Senf #11: Das Ende von Social Media
Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Social Media keinen Raum mehr bietet für Vernunft und Diskussionen. Was jetzt? Accounts löschen, zu Mastodon migrieren oder mit fünfzig Blocklisten jonglieren? Eine (sehr lange) Bestandsaufnahme.
Als ich diesen Text zu konzipieren begann, war von der Diskussion rund um Rammstein noch nichts am Horizont zu sehen, so lange sitze ich für euch an den Texten. Eigentlich sollte es um die Raumnahme von rechtem Gedankengut und eine Versteifung auf die Verteidigung der eigenen Bubble als einen sicheren Hort der Rationalen gehen. Aber dann kam eben der Missbrauchsskandal und traf hervorragend auf Umfragen, in denen bis zu 40 Prozent der Deutschen die AfD wählen würden, wenn morgen Bundestagswahl wäre. Sehen wir uns also doch erst einmal an, was in den sozialen Medien geschehen ist - so insgesamt.
Es gibt keine Gemeinsamkeiten
Das erste Mal, als viele Menschen so richtig verstanden haben, welche Werte ihre NachbarInnen vertreten, war, als im Jahr 2014 hunderttausende Menschen versuchten, in Europa Schutz zu finden. Sie kamen aus ganz verschiedenen Gründen, meist war es Krieg. Der Syrienkrieg war damals in vollem Gange, in Aleppo wurden ZivilistInnen vom Regime weggebombt, während gleichzeitig der menschenverachtende IS begann, Dörfer zu plündern, Frauen und Kinder zu verschleppen und die Leichen getöteter Männer auf Geländer zu spießen. Dass es nicht all diese Videos in eure Timelines geschafft haben, beispielsweise das in dem türkische Truppen syrisch-kurdische SoldatInnen foltern und auf maximal frauenverachtende Weise ermorden, habt ihr der Moderation der Plattformen zu verdanken, in meine haben sie es geschafft. In 2014 flohen Menschen also gleichermaßen vor türkischen und islamistischen Milizen, die sie in den Menschenhandel verkaufen wollten, dem syrischen Regime das ganze Wohnviertel mit Giftgas ausradierte und westlichem Bombardement. Das ging damals schon rund 3 Jahre, viele tausend Menschen waren tot, Familien zerrissen und Leute gaben ein oder zwei Angehörigen all ihr Geld, damit sie es vielleicht nach Europa schaffen, in dem seit über 70 Jahren Frieden herrschte.
Europa reagierte aber bekanntlich nicht so wie gedacht auf die Dynamik, sondern so wie es seit den 50er-Jahren mit Einwanderung umging. Damals holte man GastarbeiterInnen nach Deutschland, weil es schlicht keine Männer mehr gab, um schwere körperliche Tätigkeiten auszuführen, Städte wiederaufzubauen. Man hatte einen Krieg begonnen, verloren und im Laufe dessen Millionen Menschen ermordet und wenn man das Land neu aufbauen wollte, brauchte man nun Arbeitskraft. Man sollte glauben, den damaligen ArbeitsmigrantInnen wäre der rote Teppich ausgerollt worden. Stattdessen wurden dezentrale ArbeiterInnenviertel geschaffen, der Deutsche wollte mit dem Türken wenn überhaupt nur auf der Baustelle oder in der Fabrik zu tun haben. Der Alltag fand getrennt statt, viele GastarbeiterInnen lernten nie Deutsch. Ihre Familien blieben in den Vierteln, die teils heute noch bestehen, jetzt aber für Hipster irgendwie interessant genug zum Gentrifizieren sind, während Rechte irgendwas von Kriminalitätshotspots, No Go Areas und Parallelgesellschaften quatschen. Überraschend: Wer Menschen 70 Jahre lang als minderwertig behandelt, von der “Putze mit Kopftuch” spricht, zum “Gemüsetürken” geht oder beim “Dönerali” kauft, der noch nie Ali hieß, nimmt sie auch in dritter Generation als Fremde wahr.
Das hat man dann noch mal mit VietnamesInnen während des Vietnamkriegs wiederholt, Rostock-Lichtenhagen usw. waren die Folge. In 2014 dann haben die Deutschen sich einmal mehr vom Ausländer bedroht gesehen, der aus mysteriösen Gründen vor ihrer Tür steht, “nur weil” hier kein Krieg herrscht. Kriege heißen auf Wikipedia “Konflikte”, in den Medien heute gern “bewaffnete Konflikte”. Hier eine Übersicht, wo es 2014 überall auf der Welt nicht sicher war: Wiki (Abre numa nova janela) (Kleiner Funfact: Auch in der Ukraine nicht, denn dort annektierte Russland gerade die Krim)
Die Dynamik, dass sich viele hunderttausend Menschen gleichzeitig auf den Weg machten, angetrieben von Gerüchten, dass verschiedene europäische Länder ihnen bedingungslos Asyl gewähren würden, ist eine eigene Thematik. Da konnten die Menschen, die alles aufgegeben haben, um sich auf den Weg zu machen, nichts dafür. Moderne Reisemöglichkeiten, in ein Flugzeug zu steigen, standen ihnen nicht offen. Also verließen sie sich auf Schleuser, die sie angeblich sicher übers Mittelmeer bringen würden. Wenn auf den überfüllten Schlauchbooten noch ein Platz frei war, setzte man da sein Kind rein, irgendwer sollte es lebend nach Europa schaffen. Libyen baute damals schon seine Lager aus, wo es mit EU-Unterstützung folterte, Menschen Papiere abnahm und all das, Boote schienen also eher noch sicher. Seit 2014 sind auf dem Mittelmeer nach vorsichtigen Schätzungen 17.000 Menschen gestorben und 27.000 Menschen verschwunden. Das macht über 40.000 Tote von denen wir wissen (Abre numa nova janela), aber natürlich wurde nicht jedes Boot verfolgt, nicht jeder Tote erfasst.
