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Wer ist Nummer Eins?

Yasmina Reza/ Serie Life/ Die lange Lammkeule

Am Donnerstag war ich in Berlin zur Herbstsitzung der Académie de Berlin und zur Preisverleihung des Prix de l' Académie an Yasmina Reza, die große Literatin, die in Dramen wie Romanen gleichermaßen den Nerv unserer Zeit trifft. Ich durfte die Laudatio (bald hier (Abre numa nova janela) nachzulesen) halten, dann mit ihr auf der Bühne sprechen und war schwer nervös, den Reza macht es  den Fragenden bei solcher Gelegenheit bisweilen nicht leicht. 

Vor drei Jahren war ich in einer ähnlich lampenfiebrigen Verfassung, als Annie Ernaux den Preis bekam. Mal schauen, ob auch für Yasmina Reza so eine Abfolge von Académie- und Nobelpreis erfolgt, verdient hätte sie es. Das französische literarische Leben ist beneidenswert divers, lebendig und einfach interessant. Manchmal komisch. In einem im Herbst erschienenen,  langen Porträt des Autors Emmanuel Carrère im New Yorker (Abre numa nova janela) gibt es eine  Passage, in der er meint, Frankreichs Nummer Eins unter den Literaten sei Michel Houellebecq. Und dann, auf Platz 2, käme er, Carrère. (In Frankreich wird bekanntlich alles in eine Rangordnung getan, sogar die Toten. Auf dem Friedhof Montparnasse liegen Sartre und de Beauvoir im Grab Nummer Eins). Lustig ist diese Passage auch deswegen, weil Ian Parker, der Autor des New-Yorker-Artikels, zu wissen glaubt, dass Houellebecq die Dinge genau so sieht: Er top, Carrère vizetop. Als ich diese kleine Lesefrucht Yasmina Reza erzählte –– das war einer der Momente, an denen sie aus vollem Herzen und glockenhell gelacht hat. Und mit Recht.  

Es ging an jenen Tagen natürlich auch um die Krise zwischen Deutschland und Frankreich, oder besser Paris und Berlin oder noch genauer zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten. Kenner der Lage berichten, es habe so nach Beginn des russichen Überfalls auf die Ukraine einen moment de flottement gegeben, einen Augenblick in der Schwebe – wo nichts passierte. Aber das sei erkannt und überwunden. Andererseits sind die Verbindungen zwischen Hochschulen, in der Wirtschaft, zwischen den Städten und Regionen so eng und dicht, dass ich persönlich zuversichtlich bin. Das klappt auch gut, wenn die beiden Chefs keine besten Freunde sind. Dennoch kann man mehr machen, gerade in der populären Kultur und im Fernsehen. Wann war zuletzt ein deutscher Promi in einer französischen Show, wann eine französische Expertin in einer deutschen Talkrunde? Ich fände europäische Quoten im Rundfunk gut. Der Spracherwerb gehört verbessert und auch die JournalistInnenausbildung. Aber wenn ich donnerstags mal wieder in Mainz bin und mir die jungen KollegInnen des transnationalen Masters in Journalismus besehe, die ich unterrichten darf, mache ich mir keine verschärften Sorgen. Wie immer sind die nachwachsenden KollegInnen besser als alle zuvor. 

Am Morgen nach der Brexitabstimmung hörte ich ein Interview mit dem französischen Außenpolitiker Hubert Védrine. Seine Deutung der Lage war an jenem Tag völlig unzeitgemäß, darum blieb sie mir in Erinnerung. Er sagte: "Eines Tages wird UK wieder in die EU eintreten, sie haben gar keine andere Wahl." Einstweilen verbindet uns die Kultur. Auf arte.de ist eine neue Serie mit dem ebenso kurzen wie programmatisch anspruchsvollen Titel Life. Ich habe sie noch nicht ganz gesehen, aber der Guardian lobt sie "This is British telly at its unshowy best." Dabei sind auch die guten Leute, die die Serie Doctor Foster zu solche einem spannenden Drama ohne Polizei gemacht haben. Genau das Richtige, um gleichzeitig entspannen und nachzudenken: 

https://www.arte.tv/de/videos/101339-001-A/life-1-6/ (Abre numa nova janela)

Ich habe eine besondere Schwäche für  zu Gerichte, die ewig lang vor sich hin schmoren, auch wenn ich sie leider kaum selbst koche. Ich  liebe solche vagen, großzügigen Zeitangaben wie: noch ein oder auch zwei Stunden garen lassen. Stelle mir gern vor, wie man frühmorgens beginnt, wie die Vorfreude sich entwickelt,  während ich den Sonntag vertrödele, aber irgendwie mache ich es dann doch ganz anders. Im Rezept von Le Monde geht es um ein solches Gericht, aber auch um die damit verbundene Illusion. Der Spitzenkoch Omar Abodib erinnert sich so an die Sonntage der Kindheit, obwohl die wegen der Jobs seiner Eltern in Wahrheit ganz anders verliefen und es diese Lammkeule gar nicht gab. Überhaupt ein faszinierender Text über einen Mann und seine Küche, in der sich die beiden heiligen Fette Frankreichs Butter und Olivenöl, die sonst ganz getrennte Regionalküchen prägen, einmal verbinden. 

https://www.lemonde.fr/le-monde-passe-a-table/article/2022/12/02/l-agneau-au-zaatar-la-recette-d-omar-abodib_6152668_6082232.html (Abre numa nova janela)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

PS: Im September erschien mein erster Roman "Montaignes Katze" ohne große Werbekampagne oder sonstigen Tam Tam, und seitdem ist so viel passiert. Viele Leserinnen haben den Namen Montaigne erst googeln müssen, sich dann aber am Buch erfreut. Nun lag das hier in der Post, schon dritte Auflage,  und ich kann es kaum glauben. Danke. (Es ist übrigens ein gutes Weihnachtsgeschenk)

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