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Die Pfannkuchentorte

Ein Rätsel namens News/Schäubles Memoiren/Ripley Netflix/ Mobiles Huhn

Nachrichten, früher die Basiseinheit des Journalismus, sind zur Denksportaufgabe geworden. Iran hat Israel angegriffen, aber Schaden entstand keiner. War es überhaupt ein Angriff, oder eine mehr oder minder abgesprochene Simulation? Israel hat entsprechend reagiert. Oder doch nicht?Diese Nachrichtenlage erinnert an das Attentat auf François Mitterrand 1959. Damals feuerte ein gedungener Schütze mit einer Maschinenpistole auf den Wagen des Politikers. Aber Mitterrand war vorgewarnt, duckte sich und es gab bloß Löcher im Auto. Später hat man diese Warnung benutzt, um Mitterrand vorzuführen, als habe er das alles nur inszeniert, um als Opfer dazustehen. Der Anschlag wurde zum Skandal, dem noch viele Skandale folgten. Es ist die Welt der Romane von Patrick Modiano: Niemand nennt seinen wahren Namen und alle reden in Andeutungen.

Nun Washington. Selbst die erfahrensten KommentatorInnen verzweifeln. Wer steht wo und warum? Und vor allem wie lange? Ich vermute, dass Johnson für die Zeit nach Trump taktiert. Frei nach dem saarländischen Dichter Arnfrid Astel: Die Fliegen verlassen die sinkende Ratte.

Kann auch alles ganz anders sein. Denksport eben.

Ich bin aber zuversichtlich. Ein bisschen gleicht unsere Geschichte jener der Pfannkuchentorte des alten Petterson für Findus, seine Katze. Um diese legendäre Geburtstagstorte zu backen, braucht er Zutaten, die er mit dem Fahrrad holen muss. Das er flicken muss, aber das Flickzeug liegt weggesperrt auf dem Dachboden. Der Schlüsssel dazu muss geangelt werden aber die Angelrute - jedenfalls muss er an einem Stier vorbei. Irgendwann geht dann alles ganz schnell und obwohl es hoffnungslos aussah, gibt es am Abend des Geburtstags diese Torte.

Am Wochenende könnte sich alles wenden: Die Ukraine erhält endlich Waffen zu ihrer legitimen Verteidigung, Trump geht in seinem Strafverfahren unter und Putin die Puste aus. In einem Jahr haben wir womöglich vergessen, wie knapp das alles war.

https://www.newyorker.com/news/letter-from-bidens-washington/did-mike-johnson-just-get-religion-on-ukraine (Abre numa nova janela)

Ich habe in den letzten Tagen nicht aufhören können, die Memoiren von Wolfgang Schäuble zu lesen. Es ist kein Buch, das durch besondere literarische Ambition überzeugt oder besonders spannend wäre. Enthüllungen habe ich auch nicht gefunden, jedenfalls nichts, was man sich nicht schon irgendwie gedacht hätte. Und die Gesamtgeschichte Schäubles ist jedem Erwachsenen hierzulande bekannt. Und doch ist es, wenn man noch nie im Leben die Union gewählt hat, als würde man eine Welt hinter dem Spiegel betreten: Das also ist der weite Kontinent namens CDU.

Es ist eine monotone Kulisse, alles in Sepia oder Anthrazit. Kaum einmal wird eine Stimmung oder eine Gegend beschrieben. Man muss sich erst orientieren, wie mit Songlines - den gesungenen Pfaden der australischen Aborigines. So fremd ist mir diese Welt. Die Songlines der Schäublewelt sind Verfahren, Gesetze und Verordnungen. Geregelt ist diese Welt, fair und auf Prosperität und Stabilität angelegt. Es geht nicht um Weltverbesserung, sondern darum, alles im Rahmen zu halten und die CDU an der Macht.