Foto: Adam Ansel via Flickr (Abre numa nova janela) unter CC BY 2.0 (Abre numa nova janela)
In Deutschland passierte als Reaktion darauf folgendes: Die AfD änderte ihren Kurs und wurde zur rechtsradikalen Partei, die wir heute kennen und Pegida, die sich eigentlich gegründet hatten, um gegen Muslime zu hetzen, änderte ihren Kurs und wetterten nun gegen Geflüchtete. Über 25.000 Menschen kamen zu einer der größten Demos in Dresden. Montag wurde zu dem Tag, an dem überall in Deutschland zu rechtsextremen Demos gingen, mit Kind und Kegel. Das neue Happening - MigrantInnen hassen. Gleichzeitig meldeten sich auch tausende Menschen für die Geflüchtetenhilfe, um auszuhelfen in Erstaufnahmezentren. Keine Ahnung, was diese Leute glaubten, woraus Krisenhilfe besteht, einige Monate später blieben sie wieder daheim und die Zentren suchten händeringend nach Personal und Spenden. Stellte sich für viele Deutsche heraus: Wer gerade auf der Flucht vor dem Krieg seine Familie verloren hat, ist gar nicht so krass dankbar, dass man ihm eine Packung Kekse aushändigt, dass er Selfies für Instagram machen möchte. Und auch in meiner Bubble war alles sehr enthusiastisch, Leute versicherten sich gegenseitig, der Zusammenhalt sei stärker als der rechte Hass. Die AfD zog dann in den Bundestag ein.
Was ich damals verstanden habe, als überall AfD Flyer ausgehändigt wurden, auf Pegida- und Legida-Demos Menschen mit marschierten, die ich von Arbeit kannte und Menschen mit Geflüchteten für Fotos posierten, wie sonst nur Promis in Kinderheimen in Afrika, war, dass der kommende Rechtsruck wahrscheinlich stärker ausfallen würde als beispielsweise nach 9/11 als Freunde von Neonazis ins Krankenhaus geprügelt wurden, weil sie aus einem arabischen Land stammen und deswegen praktisch persönlich dafür verantwortlich sind, dass bei einem islamistischen Angriff in den USA mehrere tausend Menschen starben. 2001 war der “Dönerali” plötzlich der Feind, 2014 waren es Menschen die vor dem Krieg flohen, “nur junge Männer” die aber angeblich trotz ihrer Flucht vor islamistischen Truppen in Dresden die Scharia einführen wollten und, vermutlich durch Jungfrauengeburt, Deutschland überbevölkern.
Damals wurden Facebook und Twitter zu einem Katalysator des Hasses. Telegram und Co waren noch nicht so stark beteiligt wie heute. Kommentarspalten unter Newsartikeln wurden unbenutzbar. Die neu erstarkten Rechten schufen Narrative, dass Merkel “die Flüchtlinge hergeholt” habe, allein auf Basis ihrer Aussage, dass wir auch diese Krise bewältigen werden - “wir schaffen das”. Natürlich glaubte das niemand wirklich, vielleicht die Allerdümmsten. Es ging von Anfang an beim Aufbau dieses Narratives darum, es politisch zu nutzen, Parteipolitik auf Hass und Uninformiertheit zu machen, mit der AfD eine starke Partei zu etablieren, die nicht mit dem Schmuddelimage der NPD oder Die Rechte zu kämpfen hatte, sondern sich sauber im Businessanzug mit oder ohne Dackelkrawatte präsentierte. Dass viele der SpitzenpolitikerInnen aus etablierten Parteien wie der CDU stammten und deswegen die laut der AfD verfehlte Politik des Landes maßgeblich mitbestimmt hatten, teils über Jahrzehnte, war egal. Fakten wurden auf Social Media in Rente geschickt. Ab 2014 sollte das Bauchgefühl regieren.
Es gibt lustige Tote
Warum steige ich mit so ollen Kamellen ein, wenn man Social Media 2023 von gleich mehreren unangenehmen Blickwinkeln betrachten kann? Weil ich der festen Überzeugung bin, die heutige Situation wäre eine andere, wenn wir gemeinsam 2014 wirklich eine Gegenbewegung etabliert hätten, in der das Infragestellen des Menschenrechts auf Asyl nie hätte Einzug in den Alltag halten dürfen. Wer ein Menschenrecht angreift, vergreift sich immer auch am nächsten. Deutsche haben über Trump gelacht, der unter anderem mit der Aussage, er wolle eine Mauer zu Mexiko bauen US-Präsident wurde, aber hier im Land haben 2014 PolitikerInnen Erschießungen an der Grenze gefordert und wurden dafür gewählt. Daran massenhaft beteiligt: Menschen, die rechtsextreme Gedanken, Aussagen und Ideen in den sozialen Medien teilten.
