Luxus oder Notwendigkeit?
Über die Frage, ob Kunst ein Privileg oder für manche von uns der einzige Weg ist und Gedanken zum kollektiven Schweigen über beklaute Frauen.
Immer wieder höre ich mich selbst sagen, wie sehr ich den Luxus zu schätzen weiß, mich in dem Ausmaß wie ich es tue, dem Schreiben widmen zu können. Ganz abgesehen von der Tatsache, für so manches getippte Wort auch noch bezahlt zu werden, denn das ist nun wirklich der Gipfel meiner Vorstellungskraft. Vielleicht ist es nicht der „American Dream“, aber für mich geht damit durchaus ein sehr großer, eigentlich der einzige Traum, den ich jemals wirklich ernsthaft hatte, in Erfüllung: von der Kellnerin zur Autorin oder: von der Coffeeshop-Auszubildenden zur Redakteurin. Raus aus der süddeutschen Provinz, rein in die Hauptstadt. Diese Entwicklung war keineswegs selbstverständlich, genauso hätte es auch passieren können, dass ich niemals aus diesem kleinen Ort herausgekommen wäre, weil ich es mir schlichtweg nicht leisten konnte. Doch die Dringlichkeit des Ausbruchs war einfach zu groß und so konnte mir das Naheliegende, einfach dort zu bleiben, nicht ferner liegen. Die einzige Logik, der ich bisher immer gefolgt bin, war mein Bauchgefühl. Wie logisch das ist, sei mal dahingestellt, aber es erweist sich seit jeher als äußerst zuverlässig und brachte mich in mikroskopisch kleinen Schritten nach vorn. Und genau an dieser Stelle herrscht wieder einmal eine wunderbare Gleichzeitigkeit der Dinge. Dass das Schreiben niemals mein Beruf sein könnte und etwas ist, wovon man keinesfalls leben kann, wurde mir schon sehr früh eingeredet, worüber ich bereits in meinem allerersten Beitrag schrieb. Doch diese scheinbare Unmöglichkeit war für mich zugleich immer die einzige Option. Wie unglücklich wäre ich geworden, egal in welche bodenständige oder großartig klingende Karriere ich es irgendwie geschafft hätte, wenn ich nicht schreiben könnte - eine für mich unvorstellbare Situation. Nun stelle ich mir die Frage: Ist das wirklich ein reiner Luxus oder vielleicht derart essenziell für mich, dass ich gar nicht anders handeln kann, als in Richtung Kunst? Das Schreiben ist schließlich ein hartes Pflaster und in der Regel nicht der Weg, der zum höchsten Jahresbruttogehalt oder einer gewissen Sicherheit führt, sondern eher zu Veröffentlichungen, die gerne mal mit „Sichtbarkeit“ statt ein paar Scheinen honoriert werden. Und dennoch ist die Not des Schreibens zumindest in meinem Fall immer größer als die materielle (bis zu einem gewissen Grad, meine Miete zahlen zu können, steht doch noch an erster Stelle, was wohl nicht allzu verwerflich sein sollte).
Ihr dürft mich gerne verurteilen, aber ich bin ein großer „Sex and the City“-Fan und denke an Carrie Bradshaw, als sie einst überspitzt sagte: „Früher kaufte ich mir oft die Vogue, statt etwas zu essen. Ich fand, sie ernährt mich besser.“ Ich würde mir kein Modemagazin kaufen, aber der Gedanke, dass meine Leidenschaft, in welcher Form auch immer, mich sämtliche anderen Bedürfnisse ohne mit der Wimper zu zucken hintenan stellen lässt, klingt für mich völlig logisch und zeugt von ebendieser Notwendigkeit, die sich als Luxus tarnt. Ist es schon wieder eine Form von Kunst, das Leben auf diese Weise zu betrachten und ist es nicht höchst unvernünftig oder engstirnig, alles nach dieser einen Sache auszurichten? Die Romantikerin in mir möchte lieber daran glauben, dass es ein großes Geschenk ist, sich seiner Sache so sicher zu sein und sich ihr voll und ganz hinzugeben. Das erfordert Mut. Ich kann mich nur wiederholen und betonen, dass Schreiben Mut erfordert, obwohl es doch lebensnotwendig für einige von uns ist. Man kann und muss nun selbstverständlich argumentieren, dass man nur auf diesem Pfad wandeln kann, wenn man ausschließlich für sich selbst verantwortlich ist und in einem als sicher bezeichneten Umfeld lebt, so wie ich und ich denke auch die meisten von euch. Für mein Empfinden von einem wirklich glücklichen Leben, ist es absolut notwendig, meiner Leidenschaft nachgehen zu können - ist ein glückliches Leben denn ein Luxus und dürfen wir uns das überhaupt leisten?
Eine weitere große Notwendigkeit in meinem Leben sind Bücher, die es schon gibt. Vor knapp zwei Wochen blickte mich besonders eines beim Besuch in der Bibliothek an: „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöler. Sie schreibt darin, ganz grob gesagt, über Frauen, denen ihr Einfluss auf unsere Geschichte abgesprochen wurde und deren Namen wir entweder gar nicht oder nur als Muse/Ehefrau/Sekretärin von bekannten Männern kennen. Kapitel Drei trägt den Titel: Künstler schreibt man mit er und nur wenig später folgt die Frage: Können Frauen Kunst?
Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten, empfehle das Buch aber wärmstens. Genau diese Kapitelbezeichnungen bringen mich ins Grübeln darüber, wie es eigentlich heute um die feminine Kunst bestellt ist und ob Kunst an sich überhaupt eine Sache des Geschlechts ist. Vielleicht hast auch du schon einmal von der „Firma Brecht“ gehört und davon, dass der bekannte Schriftsteller Bertolt Brecht ganz selbstverständlich auf die Unterstützung mehrerer kreativer Frauen in seinem Umfeld baute. So war es Elisabeth Hauptmann, die ihn 1927 erst auf die „Beggars Opera“ aufmerksam machte und sie ihm aus dem Englischen übersetzte, woraufhin das bis heute erfolgreiche Stück „Die Dreigroschenoper“ auch unter ihrer weiteren Mitwirkung entstand. Der gefeierte Brecht wäre also gar nicht in der Lage gewesen, das Stück zu schreiben, ohne Elisabeth Hauptmanns wachen Blick für erfolgreiche Kunst und ihre Fähigkeiten als Übersetzerin, abgesehen davon, dass sie neben Brecht aktiv an dem Werk arbeitete. Verdiente sie nicht weitaus mehr Ruhm, als ihr zuteilwurde? Oder war ihr das einfach nicht wichtig und es ging ihr allein um den Prozess des Schreibens und Erschaffens? Dies ist nur ein winziger Denkanstoß, den ich aus Leonie Schölers Buch mitnehme.
Ich denke, dass jede:r Künstler:in erfolgreich sein möchte mit seinem Tun, doch selbst wenn der Erfolg ausbleibt: Was sollen wir denn anderes machen, als zu schreiben? Ich wüsste es nicht.
Bis nächste Woche!
Alles Liebe
deine Sarah