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Schall und Schweigen

Rostige Schreibmaschine im Wüstensand

Jeder Krieg, den ich in meinem bewussten Leben mitgemacht habe, wurde irgendwann von klugen Köpfen als „der erste Krieg im neuen Medienzeitalter“ oder etwas Gleichbedeutendes bezeichnet. Im Golfkrieg waren die mit der US Army fahrenden Liveschalten-Korrespondenten im Geländewagen, im Kosovo kam das serbische Fernsehen mit zu Hakenkreuzen formierten deutschen Tornado-Fliegern über Satellit auch in unsere Wohnzimmer. Aus Afghanistan und Irak erreichten uns Quicktime-Filmchen der ersten Digitalkameras, der arabische Frühling schien für einen Wimpernschlag das Versprechen der demokratisierenden Kraft der sozialen Medien einzulösen. Aus der Ukraine bekommen wir TikTok-Livestreams von Mörsereinsätzen und mit Hip-Hop-Beats unterlegte Aufnahmen des Einsatzes von Boden-Luft-Raketen gegen die russischen Angreifer. Und nun haben wir mit der völligen Eskalation der persönlichen Gewalt der Hamas, die zudem noch an vielen Stellen gefilmt wurde, wieder eine neue Ebene erreicht – und die zweite gleich mit: Auf TikTok sammeln sich jetzt nicht nur Videos aus Gaza und Israel, von Demos für beide Landstriche, sondern zuletzt auch häufig Livestreams von Menschen, die ein Elendsdasein in Gaza vortäuschen, um von sympathisierenden Nutzer:innen digitale Geschenke zu erhalten. Kaum vorstellbar, dass die Digitalisierung von Leidensdarstellungen nicht in Zukunft dazu führt, dass jede Menschheitskrise monetarisiert wird.

Immer, wenn der Nahostkonflikt hochkocht, reklamieren beide Seiten (bzw. deren Stellvertreter in Deutschland und vermutlich auch dem Rest der Welt) für sich, nicht adäquat in den Medien repräsentiert zu werden. Während die einen beklagen, dass mit „Vergeltungsschläge“ wertende Sprache in Anlehnung ans antisemitische Klischee der „rachsüchtigen Juden“ verwendet und der fortdauernde Beschuss durch Hamas-Raketen nicht erwähnt werde, sehen die anderen ein publiziertes Meinungskartell philosemitischer Verlegerkreise. Tatsächlich ist befremdlich, dass gerade westliche Medien die Opferzahlen aus dem Gazastreifen, die ja von der Hamas und den von ihr kontrollierten Behörden kommen, weitgehend kritiklos weiterreichen, was zumindest im Fall des angeblichen Krankenhaus-Bombardements kolossal schiefging. Gleichzeitig gibt es aber auch einen massiven Unwillen, sich tatsächlich mit der Situation der nicht-militanten palästinensischen Bevölkerung vor Ort und auch in Deutschland auseinanderzusetzen.

Dass so wenig mit statt über Palästinenser:innen gesprochen wird, hat vermutlich mit einem merkwürdigen medialen Automatismus zu tun: Wer durch sich selbst oder andere in eine Opferrolle gesetzt wird, muss keine kritischen Nachfragen erwarten. Dabei wäre es auch für deutsche Medien durchaus möglich, Menschen auf Demos zunächst ihre Angst um Verwandte im Gazastreifen ausdrücken zu lassen, und sie im Anschluss zu fragen, wie sie sich „From the river to the sea“ ohne einen Genozid an der dortigen jüdischen Bevölkerung vorstellen. Wirklich. Genau wie man Fürsprecher der israelischen Militäroperationen fragen kann, ob Strom und Wasser nun wirklich zu den Dingen gehören, mit denen man die Hamas am ehesten am Schlafittchen zu fassen bekommt und deren Gegner, warum unter den „anti-imperialistischen Linken“ die Grenze zwischen Gaza und Ägypten zu den bestgehütetsten Streifen Land der Welt zählt.