Mehr als 220 Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte (Abre numa nova janela) gab es allein 2015, nachdem Deutschland zahlreiche Menschen zeitweise zum Schutz vor Krieg und Verfolgung aufgenommen hatte. Aufgenommen war vielleicht auch das falsche Wort, viele saßen fast ein Jahr lang in Hallen und Containersiedlungen fest, bevor sie auf Asylheime verteilt wurden. Das kannte ich schon aus meiner Jugend, in der viele FreundInnen in diesen Heimen wohnten, teils seit über 10 Jahren ohne Anerkennung ihrer Universitätsabschlüsse. Einer meiner guten Freunde war ein mauretanischer Mathematiker, der in der Südsahara geboren nie in seinem Leben eine Geburtsurkunde erhalten hatte. In Mauretanien erhielt er als Kind Papiere mit geschätztem Alter, studierte später in Marokko Mathematik, zog nach Tunesien um zu lehren, geriet dort in die politischen Wirrungen rund um das Ben Ali Regime und kam nach Deutschland, weil er die Universitätskultur hier schätzte. Als wir uns kennenlernten, lebte er seit einigen Jahren in einer Geflüchtetenunterkunft zusammen in einer Wohngruppe mit Menschen aus dem mittleren Afrika, die ihm wie ungebildete Deppen vorkamen und ihrerseits vor Krieg und Hunger geflüchtet waren. So lange wir Kontakt hatten, wurden seine Bildungsabschlüsse nie anerkannt, Deutsch brachte er sich in der Bibliothek bei, zu der er morgens immer lief, weil es von der Stadt aus kein Budget für Fahrscheine von der dezentralen Unterkunft am Arsch der Welt aus gab. Mehr als ein Jahrzehnt später wurden Menschen dort wieder abgeladen, um den Rest ihres Lebens zu zittern, ob sie zurück in das Kriegsgebiet müssen, wo evtl. Ex-ISler darauf warten, sich an ihnen zu rächen. Noch einmal fast ein Jahrzehnt später reicht Russland die Annexion der Krim nicht mehr aus und sie starten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Aber diesmal, sowohl im Falle des Angriffskriegs gegen die Ukraine, als auch bei den kommenden Massenfluchtbewegungen, trifft die Gewalt auf bereits verfestigte Social Media Strukturen, in denen neben der üblichen rechten Hetze auch auf linker Seite Tote zu Memes werden. Das führte zum Beispiel dazu, dass sich ganze Twitteraccounts etablierten, mit Videos wie russische SoldatInnen “besonders lustig” in die Luft gesprengt werden. Videos, in denen Geschosse in Panzerinnenräume einschlagen und dort alle InsassInnen in Stücke reißen, Bilder wie Menschen aus brennenden Fahrzeugen klettern oder Schützengräben mit nur einem gezielten Treffer leer gesprengt sind. Auf der anderen Seite die russischen Accounts, die sich darüber freuten, als z.B. in Bucha Bilder von gefesselten und gefolterten, dann getöteten ZivilistInnen die Runde machten. Ein Mann, der gefesselt, misshandelt, ermordet und dann in einen Brunnen gestopft wurde, wurde kurzzeitig zum “Meme”, weil er dabei übergewichtig war. Während die allerdümmsten die Leichenfotos teilten um zu zeigen, dass das alles Fakes sind, die Menschen SchauspielerInnen, zeigten andere User die Fotos rum, um auf die Morde aufmerksam zu machen und einige, weil sie sich über “die getöteten ukrainischen Nazis” freuten.
In letzter Zeit sahen wir diese Dynamik beispielsweise auch rund um das auf dem Weg zu einer Tauchfahrt verunglückte U-Boot. Über eine Woche zuvor waren im Mittelmeer einmal mehr hunderte Menschen durch unterlassene Hilfeleistung der EU getötet wurden. Das war übrigens nicht die erste Geflüchtetenkatastrophe in diesem Jahr und bei weitem nicht die letzte. Erst vor einigen Tagen sind vor Gran Canaria dutzende Menschen gestorben, die in einem Schlauchboot die afrikanische Küste entlang trieben, bis sie es eben nicht mehr taten. Die Social Media Dynamik forderte nun offenbar deutsche NutzerInnen heraus, die toten Pakistanis auf der Flucht vor über 50 Grad Hitze und der kommenden Regensaison, die im letzten Jahr Millionen Menschen obdachlos machte, die auch jetzt noch in Zelten leben müssen, gegen die 5 Menschen im U-Boot auszuspielen. Wir, als EU, als Westen, der in Pakistan zu Centlöhnen produzieren lässt, so dass nahezu alle CO2 Emissionen des Landes unsere sind, aber nicht als unsere angerechnet werden, konsumieren also unbeschwert weiter und lassen die EU an den Grenzen Menschen erschießen, nehmen dann jedoch diese Menschen als moralisches Mahnmal her. Oder haben wir das überhaupt getan oder ging es nicht viel mehr um die gesichtslose Zahl von 500 toten Menschen?
