"If you are free, then you need to free someone else..."
Thema dieses Newsletters sind zum einen vereinzelte Nachrichtenartikel, über die ich via Google Alert für Queermed gestoßen bin und meine bisherige Erfahrung mit dem "Pride Month" und Queermed als gemeinnütziges Unternehmen.
Ich hoffe es geht euch gut und wenn nicht, ist es auch ok (ihr merkt vielleicht die Anspielung auf den Drinnies-Podcast von Giulia Becker und Chris Sommer (Abre numa nova janela). Ansonsten empfehle ich euch (aus privater Meinung) herzlich den Drinnie Podcast. Er hebt vor allen an grauen Tagen die Stimmung.
In diesem Sinne, fangen wir von vorne an. Setzt euch gemütlich hin, es ist wieder einmal viel passiert.:
Bei den besagten Nachrichtenartikeln, meistens Zeitungen aus eher ländlicheren/kleinstädtischen Regionen, wurde Queermed als ganz besonderes Verzeichnis genannt, in dem nur wenige Praxen landen. An sich, gemessen an den aktuell etwa 900 Empfehlungen auf Queermed im Vergleich zu etwa 416.000 in Deutschland zugelassenen Ärzt*innen (Abre numa nova janela) und etwa 31.000 Psychologische Psychotherapeut*innen (Abre numa nova janela) ist das erschreckend wenig. In den besagten Zeitungen klingt das dann etwa so: "In ganz XYZ-Random Kleinstadt gibt es nur eine einzige Empfehlung auf Queermed Deutschland. Wir haben mit Dr. Mustermensch gesprochen, wie fühlen sie sich damit dort gelistet zu sein?" Meistens ging es dann eher um die Praxen und die ärztliche Versorgung vor Ort.Letzteres ein häufiges Thema außerhalb der Großstädte und Metropolregionen. Was so oder so ein großes Problem für viele Menschen ist. Aber kein Thema für hier und jetzt.
Stutzig gemacht hatte mich aber, wie über Queermed geschrieben wurde. Nicht in einem negativen Ton. Aber es war eine Erwähnung wert und auch die Tatsache, dass ein solches Verzeichnis existiert, ist für viele, vermutlich aus heteronormativen Kreisen, eine Besonderheit. Weil es natürlich, privilegiert wie viele sind, als erst einmal nicht notwendig betrachtet wird. "Wozu braucht man sowas?" War und ist immer noch die häufigste Frage. Dabei gibt es tagtäglich so viele Berichte über Rassismus oder Queerfeindlichkeit. Unsere Medien sind voll von Fatshaming. Warum sollte das Gesundheitswesen davon isoliert sein?
Aber dennoch, die Erwähnung und Hervorhebung: Das ist etwas, was mich sprachlos in dem Sinne macht, dass ich nicht erwartet hatte, welchen Eindruck es hinterlassen kann. Klar sollte Queermed Safer Spaces für Menschen aufzeigen, die Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen gemacht haben bzw. immer noch machen müssen. Aber die anderen Menschen, die die meist die Privilegien haben. Über deren Blickwinkel habe ich nicht in der Tiefe nachgedacht. Natürlich hilft es mir, Queermed von anderen Perspektiven zu durchleuchten. Aber dennoch steigt für mich die Verantwortung, auf die Bedürfnisse der Menschen zu achten, die Queermed aktiv nutzen möchten und nicht auf diejenigen, die drum herumstehen. Denn die Privilegierten erhalten immer noch zu viel Aufmerksamkeit.
Und natürlich muss mir klar sein, dass sich die Behandler*innen häufen werden, die damit fast schon prahlen , dass sie auf Queermed sind. Bei einzelnen Praxen, aber auch zuletzt in einem direkten Austausch ist mir das aufgefallen. Eine Praxis, die an einem queeren Festival mit einem Stand teilnehmen wollte, hatte auch um Erlaubnis gefragt, ob sie damit vor Ort werben dürften "von Queermed verifiziert zu sein".
