Warum sich Merz für Cannabis interessiert
Wie ihr vermutlich schon mitbekommen habt, sind wir zurück in der Ära der “Einstiegsdroge”. Merz’ übergroßes Interesse am Wohl junger Menschen kann ihn zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen lassen, als Cannabisgebrauchende wieder der Strafverfolgung und Justiz zu überreichen. Minderjährigen die Polizei wieder in den Nacken zu setzen, so fürsorglich. Dass außerdem seine Aussagen zur Kriminalität vollkommen an den Haaren vorbeigezogen sind, scheint auch nicht zu stören. Es ist so lächerlich, wie es weh tut. Der Hanfverband bemüht sich um Richtigstellung (Abre numa nova janela). Darüber hinaus gab es Kritik von der Neuen Richtervereinigung (Abre numa nova janela); unter anderem solle der Justiz die gewonnene Entlastung nicht wieder genommen werden.
Das drogen- und suchtpolitische (Nicht-)Programm der CDU/CSU – und AfD
Diese Woche haben wir bei der My Brain My Choice Initiative die Auswertung zu unserem großen drogen- und suchtpolitischen Parteienüberblick (Abre numa nova janela) veröffentlicht. Dafür habe ich auch die Programme von CDU/CSU und AfD zusammengefasst. Was sich zeigt: Sie sind fast deckungsgleich.
Helft mit eurer Stimme bitte, am Sonntag eine Partei zu stärken (Abre numa nova janela), die dem Vorhaben entgegenstehen wird. Die Re-Kriminalisierung könnten sie Seit and Seit durchsetzen, wenn sie zusammen eine Mehrheit der Sitze im Parlament erreichen!
Ist der CDU/CSU das Thema wichtig genug, um wieder gemeinsame Sache mit der AfD zu machen? Ich glaube ja. Unter den Graphiken folgt meine Erklärung.
.png?auto=compress&w=800&fit=max&dpr=2&fm=webp)
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Strafrechtliche Verfolgung von Cannabis-Konsumierenden und ‑Anbau wieder einführen, sowohl gegen Minderjährige als auch Erwachsene, Absenkung des strafbaren Alters auf 12.
Nötigung zur Abstinenz, d. h. wirksame Behandlungen vorenthalten
“Unterstützend befürworten wir den Ausbau der suchtpsychiatrischen Versorgung, um die dauerhafte Abstinenz von Drogenkranken zu erreichen.” Wer alles unter ihre Vorstellung von “Drogenkranken” fällt, ist offen.
Nichts zu Alkohol und Tabak.
Clankriminalisierung: Verantwortung für Drogenhandel wird migrantischen Gruppen zugeschoben. Die Idee von “Clankriminalität” ist eine politische Erfindung, keine fachlich gerechtfertigte Kategorie. Der meiste Drogenhandel in Deutschland ist weiß und findet in Innenräumen statt.
Problematisiert grundsätzlich Nachbarschaften mit einem hohen migrantischen Anteil, besonders muslimisch geprägte. Verspricht mehr Razzien, mehr Polizeikontrollen ohne Anlass außer ihrer Beurteilung als “No-Go-Area”.".png?auto=compress&w=800&fit=max&dpr=2&fm=webp)
Warum ist Merz Cannabis so wichtig?
Es geht um Strafvefolgung.
Es geht um moralische Autorität.
Wenn Merz und Söder über Cannabis sprechen, sprechen sie von Gesundheitsgefahren und Organisierter Kriminalität, aber nicht über die konkrete Konsequenz ihrer Anti-Cannabis-Agenda. Die Konsequenz ist, dass Cannabis zum Eigengebrauch und der Anbau wieder zurück ins Strafrecht kommen sollen und damit wieder Gegenstand polizeilicher Verfolgung werden.