In meiner Timeline las ich, man solle die anderen Reichen auch noch im Meer versenken und überhaupt sollte niemand die Küstenwache losschicken, um Reiche zu retten. Das Problem mit diesem Gedankengang: Der hohe Standard einer viertägigen Suche mit aller Macht und ohne Rücksicht auf die Kosten sollte jedem Menschen zur Verfügung stehen, der auf See verunglückt. Dieser Standard muss auch für die Geflüchteten gelten, nicht andersherum. Sonst sind wir in einer rechten Logik, dass, wenn ich selbst nur ALG2 bekomme, auch dem Migranten nicht mehr zusteht. Und natürlich hätten diese Personen wahrscheinlich gern die Rechnung beglichen, was ihnen aber nicht möglich war, weil sie offenbar durch einen Materialfehler in einer Tiefe von 3.000 Metern implodiert sind. Sie sind Opfer der Firmenpolitik des Ausflugsanbieters, der seine U-Boote in über 5 Jahren keiner einzigen externen Prüfung unterzog. Die Geflüchteten hingegen sind Opfer unseres eigenen Konsums, der die Klimaerwärmung vorantreibt, die dann Pakistan unbewohnbar macht und einer EU-Politik, die wir irgendwann einmal selbst in die Parlamente gewählt haben.
Kommuniziert, und das im großen Stil, wird also: Gesichtslose Tote auf dem Mittelmeer nicht gut, mit Gesicht bekannte tote Touristen in einem U-Boot lustig, toter Steve Irwin der sich einem Rochen zu weit genähert hat fürs Entertainment schlecht, toter junger Missionar der zu den Sentinelesen wollte selbst schuld, getötete russische SoldatInnen superwitzig, getötete syrische SoldatInnen (zb in Rojava) ein Verbrechen. Gewertet wird also, wie es gerade beliebt und ob man selbst zum lustigen Meme wird, wenn man stirbt, ist nicht mehr so ganz klar. Wenn die Art des Todes irgendwie lustig aussah, wird man eventuell zu einem Dauerbrenner in Fail compilations, die in der Regel nicht so recht prüfen, ob die gezeigten Verletzungen tödlich waren oder nicht. Kurzum: Ogrish und Rotten Anfang der 2000er waren ein absoluter Witz gegen die heute auf Social Media geteilten Inhalte.
Eine kleine Auflistung der schlimmsten Posts auf Twitter, an die ich mich erinnere und die so lange online waren, dass sie danach noch wochenlang bequem reuploaded werden konnten:
Videos aus Syrien, in denen IS-Anhänger stolz Köpfe zeigen, die entlang einer Parkanlage aufgespießt sind
Der Livestream des rechtsradikalen Mörders in einer Moschee in Christchurch
Ein Clip wie türkische und russische Söldner in Syrien lachend jesidische Frauen verstümmeln und töten
Ein LKW fährt in Nizza durch eine Menschenmenge
Jugendliche streamen vom Breitscheidplatz wie sie lachend über verblutende, zerquetschte Opfer des Anschlags steigen
Ein Livestream einer Person die sich im Bataclan in den Rängen versteckt während im Zuschauerraum Menschen ermordet werden
Eine Frau auf dem Heimweg von ihrem Nageldesignkurs wird in einem ukrainischen Wohnviertel von einem Panzer erschossen, als sie mit dem Rad um die Ecke biegt
Es gibt keine Opfer
Aber natürlich ist diese Art der Empathielosigkeit und Werteverschiebung nicht exklusiv links und mittig. “Wir” sind nicht die einzigen, die herzlich über den Tod von Menschen lachen können, solange sie reich waren oder doof aussahen. Auch die rechte Seite lacht. Sie feiert beispielsweise, wenn in einer U-Bahn in den USA ein schwarzer Obdachloser von einem weißen Bro erwürgt wird, weil er verhaltensauffällig war. Sie packt Lachemojis an die Artikel über verunglückte Geflüchtete oder wenn irgendwo eine Asylunterkunft brennt. Und zuletzt hat sie sich hervorragend unterhalten gefühlt von jungen Frauen, die gegen Till Lindemann schwere Vorwürfe erheben, die vom unter Drogen setzen bis zur Vergewaltigung im Hotelzimmer reichen. Die Berichte ergeben ein Muster das zumindest darauf hindeutet, dass eine der Täterinnen Erfahrung im Menschenhandel hat und ganz genau weiß, was es braucht, um ein Mädchen von 16, 17 Jahren zu überzeugen, dass es sich um eine sichere Party mit Promis und Glamour handelt, sie dann jedoch abfüllt und in einen abgedunkelten Raum schickt, in dem sie von Securities gehalten wird, bis die ungewollten sexuellen Aktionen fertig durchgeführt sind.