Ich sehe diesen Akt von Verifizierung bei vielen Orten. Unternehmen werben mit unterschiedlichen Siegeln, Praxen damit auch. Ähnlich wie mit Preisen. Es ist eine Bewertung einer spezifischen Gruppe nach einem eigens erstellen Maß über etwas. Aber wie können diese Verifizierungen etwas garantieren? Klar, es gibt bestimmte Standards wie die DSGVO oder ganz banal DIN-Normen. Diese gibt es zur Sicherheit der Menschen, die in Berührung mit einem Produkt oder einem Unternehmen kommen und sind festgelegt worden.
Aber Queermed in eine ähnliche Richtung stellen? Ich denke nach den Kriterien wäre Queermed weit davon entfernt. Ansonsten können Bewertungen, Zertifizierungen und Preise in unterschiedlichem Ausmaß sehr biased. Was natürlich ist, weil wir auch Menschen sind. Und manche kümmern sich mehr darum, bestimmte Zertifikate oder Preise auf ihren Webseiten zu präsentieren als andere. Oder ein ganz plumpes Gegenbeispiel: Regenbogensticker an Eingängen: Wofür stehen sie am Ende? Dass ich im Supermarkt nicht misgendert werde? Dass ich vor einem queerfeindlichen Kommentar vom Praxispersonal sicher bin? Es bietet zu viele falsche Sicherheiten. Und zu viel falschen Stolz für Symbole, die ihre Bedeutung verlieren.
Und was bringt am Ende diese Sichtbarkeit? Eine gute PR, das mag sein. Spenden, sicherlich. Und was kommt ganz unten an? Who knows.
Das Verzeichnis und die Idee hinter Queermed ist, Menschen Hoffnung zu geben, ihnen den Respekt, den sie im Alltag verdienen, auch wenigsens nur ansatzweise zurück zu geben. Weil wir alle in diesem patriachalen, queerfeindlichen, misogynen, armutsfeindlichen System leben. Und das System wird sich nicht ändern. Auch nicht, wenn alle auf einmal im Pride Month Regenbogenflaggen halten. Was mich zum nächsten großen Thema bringt.
Queermed als Trophäe
Nachdem Queermed zu Jahresanfang den Status der Gemeinnützigkeit erhalten hat, wusste ich, dass sich einiges ändern wird. Zum Positiven, in der Hoffnung, dass Queermed nun stabiler auf eigenen Beinen stehen könnte als in Abhängigkeit zu meinem privaten Bankkonto.
Es ist toll, dass so viele Menschen Queermed unterstützen möchten und können, vor allem zur Zeit der Inflation und weil es viele Organisationen und Menschen gibt, die auf private Unterstützung angewiesen sind.
Meine bisherige Beratung mit einem ortsansässigen House of Resources war bisher auch weniger erfolgreich. Zum einen kann nicht die regelmäßige Arbeit unterstützt werden, gleichzeitig scheinen nur wenige Fördergelder tatsächlich auch für gemeinnützige UGs zur Verfügung zu stehen. Letzteres eine Information, die mir so nicht bekannt war. Warum dann aber wieder gemeinnützige GmbHs wieder vergleichsweise mehr Fördertöpfe anfragen könnten, entfernt sich mir jeglicher Logik.
Zum Glück konnte ich durch einige Einladungen zu Vorträgen und Panels die Möglichkeit nutzen, Honorare zu verlangen. Dazu gibt es auch eine Infoseite, wo ich bisherige Einladungen erwähne (Abre numa nova janela).
Aber es kam auch der Pride Month dazu.
Bereits im Mai hatte ich einen Anruf erhalten für eine Möglichkeit, beim Berliner Pride dabei sein zu können. Mit einer Influencer*innenveranstaltung und eigenem Wagen. Alles hörte sich in dem ersten Augenblick vielversprechend an, jedoch sagte mir mein Bauchgefühl, dass da etwas nicht stimmte. Dass nicht einmal die Spendensumme offen genannt worden ist und ich vorerst Reise- und Übernachtungskosten während des Pride tragen sollte, fand ich schon heftig. Auch überrascht war ich, mit welchem Unverständnis ich getroffen wurde als ich sagte, mir wäre das alles zu unsicher. Wobei ich mir einfach gerne mehr Informationen und Zusicherungen gewünscht hätte. Zumal ich gemeinnützig tätigt bin.