Was sich konkret bei der Polizei seit 1.4. getan hat, ist noch unklar. Aber eines ihrer größten Aufgabengebiete ist weggefallen und ihre Ressourcen wurden nicht entsprechend gekürzt. Wenn es nicht zu Freizeit geführt hat, wurde die Polizeiarbeit verlagert. Womöglich unterschiedlich je nach Bundesland. Geht man nach Medienberichten und Polizeimeldungen (was oft das gleiche ist), ist der neue Fokus Kokain. Hamburgs (Abre numa nova janela) Polizeiliche Kriminalstatistik ist vor einer Woche erschienen und dort scheint es so der Fall zu sein. Polizeiliches Trendthema ist außerdem, wie sie es generalverdächtig benennt (Abre numa nova janela), “Migration”. Die bundesweite Zusammenfassung der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Jahresbericht des Bundeskriminalamts für 2024 erscheinen wohl circa im April/Mai. Das wird interessant.
Merz ist ein Law&Order-Politiker, ebenso wie viele andere auch, darunter Innenministerin Faeser. Je mehr Aufgaben, Autorität und Befugnisse man sich selbst als Regierung, Polizei und Justiz zuräumen kann, desto besser. Gibt es andere Wege im Umgang mit Problemen? Wird die Strategie von Expert*innen gestützt? Egal. Man muss schnell handeln und der Öffentlichkeit zeigen, dass man sich durchsetzen kann. Wenn die Polizei einen Teil der Bevölkerung ständig überwacht und dauerpräsent ist, wird das nicht als Problem für Freiheit, Privatsphäre und Demokrate verhandelt, nicht als gefährlicher Pfad Richtung Autokratie mit einer zunehmend übermächtigen Polizei, die sich der Kontrolle durch die Bevölkerung entzieht, sondern als notwendige Reaktion und wichtig für das Sicherheitsgefühl.
Merz, d.h. die CDU/CSU, findet schlichtweg die Strafverfolgung von hunderttausenden Cannabisgebrauchenden gut.
Ich denke, es geht aber im Wesentlichen auch noch um eine zweite Sache. Und zwar begreifen sich CDU und CSU als moralische Autoritäten.
Sie maßen es sich in verschiedenen Themenbereichen an, vorzugeben, was gutes und was schlechtes Verhalten sei.
Drogenpolitik ist eine moralpolitische Erfolgsgeschichte. Anstatt die Realität der Existenz psychoaktiver Wirkstoffe anzuerkennen und einen risikosensiblen, selbstverständlich menschenrechts-zentrierten Umgang zu verfolgen, drehen sich fast alle Debatten fast ausschließlich um moralische Fragen mit moralischen Ergebnissen, ohne auf ein konstruktives Ergebnis zu gelangen. Dass man keine nützlichen Antworten und Strategien findet (bzw. abstreitet und ablehnt), wird wiederum darauf zurückgeführt, dass alles nunmal so böse sei. Entweder alle oder ein Teil der Drogen ist böse, entweder die Gebrauchenden oder der Handel sind schuld. An Sucht ist man selbst schuld oder die kriminellen Dealer sind schuld, wahlweise auch die (evidenz-basierte!) Suchthilfe, die keine Abstinenz erzwingt.
Die repressive Verbotspolitik ist historisch und ganz aktuell fest verwoben mit Rassismus und Armutsdiskriminierung (wie der UN-Hochkommissar für Menschenrechte dokumentiert hat (Abre numa nova janela)). Wer Reformvorschläge macht, ist verharmlosend, ignoriert das Wohl der Kinder, denkt nur an sich. Drogen sind illegal und wer mit ihnen zu tun hat, ist schließlich kriminell. Gute Bürger trinken maßvoll Alkohol und rauchen Zigarette und halten sich an die Gesetze. So schlimm können die Gesetze ja nicht sein, wenn es die meisten schaffen, daran zu halten…
Die CDU/CSU wird sich nicht eingestehen, von der Ampel moralisch korrigiert worden zu sein. Dass die Ampel tatsächlich ein Gesetz gemacht haben könnte, das für Jugendschutz und Gesundheit besser ist, muss unmöglich sein.