Eigentlich sollte man glauben, die gesamte Gesellschaft müsste sich sofort einig werden, dass hier schnellstens etwas unternommen werden muss. Egal ob die Taten vor 10 Jahren stattfanden oder letzte Woche, niemand sollte dem Künstler, der dieser Verbrechen beschuldigt wird, noch eine Bühne geben. Aber wir sind hier in Deutschland, wo Menschen das N-Wort besonders oft nutzen, nachdem jemand dafür verurteilt wurde, es öffentlich zu gebrauchen und unter Werbung für vegane Lebensmittel posten, dass sie jetzt extra mehr Fleisch essen. Die generelle Reaktion fiel also seeeehr anders aus.
Ich könnte auch diese völlige Empathielosigkeit irgendwie sachlich abhandeln, aber ich möchte an dieser Stelle mal ein wenig persönlicher werden. Ich als Missbrauchsopfer, das relativ offen über die Erfahrungen mit sexueller Gewalt gegen Jugendliche spricht, habe DMs bekommen, in denen mir cis Männer erklärten, dass jedes Opfer von Vergewaltigungen auch selbst schuld hat, denn es ist ja zur Party gegangen, hat einen Drink angenommen, hört die Band. Und da war für mich der Schlussstrich und ich habe Leute, mit denen ich die letzten zehn Jahre ganz gut befreundet war, konsequent ausgeschlossen. Wisst ihr, was den Hauptteil der Therapie nach einem Vergewaltigungstrauma ausmacht? Zu verstehen, dass kein Opfer einer sexuellen Gewalttat je Schuld daran hat, missbraucht zu werden. Es gibt tausend Szenarien, in denen eine Vergewaltigung stattfinden kann, aber alle haben eine Sache gemeinsam: Das Opfer ist irgendwie “hin gegangen”. Das Macht- und körperliche Kraftgefälle zwischen einem Schrank von einem Mann wie Till Lindemann, einem 60 jährigen, dessen Auftritte so körperlich anstrengend sind, dass er schon von Berufs wegen viel Sport treiben muss, und einem 16jährigen Mädchen ist so krass, dass sich wirklich jegliche Abwägung verbietet, wer Schuld daran hat, wenn die Jugendliche vor den Handlungen nicht fliehen kann.
https://www.youtube.com/watch?v=Ub_n0B2gX0s (Abre numa nova janela)Also, wie sah das auf Social Media rund um diesen Fall so aus? Zunächst einmal erhielten alle, die von eigenen Übergriffen berichteten, Morddrohungen, mittlerweile normal in den sozialen Netzwerken. Dann wurde gedoxxt was das Zeug hielt, es wurden also private Daten der Frauen herausgesucht, geteilt, Bilder gesucht auf denen sie aussahen, “als wollten sie es ja”. Dann wurden alle angegriffen, die über die Anschuldigungen berichteten und schließlich beauftragte Lindemann eine Medienrechts-Kanzlei, die besonders gern von mutmaßlichen Vergewaltigern und Rechten gebucht zu werden scheint, damit, alle Social Media Posts, in denen behauptet wird, er habe die Frauen unter Drogen gesetzt um Sex zu haben, abzumahnen. Was das bedeutet, scheint nicht allen sofort klar gewesen zu sein. Er mahnt eben nicht ab, dass er sie vergewaltigt haben soll, er mahnt nicht ab, dass Rammstein mindestens zehn Jahre lang Bereiche im Backstage gehabt haben sollen, in denen sehr junge Frauen wie Prostituierte behandelt wurden, er mahnt nicht ab dass Veranstalter berichten es wurde vor Ort gefragt ob man junge Mädels ranschaffen könne. Er mahnt ausschließlich ab, dass es Drogen brauche um Frauen zu Sex mit ihm zu zwingen. Er mahnt Eitelkeit ab. Er will weiter der große starke Mann sein, der keine Drogen braucht, der auch einfach “ordentlich zupacken” kann.
Dieser völlige Quatsch, dass es keine Vorverurteilung geben dürfe, bis eine Person juristisch verurteilt ist (dann wäre es keine Vorverurteilung mehr), zieht sich nun seit mindestens zehn Jahren durch die Netzwerke. Mag man einen Promi, weil man ihn zweimal im Fernsehen gesehen hat, kann er nicht schuldig sein. Aber anstatt diese dümmste aller Meinungen für sich zu behalten, ist die Dynamik jedes Mal ähnlich. Es gibt keine Opfer, weil Person X nichts verbrochen hat.
