich so einen Abend.

Kaum betrat Papa die Wohnung, da. Habe ich einfach. Alles stehen und liegen. Gelassen. Bin unter die Dusche. Eine warme Dusche. Dann mit einem Buch (das ich seit zwei Monaten lesen will) ins Bett. Leider nach zwei Seiten eingeschlafen. In der Nacht habe ich geträumt, bei irgendeinem Treffen mit Unbekannten sollte ich von meinen aktuellen Projekten als Solo-Selbständige berichten, aber bekam den Mund nicht auf. Wie das im Traum manchmal ist. Manchmal kann man fliegen und manchmal kommt man nicht vom Fleck. Ich also bekam den Mund nicht auf und nicht auf und schämte mich und verzweifelte fast und dann stand da mein Zahnarzt und erinnerte mich an die neue Keramikfüllung, für die bitte zeitnah ein Termin zu vereinbaren sei.

Der Traum war so anstrengend, dass ich noch gerädert aufwachte, als ich eingeschlafen war. Trotz eines doppelten Espresso nicht in den Tag kam, nicht in die Gänge, oder doch, aber nur in die viel zu routinierten. Den Kinderwagen wie zu Stillzeiten schiebend, ihn also praktisch als Rollator nutzend.

Aber egal. Ich habe ein Ziel. Wenigstens etwas, eine kleine, eine winzige, eine verdammte Sache will ich an diesem Donnerstag für mich zustande bringen. Einen einzigen Arbeitsschritt an meinem neuen Projekt erledigen. Eine halbe Seite schreiben. Etwas tun, das mit mir, nur mit mir und mit meiner Arbeit zu tun hat. Etwas schaffen, ja, meinetwegen: leisten. Ja, warum nicht: mir leisten, mir auch etwas. Es lebe die Ersatzhandlung. Was ich will? Jetzt? Ein Stück Kuchen. Ein richtig geiles Stück Kuchen.

Meine Tochter ahnt von alldem etwas. Ohne genau zu wissen, was sie ahnt. Sie ist ein Sonnenschein, trotz Herbsthals. Es ist schön, mit ihr unterwegs zu sein. Alles ist schön mit ihr. Oder: Fast alles. Also die Trotzanfälle nicht, klar.

Die mich an den Rand des Wahnsinns treiben können. Wie gerne würde ich auch mal dreißig Minuten lang schreien, alles in der Gegend herumwerfen und mit den Fäusten auf den Boden hämmern.

Meine Tochter spürt wie ich ächze unter der Last ungelebter Trotzanfälle. Diese Selbstverständlichkeit unentlohnter Care-Arbeit. Was passieren würde, wenn ich mal wie der Papa sagen täte: Bis heute Abend.

Verantwortungslos wäre das, sagt er. Weil er der Ernährer ist. Mein Apfelkompott zählt nicht. Oder nur so ein bisschen.

Wie machen das Angestellte eigentlich? Bei Zwangsarbeitspause durch Husten? Urlaub nehmen? Babysitter? – Können wir uns nicht leisten. Für Babysitter braucht man ja einen Extra-Job. Die Kita ist schuld – kann ich auch nicht sagen. Klar, Fieber ist das eine, ein herbstlicher Husten etwas anderes. Aber bei dem Personalmangel geht keine Kita gerne Risikos ein, sonst ist es mit der Betreuung ganz vorbei. Also: Bitte in den eigenen vier Wänden husten. Und bitte nicht zu laut und auch das Lächeln zwischendurch nicht vernachlässigen.

 

Es ist wirklich ein Privileg als Frau arbeiten zu können – sagt meine Bekannte. Sie ist Lehrerin und hat heute bezahlte Schulferien. Sie genieße es total. Dabei sieht sie mich mitleidslos an. Als Mutter, deren Kinder bereits aus dem Haus sind. Was soll ich sagen? Mein Künstlerinnendasein schildern? Das für Beamte sowieso unverständlich ist? Damit sie mich vielleicht auch noch über unbezahlte Jahre belehrt, Rentenaussichten, Care-Falle? Und: Hoch die internationale, matriarchale Solidarität.

Na dann, sage ich nur.

Lasse sie ziehen, in das Land, wo vielleicht Honig, aber garantiert keine Milch fließt.

Ich bin müde. So müde. Viel zu müde.

Um über irgendetwas nachzudenken.

Um überhaupt noch irgendetwas zu wollen.

Habe heute nur ein Gähnen übrig, einfach für alles. Aber sogar an einem müden Tag wie heute immerhin ein Gähnen mit ein bisschen Zähnezeigen. Wenn ich jetzt den Mund auftäte. Wenn ich einfach mal. So richtig. Ohne Keramikfüllung. Würde ich vielleicht auch einfach nur anfangen zu heulen. Also auf den Kuchen fokussieren. Der einzige Kuchen, bei dem ich mir mein Stück aussuchen kann. Mich am Kinderwagen festhalten. Und an der Hoffnung, dass meine Tochter meine Fürsorge zu schätzen weiß und wissen wird. Die Energie, mit der ich mir an einem Tag wie heute diesen Text aus dem Leib schneide, damit sie in eine andere Welt hineinwachsen kann.

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