Gleichzeitig muss natürlich auch nicht alles gesendet werden. Die deutsche Mediengeschichte des Nahostkonflikts ist eine Geschichte von Sätzen, die niemals hätten gedrückt werden sollen. Dafür müssen wir nicht mal nach „Sieg! Dajan – Der Rommel Israels“ suchen, einer BILD-Schlagzeile, die seit 50 Jahren durch die Literatur geistert, deren faktische Existenz ich bislang trotz langer Suche aber nicht belegen konnte. Falls hier jemand die BILD-Ausgaben von Juni 1967 vollständig im Keller hat, ich wäre sehr daran interessiert. Wir müssen auch nicht allzu lang auf dem Spiegel-Titel „Israels Blitzkrieg“ herumdenken: Allzu offensichtlich ist, dass die, die damals schrieben, ihre militärische Sozialisation von Wehrmacht und Hitlerjugend bekommen hatten, und ihre Bewunderung für die Kriegsfähigkeit des Judenstaates nur mit der Sprache derer ausdrücken konnten, die kaum mehr als 20 Jahre vorher noch alle Juden hatten vergasen wollen.

Eine sprachlich überaus talentierte Kolumnistin sah das damals anders, als sie den Konflikt ausschließlich durch die Brille der zwei Pole West und Ost, Kapitalismus und Kommunismus sah:

„BILD gewann im Sinai endlich, nach 25 Jahren, doch noch die Schlacht um Stalingrad. [...] Der Einmarsch in Jerusalem wurde als Vorwegnahme einer Parade durchs Brandenburger Tor begrüßt, [...] die neue deutsche Faschismus hat aus den alten Fehlern gelernt, nicht gegen - mit den Juden führt Antikommunismus zum Sieg.“

Wer da schrieb, war Ulrike Meinhof, in der „konkret“, und auch wenn große Teile der Linken ihr eben nicht in den terroristischen Untergrund folgten, legte sie doch den Grundstein für seitdem vergangene 56 Jahre linker Israel-Antipathie, die sich nicht aus, sondern gegen die deutsche Vergangenheit begründen wollte: „Nie wieder“ als „Jetzt erst recht“.

Aber auf der anderen Seite gab es ebensolche Ausfälle, und nicht nur bei Springer und den bezahlten Schreiber:innen. Der Spiegel gönnte sich ja viele Jahrzehnte lang den Luxus, seine Leserbriefe ganz vorne, direkt hinter dem Inhaltsverzeichnis, abzudrucken – so konnten seine geneigten Leser sich der Illusion hingeben, irgendetwas von inhaltlicher oder stilistischer Güte eingesendet zu haben. Und der Spiegel füllte seine Seiten mit der ganzen Bandbreite der Meinungen, die heute auf Twi… X lesbar wären:

Wenn es zum Krieg kommt zwischen den Arabern und Israel, werden wir ja sehen, wer die Juden besser ermorden kann - die mohammedanisch erzogenen Araber oder die christlich erzogenen Deutschen

Kiel, Franz Denner

Und, als wäre das nicht genug gewesen:

Zu meiner Überraschung las ich, daß sich 70 bis 80 Freiwillige für Israel im Kampf gegen die ehrenhafte Arabische Liga gemeldet haben. Ich selbst würde mich gern bei einer geeigneten Meldestelle für Nasser melden. Bekanntlich ist Israel schon seit dem Altertum Weltunruheherd Nummer eins. Die Pestbeule muß aufgeschnitten werden, sie ist längst reif. Somit rufe ich Nasser und meinen Gesinnungsfreunden als Kampfparole zu: "Macht kurzen Prozeß."

Siegen (West.), Klaus Seibel

Nur, falls mal wieder jemand, zum Beispiel die Gründerin einer neuen Partei, sich über die Einengung der Meinungskorridore beklagt.

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