https://www.facebook.com/robert.zion.90/posts/10227326393416849 (Abre numa nova janela)Das gute Gefühl von sozialem Beisammensein
Nun besteht aber der Sinn von Social Media daraus, mit anderen Menschen zu interagieren, ohne im gleichen Raum zu sein. Ich habe vor vielen Jahren mal ein langes Essay zu meinem Einstieg in Social Media Anfang der 00er-Jahre geschrieben, vielleicht suche ich das als Extra nächsten Monat mal raus. Darin lobte ich die ersten Versuche sozialer Netzwerke wie Hi5. Es gab mal eine Zeit, da konnte man sich mit einer Person auf der anderen Seite der Erde ernsthaft anfreunden, indem man sie hinzufügte, chattete, sich dann auch mal Post oder Pakete schickte und wenn es gut lief in einem Urlaub mal besuchte. Wenn du heute jemandem sagst, du hast eine Facebookanfrage aus Ghana, Indien, China angenommen und sparst grad auf den Besuch bei der Person, halten dich alle für einen absoluten Trottel. Und sie tun gut daran, denn Facebook hat sich zu einer reinen Gelddruckmaschine entwickelt. Statt dem Knüpfen neuer Kontakte und führen guter Unterhaltungen und Diskussionen, steht heute das Bombardieren mit Content im Vordergrund. Deswegen wird dir auf Facebook die ganze Timeline voll gekleistert mit Instagram-Reels, Gruppenbeiträgen von Gruppen, für die du dich noch nie interessiert hast, Beiträgen von random Personen und natürlich Werbung. Es geht nicht mehr darum, zu kommunizieren, sondern auf möglichst viel Werbung zu klicken und viel Zeit auf der Plattform zu verbringen. Aufregercontent steigert die Interaktionen und natürlich die Zeit, die du auf Facebook oder dem mittlerweile straff rechten Twitter verbringst.
Viele User haben das in 15 Jahren Twitter nicht verstanden und sind selbst jetzt auf Mastodon, wo das keine Rolle mehr spielt, völlig unverständig: Wenn du rechtsextreme Inhalte teilst um “darauf hinzuweisen dass es sie gibt” interagieren Menschen mit dem rechten Account, er wird vom Algorithmus als interessant eingestuft und beispielsweise einem neuen User bei der Anmeldung vorgeschlagen. Als ich meinen Twitteraccount gelöscht hatte, alle Cookies natürlich auch, und auf die Twitter Startseite ging, musste ich feststellen, dass dort nur noch rechtsextreme Inhalte vorgeschlagen werden. AfD-PolitikerInnen, US-Rechte, transphobe Inhalte, Verschwörungstheorien - und groß gemacht haben sie die Linken. Wären die Rechten nur unter sich, gäbe es die Aufregung nicht. Die Accounts müssten für das Engagement bezahlen und beispielsweise Bots “Jawoll!” und “Genau so!” kommentieren lassen. So erhalten sie jedoch auf jeden Post tausende Kommentare, die ihnen widersprechen und steigen so in der Sichtbarkeit. Wer nun diese Dynamik zu Mastodon, wo es den Algorithmus schlicht nicht gibt, zu übertragen versucht und AfD-Posts als Screenshot teilt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
Außerdem gibt es natürlich auf allen Plattformen noch die eigene soziale Filterbubble. Das sind Menschen, mit denen man bereits gemeinsame Kontakte hat, die man hinzufügt und somit den Kreis noch mal um deren Bekannte erweitert usw. Mit der Zeit bilden sich Bubbles, in denen man nicht nur jeden mit Vor-, Nachnamen, Wohnort und Job kennt, sondern sich auch über und mit allen unterhält, als wären es tatsächlich gute FreundInnen, die man öfter sieht. In der Realität sehen wir unsere Bubbleangehörigen, wenn es gut läuft, alle paar Jahre mal in Person. Viele dieser Kontakte bleiben digital. Dass das auch schief gehen kann, haben wir in unserer Facebookbubble dutzende Male gesehen. Leute, die plötzlich zu Stalkern werden, andere die rechts abdriften und viel zu lange toleriert werden, Menschen die ernsthafte psychische Probleme haben aber aus der Bubble keine Hilfe zu erwarten haben. Eigentlich lässt sich die Bubble eher mit einer Schulhofgang vergleichen, wo, wenn einer sich daneben benimmt, er den Zugang zur ganzen Gang verliert und nirgends mehr eingeladen wird. Gleichzeitig toleriert man “verdiente Mitglieder” auch, wenn sie unentschuldbare Scheiße machen. Meine eigene Filterbubble toleriert beispielsweise seit Jahren eine mutmaßliche Vergewaltigerin, der zig Fälle von Missbrauch an einem anderen Bubblemitglied zur Last gelegt werden. Der Überlebende musste sich in Therapie begeben, während die Täterin weiter zu sozialen Events eingeladen wird.
Trotzdem ist es auch 2023 noch möglich, freundschaftliche Kontakte zu knüpfen, auf Mastodon nette Leute kennenzulernen oder unschuldige Memes zu teilen, die weder politisch noch menschenverachtend sind. Es ist nur eben schwieriger geworden, die Inhalte so zu filtern, dass es die eigene Psyche oder in extremen Fällen körperliche Unversehrtheit nicht angreift.
