Negativspiralen
Nicht nur Deutschland hat gerade ein sehr grundlegendes Problem: Viele Länder der "westlichen Welt", insbesondere in Europa, sind in einer gefühlten Negativspirale gelandet. Zwischen dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Nachwirkungen der bisherigen Corona-Krisen, alles verklebender dysfunktionaler Bürokratie, entscheidungsunfähigen politischen Eliten, hohen Zinsen, beschleunigter Umverteilung von unten nach oben und den spürbar werdenden Klimafolgen gibt es kaum Raum für Optimismus.
In so einer Stimmungslage werden dann selbst eigentlich unterhaltsame Kleinigkeiten, wie der fortgesetzten Unfähigkeit der Flugbereitschaft der Bundesregierung zuverlässig um die Welt zu fliegen, zu Symbolen des allgemeinen gefühlten Niedergangs. Es gibt aber auch objektiv wenig Grund zu Optimismus. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die gern zitierten statistisch positiven Auswirkungen der Globalisierung eher sehr ungleich verteilt sind und sich in den wenigen Ländern konzentrieren, die eine erfolgreiche Industrialisierung geschafft haben. (Abre numa nova janela)
Die Implikationen dieser Erkenntnis sind leider eher unschön. Zum einen wird das Argument, dass ein Ende des Wachstums um das Klima perspektivisch irgendwie in langfristig in den Griff zu bekommen, nicht zwangsläufig zu Verarmung führen wird, sehr wackelig. Zum anderen wird mehr und mehr klar, dass der Weg aus der Multikrise doch eher aussehen muss, wie der US-amerikanische "Inflation Reduction Act", ein Programm der schuldenfinanzierten Re-Industrialisierung mit "nachhaltigen" bzw. "ökologischen" Zielsetzungen. Also beschleunigtes Wachstum, ein letzter Fossilenergie-Sprint, mit dem Ziel, unsere Infrastrukturen schneller umgebaut zu bekommen als unsere Lebensgrundlagen kaputtgehen.
Die Idee, dass wir durch Abbremsen den Planeten sich selber heilen lassen könnten ist praktisch tot, gescheitert an den politischen und sozio-ökonomischen Realitäten. Der einzige sichtbare Weg nach vorn ist, dass wir globale Verantwortung für das aktive Management des Ökosystems Erde übernehmen (inklusive Geoengineering und Gentechnik), damit leben, dass dabei zwangsläufig eine Menge opferreicher Fehler gemacht werden und die Ungewissheit hinnehmen, ob dieser Weg am Ende erfolgreich sein wird.
Dummerweise ist eine solche Strategie in demokratischen Gesellschaften nur mit einer kohärenten Vision möglich, die erklärbar, vermittelbar und mitreissend ist. Der dazu erforderliche Klartext und die Demonstration von Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ist gerade nicht in Sicht. Die Realitäten der strategischen Korruption der Politik durch Partikularinteressen, das Beharrungsvermögen der etablierten Machtblöcke und die (nicht unberechtigte) Angst vor einer Machtübernahme durch xenophobe, autoritäre Kräfte führen zu einer Paralyse. Leider genau in dem historischen Moment, in dem es vielleicht noch möglich wäre, einen besseren Realitätsabzweig zu beschreiten.
Der Ausbruch aus Negativspiralen geling nur selten und wird oft auch erst in der geschichtlichen Rückschau als solcher erkennbar. Die nötige Voraussetzung ist aber eine radikale Konzeptänderung, ein echter Paradigmenwechsel und das Durchbrechen der Hoffnungslosigkeit und des Zynismus. Meistens ist dafür eine Zäsur erforderlich, die weiter Durchwursteln unmöglich macht. Leider sind diese Zäsuren typischerweise eher massive Kalamitäten mit vielen Opfern. Ich hoffe wir schaffen es dieses mal ohne das.