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Frozen (Chris Buck & Jennifer Lee)

Die frühen 2010er Jahre markierten bei Disney eine Phase ideologischer Neuausrichtung. Fünfzehn Jahre waren seit der letzten Darstellung einer klassischen Disney-Prinzessin in Gestalt von Mulan oder Pocahontas vergangen. In der Zwischenzeit erschienen zahlreiche akademische und feministische Analysen zum traditionellen Frauenbild der Disney-Prinzessinnen. Vermutlich auch deshalb behandelte Disney das Thema zunächst eher zurückhaltend, bevor der Milliarden-Konzern mit Tangled, Brave und Frozen innerhalb weniger Jahre gleich drei Filme mit neu konzipierten Frauenfiguren präsentierte. Während die ersten beiden Filme bereits beachtliche Erfolge verzeichneten, übertraf Frozen alle Erwartungen und wurde Disneys erster Animationsfilm, der den Jahrhundert-Klassiker The Lion King vom Thron stieß.

Was hat sich also in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Back to the Roots

Im Gegensatz zu den Filmen der 2000er Jahre wie Cars, Finding Nemo, Wall-E oder Lilo & Stitch knüpft Frozen wieder deutlich an Klassiker wie Cinderella oder Beauty and the Beast an. Wir befinden uns in einem fiktiven Königreich mit magischen Elementen und einer funktionierenden Monarchie, inklusive all ihrer Riten und Traditionen. Es gibt Prinzen, magische Begleiter und eine Heldenreise, auf der primär die Selbstentdeckung im Vordergrund steht.

Der politische Mensch

Der Film beginnt mit einer Gesangschoreographie, in der gestandene Männer Eis aus einem gefrorenen See in akkurate Quader schneiden und mit dem Schlitten abtransportieren. Die Szene erinnert an diverse TikTok- und Instagram-Videos, in denen scheinbar niedere Arbeiten als heroischer Tanz inszeniert werden – etwa Männer, die auf einer Ölbohrplattform schwere Maschinerie koordinieren, oder Personen, die am Fließband Produkte auf- und abladen müssen. Von Linksliberalen als ehrliche Arbeit hochstilisiert, die zu Unrecht von der Finanz- und Investmentbubble belächelt wird, ist andererseits offensichtlich, dass die Menschen, die diese Arbeit tatsächlich täglich verrichten müssen, spätestens in zehn Jahren körperlich am Ende sein werden.

Unter den männlichen Eishauern befindet sich der junge Kristoff, der dieses Handwerk erlernt und, wie wir später erfahren, die Eisquader an Händler weiterverkaufen möchte. Mit dem Erlös plant er, eine Spitzhacke und ein Seil zu erwerben, um sein Eis-Geschäft fortzuführen. Unglücklicherweise ist das Land mittlerweile in einen ewigen Winter versunken, wodurch die Nachfrage nach Eis sinkt und die nach Spitzhacken steigt – das Geschäft wird unrentabel. Ohne politische oder ökonomische Macht sind Kristoff die Hände gebunden. Dies erinnert an den Goldrausch am Klondike im späten 19. Jahrhundert: Während die politisch ungebildete und wirtschaftlich unfreie Mehrheit dem Versprechen ökonomischer Unabhängigkeit nachjagte, waren die eigentlichen Gewinner die Händler, die diese ökonomische Not auszunutzen wussten. Das große Geld lag nicht im Gold, sondern in den Schaufeln, die für die Suche nach ebendiesem Gold teuer verkauft wurden.

Kristoffs ökonomische Entwicklung im Film kann mit dem Coaching Trend verglichen werden. Das Mantra “Lass dein Geld für dich arbeiten" ist der Motor der meisten Finanz- und Investment Coaches. Wenn man nur clever sein Geld investiert, kann man irgendwann sein Geld für sich arbeiten lassen und von der Rendite leben. Dass das Volkswirtschaftlich gar nicht flächendeckend funktionieren kann, ist hier nebensächlich. Es geht nur darum, sich selbst in dem unfairen System einen Vorteil gegenüber allen anderen zu verschaffen. Wenn Kristoff am Ende von der Prinzessin einen neuen Schlitten und das Abzeichen als Eis-Minister überreicht bekommt, erkennt er zwar die Unsinnigkeit des Titels, aber er ist sich auch bewusst, dass er sich finanziell keine Sorgen mehr machen muss. Dementsprechend hat er gut investiert, indem er die Gunst der Prinzessin erkämpft hat, aber den Kollegen aus dem Eis-Gewerbe geht es dadurch keinen Deut besser.

Aufgeklärter und demokratischer wird der Film beim Rest des Volkes, das zunächst möglichst aus der Politik herausgehalten werden soll. Mit übergeordneten gesellschaftlichen Fragen darf sich, wenn überhaupt, nur die Aristokratie befassen. So entsteht der Zentrale Konflikt in Frozen auch dadurch, dass der Plan des Königs, Elsa und ihre magische Kraft vom Volk verschlossen zu halten, am Ende scheitert. Plötzlich mit den Fähigkeiten Elsas konfrontiert sind die Menschen überfordert. Erst am Ende, wenn Elsa zurückkommt und den Winter aufhebt, wird sie als Herrscherin wieder akzeptiert. Wenn auch nicht Partizipation, so wird vom beherrschten Volk doch zumindest Information gefordert.