Es gibt keine Sicherheit auf Social Media
Die Rechten haben eigentlich mit nichts je Recht, außer vielleicht mit dieser einen Sache: Es gibt im Internet keine Safespaces - mehr. (Die haben sie ja selbst mit abgeschafft.) 2023 sind Social Media, Foren und Imageboards ein Ort, für den man bereits eine gefestigte Psyche benötigt, um teilnehmen zu können, ohne zu zerbrechen. Es ist völlig unmöglich geworden, missbräuchlichen Inhalten zu entfliehen. Oh, du wolltest gar nicht zwei Wochen lang in jedem zweiten Post in deiner Timeline zum Thema Vergewaltigung retraumatisiert werden, weil deine Traumatherapie das nicht abfedern kann? Naja, schade, wir machen das trotzdem. Du wolltest heute mal keine Leichen- und Kriegsbilder sehen? Warum hast du das Internet dann überhaupt geöffnet? Vermeintlich bedachte Bubbles, in denen ordentliche Content Notes oder Triggerwarnungen vor jeden Post gesetzt werden, setzen diese dann nicht, wenn “es alle sehen sollen”.
Auf Mastodon lief das Feature ganz gut, bis Leute die Content Warnings genutzt haben, um vor Inhalten über Blumen, Bäumen, Insekten, Wasser, Luft, Existenz zu warnen. Nein Gabi, der Post “23.30 und ich hab Hunger” muss nicht hinter einer Warnung zum Thema Essen versteckt werden. Das gesamte Tool wird entwertet, wenn man jeden einzelnen Post routiniert und ohne auf die CN zu gucken ausklappen muss, weil alle alles verbergen. Und dann sieht man eben die CW “Tote Menschen” zu spät und starrt wieder auf ein Bild komplett zerstörter Leichen, ermordeter Kinder oder was an diesem Tag so wichtig war, es mit einem politischen Hottake zu teilen.
Aber genau diese Dynamiken sind es, die uns auch im Alltag völlig abgestumpft zurücklassen. Natürlich dreht sich immer noch jedem normalen Menschen der Magen um, wenn er an einer Unfallstelle vorbei fährt und zerquetschte Körper in einem Autowrack oder unter den Rädern eines Zugs sieht. Das ist die natürliche Reaktion auf diese Bilder. Die unnatürliche und absolut ungesunde sind Memes und extra geteilte Videos und Fotos. Ähnlich mit Diskussionen. Jede*r von uns weiß, wenn ich zu einem Freund hingehe, der mir mal von Vergewaltigungen in seiner Jugend erzählt hat, und sage “Hier wegen der angeblichen Rammstein-Opfer, die sind doch selbst schuld, wer geht denn da extra hin, hat Sex und beschwert sich dann drüber”, dreht sich mein Gegenüber um und das ist dann für lange Zeit das letzte Mal, das ich von dieser Person höre. Aber wenn ich es aufschreibe, poste und dann einfach nie in die Kommentare schaue, geht es. Dann sehe ich die Emotionen des Gegenübers nicht, kann für mich annehmen, dass die Person gerade nicht heulend ausschaltet, die Arbeit liegen lässt und ins Bett geht für den Tag. Denn das machen echte Traumata mit Menschen.
Bestandsaufnahme: Müll
Wenn ich mir 2023 die Optionen ansehe, die wir bei der tatsächlich sozialen Nutzung von Social Media noch haben, muss ich feststellen, viel ist da nicht mehr. Ich spreche bewusst nicht davon, ob es beispielsweise Sinn ergibt, Fotos auf Instagram oder Pixelfed zu teilen. Das ist für mich nicht das, was ein soziales Netzwerk ausmacht. Wenn wir die Plattformen betrachten, auf denen Diskussionen und Diskurs möglich sind, ist Mastodon wohl aktuell die angenehmste. Allerdings sind viele der NutzerInnen so vorbelastet von den letzten Jahren auf Twitter, dass sie die gleichen Dynamiken des Provozierens, Beleidigens und der Grüppchenbildung direkt wieder eingeführt haben. Positiv an Mastodon ist allerdings, dass nun kein Algorithmus mehr eingreift und die KrawallmacherInnen positiver bewertet als die leisen User. Der erste Fehler einiger war, ihre exakte Twitter Timeline mitzunehmen. Probiert es mal aus. Legt euch einen frischen Account an und folgt völlig neuen Leuten. Ich habe festgestellt, die, mit denen man sich früher mal gut verstand, findet man früher oder später wieder. Reine Medienaccounts wie El Hotzo oder Sixtus bleiben draußen, weil sie einem nicht mehr automatisch vorgeschlagen werden.
Was wir auf Mastodon auch dabei sind besser zu machen ist die Inklusion. Ich sehe plötzlich viel mehr Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder anderen Einschränkungen, weil Mastodon nicht schnell und laut ist, Wortfilter zulässt und die Bildbeschreibung kinderleicht gemacht hat. Auch da: Nehmt nicht an, dass eure FollowerInnen die Bildbeschreibung nicht benötigen, packt sie einfach dran. Eine Bildbeschreibung ist kein Ort für Witze oder Gedichte. Das blinde Gegenüber muss über die Beschreibung erfahren können, was auf dem Bild zu “sehen” ist. Wer ein Spruchbild mit der Beschreibung “Spruchbild” teilt, schließt die NutzerIn aus, die dann weder weiß was auf dem Bild steht, noch dieses teilen kann, weil sie eben nicht weiß, was sie da teilt. Ich habe bisher auf Mastodon auch noch keine Witze über Menschen gesehen, die sich weniger intellektuell ausdrücken oder Schreibfehler machen. Das sollten wir beibehalten. Das Bild vom “dummen Nutzer”, der “nicht mal richtig buchstabieren kann”, wenn eine Meinung nicht passt, ist ein zutiefst ableistisches.