Schäuble lernt Dutzende oder Hunderte von Menschen besser kennen, aber Porträts haben hier die Tiefe von Smileys. Angela Merkel ein freundliches, Helmut Kohl ein großes und böses Gesicht. Wichtig sind nicht die Egos, sondern gewisse Prinzipien: Da ist zuallererst der Fleiß. Schäuble ackert wie ein Verrückter, ob vor oder nach dem Attentat. Dann die Kompetenz: Er achtet darauf, keinen Bullshit zu erzählen. Stets zuverlässig und fair zu bleiben. Und als Drittes die menschlichen Netzwerke: seine Partei, die KollegInnen in ganz Europa und vor allem seine Familie. Sie hält dieses Leben zusammen. Auch, wenn seine Gesundheit einer Achterbahnfahrt gleicht: Im Buch werden Episoden geschildert, die einem schon beim Lesen Schwindelgefühle verursachen. Was mögen das für Wochenenden gewesen sein, wenn der Minister mit hohem Fieber seine Montag anstehenden Reisen nach Berlin und Brüssel partout nicht absagen will. So eigensinnig. So prinzipienfest: Man kann sich Schäuble nicht im Dienste russischer Oligarchen vorstellen, nicht als Cheflobbyist eines Wirtschaftsverbands und auch nicht im Ausland. Deutscher geht es nicht und doch steht da der Satz, dass es mit ihm niemals einen Keil zwischen Deutschland und Frankreich gegeben hat. Was ihn nicht daran hinderte, sich mit Nicolas Sarkozy heftige Schreiduelle zu liefern, denn Rang oder Titel schüchtern Schäuble nicht ein. Man merkt das, wenn er seine Dialoge mit Kohl wiedergibt. Einmal noch vor ihrer Feindschaft – macht er den Kanzler der Einheit am Telefon zur Schnecke: “Was Du da jetzt wieder gemacht hast!” Wieder. Genial.

Aber die Lektüre ist auch eine Gelegenheit zur Selbstbefragung. Drei Mal, 1998, 2002 und 2005 habe ich nicht Schäubles Union gewählt, sondern einen Mann, der diese Republik später verraten hat. Es gibt dafür keinen anderen Ausdruck. Durch Schröder wurde die Bundesrepublik erpressbar, schutzlos und ihr Ansehen erlitt schweren Schaden. Wolfgang Schäuble hätte sich niemals kaufen lassen. Er hätte Putin ausgelacht.

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Erst war ich skeptisch, ob die Welt wirklich noch eine Ripley- Verfilmung braucht. Großer Fan von Schwarzweiß bin ich auch nicht, kurzum: Ich habe die achtteilige Miniserie eine ganze Weile ignoriert. Aber nun bin ich doch froh, sie gesehen zu haben. Der Täter bleibt ganz in der Ambivalenz, scheint selbst nicht genau zu verstehen, wohin die Reise geht. Mehr als einmal erinnert sein schiefes Lächeln an den beängstigenden smirk von Lee Harvey Oswald nach seiner Festnahme in Dallas. Es ist das Gesicht Putins: Lacht nie, weint nie. Hasst nicht, freut sich nicht. Das wirklich Böse erscheint nicht als Freundlichkeit getarnt, nicht mit teuflischem Charisma, sondern als Indifferenz.

https://www.netflix.com/watch/81679931?trackId=14170286 (Abre numa nova janela)

Man kann das Sonntagshuhn auch mal mobil, ohne Messer und Gabel genießen, sollte der Wettergott je wieder gute Laune zeigen. Die französische Köchin Alix Lacloche hat in Kalifornien gelernt und scheut die Arbeit im Restaurant. Sie kocht für Partys und Privatleute und mir ist ihr Konzept aus Sandwich und Suppe angenehmer als die tausend Minihäppchen, die als sogenanntes Flying Buffet sei Jahren jedes Event verwirren. Man weiß dann gar nicht, ob man schon gegessen hat oder nicht.

https://www.lemonde.fr/les-recettes-du-monde/article/2024/04/19/le-poulet-en-deux-temps-la-recette-d-alix-lacloche_6228736_5324493.html (Abre numa nova janela)

Kopf hoch!

ihr

Nils Minkmar

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