Ähnliches lässt sich auch in unserer indirekten Demokratie beobachten: Wir wählen alle vier Jahre politische Vertreter, die unsere Interessen repräsentieren und umsetzen sollen. An individuellen Entscheidungen haben wir jedoch kein Mitspracherecht mehr. Dennoch ist für viele eine maximale Transparenz essentiell für das Vertrauen in die gewählte Regierung. Dieses Bedürfnis lässt sich sowohl von rechter als auch von linker Seite beobachten, wo beispielsweise die verlorenen NSU-Akten, Stuttgart 21, der Cum-Ex-Skandal oder die Zusammenarbeit des RKI mit der Bundesregierung während der Corona-Pandemie zu einem Vertrauensverlust in unsere Demokratie führten.

In der Monarchie von Frozen ist es umso interessanter zu beobachten, dass auch hier das Bedürfnis nach mentaler Teilhabe des regierten Volkes vorhanden ist. Dass Elsa mitsamt ihrer magischen Kraft in das System integriert wird und damit der Irrtum der Eltern eingestanden wird, stellt für Disney einen Fortschritt dar, der bei Mulan so noch nicht möglich war, wo sich Mulan am Ende wieder ihrem Platz am elterlichen Hofe fügte.

Der menschliche Politiker

In den USA gewinnt die menschliche Performance des Präsidenten zunehmend an Bedeutung. Mit den Präsidentschaftsduellen und der Stilisierung der jeweiligen Kandidaten zu Popstars ist unverkennbar, dass mit dem Amt auch eine repräsentative Verantwortung einhergeht, die nicht mehr von der Person getrennt werden kann. Am deutlichsten wurde dies im letzten Duell zwischen Trump und Biden. Bidens Gebrechlichkeit war so offensichtlich, dass kein Inhalt der Welt dies noch wettmachen konnte. Die Diskrepanz zwischen dem Körper des Präsidenten, der funktionieren und vor der Kamera gut aussehen muss, und dem menschlichen Körper, der biologischen Faktoren unterworfen ist, war so groß geworden, dass Biden sich schlussendlich aus dem Rennen zurückzog.

Elsa muss in Frozen ihre Menschlichkeit und ihre politische Rolle in Einklang bringen, um keinen zu großen Bruch entstehen zu lassen. Das bedeutet, dass sie lernen muss, ihre magischen Fähigkeiten zu kontrollieren. Erst dann kann sie regieren. Ähnlich wie bei The Lion King ist sie durch Geburt die rechtmäßige Herrscherin. Ebenso entpuppt sich der Herrscher, der diese Blutlinie in Frage stellt, als Verräter und letztendlicher Bösewicht.

Wie sehr sie Königin ist, wird deutlich, als sie vom Hofe flieht und sich in die Berge zurückzieht. Hier kann sie sein, wer sie wirklich ist – ohne Zwänge, ohne Pflichten, niemandem Rechenschaft schuldig. Und doch erschafft sie sich ein Schloss und ein Selbstbild, das vor Erhabenheit nur so strahlt. Wir sehen sie perfekt geschminkt und gestylt in einem Abendkleid und High Heels in ihrem leeren Eisschloss. Es gibt niemanden zu regieren, dennoch ist das Bild der Herrscherin makellos. Sie ist auch im Privaten durch und durch Königin.

Die neue Prinzessin

Wie sieht sie nun aus, die moderne Disney-Prinzessin? Einerseits haben wir Elsa, die aus Rücksicht auf ihr Volk und ihre Schwester bereit ist, alles aufzugeben und allein zu leben. Andererseits haben wir Anna, die immer wieder unsere Erwartungen unterläuft. Die Liebe auf den ersten Blick zum adretten Prinzen entpuppt sich als Täuschung eines Heiratsschwindlers. Der kernige, ungewaschene, aber aufrichtige Mann ist ein netter Bonus, doch eigentlich geht es um ihre Liebe und Opferbereitschaft für ihre Schwester. Zusätzlich besiegt sie nicht nur den Widersacher des Systems, sondern verhilft auch noch Kristoff zum sozialen Aufstieg.

So sehen wir hier zweifellos Fortschritte im Vergleich zu den bisherigen Prinzessinnen, doch auch in Frozen wird der Status quo (fast) nicht angetastet. Die Königreiche von außen sind hauptsächlich am eigenen Machtausbau interessiert, und man entledigt sich ihrer am besten gänzlich, während die gewohnten Kräfteverhältnisse am Ende doch am besten für alle sind. Elsa ist, sobald sie ihre Magie beherrscht, die ideale Herrscherin, auch wenn wir nie erfahren, was ihre Führung eigentlich genau bedeutet. Performance ist alles, Inhalte sind nachrangig.

Fazit

Im Jahr 2013 ist die Rolle der Frau (Prinzessin) nicht mehr dieselbe wie noch vor der Jahrtausendwende. Das hat auch Disney erkannt. So erfreulich dieser Fortschritt sein mag, haben sich an den Herrschaftsverhältnissen dennoch kaum Veränderungen ergeben. Ökonomische wie auch diplomatische Fragen werden ausgeblendet, und der geborene Herrscher darf nicht in Frage gestellt werden. So bewältigen wir auch den Klimawandel mit etwas Liebe und Gefühligkeit, und am Ende des Tages gibt es für jeden braven Staatsbürger einen Platz an der Sonne – oder in Olafs Fall einen Platz unter der persönlichen Schneewolke.


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