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'23 – Es reicht - 01.01.2023

Ok, Doomer. Du gehst mir auf den Sack. Es ist so einfach, vom Zusammenbruch zu quatschen. Nimm dir ein paar Klimaprognosen, lies sie in einem Moment, in dem es dir nicht gut geht, klaub ein paar Horrornachrichten zusammen, und dazu ein bisschen Netflix: Da hast du deine Apokalypse.

Ich hab das auch gemacht, mein erster Klima-Essay war genau das. Die Fridays haben ihn damals retweetet, bis heute höre ich von Leuten, die er wachgerüttelt hat, die sich jetzt wegen dieses Texts engagieren. Aber eigentlich ist es nur stinkfaul, sowas in die Welt zu setzen. Man nimmt, was man schon um sich rum wahrnimmt und extrapoliert es in die Zukunft. Das ist auch deshalb bequem, weil man dann im Zweifelsfall sagen kann:

“Es lässt sich eh nichts mehr machen, also muss ich jetzt auch nichts ändern!”

Und später dann:

“Ich hab’s immer gewusst!”

An den meisten Tagen glaube ich auch nicht, dass wir aus der Nummer noch heile rauskommen, auch weil niemand um mich rum mehr daran glaubt. Faszinierend, wie nonchalant sich alle in den vergangenen Wochen von der 1,5 Grad-Grenze verabschiedet haben. Jahrelang galt sie als Brandmauer. Plötzlich sagen alle: ist nicht mehr.

Ja, das heißt, wir haben noch weniger Zeit, bevor uns die Kaskade der Kipppunkte in eine Heißzeit katapultiert. Aber wir sind auch viel weiter, als noch vor Gretas erstem Schulstreik.

Ich werde jetzt hier nicht so eine Aufzählung machen, was im letzten Jahr gut war. Mit Spiegelstrichen einen Damm bauen gegen die allgegenwärtige Flut der schlechten Nachrichten. Albern. Aber alles liegt bereit.

© RONJA RØVARDOTTER (Abre numa nova janela)

Dabei werden es sicherlich nicht nur die Techno-Fixes der Arschlöcher aus Silicon Valley sein. Aber ich glaube auch nicht, dass wir alle als Jäger und Sammler leben sollten. Vielleicht wird die indische Regierung irgendwann zu Geoengeneering greifen, wie Kim Stanley Robinson das erzählt. Vielleicht werden in Deutschland wieder mehr Menschen in systemrelevanten Berufen arbeiten, also permakultureller Landwirtschaft. Wahrscheinlich ist die Lösung eine Mischung aus beidem. Muddling through.

Yes, und klar, es ist viel, viel einfacher einzureissen, als aufzubauen. Unsere Kultur hat das ja zur Königsdisziplin erhoben. Aber was war dieses Land vor 75 Jahren? Trümmer, Ruinen, Trauma und Faschismus. Heute fährt jeder Idiot einen Benz und wir haben eine ganz vernünftige repräsentative Demokratie.

Ich denke immer: Wenn wir aufhören würden mit der Überproduktion von Plastikspielzeug, Q10-Anti-Aging Nachtcreme und Privatjets stattdessen anfangen würden, unsere Mitwelt zu heilen, shit, wir lebten doch ruckzuck wieder im Paradies.

Und ich bin’s dabei so satt zu hören: Die Physik verhandelt nicht. Natürlich tut sie das. Verhandlungen sind nichts anderes, als zwei Kräfte, die wirken. Wenn ich in die Luft hüpfe, dann verhandele ich kurz mit der Schwerkraft. Wenn ich Sonnenlicht in Strom umwandele, dann verhandele ich mit dem Energiekreislauf. Wenn ich massenhaft Kohle in der Erde verbuddele, Wasserkreisläufe renaturiere, Basalt verwittern lasse, dann verhandele ich mit dem globalen Klimasystem.

In die Zukunft zu blicken und nicht nur Dunkelheit zu sehen, ist nicht einfach. Sich etwas Neues vorzustellen, ist fucking schwierig. Aber es konnte sich auch niemand vorstellen, dass Obama Präsident der Sklavenhändlernation USA wird, Männer in Deutschland ihre Ehefrauen nicht mehr straffrei vergewaltigen dürfen, Europa im Frieden vereint ist.

Und wenn ich mir einen Moment nehme, kann ich mir das sehr wohl alles vorstellen: Eine Gesellschaft, die nicht auf Individualismus und Konkurrenz basiert, sondern auf Trust and Care. Eine Demokratie, die nicht repräsentativ ist, sondern direkter. Eine Wirtschaft, die nicht auf Extraktivismus sondern auf Kreisläufen basiert.

Egal, wo ich hinkomme, ob ich auf Bühnen, am Weihnachtstisch oder mit Leser:innen spreche, mit Sozialdemokrat:innen, Nachbar:innen, meinem grantelnten Schwiegervater: so viele haben’s kapiert, so viele sind ready für Wandel. Aber wenn’s keiner macht, passiert’s auch nicht.

Ich habe mich deshalb entschieden: 2023 glaube ich daran, dass es möglich ist, die Klimakrise aufzuhalten und mehr noch sogar eine schönere Welt zu schaffen – und ich werde alles dafür tun, dass das Wirklichkeit wird.

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