Inwiefern das Cannabis-Gesetz sein Versprechen für den Jugend- und Gesundheitsschutz erfüllen wird, lässt sich erst allmählich feststellen. Bis sich ein Gesetz entfaltet, braucht es Zeit. Und auch Studien brauchen entsprechend Zeit, um belastbare Effekte zu messen. Die Positionierungen von Expert*innen für Cannabispolitik, von Fachleuten der Suchthilfe und die offenkundige Erleichterung unter Cannabisgebrauchenden zählen leider regelmäßig weniger als die einzelne Stimme einer moralischen Autorität. Es reicht, wenn jemand Ärzt*in oder Lehrer*in ist, um Autoriät in Drogen- und Suchtfragen zugestanden zu bekommen. Zum Beispiel hat die FAZ die moralischen Geschütze gegen Cannabis jetzt im Wahlkampf hochgefahren.
Indem Söder und Merz so früh, direkt zum Beschluss am 1.4., schon angefangen hatten, die Re-Kriminalisierung von Cannabis zu versprechen, ist es ihnen gelungen, das allgemeine öffentliche Schweigen derjenigen, die von dem Gesetz profitieren, aufrechtzuerhalten. Wer vor dem 1.4. den Cannabis-Gebrauch wegen dem erwartbaren Stigma, sozialen, beruflichen und eventuell rechtlichen Folgen für sich behalten und im konsumierenden Umfeld bewahrt hat, wird auch nach dem 1.4. behutsam gewesen sein, solange wie nicht sicher ist, dass die Vorurteile und Ächtung nun tatsächlich ihr Ende haben werden. Seit dem 1.4. war dank Söders und Merz’ übermäßigen Cannabis-Gerede klar, dass das Gesetz 2025 wieder zurückgenommen werden könnte.
Wie kommen wir zu einer konstruktiven Debatte?
Moralische Werte sind auch Offenheit, Ehrlichkeit, Zuhören, die Wertschätzung des Lebens, Respekt von Privatsphäre, gesundheitliche Versorgung, Familienfrieden, allgemeines Profitieren vom wissenschaftlichen Fortschritt, etc.
Dass verteufelte Drogen für die meisten Konsumerfahrenen nicht das sind, wie sie in Politik und Medien meistens erscheinen, ist Millionen Menschen in Deutschland sehr wohl bewusst. Das Wissen über tatsächliche Wirkung, Freude und ambivalente Schwierigkeiten mit dem Gebrauch, das Interesse an sicheren Lieferketten, das Interesse an einer verantwortungsvollen Herstellung und Verkauf sind alles da.
Auch wenn es vor dem Hintergrund von Stigmatisierung und Kriminalisierung zäh ist, lässt sich daraus viel machen.
Nach der Bundestagswahl setzen wir bei der My Brain My Choice Initiative unsere Aktionsplan-Kampagne (Abre numa nova janela) fort, die darauf abzielt, einen fachkundigen, umsichtigen, nützlichen, konstruktiven, auf menschlichen Werten gestützten Diskurs über geeignete Drogen- und Suchtpolitik weiter am Laufen zu halten und den moralisch beim Strafen und Beschämen verorteten Pfad zu verlassen.
Dieser Artikel ist für die Mitglieder des Drogenpolitik Briefings (Abre numa nova janela) letzten Freitag erschienen. Ich mag Paywalls selbst nicht und freue mich über alle Interessierten. Deshalb schalte ich die Analysen nach wenigen Tagen (in der Regel nun Donnerstags darauf) komplett frei, bin aber darauf angewiesen, unter einem Teil meiner Leser*innen weitere Unterstützer*innen zu finden. Aktuell hat das Briefing 20 Mitglieder und 38 weitere Leser*innen.