Monate später, als sich die Firma für eine andere Organisation entschieden hat, war ich sehr froh, auf mein Bauchgefühl gehört zu haben. Es war tatsächlich nahezu nur das Firmenlogo zu sehen. Auf dem Truck als auch während der Veranstaltung. Ich möchte nicht, dass Queermed eine Art Trophäe wird, mit dem sich Unternehmen durch ihre Spenden brillieren können. Zumal es klar ist, dass Unternehmen solche Spenden wie Privatpersonen von der Steuer absetzen können.
Eine ähnlich erfolglose Kooperation hatte sich mit einem anderen Unternehmen angebahnt. Erst einmal wirkte alles deutlich offener und transparenter als zuvor. Es sollte T-Shirts geben und die Einnahmen, im unteren fünfstelligen Bereich, sollten an Queermed gehen. Dazu eine langjährige Zusammenarbeit auf Social Media. Dabei hatte ich bereits zu Beginn kommuniziert, dass ich nicht mit zu kurzen Deadlines arbeiten kann, da ich auch noch eine Lohnarbeit habe.
Nachdem sich dann das Unternehmen "für Queermed entschieden hat", ging es eigentlich mit den Red Flags los. Zuerst sollte ich "ASAP alle möglichen Informationen" zu Queermed und mir liefern für einen Vorstellungspost. Weniger als 40 Stunden Zeit hätte ich dafür. Auch sollte ich meine Vorstellungen zu dem T-Shirt teilen.
Nachdem dies alles getan war, begann das große Schweigen. Erst hörte ich gar nichts mehr von der Ansprechperson, bis ich selbst wieder Kontakt aufgenommen habe. Und dann fing auch das Ende von der Kooperation an:
Mir wurde mitgeteilt, dass das T-Shirt doch erst nächstes Jahr irgendwann rauskommen wird und wir bis dahin ja schon weiterhin zusammen arbeiten könnten. Von mir kam die Frage, ob jetzt von mir und Queermed erwartet wird, dass eine gemeinnützige Organisation kostenfrei Content zu produzieren für eine Aktion, wo es zwar eine schriftliche Zusage gab, aber nur von einer Ansprechperson im Werkstudierendenverhältnis (also keine Person, die normalerweise Budgets verwalten darf).
Was kam, war absolutes Gaslighting. Wie undankbar ich wäre und was ich denn von ihnen halten würde und dass mein Misstrauen kein gutes Fundament für diese Zusammenarbeit wäre. Und für mich wieder ein Zeichen, dass mein Bauchgefühl richtig war.
No Money no strings?
Natürlich ärger ich mich total, dass ich Queermed die theoretischen Chancen genommen habe, sehr viel finanzielle Unterstützung zu erhalten.
Aber wie ich bereits weiter oben sagte: Auf Queermed liegt sehr viel Verantwortung. Unter dem Bewusstsein, dass Rainbow-washing uns nicht weiterhelfen wird, denn wir brauchen tiefgreifende Veränderungen. Systematische Veränderungen. Und ich bezweifle auch, dass das nicht hinterfragte annehmen von Geldern nur für den eigenen Vorteil auch nicht langfristig weiterhelfen.
Tony Morrison hat mal gesagt: "If you are free, then you need to free someone else. If you have some power, then your job is to empower someone else."
Deshalb bin ich froh für jede einzelne Person, die hier über Steady unterstützt. Über jede Spende, die kommt und jede Firmenkooperation, die nicht darauf fußt, ein kapitalistisch orientiertes Unternehmen einen weiteren Vorteil zu bringen. Denn damit gebt ihr ein bisschen Möglichkeiten ab, damit Queermed weiterhin unabhängig und zielgerichtet für die Communities arbeiten kann, die weiterhin diskriminierungssensible Orte brauchen.
Danke.