Aber was machen wir denn nun mit Facebook? Für mich kann ich nach den letzten Wochen sagen: Erst mal aus lassen. Ich denke, es ist an der Zeit, einzusehen, dass der Entertainmentfaktor hervorragender Gruppen wie “Crap wildlife photography” oder “Wild Green Memes” den psychischen Druck der eigentlichen Inhalte nicht ausgleichen kann. Wo ich früher die Netzwerke für mich erstmal schließen musste, wenn ich zu viel Zeit damit verbrachte, muss ich sie heute schließen, weil ich die Zeit in irgendeiner Beratungshotline rund um psychische Ausnahmesituationen verbringe. Dass Facebook auch vielen der Menschen mit denen ich eigentlich gern Zeit verbringen würde statt das ganze Drumrum einordnen zu müssen, nicht bekommt, zeigt sich an vermehrten stationären Aufenthalten von FreundInnen, hilfesuchenden Posts oder sehr privaten Erzählungen, was die Situation gerade mit einem macht. Das wäre kein Problem, wenn es auch mal wieder aufhören würde, aber unsere aktuelle Lage ist nun einmal die, dass die Welt jeden Tag unangenehmer wird und wir uns alle in einer Doom Spirale mit nach unten ziehen. Ich kann jeden Tag im Nachrichtenverlauf mitverfolgen, wie die Klimaerwärmung die Erde Stück für Stück unbewohnbar macht, oder ich kann es dabei belassen, dass ich das weiß, Bücher dazu gelesen habe und mir nun noch ein paar nette Jahre mache. Ich kann wissen, dass jedes Jahr dutzende neue Missbrauchsfälle durch Promis “denen das niemand zutraut”, aber eigentlich jede*r, ausgeschlachtet werden bis alle heulen, oder ich kann einfach wissen, dass dem so ist und den Betroffenen durch Spenden, Organisation von Events und Austausch helfen.
Foto: "Crap wildlife photography" ist eine hervorragende Facebookgruppe
Ich denke, wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass es irgendwann noch einmal wie 2008 oder 2010 wird. Wir werden keine brandneuen, lebenslangen Freundschaften mehr rein über Facebook oder Twitter knüpfen und wahrscheinlich auch nicht unsere große Liebe auf Instagram kennenlernen. Das System Social Media hat sich überholt, vor allem durch den Druck, die Plattformen ohne Rücksicht auf die NutzerInnen profitabler zu machen. Wenn die eigene Psyche nicht mehr mit den Entwicklungen Schritt hält, wenn jeder Tag an dem man Facebook prüft, ein verlorener für alles andere ist, weil einen die persönlichen und weltweiten Dramen verwirrt, verängstigt, wütend oder traurig zurücklassen, ist es Zeit abzuschalten.
Und dann? Ich habe meine Kontakte immer mal dazu angehalten, dass wir uns einfach Postkarten und Päckchen schicken, in Messengern quatschen oder zusammen was spielen. Der Account kann ja bestehen bleiben. Mein Facebookaccount klingelt nicht an der Haustür, wenn ich mal zwei Wochen nicht da bin, und fordert, dass ich runterkomme, um das “wie Männer zu klären”. Das klappt ganz gut. Es ist zwar nicht immer die perfekte Woche dafür, um zurückzuschreiben, Postkarten auszusuchen oder FreundInnen besuchen zu fahren, was dank 49-Euro-Ticket nun wieder deutlich erschwinglicher geworden ist. Aber alles in allem funktioniert es. Meist stellen wir dann auch fest, dass wir uns ausreichend viel zu erzählen haben, da der Algorithmus eben nicht jedem alle Inhalte seiner FreundInnen anzeigt, sondern irgendwelche Failvideos wichtigen Posts darüber, dass jemand verstorben ist oder geheiratet hat, vorzieht.
Ich denke nicht, dass wir es den Plattformen oder irgendeiner Bubble schuldig sind, eine Balance zwischen Job, Privatleben, Psyche und Internetnutzung zu finden. Es ist unsere Wahl, was wir konsumieren wollen. Dazu gehören neben fast fashion aus Pakistan und linearem Fernsehen, das zur Hälfte aus Werbung besteht, eben auch unsere Social Media Feeds.
"A Follow for a Follow
I'm buried in the feed, it makes my eyes bleed
I'm sorry, not sorry, it's too long, I can't read
You say I shouldn't worry
But you would never know how it feels to worry
Cause you never had a presence online"
(Alex Cameron - Best Life)
https://www.youtube.com/watch?v=Fu5jcgK0wvo (Abre numa nova janela)Du mochtest diesen Beitrag? Ach, das ist ja lieb. Du kannst diesen Newsletter schon ab 3 Euro im Monat abonnieren, oder mich mit einem einmaligen Trinkgeld auf Ko-Fi unterstützen (Abre numa nova janela).