Die Rede
Sagen, was ist/ Stehen Anpalagan/Parlament Staffel 3/Ottolenghi again
Der Angriff der Hamas auf Zivilisten in Israel hat mich nicht sonderlich überrascht. Das Land leidet unter einer chronischen Führungsschwäche, und es liegt im Interesse Russlands, mithilfe der iranischen Alliierten die Konflikte der Welt auszuweiten. Es wird auch auf dem Balkan und in Taiwan zu militärischen Aktionen kommen. Der Westen wirkt schwach und desorganisiert. Die Schutzmacht USA befindet sich, verursacht durch die Republikaner, in einer tiefen Krise. Interessant: Gerade Parteien, die sich patriotisch nennen, Betreiben das Geschäft der Feinde der offenen Gesellschaft: Das ist bei den US-Republikanern so bei der AfD, dem Rassemblement National und so fort.
Die Bundesrepublik ist auf diese neue Zeit der Unruhe nicht gut vorbereitet. Immer noch wird prorusssiche und rechtsradikale Propaganda ungehindert verbreitet, die Sanktionen gegen Russland wirken nur partiell und die Bundesregierung wirkt ratlos. Europa ist viel zu schwach: Auf dem G20 oder anderen großen Gipfeln erscheinen diverse Menschen, die unterschiedliche Rollen in Europa oder den Einzelstaaten bekleiden. Die Europäische Union besitzt enormen wirtschaftliches und symbolisches Gewicht, teilt diese Macht aber so auf, dass niemand etwas davon spürt.
Die Nationalstaaten sind aber zu schwach, um noch irgendetwas zu bewirken. Und die Medien arbeiten hauptsächlich national.
In dieser zunehmend bedrohlichen Lage wäre eine große Rede angebracht. Das Wort von der Zeitenwende hat ja schon einmal Geschichte geschrieben, nun ist es Zeit für eine Fortsetzung. Ich weiß gar nicht, wo man so eine Rede am besten hält oder in welchem Format. Sicher wäre es gut, zeitgemäße Formen zu finden. Ich war mal ein großer Fan dieses Auftritts:
https://youtu.be/P6Cu9187tCY?si=GSjw-A02gwoi2SPc (Abre numa nova janela)Aber ein anderes Format ist auch denkbar. Was nicht geht, ist nichts tun. Die Idee einer permanenten Gegenwart, die jahrzehntelang die Sehnsucht der Deutschen beschäftigte, ist an ein Ende gekommen. Die Feinde der offenen Gesellschaft haben einen jahrelangen Vorsprung in der propagandistischen und politischen Subversion. Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, die Zivilgesellschaft: Alle müssen sich auf eine konfrontative Realität einstellen. Ich und alle anderen, die heute Verantwortung für eine Familie oder eine Arbeit tragen, sind in Frieden und Sicherheit aufgewachsen: drei Mahlzeiten am Tag und wenn es brenzlig wurde, konnte man 110 rufen. Musste ich aber nie. Solche Zustände möchte ich gerne für meine Kinder und Enkel bewahren. Das geht aber nicht durch ein Wegschauen vom brenzligen internationalen Klima. Ohne den Schutz der USA wird Europa zur Beute. Hier muss ein Umdenken beginnen und am besten mit einer Rede. Ich habe den Zauberspruch von Rudolf Augstein Sagen, was ist immer auch als umkehrbar verstanden: Durch treffende Worte gestaltet man Realität.
Wer hält sie?
In diesen Tagen kann wieder dabei zuschauen: Strukturelle Probleme der sozialen Ungleichheit, verursacht durch mangelnde Investitionen in die Infrastruktur und die Bildung führen zu Frust bei den Leuten. Doch es gelingt, den Ärger auf Migranten abzuschieben. Wohnungsnot, verfallende Schulgebäude, Lehrermangel, Stau und Zugausfälle, alles wegen des angeblichen Problems Nummer 1: anderen Menschen, die hier eine Zukunft suchen. Und auch finden könnten. Dass diese Republik durch Zuwanderung erst reich und lebenswert wurde, während alle Generationen von neu Ankommenden diffamiert und diskriminiert wurden, das rekonstruiert der Theologe und Berater Stephen Anpalagan. Seine Eltern flohen einst aus Sri Lanka, aufgewachsen ist er im schönen Wuppertal. Manchmal scheint das utopische Versprechen der dortigen Schwebebahn poetisch durch die Zeilen. Er macht es sich nicht leicht, beschreibt ein Schwanken zwischen Enttäuschung über Fremdenfeindlichkeit und Alltagsrassismus, die abgelöst wird von einer Zuneigung über die Möglichkeiten, die Deutschland eröffnet und der Tatkraft der Zivilgesellschaft. Es ist ein aufklärendes, dabei durch aus schonungsloses, aber am Ende eben auch Mut machendes Buch.
Da es in dem Verlag erschien, in dem auch mein Roman Montaignes Katze publiziert wurde, kann ich es nicht für die Süddeutsche rezensieren und empfehlen. Hier geht das.
Morgen am Montag, den 9. Oktober darf ich in Berlin die dritte Staffel der Serie Parlament vorstellen. Daher habe ich sie schon gesehen, alle anderen müssen sich bis zum 30. Oktober gedulden, dann ist sie in der ARD-Mediathek zu sehen. Wieder gelingt es, treffende Komik, politische Satire und Information über europäische Abläufe zu vereinen. Mir fällt nur die britische Serie The Thick of it (Abre numa nova janela) ein, die ähnlich treffend den Geist der Zeit traf. Besonders gut gefällt mir, dass man sich amüsiert und zugleich noch mehr über Brüssel erfahren möchte. Immer wieder gibt es aber auch Mosaik-Momente, die schlicht die Absurdität des Alltags abbilden - Star dieser Szenen ist der völlig abgerockte Parlamentspräsident Michel Specklin, großartig dargestellt von Philippe Duquesne. Seine politischen Ambitionen zielen in dieser Staffel auf die Realisierung einer karibischen Woche in der Parlamentskantine.
https://www.ardmediathek.de/video/parlament/special-meet-samy-s03-e01/one/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTY5MjAwNWUyLWFkYWYtNGY3ZS05YTBhLWRmOWMyNWQ4MTM3Mg (Abre numa nova janela)Nach dem Geschmack unseres Sohnes kann ein Gericht gar nicht frittiert genug sein. Meine Frau hingegen wird hellhörig, wenn ich angebe, dass ein Rezept von Yotam Ottolenghi stammt. Wenn ich in der Küche improvisiere, behauptet ich anschließend, es sei von Ottolenghi inspiriert. Damit komme ich nicht immer, aber oft durch. Dann noch Huhn, also das werde ich - morgen am Wahltag - nachkochen:
https://www.theguardian.com/food/2023/sep/30/yotam-ottolenghi-test-kitchen-comfort-food-recipes-mackerel-buns-padron-peppers-cheesy-dip-fried-chicken (Abre numa nova janela)Kopf hoch,
Ihr
Nils Minkmar
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