Und dann wird's ganz schnell gehen - 09.01.2023
Es fühlt sich an, wie der Anfang einer Reise.
Über zehn Jahre lang war ich Reporter und gefühlt habe ich immer über Menschen im Protest geschrieben:
Revolutionäre in Ägypten, Libyen, Syrien.
No Border-Aktivist:innen, die auf dem Mittelmeer Menschen retteten.
Antifa-Mitglieder in Ostdeutschland.
Überall auf der Welt habe ich Menschen getroffen, die sich gegen das System stellten. Eine Freundin sagte kürzlich zu mir: „Du fandest Aktivist:innen schon immer cooler als Journalist:innen.“ Aber trotzdem blieb ich meist am Rand.
Radikale Inhalte in Redaktionen wie dem SPIEGEL oder der ZEIT unterbringen – das war es, was ich versuchte. Und es machte ja auch Sinn, schließlich sind Medien eines der entscheidenden Schlachtfelder. Aber manchmal, denke ich, fehlte mir auch einfach der Mut, um für meine eigene Wahrheit einzustehen.
Wenn ich bei einer Demo der Fridays oder gegen die AfD mitlief, war ich vor allem auch als Beobachter da. Letztlich heißt das ja aber nichts anderes, als: Ich glaubte daran, dass unsere gesellschaftlichen Mechanismen zur Problembewältigung noch funktionierten. Durch die Klimakrise habe ich diesen Glauben verloren.
Die Grünen erlauben RWE gerade auf Grundlage von gefälschten Zahlen Lützerath abzubaggern, die darunter liegende 280 Millionen Tonnen Kohle zu verfeuern, damit seine Aktionäre noch reicher zu machen, und uns alle über die 1,5 Grad-Grenze zu kicken – und das ist nur das aktuellste Beispiel. Gerechtigkeit für die Opfer der Klimakrise im Globalen Süden herstellen, oder gar die Schuldigen auf die Anklagebank bringen? Ich glaube nicht mehr, dass ein weiterer Artikel in einer Zeitung das bewirken wird.
Das Klima hat Kipppunkte. Maja Göpel sagt: Um sie zu vermeiden, müssen wir gesellschaftliche Kipppunkte erreichen. Ich hatte gerade meinen ganz eigenen – am Donnerstag habe ich das Team gewechselt: Ich mache jetzt mit bei der Letzten Generation. (Ausführlich habe ich hier (Abre numa nova janela) erzählt, warum ich glaube, dass das Mediensystem kaputt und Disruption nötig ist)
Ich habe monatelang über diese Entscheidung nachgedacht, mich mit der Gründer:innen der Gruppe getroffen, mit Kolleg:innen und Freund:innen ausgetauscht. Oft kam die Frage: Ist das strategisch klug? Ist das wirklich dein größter Hebel?
© RONJA RØVARDOTTER (Abre numa nova janela)
Ich weiß es nicht. Doch zwei philosophische Denkschulen haben mir geholfen, die Entscheidung zu treffen: deontologische Ethik und konsequentionalistische Ethik. Die erste geht davon aus, dass eine Handlung richtig ist, wenn sie, ja, richtig ist. Zum Beispiel einem Menschen in Not die Hand reichen, auch, wenn der Typ sich später als Arschloch rausstellt.
Die zweite bewertet eine Handlung als gut, wenn ihre Ziele gut sind. Das rechtfertigt zum Beispiel eine Lüge, wenn damit viele andere Lügen vermieden werden, aber ich habe schon so lange den Eindruck, dass wir in einer so komplexen Welt leben, dass wir die Konsequenzen unseres Tuns nicht mehr absehen können.
Gibt man einem Obdachlosen Geld, kauft er sich davon vielleicht Wodka, rennt besoffen vor ein Auto. Ja, vielleicht. Und trotzdem wäre der Akt des Helfens richtig gewesen. Weil, vielleicht hätte er sich ja auch eine Falafel gekauft – das ist außerhalb meines Einflusses, so wie es außerhalb meines Einflusses ist, was die Leser:innen meiner Bücher und Artikel für Schlüsse ziehen, ja, was Du mit diesem Text machst.
Das Gegenteil, die Tat mit dem guten Vorsatz rechtfertigen, die Mittel mit dem Zweck heiligen, empfinde ich oftmals als einen zutiefst patriarchalen Reflex: Es überschätzt himmelhoch die eigene Kompetenz und zeigt gleichzeitig diese Tendenz alles immer kontrollieren zu wollen. Loslassen, vertrauen, sich selbst eingestehen: I don’t know shit, ich bin auch nur ein kleiner Wurm auf diesem Planeten, in diesem riesigen Universum – das zuzugeben, ist weit mutiger und ehrlicher.
Doch auch, wenn ich nicht weiß, was die Konsequenzen meines Handelns sind, kann ich natürlich richtig handeln. Ich kann sagen: Ich mache nicht mehr mit in dem System, das unseren Planeten zerstört, ich stelle mich dagegen, ich unterbreche seinen normalen Lauf. Und das fühlt sich richtig an. Es fühlt sich an, wie eine Befreiung. Keine faulen Kompromisse mehr. Keine Rechtfertigungen. Kein Aufschub. Und mehr noch: Mein Handeln macht auf ein mal wieder Spaß, weil ich dazu stehen kann, und was man ja oft vergisst: Anderen zu helfen, ist ja erstmal ein schönes Gefühl.
Was mich überrascht: Seit ich die Entscheidung getroffen habe, kommt Unterstützung aus tausend Richtungen: Freund:innen schicken Nachrichten, gespickt mit flammenden Herzen. Redakteur:innen, von denen ich dachte, sie fänden meinen Wechsel super scheisse, wünschen mir alles Gute. Die Chefs großer Magazine – Menschen, die ich bisher nicht kannte – schreiben mir plötzlich, dass ich mich melden soll, wenn wir Unterstützung brauchen.
Und viele sagen: Überrascht mich jetzt ehrlich gesagt nicht, dass du das machst.
Ich hatte Schiss vor dieser Entscheidung. Habe ewig gezögert. Jetzt geht es auf ein mal alles ganz einfach. Und ich merke, da ist dieser Anteil in mir, der möchte diese Erfahrung gerne auf unsere Gesellschaft projizieren:
Jetzt können wir uns noch nicht vorstellen, dass sie sich mal ändert. Aber wenn es dann passiert, ist es vielleicht ganz leicht und beflügelnd.